Wir sind mehr als Überwinder

Was heißt oder bedeutet „wir sind mehr als Überwinder“ in der Wirklichkeit? (Röm. 8,37)

Antwort

Diese Frage, so oder so ähnlich gefaßt, wurde mir in letzter Zeit mehrfach gestellt. Sie ist eine Frage für das praktische Leben, nicht für ein Leben der Theorie oder am Schreibtisch. Zunächst aber müssen wir sie dem Wortlaut nach betrachten. Sie steht ja in einem überaus kostbaren, uns allen sehr bekannten Zusammenhang, und es ist nie gut, solchen aus dem Auge zu verlieren, d. h. Bibelstellen von vornherein gleich aus dem Zusammenhang herauszustellen; und man sieht dann auch manches ganz falsch. Zum Beispiel kann man das, was Phil. 4,4-6 steht, nicht gut in den Rahmen des Galaterbriefs stellen, nicht wahr? Wenn dem aber so ist, so sieht man ohne weiteres, dass geistlicherweise „Galater” zu nennenden Christen nicht Trostworte wie Phil. 4,4-6 helfen, sondern sie muss man mit gewichtigeren Worten zurechtzubringen trachten, etwa wie Gal. 5,13ff. es tut.

Nun also, unsere herrliche Stelle von dem „mehr-als-Überwinder-Sein” steht am ersten Schluß des Römerbriefs, am Schluß nämlich seines allgemein belehrenden Teils. Diese Belehrungen handeln von dem Menschen in seinem Verderben nach dem Fleische und dem Menschen in seiner neuen Stellung in Christo, wie denn Kap. 5 uns Christus als unser neues Haupt (gegenüber Adam), Kap. 6 als den neuen Herrn (gegenüber der Sünde), Kap. 7 als den neuen Ehemann (gegenüber dem Gesetz), Kap. 8 als den Urheber einer neuen Gesinnung in uns zeigt, den Geist Christi (gegenüber der Gesinnung des Fleisches). In Verbindung hiermit sowie auch selbständig in vielen anderen Linien sind uns in Röm. 8 Segnungen in Christo gezeigt, die wirklich von weltüberwindender Wirkung für uns sind, wenn wir so in Christo leben (nicht nur der Stellung nach, sondern in unserem praktischen Zustand). Die Steigerung in Kap. 8 ist überwältigender Natur - kein Wunder daher, wenn Paulus, selbst überwältigt und zudem stets ein Werkzeug des ihn inspirierenden Geistes, zu diesem herrlichen Schluß kommt, V. 31-39, der von jeher das Entzücken aller schriftforschenden Bibelgläubigen gewesen ist. Natürlich kann man diesen Schluß für sich betrachten und besprechen, wie auch ich gern tue, aber wer vergißt, wo er steht, der baut ein Gebäude ohne Grundlage. Die Grundlage ist die nach den tiefen Römerkapiteln 1-8 sich ergebende Gewißheit, dass Gott für uns ist und dass darum keiner wider uns sein könnte; natürlich so nur in göttlichem Lichte gesehen: im irdischen gesehen, werden wir viele entschlossene Gegner haben, wenn wir gleichsam Römerbriefmenschen geworden sind. Aber sie werden nichts, was von bleibender Bedeutung wäre, gegen uns unternehmen können: Selbst wenn sie uns den Tod bringen, so wird ihre Macht doch nicht weiter reichen. Wir sind vermöge unserer Stellung in Christo in unauflöslicher Verbindung mit der Liebe Christi und mit der Liebe Gottes (V. 35.39); wir sind und bleiben Gottes Auserwählte, die der Teufel selbst zu verklagen wagen mag, aber es wird ihm nicht gelingen, da er es mit Christus zu tun hat, der alles für uns ist, aber damit auch alles gegen ihn! Dreimal heißt es „für uns” (V. 31.32.34), und da ist ein Heil verankert, das nichts und niemand in Erschütterung bringen kann, irdische Leiden aber können es nur befestigen, da sie uns inniger auf Ihn werfen, mit Ihm verbinden. Mögen es die Leiden des geistlichen Leidenssiebengestirnes sein von V. 35 oder die des zehn Teile umfassenden Leidenskatalogs von V. 38.39 - sie vermögen nichts anderes gegen uns, als was in der Liebe Gottes für uns vorgesehen ist, geschenkt in Christo! (vgl. Phil. 1,29), und was zu unserer Erziehung nötig sein mag, damit uns eben diese Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem HERRN, größer wird als alles. - Das also ist gleichsam die Situation, der geistliche Rahmen, in dem nun von dem „Mehr-als-Überwindertum” gesprochen ist. Also, mit anderen Worten, nicht zu jedermann unter Gottes Volk, mag er stehen wie er will, auch wenn er nichts von Röm. 8 zu verwirklichen trachtet, ist von diesem „Überwindertum” geredet, sondern zu „Auserwählten”, die diesen „Titel” zu verdienen suchen, da ihnen daran liegt, nach Röm. 4-8 zu wandeln und den Charakter von 8,31-39 zu tragen. Ist es nun nicht eine ernste Frage an unser, mein und dein, Herz, ob wir hier Ähnlichkeitszüge aufzuweisen haben - ob uns wenigstens daran gelegen ist, dass ein anderer sie in uns (d. h. in unserem Herzen) sieht, nämlich Er Selber?

