Wille des Herrn im praktischen Leben

Wie kann man in einzelnen Fällen des praktischen Lebens wissen, was man nach dem Willen des HErrn tun soll? (Vergl. z. B. Ps. 32,8.)

Antwort A

Der HERR ist auch in dieser Frage unser Vorbild. Er kam in die Welt, um in Abhängigkeit und Gehorsam als wahrer Mensch den Willen Gottes zu tun. Wie wußte Er den Willen Gottes? Er hatte ihn nicht in Vorschriften und Paragraphen; auch kannte und tat Er hienieden den Willen Seines Vaters nicht in der Kraft und den Eigenschaften Seiner göttlichen Person, d. h. nicht durch Seine Allwissenheit und Allmacht usw., sondern in der Entäußerung alles dessen, was Er in Seiner göttlichen Person war, allein in Seiner Stellung als wahrer Mensch in Abhängigkeit und Gehorsam, so dass Er sagen konnte, dass Er „von jenem Tage oder der Stunde” nicht wisse, sondern nur der Vater (Mk. 13,32), und weiter, dass Er rede, was Er von Gott höre (Joh. 8,26.40), und tue, was Er den Vater tun sehe (Joh. 5,19.20.30). In völliger Abhängigkeit von Seinem Gott und Vater empfing Er von Ihm die Belehrungen für den Weg durch diese Welt (Jes. 50,4.5; Joh. 8,28). Wenn der HERR für Seinen Wandel durch diese Welt irgendwie Gebrauch gemacht hätte von Seiner Allmacht, Allwissenheit usw., so könnte uns nicht gesagt werden, dass wir Seinen Fußstapfen nachfolgen sollen und wandeln sollen, wie Er gewandelt hat (1. Petr. 2,21; 1. Joh. 2,6), da wir keine Allmacht usw. besitzen.

Wie nun kannte der HERR den Willen Seines Vaters? Er kannte Seinen Willen, weil Er Ihn Selbst kannte. Was Er von Ihm sah und hörte, das tat auch Er. Auch wir besitzen die Kenntnis des Willens Gottes nicht einfach in Vorschriften und Paragraphen, sondern so wie der HERR als abhängiger Mensch hienieden durch die Kenntnis Seines Vaters auch dessen Willen kannte, so auch wir. Wir von uns selbst aus können Gott nicht erkennen, aber der eingeborene Sohn und der Heilige Geist haben Ihn uns kundgetan. In der Person des Herrn Jesus, in Seinem Wandel, Tun und Lassen und in dem Worte Gottes erkennen wir Gott. In dem Maße, wir wir im Umgang mit dem HERRN, in dem Ihn-Anschauen und in dem Worte der Schrift leben, lernen wir Gott kennen und Seine Wege und Seine Gedanken. Diese Erkenntnis, die wir so von Gott empfangen, gibt uns das Licht, Seinen Willen zu wissen und das rechte Verhalten in allen Dingen zu finden.

Im Alten Testament war Gott hinter dem Vorhang verborgen. Gott konnte Sich dem Menschen im Fleische nicht in Seiner Herrlichkeit offenbaren. Es war die Güte Gottes, dass Er Sich Mose, der da begehrte, Seine Herrlichkeit zu schauen, verhüllte, denn die Herrlichkeitsoffenbarung Gottes hätte den Menschen im Fleische, den Sünder, im Gericht verzehren müssen. Aber nachdem am Kreuz auf Golgatha der Mensch im Fleische durch das Gericht abgetan worden ist, konnte Gott den Vorhang zerreißen und Sich in Seiner Herrlichkeit offenbaren. Wir wandeln nicht mehr wie im Alten Testament in dem Lichte von Geboten und Satzungen, sondern in dem Lichte der Herrlichkeit Gottes, nicht mehr in Gesetzlichkeit, sondern in völliger Freiheit und Freude, so wie es der Herr Jesus als wahrer Mensch in dieser Welt tat.
Dass in den äußeren Dingen des Lebens es manchmal schwer ist, den Willen des HERRN zu erkennen, das sehen wir aus Erfahrungen, wie sie Paulus Apg. 16,6-10 machte. Wie dankbar können wir sein, dass uns der HERR aus dem Leben Seines treuen Knechtes diese seine Schwierigkeit hat aufzeichnen lassen.

