Aber sie sieht nicht aus wie eine Katholikin!
Beim Abendessen plauderte unsere Tochter, damals siebenjährig, über ihren Schultag. Eine neue Schülerin war dazugekommen. Sie war katholisch.
„Aber", sagte Rose, „sie sieht nicht aus wie eine Katholikin." Da mussten alle anderen Kinder lachen.
„Wie sehen Katholiken denn aus?", riefen sie.
Sofort antwortete Rose: „Katholiken haben Sommersprossen." Das Gelächter steigerte sich. Aber Rose blieb dabei - alle Katholiken, die sie kannte, hatten Sommersprossen. Also müssten doch alle Katholiken welche haben.
Wir können nachvollziehen, dass Kinder so argumentieren. Aber wenn Erwachsene in der gleichen Art reden, ist etwas faul. Das nennt man Vorurteil: Alle Juden sind... Alle Schotten sind... Alle Holländer sind... Alle, die nicht exakt dasselbe glauben wie wir, sind keine Christen
Rose ging von ihrem begrenzten Erfahrungshorizont aus. Sie bemerkte bald ihre Täuschung, weil sie mehr Katholiken kennen lernte. Je weiter unsere Erfahrung wird und je mehr Christen wir kennen lernen, desto weniger werden wir voreilig abstempeln. Wir sehen andere als Personen. Immer, wenn wir ein Vorurteil gebrauchen, beurteilen wir andere nach einem Standard, den wir selbst gesetzt haben, und zu unserer Schande wählen wir oft schlimmere Kriterien als Sommersprossen.
John M. Drescher, "Frucht des Geistes"
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