Wieso konnte Paulus den Onesimus einfach zurücksenden?

Wie lässt sich die Handlungsweise des Apostels Paulus im Fall des Onesimus (Philemon 12) in Einklang bringen mit dem Verbot in 5. Mose 23,16–17: "Einen Knecht, der sich vor seinem Herrn zu dir rettet, sollst du seinem Herrn nicht ausliefern"?

Wenn Paulus noch ein unbekehrter Jude und Philemon noch ein Heide gewesen wäre, hätte Paulus allerdings den entlaufenen Sklaven Onesimus nicht einfach zurücksenden dürfen; dann wäre das Gebot Moses für ihn verbindlich gewesen, zumal, nach der römisch-heidnischen Ordnung, Onesimus die schreckliche Kreuzigungsstrafe zu erwarten gehabt hätte. Nun aber waren alle drei Beteiligten Angehörige des Herrn Jesus geworden, darum konnte Paulus nach dem vollkommenen Gesetz der Freiheit (Jak 1,25; 2,13) handeln, also nach dem höheren, vorzüglicheren und vollkommeneren Gesetz, wodurch das Gesetz Moses beiseite gesetzt war. Gerade der Fall des Onesimus ist ein wunderbares Schulbeispiel der Beiseitesetzung des mosaischen Gesetzes. Er zeigt, wie das christliche Gesetz gehandhabt werden muss, damit in unseren Handlungen nach dem Vorbild des Herrn vollkommene Liebe mit vollkommener Gerechtigkeit verbunden sei. Paulus hat dabei sowohl Philemon als auch Onesimus gegenüber vollkommene, ungeschmälerte Liebe gezeigt und dennoch die Gerechtigkeit sowohl gegenüber den Rechten des Philemon als Herrn des Sklaven, wie auch der Forderung des göttlichen Gebots durchaus eingehalten. Die Ansprüche Philemons an Onesimus übernahm Paulus in eigener Person an Stelle des letztem, und dadurch, dass er beide, den Herrn und den Sklaven, auf den Boden der Bruderschaft in Christus stellte, hat er das Gesetz Moses durch das Gesetz des Christus ersetzt.


Beantwortet von: Adolf Küpfer
Quelle: A. Küpfer - 700 Fragen und Antworten, Frage Nr. 480