Antwort A
Die Ansicht, dass das Zeugnis der Gläubigen in der letzten Zeit individuell sei, bedeutet wohl, dass die Heiligen Gottes nicht mehr jetzt so sehr die Verantwortung hätten, sich zu Ortsgemeinden nach dem biblischen Muster zusammenzuschließen, sondern dass es besser wäre, wenn die Gotteskinder als zerstreute oder alleinstehende Einzelheiten stehen, ohne eine Gemeinde zu bilden. Sie dürfen freundlichen Verkehr miteinander pflegen, einander gegenseitig die Hände warm drücken, wenn sie, wie man sagt, zufällig auf der Straße sich begegnen, ab und zu vielleicht ihre Knie gemeinschaftlich beugen, wenn sie untereinander sich besuchen. Was den Dienst am Worte oder die Verkündigung des Evangeliums und andere gemeinsame Handlungen anbelangt, so soll dies persönlich sein, ein jeder hat die Pflicht, das zu tun, was er als alleinstehende Einheit tun kann. Jeder Bruder darf eine gewisse Art freier „Lanzenreiter” sein; er erkennt wohl die Wahrheit von dem einen Leib Christi, nämlich von der einen Gemeinde des HERRN; er weiß auch, wie die Gläubigen in den apostolischen Tagen sich als Gemeinden versammelten, und hat wohl ein gewisses, wenn auch schwaches Interesse daran, wenn in irgendeiner Stadt eine solche biblische Gemeinde sich befindet, und würde recht gern ab und zu mit den Gläubigen das Abendmahl des HERRN feiern; doch trotzdem ist er der Meinung, dass das Hauptgewicht auf das individuelle Zeugnis falle, denn wir leben „in den Tagen kleiner Dinge”, und nur zu oft sei das gemeinschaftliche Zeugnis sehr schwach und fehlerhaft, oft seien die Brüder so uneins untereinander, das Gold glänze nicht mehr, die Welt betrachte eine solche mangelhafte Gemeinde mit spöttischem Lächeln, und durch die Unklugheit oder den Mangel an Gnade der Geschwister werde des HERRN Sache in Mißkredit gebracht. Wenn man nun das alles anschaut, so kommt man zu dem Schluß, dass es ratsamer sei, wenn das Zeugnis für den HERRN persönlich sei, und man entzieht sich der Verantwortung, Hand an das Bilden solcher Gemeinden zu legen; und vielleicht kann man so ein wenig Christi Schmach ausweichen, oder man bildet sich ein, dass man mehr für den HERRN tun kann, wenn man als eine Sondereinheit steht.
Hier aber erhebt sich die Frage, ob diese Ansicht biblisch zu begründen sei oder ob man nur der Meinung ist, ohne nämlich ein: „So spricht der HERR” oder ein: „Es steht geschrieben” zu haben. Vor zirka 38 oder 40 Jahren äußerte mir ein lieber Bruder aus Dublin diese Ansicht und begründete dieselbe auf die Botschaft des HERRN in dem Sendschreiben an die Versammlung zu Laodicäa (Offb. 3); seit der Zeit habe ich bis jetzt diese Ansicht nicht mehr vernommen, obwohl ich liebe Brüder kennengelernt habe, die nach dieser Meinung zu leben trachteten. Wir sind ja überzeugt, dass das Sendschreiben an den Engel der Gemeinde zu Laodicäa uns zu diesen letzten Tagen führt. Doch überzeugt sind wir gerade nicht, dass die Ansicht von dem persönlichen Zeugnis im Gegensatz zum gemeinschaftlichen Zeugnis den Worten des HERRN entnommen werden könnte. In Off. 3,20 finden wir die Worte, auf welche man diese Meinung besonders stützt, der HERR steht an der Türe und klopfet an, wenn jemand - irgendein Individueller - Seine Stimme hört und die Türe auftut, zu dem geht der HERR ein und ißt das Abendbrot mit ihm und er mit dem HERRN. Das ist wohl individuell; und der HERR kann kaum mehr Gemeinschaft oder Umgang mit der ganzen Gemeinde haben, sondern nur mit einzelnen Persönlichkeiten. Wir wissen kaum von anderen Schriftstellen, auf welche jene Ansicht sich stützen könnte. Dass etliche von dem hochfahrenden Diotrephes aus der Gemeinde gestoßen wurden (2. Joh. V. 9) und als Individuelle stehen mußten, ist kein Beweis dafür, dass es besser wäre, wenn unser Zeugnis persönlich außerhalb einer Ortsgemeinde wäre.
