Auch eine Vorstellung

In einem Straßenbahnwagen sah ich einmal folgendes: Eine bekannte und gefeierte Schauspielerin der Stadt saß da mit ihrer Mutter, die wohl auf einige Tage zu Besuch gekommen war. Die Mutter hatte wohl leider keine gute Erziehung genossen und war obendrein schrecklich nervös: sie lenkte die Augen aller Mitfahrenden auf sich durch beständiges lautes und ungeduldiges Reden und ärgerliches Zurechtsetzen der erwachsenen Tochter. Statt dass nun die Tochter, wie es manchmal leider geschieht, ebenfalls hastig geworden wäre, gab sie den Mitfahrenden eine Vorstellung, welche wohl größere Wirkung auf das Publikum erzielte als alle ihre Bühnenerfolge. Sie blieb die verkörperte Liebenswürdigkeit und Ehrerbietung, beantwortete jede heftige Frage mit zartester Aufmerksamkeit, beruhigte die Mutter beständig, ohne den leisesten Ärger weder in der Stimme noch in der Seele zu haben. Als dann beide aufstiegen, hatte wohl jeder das Gefühl, man müsse der Tochter eigentlich einen Kranz nachtragen und sie dreimal wieder hereinrufen!                         
Aus: Dr. F,. W. Forester, "Jugendjahre"

Quelle: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung, Martin Haug, 1941, Beispiel 679
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