Wiederbringungslehre / Allversöhnungslehre

Worauf bezieht sich oder was bedeutet Jesaja 24,21.22? Gibt diese Stelle der „Wiederbringungslehre“ oder „Allversöhnungslehre“ irgendwelche Berechtigung?

Antwort A

Es ist für die Erklärung einer Bibelstelle stets von Gewinn, den Zusammenhang zu beachten, in welchem der Geist Gottes diesen oder jenen Gedanken niederschreiben ließ. Gerade das Herausreißen von Einzelheiten aus ihrem göttlich bestimmten Rahmen gab vielfach zu falschen Meinungen und, was noch schlimmer ist, zu Irrlehren Veranlassung. Auch die in der Frage genannte Bibelstelle erfährt in besonderem Maße durch den Zusammenhang, in dem sie steht, ihre weittragende Bedeutung und erscheint geradezu als Höhepunkt, der einen wichtigen Abschnitt des Propheten Jesaja abschließt.

In den beiden großen Teilen dieses Buches, Kapitel 1-35 und 40-66, die durch ein geschichtliches Zwischenspiel verbunden werden (Kap. 36-39), unterscheiden wir je drei Abschnitte. Die Kapitel 1-35 berichten die Handlungsweise Gottes mit Juda, Israel und den Nationen in den letzten Tagen. In dem 1. Abschnitt dieses Teiles, den Kapiteln 1-12, weckt Gott das Gewissen Seines irdischen Volkes, geht mit ihm ins Gericht, das durch den König von Assyrien ausgeführt werden wird, und zeigt schließlich die Bestrafung dieses Feindes Israels. In Kap. 11 erblicken wir Christum als Mittelpunkt des Segens, in Kap. 12 preist das befreite Volk seinen HERRN. Der 2. Abschnitt (Kap. 13-27), auf den sich auch unsere Frage bezieht, erweitert den Kreis der prophetischen Betrachtung über Israel hinaus und schildert das Gericht über alle Nationen, die mit dem Volke in Beziehung standen. Das Schlußkapitel dieses Abschnittes (27) endet mit der künftigen Sammlung der Kinder Israel als einzelner Personen. Der 3. Abschnitt (Kap. 28-35) spricht in sechs „Wehe”-rufen das Gericht über die ungläubige Masse des Volkes aus, wovon der „ Überrest” verschont bleibt, und schließt in den Kap.34 und 35 mit einem großartigen Gemälde der Segnung und Freude des Tausendjährigen Reiches.

Das geschichtliche Zwischenspiel (Kap. 36-39), der Einfall des Assyrerkönigs Sanherib in den Tagen Hiskias, untermalt die Weissagungen der kommenden Ereignisse durch die Schilderung der damaligen und deutet im 39. Kapitel die babylonische Gefangenschaft an, die in dem zweiten Hauptteil, den Kapiteln 40-66 als geschichtlicher Ausgangspunkt der Prophezeiung erscheint.

In den Kapiteln 40-48 rechtet Gott mit Seinem Volke wegen des Götzendienstes, in den Kap. 49-57 wegen der Verwerfung des Messias. Der Schlußabschnitt (Kap. 58-66) führt das Wiedererscheinen Christi und Seine Rückkehr zu Zion aus. Jerusalem empfängt den Reichtum der Nationen. Die letzten Verse des Propheten (66,22-24) gehen über das Reich hinaus und gewähren einen Ausblick auf den ewigen Zustand, da ein neuer Himmel und eine neue Erde gemacht sind, und andererseits das Los der Abgefallenen ewige Verdammnis bedeutet.