Es ist in einer gewissen Hinsicht leichter, so zu stehen, man hat keine besonderen Gemeinschaftssorgen oder Verantwortungen mehr; man hat keine Pflicht, an einem eisigen Winterabend in die Gebetsstunde zu gehen, man kann ja behaglich im mollig geheizten Zimmer die Bibel lesen und auch beten, vielleicht zu den träumerischen Klängen des Schumannschen Schlummerliedes. (!! Der Schriftl.)
Wir sind aber der Meinung, dass diese Ansicht auf schwachen Füßen steht; denn die Tatsache, dass eine Gemeinde wie die zu Laodicäa in einem schlechten Zustand ist, ist kein Grund dafür, dass man die Hände enthält von einem gemeinschaftlichen Zeugnis oder dass man behaupten könnte, dass der HERR durch den Heiligen Geist nicht mehr Gläubige um Sich zu Gemeinden sammle. Die lieben aus der Babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrten Israeliten waren ebenso berechtigt zu sagen: „Die Zeit ist nicht gekommen, die Zeit, dass das Haus Jehovas gebaut werde” (Hagg. 1,2); aber der HERR durch den Prophetenmund legte solchen eine ernste Frage vor: „Ist es für euch selbst Zeit, in euren getäfelten Häusern zu wohnen, während dieses Haus wüste liegt?” Ja, die Kinder der Wegführung waren der Meinung, dass wegen der vielen Schwierigkeiten und Kämpfe es ratsamer wäre, wenn ein jeder in seinem Hause für sich bliebe und nicht mehr dazu schritte, den Tempel an seiner Stätte aufzurichten, doch Gottes Weg war damals anders als die Ansicht des Volkes! Brüder haben Fehler gemacht, und viele Trennungen sind durch fleischliches Eifern vorgekommen; so manches Herz ist dadurch verstimmt, traurig und mutlos geworden; einige fühlen, dass sie in ihren rosafarbenen Hoffnungen enttäuscht sind; so denken sie, dass das Zeugnis lieber individuell sein soll. Bekennen wir doch, daß, von menschlicher Seite aus betrachtet, solche gewissermaßen recht haben, diese Ansicht zu vertreten, und leichter ist es auch!
Wir möchten nun diese Ansicht von einem anderen Standpunkte aus betrachten; nur zunächst fragen wir, ob man eine Ansicht biblisch begründen könnte, die viel Belehrung und praktische Ermahnung der Schrift hinfällig, veraltet und wirkungslos macht! Eine Ansicht, die ein solches Resultat oder eine solche Auswirkung hat, kann gewiß keine schriftgemäße Berechtigung haben, sonst würden die Heiligen Schriften sich gegenseitig auflösen oder annullieren. Nehmen wir nur die Frage der Gemeindezucht; der HERR Selbst gibt Belehrung, wie man sich in einem gewissen Falle zu verhalten habe (Mt. 18,15-18); der einzelne Bruder zuerst soll versuchen, persönlich seinen Bruder, der wider ihn gesündigt hat, zu gewinnen; gelingt es ihm nicht, so hat er zwei oder drei mit sich zu nehmen; und wenn jener andere nicht auf sie hört, so soll er es der Versammlung oder Gemeinde sagen; doch ein vereinzelt dastehender Bruder hat keine Gemeinde, zu der er mit einer solchen Angelegenheit gehen kann, - also befindet er sich in einer Lage, wo die Befehle des HERRN nicht befolgt werden können, das ist, gelinde gesagt, eine Unregelmäßigkeit! Wir haben auch einen ernsten Fall von Gemeindezucht in 1. Kor. 5; der sündhafte Bruder sollte von den Gläubigen, wenn sie versammelt waren, mit der Kraft des Herrn Jesus Christus dem Satan überliefert werden zum Verderben des Fleisches, auf dass der Geist errettet werde am Tage des Herrn Jesus. Hier wieder ist die Ermahnung überflüssig, wenn das Zeugnis nur individuell sein sollte, man ist dann in einer Stellung, wo man nicht nach dem Worte handeln könnte.
