Ach nein, lieber Gott, das ist ja nicht unsere Angelegenheit.
Es war während der Wirtschaftsflaute der frühen dreißiger Jahre. Eine Mutter und ihr vierjähriges Töchterchen gingen die Straße entlang und trafen dort einen dürftig gekleideten Mann, der an der Ecke stand, seine Kappe hinhielt und um "ein paar Pfennige" bat. "Ach, Mama", sagte die Kleine und zog ihre Mutter am Mantel, "wir wollen ihm helfen!" Die Mutter langte nach der Hand ihrer Tochter, zog sie zu sich und sagte: "Komm, Liebling, das ist nicht unsere Angelegenheit." Obwohl die Kleine nicht ganz sicher war, die Begründung ihrer Mutter richtig verstanden zu haben, gehorchte sie. Es dauerte nicht lange, und sie hatte den Mann an der Ecke vergessen; denn ihre Gedanken wurden bald von Spielzeug in den Schaufenstern beansprucht.
Aber als sie am Abend ihr Gebet gesprochen hatte, hielt sie einen Augenblick inne und fügte in kindlicher Unschuld hinzu: "Und bitte, lieber Gott, segne den armen Mann an der Ecke." Im gleichen Augenblick trafen sich ihre Augen mit denen ihrer Mutter, und sie dachte daran, was die Mutter am Nachmittag gesagt hatte, und ergänzte schnell: "Ach nein, lieber Gott, das ist ja nicht unsere Angelegenheit." - Wir wissen nicht, was die Mutter in jenem demütigenden Augenblick gedacht oder gesagt hat. Der Herr ermahnt seine Leute: "Lasset uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht ablassen. Darum, solange wir noch Zeit haben, lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen". (Galater 6,9.10 )
(Hermann Gockel)
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