Viel können wir daraus lernen! Besonders, wie frei Paulus von eigenem Willen war. Wie ähnlich war er seinem HERRN und Meister, der da sagte: „Ich komme, um Deinen Willen, o Gott, zu tun” (Hebr. 10,7.9) und der in dunkler Gethsemanestunde betete: „Nicht Mein, sondern Dein Wille geschehe” (Lk. 22,42). Wie oft ist in unserem Herzen ein eigener Wille, ein eigener Vorsatz, ein eigenes Ziel, und wir stehen somit im Gegensatz zu Dem, der da sagte: „Ich suche nicht Meinen Willen, sondern den Willen Dessen, der Mich gesandt hat” (Joh. 5,30); dann sind unsere Herzen nicht fähig, den Willen und die Weisungen und Führungen des HERRN aufzunehmen.
Wenn wir mehr in der Erkenntnis Gottes gewachsen und durch Sein Wort besser mit den Vorsätzen, Gedanken und Wegen Gottes vertraut und vor allem frei vom eigenen Willen wären, so würden wir in vielen, ja in den meisten Fällen sofort wissen, was der Wille des HERRN ist. Diese drei Punkte sind außerordentlich wichtig, um den Willen des HERRN zu erkennen. Aber mit eigenem Willen und eigenen Plänen im Herzen vernehmen wir nicht die Wirkungen des Heiligen Geistes, noch können wir wandeln nach Seinem Willen.

Wie fein achtete Paulus auf die Wirkungen des Heiligen Geistes! Wir wissen nicht, in welcher Weise der Heilige Geist Paulus und seine Genossen verhinderte, in Asien das Wort zu reden, und auch nicht, in welcher Weise der Geist Jesu es ihnen nicht erlaubte, nach Bithynien zu reisen. Die Art, wie Gott uns Weisungen gibt, kann sicher sehr verschieden sein. Wir sehen aus 1. Thess. 2,18, dass unter der Zulassung Gottes Paulus auch durch den Satan verhindert wurde, während wir hier lesen, dass sie durch den Heiligen Geist verhindert wurden. Wenn uns auch nicht gesagt wird, worin diese Hindernisse bestanden, so konnte Paulus doch an dem Charakter, den sie trugen, klar erkennen, ob sie vom Heiligen Geist oder vom Satan ausgingen. Alles dieses aber erfordert Verständnis der Gedanken und Wege Gottes, Wachsamkeit und Gelöstsein vom eigenen Willen.

Wenn der HERR uns nicht gleich Roß und Maultier mit Zaum und Zügel bändigen und führen, sondern uns vielmehr mit Seinen Augen raten und leiten soll, dann müssen unsere Augen beständig auf den HERRN gerichtet sein (Ps. 32,8).

Wir können überzeugt sein, dass Paulus in dieser seiner Ungewißheit betend um Weisung vor dem HERRN stand. Er wartete nicht auf ein Gesicht oder dergleichen, und wir sollten nicht auf ungewöhnliche Dinge warten, sondern nur auf Ihn, dass Er uns Wegweisung gebe, wie es Ihm gefällt; aber nie sollten wir zu solch törichten Dingen greifen wie Spruchkästchenziehen, Bibelaufschlagen und dergleichen, um uns Wegweisung zu suchen.

Das Nachtgesicht, durch welches Paulus die Weisung vom HERRN empfing, enthielt kein direktes Wort, nach Mazedonien zu gehen. Paulus aber hatte ein tiefes geistliches Verständnis und einen geübten Sinn zur Unterscheidung (Hebr. 5,14), und er sah, dass der ihm gewordene Auftrag (die Botschaft des Heils zu bringen) und der Hilferuf des mazedonischen Mannes sich begegneten, und ohne ein direktes Wort von dem HERRN zu haben, lesen wir, dass sie daraus „schlossen”, dass der HERR sie gerufen habe, das Evangelium dort zu verkündigen. Und dass sie richtig „geschlossen” hatten, wurde dann durch den vom HERRN geebneten Weg bestätigt.
Wie manchmal handeln wir dagegen in Eile und gehen Wege, ohne dafür klare Weisungen von dem HERRN in unserem Herzen zu besitzen. Möchte der HERR uns ein Herz geben, welches willig ist zu gehen, wenn Er ruft, und zu verharren, so lange, bis Er uns zu anderem ruft.
v. d. K.