Die Episteln an die Korinther haben vielfach mit der Ordnung einer Ortsgemeinde zu tun; und also in der ersten Epistel von 11,17 bis 14,39 wird wichtige Anleitung von der inspirierten Feder des Apostels uns zuteil, wie man in einer Hauptzusammenkunft einer solchen Gemeinde sich benehmen sollte. Denn Paulus adressierte seinen Brief auch an alle, die an jedem Orte den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen. Das Abendmahl nimmt nun einen wichtigen Platz ein, und dann kommt geistlicher Unterricht über die Gnadengaben und deren Ausübung in einer Zusammenkunft der Gemeinde, damit alles anständig und in Ordnung sei. Wenn nun die Ansicht vom persönlichen Zeugnis richtig wäre, so haben diese wichtigen Momente, diese göttliche Anleitung über die Ordnung in einer Versammlung ihre Gültigkeit verloren, sie gehen uns nichts mehr an! Doch sind wir überzeugt, dass die hier enthaltene Belehrung Gültigkeit hat bis zur Ankunft des HERRN. Es gibt Brüder, die die sonderbare Idee haben, dass nur die sogenannten Gefangenschaftsbriefe des Paulus für uns Gültigkeit besitzen, aber vielleicht ist es nicht nötig, eine solche Idee zu widerlegen.
In 2. Kor. 8 u. 9 haben wir herzinnige Belehrung über das gemeinschaftliche Geben; denn eine Handreichung auf praktische Art wollten die Gemeinden von Mazedonien und Achaja den armen Gläubigen in Judäa erweisen. Man kann als vereinzeltes Individuum etwas auf diese Weise tun, - aber wie schön ist es, wenn das gemeinschaftlich geschieht! Paulus schrieb: „Denn die Bedienung dieses Dienstes ist nicht nur eine Erfüllung des Mangels der Heiligen, sondern ist auch überströmend durch viele Danksagung gegen Gott.” Wieder bemerken wir, dass diese köstliche Belehrung überflüssig wäre, wenn die Heiligen Gottes nur vereinzelt dastehen sotten.
Wenn wir mit Aufmerksamkeit die Episteln an Timotheus und Titus lesen, so kommen wir zu demselben Schluß. Paulus hatte viel über die Ordnung in einer Ortsgemeinde zu sagen, unter anderem: „Dieses schreibe ich dir - auf dass du wissest, wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches die Gemeinde des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit.” (1. Tim. 3,15) Doch die Ansicht von dem individuellen Zeugnis macht diesen Punkt und noch vieles in diesen lehrreichen Episteln wertlos, denn es ist gar nicht nötig, zu wissen, wie man sich in einer Gemeinde zu verhalten habe, wenn solche Gemeinden jetzt nicht notwendig und Gottes Wille sind und man in keiner sich befindet! Der Psalmist sang: „Gott lässt Einsame (einzeln Zerstreute) in einem Hause wohnen.” (Ps. 68,6) Doch wenn man allein wohnt, so verliert man vieles dabei. In einer Familie, wo mehrere Kinder sind, lernen sie, miteinander zu spielen, einander zu lieben, kleine Dienste füreinander zu tun und einander gegenseitig zu ertragen; es kommen auch Streitigkeiten vor, und doch werden wieder die kleinen Herzenswunden unter Tränen geheilt, und sie spielen weiter. Solche Kinder werden durch Übung selbstloser als ein Kind, das allein ist. Die Gemeinde ist eine wunderbare Schule, wo man durch Gottes Gnade und die sanfte Wirkung des Heiligen Geistes allmählich lernt, auf den Eigensinn zu verzichten, dagegen Geschwister mit scharfen Ecken und Kanten in Liebe und Geduld zu tragen, den Mund nicht aufzutun, wenn die alte Natur recht gern ein bissiges Wort jemandem geben möchte, und auch lernt man mit betendem Herzen alle zu tragen. Wie kostbar ist doch das alles, und noch vieles mehr! Wenn aber das Zeugnis nur individuell ist, so verliert man sehr viel, und würde man nicht an dem Tage recht zu kurz kommen? Denn man hätte sich in der Gerechtigkeit nicht geübt. In der Gemeinde lernt man zuerst mit Zittern und Zagen die einem anvertraute Gabe zu gebrauchen, vielleicht nur zunächst nach einem ausbleibenden Bruder oder nach einer selten gesehenen Schwester sich zu erkundigen und zu dem fehlenden Gliede hinzugehen; vielleicht dann ein mit dem „Violinschlüsselton” der Leitung des Heiligen Geistes harmonierendes Lied anzugeben oder den Mund in der Gebetsstunde aufzutun, oder eine junge Schwester ergibt sich der hoffnungsvollen und schönen Arbeit unter den Kindern.
