Antwort
Die Worte „Und man hat Sein Grab bei Gesetzlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist Er gewesen in Seinem Tode” werden unseres Wissens allgemein dahin verstanden, dass sie prophetisch von dem Platze sprechen, an den der Leib des Herrn Jesus gelegt wurde, nachdem man Ihn von dem Kreuze genommen hatte. Wenn es nach dem Willen derer gegangen wäre, die Ihn an das Kreuz gebracht hatten, so wäre der HERR dort begraben worden, wo die Gesetzlosen begraben wurden, mit denen zusammen Er gekreuzigt worden war. „Man hatte Sein Grab bei Gesetzlosen bestimmt.” Aber Gott ließ es nicht zu. Er ließ es nicht zu, dass Seinem Geliebten auch nur einen Augenblick länger und auch nur im allergeringsten mehr Schmach angetan wurde, als zur Vollbringung des wunderbaren Werkes des HERRN nötig war. Wohl musste es geschehen, dass der Leib des HERRN in das Grab gelegt wurde - das gehörte mit zu Seinem Werke, weil Er gekommen war, die Stelle des Menschen, der gesündigt hat, vor Gott von Anfang bis Ende einzunehmen, und nach dem Urteil Gottes das Grab das Ende des Weges des Menschen auf der Erde bildet, wie wir 1. Mose 3,19 lesen: „Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zur Erde, denn von ihr bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staube wirst du zurückkehren.” Aber dieses Urteil Gottes findet seine Erfüllung genau so vollkommen in dem Grabe des „Reichen” wie in dem Grabe des „Gesetzlosen”. Daher bedurfte es zur Vollkommenheit des Werkes des HERRN keineswegs Seines Begrabenwerdens „bei Gesetzlosen”, ebensowenig wie es deinem Werke auch nur das geringste hinzugefügt haben würde, wenn Seine Beine gebrochen worden wären (Joh. 19,32-37). Und weil diese Dinge dem Werke nichts hinzugefügt haben würden, also nicht nötig waren und daher nur eine unnötige Verunehrung der Person Seines geliebten Sohnes gewesen wären, wachte Gott darüber, dass sie nicht geschahen. Daher ließ Er nicht zu, dass Er „Sein Grab bei Gesetzlosen” erhielt, wie die Menschen es bestimmt hatten, sondern sorgte dafür, dass Er „bei einem Reichen war in Seinem Tode”. Joseph von Arimathia kam und nahm den Leib des Herrn Jesus ab, und Nikodemus kam auch dazu und brachte „eine Mischung von Myrrhe und Aloe, bei hundert Pfund”, und sie nahmen den Leib des Herrn Jesus und wickelten ihn in leinene Tücher mit den Spezereien, wie es bei den Juden Sitte ist, zum Begräbnis zuzubereiten, und sie legten Ihn in seine - des Joseph - in dem Felsen ausgehauene neue Gruft, die in einem nahegelegenen Garten war (Mt. 27,57-60; Joh. 19,38-42). Ist nicht dadurch das Wort Jes. 53,9a und b buchstäblich erfüllt worden? Wir sind überzeugt, dass es so ist.
Was den anderen Teil der Frage betrifft, so scheint es, dass der Fragesteller dem Grabe einen Sinn beilegt (Gericht), der ihm unseres Erachtens nach der Schrift nicht zukommt, und dass diese Vorstellung die Ursache für die in diesem Teil gestellte Frage bildet. Das Gericht trug der Herr Jesus nicht, als Sein Leib im Grabe lag, sondern in den drei Stunden der Finsternis am Kreuze, während deren Er von Gott verlassen war (Mt. 27,45.46).stellvertretend sühnende Bedeutung habe, wie es denn je und dann solche gegeben hat, die in den sämtlichen begleitenden Umständen des Lebens Jesu sühnenden Charakter gesehen haben, z. B. auch in Seiner Taufe oder in den Ihn betreffenden Gerichtsverhandlungen vor dem Hohen Rat oder vor Herodes und Pilatus. - Vor vielen Jahren hörte ich einen Prediger des Evangeliums bei Betrachtung von Jes. 53 sagen (so etwa): Mit Seinem Schweigen vor Seinen Richtern (V. 7) büßte Jesus für unsere Zungensünden! - Das ist eine biblisch ganz unhaltbare Anschauung. Gewiß ist der HERR Jesus in Seinem Verhalten vor Seinen Richtern unser erhabenes Vorbild, dem wir, nachdem wir gläubig geworden sind, nacheifern sollen (1. Petr. 2,20-23), aber stellvertretend gelitten, gebüßt, gesühnt, was wir verschuldet, hat Er erst am Kreuz und nur da, und dort und nur dort hat Er das Gericht und den Fluch für uns stellvertretend getragen, wie es in der obigen klaren Antwort ja auch betont ist. „Auf dem Holze trug Er unsere Sünden” (1. Petr. 2,24) und nirgends anders! „Am Fluchholz ward Er ein Fluch für uns” (Gal. 3,13) und nirgends anders! Wer Seinen sonstigen Lebensumständen, u. a. Seiner vorbildlichen Taufe, Seinem abbildlichen Grab usw., sühnenden Charakter beimißt, entleert das Kreuz in seiner einzigartigen Bedeutung. Man verbinde nicht tiefere Gedanken mit Jesu Grab usw., als die Schrift tut, sonst verfällt man in ungeistliche Phantasie und Philosophie und schadet sich und anderen! Der HERR bewahre uns davor! Wer Gelegenheit oder Möglichkeit hat, vgl. hierzu Jahrb. II, Frage 46! (Die Schriftl. F. K.)