Antwort B

Sicherlich scheint es manchem recht schwer, den bestimmten Willen Gottes in irgendeinem praktischen Fall zu kennen und danach zu handeln, und weder Antwort A noch vorliegende erhebt den Anspruch, allgemein anwendbare Regeln zu geben, die wie ein Zaubermittel unbedingten „Erfolg” versprechen. Gleichwohl gibt es biblische Grundsätze, nach denen zu handeln sich stets segensreich zeigen wird. Leider aber ist es vielen Gläubigen zu unbequem, nach bestimmten biblischen Grundsätzen zu leben, und daher zeigt sich bei ihnen auch oft eine erschreckende Unklarheit bei ganz einfachen Gelegenheiten. Menschen ohne Grundsätze sind schon in der Welt haltlose Menschen - im Christentum aber gilt dies vor allem.
Das auserwählte alttestamentliche Volk Gottes lebte ein ganzes gottesdienstliches und praktisches Leben unter dem so gut wie jede Stunde des Tages und jede Handlung regelnden Gesetz Gottes. Freilich konnte das Gesetz, das sich nur an unwiedergeborene Menschen richtete, damit diese ihre Hilflosigkeit erkennen und sich ganz auf Gott statt auf sich selbst verlassen möchten, ihnen keine Kraft geben, so zu leben, wie es Jehova wohlgefällig war, aber dennoch: sie wußten den Willen Gottes und waren verantwortlich, ihn zu tun. In wieviel höherem Maße sind wir verantwortlich, wir aus Wasser und Geist wiedergeborenen Gläubigen! Stehen wir denn auch unter Gesetz? Nein, keineswegs, „Christus ist des Gesetzes Ende (und Erfüllung), jedem Glaubenden zur Gerechtigkeit” (Röm. 10,4), aber uns wie den gläubigen Hebräern gilt die Verheißung von Hebr. 10,16: „Indem Ich Meine Gesetze in ihre Herzen gebe, werde Ich sie auch auf ihre Sinne schreiben”, mit anderen Worten: wir wissen nicht nur im Herzen (dem Sitz unseres Willens) um Seinen Willen, sondern wir haben auch die Gesinnung, ja, richten unseren Sinn darauf, diesen Willen zu tun! Mit dem Römerbrief, Kap. 8, dürfen wir es so ausdrücken: wir werden getrieben und geleitet durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt und der uns fähig macht, auch im Geiste zu wandeln (nicht im Fleische!). Sind wir nun darin treu, sind wir wachsam, den Geist nicht zu betrüben (Eph. 4,30), nehmen wir es genau, mit dennoch begangenen Sünden sofort zu verfahren nach 1. Joh. 1,9, damit nichts zwischen Gott und uns tritt, dann dürfen und können wir in Fällen, wo der Wille Gottes für uns nicht ohne weiteres aus der Schrift zu erkennen ist, uns im Glauben an - wie ich sie nennen möchte - allgemeine Reichsgrundsätze halten und vom HERRN Licht erbitten für den jeweiligen schwierigen Fall.
Solche Grundsätze sind u. a. folgende:

1. „Bittet, so wird euch gegeben” (Mt. 7,7), und was zum Beispiel? „Wen Weisheit mangelt, der bitte von Gott, und sie wird ihm gegeben werden; er bitte aber im Glauben!” (Jak,1,5f.). Dies gilt ebensowohl für die Abfassung eines wichtigen Briefes wie für die Fragen eines Umzugs, einer Reise, einer Geschäftsreklame, einer Familienangelegenheit, eines Hauskaufs oder einer Arzt- oder Medizinwahl usw. „Alles ist euer”, alles muss uns dienen und alles dürfen wir benutzen, sofern wir nur handeln nach einem anderen Grundsatz:

2. „Alles, was immer in Wort und Werk ihr tut, tut alles im Namen des Herrn Jesus und zur Ehre Gottes” (Kol. 3,24 und 1. Kor. 10,31), d. h. wir müssen uns bei allem unbedingt darüber klar sein, ob wir das Betreffende tun oder lassen wollen allein zur Ehre Gottes, so dass wir den Namen, die Autorität, den Auftrag Christi darin sehen. Sind wir der Stimme des uns treibenden Geistes gehorsam, so können wir nichts gegen die Autorität Christi und gegen den Willen Gottes tun, denn der Geist ehrt stets Christus! Wir müssen uns bei solchen praktischen Fragen fragen, ob wir dies oder das tun oder lassen sollen dem eigenen Fleisch zuliebe (welches wir doch gekreuzigt haben nach Gal. 5,24!), oder ob uns die Ehre des HERRN über alles geht (vgl. auch Kol. 1,9.10). Freilich kann man sich auch da noch leicht selber täuschen (niemand lässt sich leichter täuschen als unser „Ich”!), und manchmal wäre es gut, nach dem englischen Grundsatz zu handeln: „Tue immer das, wovor du dich fürchtest, das ist das Richtige!”, denn dieser Grundsatz enthält letzten Endes die Erkenntnis, dass wir Menschen hienieden nicht zum Genießen und zur Bequemlichkeit da sind, sondern zum Kämpfen, insbesondere wir Gläubige dazu, den „Kampf des Glaubens” zu führen und darin „mehr als Überwinder” zu sein (Röm. 8,27)! In gewisser Weise können wir auch das Wort des HERRN: „Widerstehe nicht dem Übel!