Dem Einzelstehenden würde das alles fehlen, denn er befindet sich in einer Lage, wo so vieles im Worte keine praktische Verwendung mehr hat; eine solche Stellung verurteilt sich selbst, denn für solche geben die Heiligen Schriften keine Anweisung. Nach diesem allen kann man also die Ansicht, dass das Zeugnis in diesen letzten Tagen nur individuell sein solle, nicht biblisch begründen.
F. Btch.
Antwort des Schriftleiters
Unser teurer Mitarbeiter hat in der ihm eigenen, sonnenklaren Weise die wichtige Frage beantwortet und sich unzweideutig zu dem gemeinsamen Zeugnis bekannt. Und was könnte er - und was könnten wir - nach der Schrift auch Besseres tun?!
Aber vielleicht sind da doch noch anders Gesonnene, die Stellen anzuführen haben, die, oben nicht berührt, wohl einen Schein (mehr nicht!) des Rechtes für die entgegengesetzte Meinung haben, und wir sollten doch solche Stellen noch kurz anführen!
Eine Tatsache, der sicher kein Gotteskind widersprechen wird, ist die, dass uns in der Schrift ein gemeinsamer und ein einzelner Pfad des Glaubens gezeigt wird. Diese beiden Pfade des Glaubens sind in der kostbaren Geschichte in Mt. 14,22-33 zusammengestellt: In dem Schiff, das „gegenan” zu fahren hatte, steht gleichsam die Gemeinde als der gemeinsame Pfad vor uns, und in „Petrus auf dem Wasser” der persönliche, individuelle. Beide sind gleich wichtig, und der erstere ist der, wo tatsächlich alles gemeinsam ist, weswegen die einzelnen Träger des gemeinsamen, wenn auch damals noch sehr schwachen Zeugnisses auch nicht gekannt werden. Der letztgenannte Pfad des Glaubens ist ganz individuell, jeder hat seinen besonderen Weg, keiner kann dem anderen darin Forderungen stellen und - wenngleich Fürbitte für den Einzelpfad von der Gesamtheit durchaus möglich ist - keiner kann den anderen zwingen, die gleichen Erfahrungen wie er selber zu machen. Es ist alles persönlich, sowohl das Schöne wie das Schwere, sowohl der Sieg wie das Unterliegen, sowohl der Blick auf den HERRN wie der auf Wind und Wogen! Ich denke, dass jeder Gläubige einen solchen persönlichen Glaubenspfad zu gehen hat, aber, aber - daraus folgt nicht, dass er nur diesen zu gehen habe! Petrus musste ins Schiff zurück, das ist nicht zu übersehen, und so köstlich seine ersten und letzten Erfahrungen mit seinem treuen HERRN auch waren (und immer wieder sein können und müssen für uns in unseren täglichen Einzelwegen!) - der gemeinsame Pfad stellte seine Anforderungen an ihn wie an uns - und bezüglich unserer Frage: Erst der gemeinsame Pfad ist der des gegenwärtigen Zeugnisses vor der Welt, denn zu diesem bekannte Sich der HERR, indem auch Er in das Schiff stieg und mit demselben ans Land fuhr (wo die Augen der Welt auf Ihn und die Seinen gerichtet waren). Also beides hat seine Bedeutung, sowohl das persönliche wie das gemeinsame Glaubensleben - das sehen wir zunächst aus dieser kleinen lieblichen Geschichte -, aber das Zeugnis vor der Welt ist in erster Linie das gemeinsame, d. i. das jener Körperschaft, die der HERR „Meine Gemeinde” nennt. (Mt. 16,18)