Aber in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat”, so heißt unsere Stelle. In welchen allen? In den 7 sich steigernden Punkten von V. 35 und 36, die aufgerufen werden, als ob sie uns zu scheiden vermögen könnten von der Liebe Christi! 7 Punkte: 1. allgemeine „Drangsal”, wohl mehr äußerer Natur, wie sie damals in der römischen Gemeinde schon leise anhob; 2. „Angst”, aus dem Äußeren nach innen sich vertiefend (Angst ist ein tiefes Wort!); 3. „Verfolgung”, ein ausgeprägterer Begriff, der das Leiden schon viel genauer umriß und der die tiefinnerlich entstehende Angst rechtfertigte; 4. „Hungersnot” - denke an die russischen Gläubigen! - immer bestimmter, immer ernster, immer bewegender hebt sich das Leiden heraus, dem sie schon ausgesetzt waren oder vielleicht bald würden ausgesetzt werden; 5. „Blöße” gehört als ergänzender Begriff zur Hungersnot, diese noch verschärfend; 6. „Gefahr” geht auf die Möglichkeit, das Leben lassen zu müssen; und 7. „Schwert” raubt es ihnen vielleicht tatsächlich! (Vgl. V. 36!) - Welche Steigerung, nicht wahr - bis zum „Schlachtschafetum”! Und darin Überwinder zu sein - das ist schon viel, und wir fragen uns erschüttert: Würden wir es sein? Ja, würden wir es in Wirklichkeit sein, und waren wir es schon? Ja, schon ein Überwindertum ist viel in solchen Lagen, aber ungleich mehr ist ein „mehr-als-Überwinder-Sein”. Luther sagt: „darin überwinden wir weit”; er gibt damit die Stelle auch recht gut wieder. Es soll eben ein „Drüberhinaus” über etwas an sich schon Großes charakterisiert werden. Aber „Überwinden” ist doch oft nur nach außen hin groß! Man kann überwinden mit der Faust in der Tasche! Ein Bruder sagte einmal, wenn er von jemandem gekränkt oder falsch beurteilt oder gar beleidigt würde, so balle er die Faust, aber in der Tasche, und bliebe nach außen hin ruhig, dann käme er gut drüber hinweg. Das mag nach außen gut aussehen, aber wie ist es vor Gott? Gott sieht auf das Herz, und eine, wenn auch nur in der Tasche, geballte Faust verrät keinen unbedingt guten Überwindergeist. Oder etwa doch? Nein, gewiß nicht! Der Schächer zur Linken vom HERRN überwand auch in seiner Weise, aber mit welchen Haß- und Rachegedanken! Wie ganz anders der Schächer zur Rechten! Das war ein echter, rechter Überwinder, zuerst über sein eigenes Herz, dann über seinen bösen Genossen, dann über seine eigene Sünde, über die Umstände, über die Todesfurcht, ja, über den Tod selbst, da er diesem die Bitte an den HERRN voransetzen konnte. Und da er diese Überwinderkraft in einer ganz offenbar neuen, von Gott gewirkten Gesinnung offenbarte, so kann man wohl von ihm sagen, dass er mehr war als ein bloßer Todesüberwinder, was in teuflischer Gesinnung sein ehemaliger Genosse auch war oder zu sein sich wenigstens den Anschein gab. Aber da war ja noch einer, der überwand, das war der HERR Selber! Und Er war im vollsten und höchsten Sinne ein „Überwinder” (vgl. Off. 5,5!), ja, „mehr als nur ein Überwinder”! Freiwillig hatte Er Sein Kreuz getragen, freiwillig ließ Er Sich darannageln, freiwillig gab Er Sein teures Leben als Lösegeld! Alles, was wir tun müssen - tun wir es im Herzen mit freiem Willen, dann sind wir Überwinder! Muß es nun einmal gelitten sein - nun wohl, dann wollen wir es auch (gerne) tun! Dann sind wir nicht gezwungene Kreuzträger (wie Simon von Kyrene, Mt. 27,32), sondern freiwillige, und darum Überwinder; wenn aber nun auch noch in der Gesinnung, „die auch in Christo Jesu war” (Phil. 2,5), dann sind wir „mehr als (nur) Überwinder”. Seine Gesinnung in Gethsemane und am Kreuz war die der gleichbleibenden Liebe zu Seinem Vater, obwohl dieser Ihn solchen Weg gehen hieß, war die der vergebenden Liebe zu den Menschen, Seinen Feinden, obwohl sie so ungerecht gegen Ihn handelten, war die der Güte gegen die Seinen, obwohl sie Ihn zunächst alle verließen, war die der Gnade gegen den einen Schächer, obwohl dieser Ihn zuerst mit geschmäht hatte. (Mt. 27,44) Ich denke, diese Beispiele unseres geliebten HERRN Selber reden lauter als alles andere von einem „Mehr-als-Überwindertum”. Und dazu noch ein kleines praktisches Beispiel an Hand der Schriftstelle Mt. 5,38.39: a) „Auge um Auge, Zahn um Zahn” - einfache alttestamentliche Vergeltung, gar keine Frage, ob man auch anders handeln könnte; b) kein Widerstand gegen das Böse, die Beleidigung einstecken, die Backe schlagen lassen - Überwindertum; c) nun aber die andere Backe hinhalten, also „das Böse mit dem Guten überwinden” nach Röm. 12,21 (vgl. den fortlaufenden Aufsatz „Ein beherzigenswerter Rat”) = mehr als Überwinder sein! Oder: Wem bei einer tätlichen Beleidigung die Hand zuckt in der Tasche oder bei einer solchen durch Worte der Geist sich rüstet auf eine scharfe Erwiderung, da ist kein Überwindergeist, wo aber die Hand, das Wort noch zurückgehalten wird, da wird überwunden, wo nun aber der Mund segnende Worte ausspricht, die Hand gütig dem Feinde entgegengestreckt wird, da ist „mehr-als-Überwinderkraft”, die natürlich nur Gott Selbst darreichen kann.