(Mt. 5,39) hiermit in Verbindung bringen. Noch einmal die Frage: Wollen wir wirklich alles zur Ehre Gottes tun? Sind wir unbedingt auch bereit, in dem jeweiligen Fall das zu tun, was unserem Fleisch nicht angenehm ist?

3. Dan. 2,21: „Er gibt den Weisen Weisheit und den Verständigen Verstand” oder „wer da hat, dem wird gegeben” usw. (Mt. 13,12). Ein merkwürdiger Reichsgrundsatz und doch ganz einfach der Grundsatz der Treue, des treuen Haushaltens mit dem, was Gott uns schon gegeben an Licht und Gnade für den Weg. Und wer da im Kleinen treu ist, dem vertraut Gott auch Größeres an, auch was Verständnis für den praktischen Willen Gottes anbetrifft.

Diese drei Grundsätze gehören eng zusammen, also 1. im Glauben um Weisheit bitten; 2. bereit sein, nichts zu tun, was der Ehre und dem Namen des HERRN zuwiderläuft, wenn es auch unserem Fleische strikte entgegen ist, und 3. mit der schon gegebenen Erkenntnis treu umgehen, damit Gott weiteres Licht geben kann.
4. Mt. 6,22.23: Wenn das leibliche Auge einfältig und gesund ist, so dass es das Bild dessen, was es schaut, getreu nach innen vermittelt, so sind die Handlungen des Leibes auch licht. Wie anders im gegenteiligen Falle eines bösen, kranken Auges! Was bedeutet das nun für unsere Frage? Dies: Wenn unsere Augen des Herzens einfältig und klar sind und offen für die Wirkungen des Geistes auf unser Herz, dann wird dieses unbedingt befähigt sein, dem Geiste gemäß zu wandeln, und dann werden die „guten Werke, die für uns, die wir in Christo Jesu zu guten Werken geschaffen sind, bereit liegen” (Eph. 2,10), einfach von innen heraus getan werden in jedem einzelnen Fall - wenn aber unsere innere Augen krank sind, etwa getrübt durch das Anschauen von Dingen, die für uns Gläubige des Anschauens nicht wert oder gar schädlich sind, dann kann unser Herz nicht den Willen des HERRN erkennen, und wir machen Fehler über Fehler in vielfach ganz einfachen Dingen und Fragen des täglichen Lebens, des Berufs, des Geschäfts usw. Darum lasst uns stets dafür sorgen, dass unsere Augen des Herzens einfältig seien, dass wir unseren inneren Sinn gerichtet halten auf göttliche Dinge, auf Sein Wort (um danach zu tun!), auf für geistliche Menschen sehenswerte Dinge, die uns bilden nach Christo und nicht nach den Elementen der Welt (Kol. 2,8).

Noch manches ließe sich anführen, was für uns Gläubige nötig ist, um den Willen des HERRN von Fall zu Fall zu erkennen, so z. B. das Ihm-gehorsam-folgen-Wollen, die demütige Anhängigkeit von Ihm: z. B. nicht vorzulaufen (vgl. dieses Jahrb. S. 187, Punkt 3!), wobei man für selbsterwählte Wege dann nachträglich Seinen Segen erbittet, statt stille auf die Offenbarung Seines Willens zu warten usw., usw. (Ps. 37,7a), aber in dieser und vor allem der kostbaren Antwort A ist genug gesagt, um über diese Frage weiter zu forschen!

Möge ein auf die Stimme des HERRN achtendes Herz, das gelernt hat gläubig zu fragen: „HErr, was willst Du, dass ich tun soll?”, in den Ausführungen dieser Antworten einiges Licht finden für den Weg hindurch durch gewisse Schwierigkeiten dieser Wüste, auf dem selbst da, wo bestimmte, klar umrissene Anweisungen schwer zu finden sein mögen, dennoch „Sein Wort unseres Fußes Leuchte ist” (Ps. 119,105), Sein Wort, d. i. Christus Selbst! Will Er uns doch leiten mit Seinen Augen (Ps. 32,8). Gepriesen sei Sein Name!
(Die Schriftl.)


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 9 (1923/24)