Aber hat das persönliche Zeugnis nicht auch seine Wichtigkeit? Gewiß, überall da, wo eben von einem gemeinsamen Wege nicht geredet werden kann, wohl aber von einem persönlichen, im täglichen, beruflichen, geschäftlichen usw. Leben, da ist das Zeugnis unseres Wandels von der größten Bedeutung, wie uns viele Stellen zeigen, von denen ich nur folgende herausgreife: Kol. 4,5.6; 1. Joh. 2,6; 2. Joh. V. 4.6; 3. Joh. V. 3.4 u.a.; die meisten Stellen über unseren Wandel beziehen sich aber viel mehr auf den gemeinsamen, wie z. B. Eph. 4,1-3; Phil. 1,27-30; 3,17ff.; 1. Thess. 2,12 u. a. Übrigens ist diese verantwortliche Seite unseres christlichen Einzel- wie Gesamtzeugnisses zu bekannt, als dass darüber hier besondere Lehren gegeben werden müßten; jeder weiß, wie er als Christ in Wort und Werk sich zu bewähren hat. Und um diese Frage handelt es sich ja auch nicht so sehr, als vielmehr um die, ob das gemeinsame Zeugnis in der Gegenwart Gottes Wille ist (wodurch das zeitweilige persönliche ja in nichts aufgehoben wird), oder nicht! Und da ist doch sehr ernstlich zu sagen: Ja, das Zeugnis der Gemeinde des HERRN ist nach den apostolischen Briefen unsere gemeinsame unumgänglich notwendige Aufgabe. Sonst lasst uns nur außerordentlich viele Schriftabschnitte streichen, sie haben uns, wie unser Mitarbeiter auch betont, dann eben nichts mehr zu sagen!
Aber es ist vielleicht noch eine kleine Anzahl von Stellen zu nennen, die in der heutigen Zeit, wo der Feind sogar die unerschütterlichen Grundfesten der Wahrheit (wozu, wie oben in Antwort A gesagt, die Gemeinde gehört, 1. Tim. 3,15) anzutasten versucht (vgl. Ps. 11.3!), besonders betont zu werden pflegen. Man sagt uns nämlich (oft und gern), wir lebten heute in „den Zeiten des Verfalls”, und da wäre das gemeinsame Zeugnis nicht mehr so vollkommen wie einst, und es käme da viel mehr auf die einzelnen Treuen an. Und dann wird hingewiesen auf die „Du aber” des zweiten Timotheusbriefes (3,10.14; 4,5; vgl. 2,1 und 1. Tim. 6,10). Diese Stellen sind sicher sehr bemerkenswert und kostbar, und sie sind mir oft ein Trost und eine Ermunterung gewesen, wenn die sogenannten „Zeiten des Verfalls” (die aber schon in der ersten christlichen Zeitepoche ihren Anfang nahmen!!) sich einmal wieder irgendwie besonders spürbar machten, aber wer aus solchen Stellen etwa folgern zu dürfen meint, es käme nur noch auf ein persönliches Feststehen an, und ein gemeinsames sei nicht mehr möglich, der ist in schwerem Irrtum begriffen und in Gefahr, auch andere in diesen mit hineinzuziehen. Sicher ist die Gemeinde Christi nicht mehr in ihrer ersten Blüte vorhanden, da Satans Macht viel von letzterer zerstört hat (durch Zwietrachtsäen, Trennungen und sonstige traurige Dinge), aber die örtliche Gemeinde besteht nach wie vor, und in einer solchen (Ephesus) stand Timotheus sowohl in der Zeit des ersten wie in der des zweiten Briefes (2 bis 3 Jahre später). Er hatte zu wissen, wie man sich im „Hause Gottes” verhalten soll (1. Tim. 3,15), und alles, was er von Paulus gehört hatte, hatte er wiederum treuen