Diese Begriffsbestimmung, zunächst ganz theoretisch in Vorbild und Auslegung, die wende sinngemäß auf die 7 Punkte von V. 35.36 an, dann wirst du in etwas wissen, was es ist um das „mehr-als-Überwinder-Sein” nach Röm. 8,37. Nur eine Anwendung hier: Wer um Christi willen Hunger leiden muß, es aber nicht als ein hartes Muß empfindet und annimmt, sondern als ein Vorrecht (wie Paulus Phil. 4,11-13 - wie denn überhaupt im Leben des Paulus sich viele Beispiele für diese Gesinnung zeigen!), und dann innerhalb dieser Nöte noch versucht, anderen zu helfen, dazu die Peiniger zu segnen - der ist „mehr als Überwinder”. Genug davon, aber lasst uns uns fragen, ob wir in solcher Weise auch schon irgendwie „mehr als Überwinder” gewesen sind! Es gibt etwas Entgegengesetztes, tief Beschämendes, z. B. dass Gläubige nicht nur bestimmte Sünden - also noch ganz etwas anderes als gottgewollte Leiden um des HERRN willen! - nicht überwinden können, sondern fortgesetzt Überwundene sind, ja, indem sie womöglich sich noch der Schande rühmen (Phil. 3,19), noch mehr als (nur) Überwundene sind. Möchten wir, Geliebte, dies nicht auf uns anwenden müssen!

Nein, möchten wir vielmehr alles, was es in unserem praktischen Leben zu überwinden gibt, Sünde, Versuchungen, weltliche Dinge, schlechte Anlagen oder Angewohnheiten, dann aber auch solch hohe Dinge wie die von V. 35f., gottgemäß überwinden, ja durch rechte Gesinnung in diesem allen und in noch vielem anderen „mehr als Überwinder sein durch den, der uns geliebt hat”! „Denn”, sagt Paulus, ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserem HERRN.” (V. 38.39)
Gepriesen sei Er ewiglich! Amen.
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 20 (1935)