> Das bezeugen Seine Worte am Ende dieser drei Stunden: „Es ist vollbracht!” (Joh. 19,30), und: „Vater, in Deine Hände übergebe Ich Meinen Geist” (Lk. 23,44-46), die Er nicht hätte sagen können, wenn nicht das Gericht vorüber gewesen wäre. Und Seine Worte an den Räuber: „Wahrlich, Ich sage dir: Heute wirst du mit Mir im Paradiese sein” (Lk. 23,43) zeigen klar, dass der HERR vom Kreuze ins Paradies ging, denn wenn Seine Worte sich erfüllen sollten, musste Er ja Selbst auch dort sein! Demnach war Er im Paradies - nicht etwa in der Hölle, um dort für uns zu leiden, oder an dem Orte der ungläubig Abgeschiedenen, um ihnen das Evangelium zu verkündigen, wie viele infolge irriger Belehrung auf Grund von 1. Petr. 3,19 und 4,6 denken -, während Sein Leib im Grabe lag. Darum können wir in dem Grabe des Herrn Jesus bezw. in dem Im-Grabe-Liegen des Leibes des Herrn Jesus nicht das Gericht sehen - denn dieses war vorher -; aber wir sehen darin eine andere Tatsache, die damit im Zusammenhange steht und für uns von großer Bedeutung ist: den Abschluß unserer Geschichte als Sünder - das vollkommene Beseitigtsein des Menschen, der mit der Sünde zu tun hatte, vor Gottes Augen hinweg. Denn wie wir Ihn als unseren Stellvertreter im Gericht am Kreuze leiden sahen und wissen, Gott rechnet es uns zu, als ob wir selbst dort gerichtet worden wären, so sehen wir auch in Seinem Tode unseren Tod und in Seinem Begrabensein unser Begrabensem in bezug auf unseren alten sündigen Menschen, denn wir sind „mit Ihm einsgemacht in der Gleichheit Seines Todes” und deshalb auch „mit Ihm begraben worden”, wie die biblische Taufe der Gläubigen es sinnbildlich zum Ausdruck bringt (Röm. 6,4.5). Das ist einerseits sehr tröstlich und kostbar für uns, da unser göttlich erneuerter Sinn den alten, sündigen Menschen ablehnt und in Neuheit des Lebens, nach dem Geiste, zu wandeln begehrt, und andererseits sehr ernst und verantwortungsvoll, weil wir nun auch schuldig sind, diese Tatsache in unserem Wandel zu verwirklichen.
Dieser Gegenstand hat aber auch noch eine andere, kostbare Seite für uns. Wir können nicht an das Grab unseres HERRN denken, ohne dabei an Seine Auferstehung erinnert zu werden. Er ist nicht im Grabe geblieben, sondern ist auferstanden und in die Herrlichkeit gegangen; und so wird es auch mit all den Erlösten geschehen, die durch Ihn entschlafen sind: sie werden auferstehen, wenn Er kommt, um die Seinen heimzuholen (Joh. 5,29; 1. Kor. 15; 1. Thess. 4,13-17).
Das Grab ist ein rechtes Bild von der furchtbaren, zerstörenden Wirkung des Todes als Lohn der Sünde. Es ist der Platz, an den die Sünde uns gebracht hatte, und der HERR musste an diesen Platz gehen - in die tiefste Tiefe, in Tod und Grab hinabsteigen -, um uns von da, wo wir waren durch die Sünde, heraufzuholen, mit Sich zu bringen in Seiner Auferstehung. Er nahm all die Folgen der Sünde auf Sich an unserer Stelle, bis in das Grab hinab, und befreite uns davon, so dass nicht mehr das Grab, sondern das Leben unser Teil ist, selbst wenn noch unser Leib sollte den Weg durch das Grab gehen müssen. Das letztere ist noch möglich, weil unser Leib dieser vergänglichen Schöpfung angehört und „die Erlösung unseres Leibes” (Röm. 8,23) erst dann wirksam werden kann, wenn der HERR kommt, um die Seinen aus dieser vergänglichen Schöpfung wegzunehmen. Auf dieses Kommen warten wir, und wenn dasselbe geschieht, während wir noch hier sind, brauchen wir überhaupt nicht durch den Tod und in das Grab zu gehen, sondern werden verwandelt werden! (Joh. 11,25.26; 1. Kor. 15,51.52; 2. Kor. 5,1-8; Phil. 3,20.21.) -
Wir bilden uns nicht ein, mit obigen Ausführungen die Gedanken erschöpft zu haben, die mit dem Grabe des Herrn Jesus verbunden sind, möchten andererseits aber auch nicht unerwähnt lassen, dass wir uns hüten müssen, Gedanken damit zu verbinden, die Gott nicht damit verbindet. Möchte uns das Licht darüber vermehrt werden! -
Th. K.