Leuten anzuvertrauen (2. Tim. 2,2), und er hatte „mit denen, die den HERRN anrufen aus reinem Herzen, nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden zu streben” (2,22) usw. Aus den vielen ihn und seinen Wandel, sein Zeugnis persönlich betreffenden Ermahnungen des alternden Apostels zu schließen, das Zeugnis des Timotheus sei nur noch persönlich, wird den beiden Briefen durchaus nicht gerecht, d. h. auch nicht dem zweiten, denn die Ermahnungen in diesem sind, wenn auch ernster, so doch durchaus nicht persönlicher als im ersten, der aber ganz unzweideutig Gemeindecharakter trägt. Das häufigere „Du aber” ist nur aus den ernsteren Umständen heraus zu erklären, die in der Gemeinde Ephesus herrschten und die es erforderlicher denn je machten, dass der einzelne Treue, wenigstens ein Timotheus, wie ein Fels im brausenden Meere stehen und nicht wanken möchte, wo so viele ins Wanken geraten waren. Gerade weil die Zustände in Ephesus damals alles andere als lieblich („Ephesus” heißt „die Liebliche”) waren, musste Timotheus stehen und bleiben in dem, was er gelernt hatte (3,10.14 u. a). Er musste eben eine Persönlichkeit sein, ein christlicher, aufrechter Charakter, an dem andere sich wieder aufrichten konnten. Nicht eine Persönlichkeit um ihrer (seiner) selbst willen, sondern zum Besten des Ganzen, der Gemeinde, des Hauses Gottes, sollte Timotheus sein, darum bekommt er so viele persönliche, individuelle Ermahnungen, aber wie gesagt, im Grunde genommen nicht persönlichere als im ersten Briefe. (Vgl. z. B. 1. Tim. 4,11-16; übrigens kann man auch gut vergleichen 1. Tim. 4 mit 2. Tim. 3!)
Das, was dem Timotheus im zweiten Briefe gesagt wird, und damit uns, das soll ihn und uns fähiger machen, „dem Hausherrn geheiligt und nützlich” zu sein (2,21) usw. Das Haus ist da im ersten Brief und auch im zweiten, und sein Charakter ist der gleiche, wenn auch nicht in gleicher Schöne, aber doch in seiner Beziehung auf den gleichen Herrn desselben, den HERRN, von dem gerade im zweiten Brief besonders viel die Rede ist.
So nötig daher das Einzelzeugnis da ist, wo es am Platze ist - das gemeinsame Zeugnis Seiner Gemeinde in Form der örtlichen Gemeinde ist, wie damals so heute, für Seine Treuen unbestreitbar unentbehrlich - wichtig und wertvoll, weil unbedingt nach Gottes Willen und Wort. Wer, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte, nicht zu einer örtlichen Gemeinde gehören will, versündigt sich (vielleicht ohne sein Wissen) gegen den Liebesratschluß Dessen, der uns gewürdigt hat, „hinzugetan” worden zu sein zu Seiner Gemeinde. (Apg. 2,41.47 u. a.) Welche Gnade! Welches Vorrecht! Dass wir es nur recht schätzen und demgemäß wandeln möchten in Seiner Kraft und zu Seiner Ehre! Es kommt viel darauf an, wie und ob wir unser Vorrecht benutzen - Ihm zur Ehre! Er gebe uns Licht und Weisheit, nicht untätig daneben zu stehen (gleichsam wie jene „Lachen” in Hes. 47,11!), sondern mitten im Strom, mitten im Kreise derer, denen Er einst sagte: „Ihr werdet Meine Zeugen sein!” (Apg. 1,8) Sein Name sei gepriesen!
F. K.