Es würde den Rahmen dieser Antwort sprengen, wenn wir auf die ergreifenden Einzelheiten der Prophezeiung eingingen. Nur eines wollen wir unseren Herzen einprägen: Der Herr Jesus Selbst ist es, der immer wieder in den Mittelpunkt der Weissagung gerückt wird. in Kap. 7 wird Er als Immanuel, das göttliche Geschenk für Israel, angekündigt; in Kap. 8 wird Er von dem Volke verworfen (V. 14), und in Kap. 9 verbindet der Prophet Sein erstes Erscheinen als das große Licht in Galiläa mit dem Ende der Tage, da der HERR im vollen Glanze göttlicher Herrlichkeit Sein irdisches Volk befreien und segnen wird. Im zweiten Teile Jesaias aber finden wir die herzergreifende Schilderung Seiner Leiden, das 53. Kapitel, welches uns Seine unendliche Liebe, Sein Mitgefühl und Sein Eintreten an unserer Statt in wunderbaren Zügen zeichnet. -

Die Kapitel 13-27 künden also das Gericht über die Nationen, die mit Israel in Berührung gekommen waren, an. Zuerst wird Babel, die Vertreterin sittlichen Verderbens, dann Assyrien, die verkörperte Gewalttat, berichtet. Dass Assyrien nach Babylon sein Gericht empfängt, beweist, dass sich die Weissagung auf die Zukunft bezieht, da das frühere Gericht in umgekehrter Reihenfolge stattfand. Es folgen die Aussprüche über Philistäa, „den inneren Feind”, über den Hochmut Moabs (Kap. 14,28 - 16,14) und Damaskus, das mit der ungläubigen Masse der Juden im Bunde steht. (Kap. 17) Das 18. Kapitel schaltet die Rückkehr der Juden nach Palästina ein, die im Unglauben stattfindet und heute bereits begonnen hat. Im 19. und 20. Kapitel wird Ägypten gerichtet, das „die Welt in ihrem natürlichen Zustand” darstellt, im 21. das nunmehr verwüstete Babel gezeigt, und den Kindern Edom (Duma) und Arabien, der „menschlichen Freiheit und Unabhängigkeit”, Gericht angedroht. Im 22. Kapitel erfährt „das äußere Bekenntnis” in Jerusalem Gerichtsandrohungen, sodann Tyrus (Kap. 23), „die Herrlichkeit der Welt”. Schließlich „welkt der ganze Erdkreis hin” (24,4), und die Heerschar der Höhe in der Höhe samt den Königen der Erde auf der Erde wird von Jehova heimgesucht. (24,21) Damit ist der Höhepunkt des Gerichts erreicht, und wir sind bei den Versen angelangt, auf die sich unsere Frage bezieht.

Was sind „die Heerschar der Höhe in der Höhe”? Es gibt zwei Arten solcher Heerscharen; die eine bilden die Engel, die Diener Gottes in Seiner Regierung: denn Er ist Jehova der Heerscharen; die andere die Schar der abgefallenen Engel, die ihrem Fürsten, Satan, untertan sind. In Hes.28 wird unter dem Symbol des Königs von Tyrus die Herrlichkeit Satans beschrieben, zur Zeit, da er noch ein gesalbter Cherub war, da die Erde noch gleich Eden, dem Garten Gottes war, in der ersten Schöpfung (1. Mose 1,1), die nicht als eine Öde aus der Hand Gottes hervorgegangen war. (Jes. 45,18) Aber das Herz Satans erhob sich ob seiner Schönheit (Hes. 28,17), er fiel, und mit ihm andere Engel. Es ist anzunehmen, dass sein Fall den Zustand der Erde verschuldete, den 1. Mose 1,2 in knappen Worten kennzeichnet. Einen weiteren Abfall von Engeln in der durch das Sechstagewerk erneuerten Schöpfung deutet vielleicht 1. Mose 6,1.2 an. Ihr Gericht wird in Judas 6 erwähnt.
Aus Hiob 1 und 2, aus 1. Kön. 22,19-23 und Off. 12 sehen wir, dass Satan und seine Engel Zutritt zum Himmel haben. Satan ist der Verkläger der Brüder, und er und seine Engel werden die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern genannt. (Eph. 6,12) Es ist gut, wenn wir uns dieser außerordentlichen Macht „des Fürsten der Gewalt der Luft”, „des Fürsten der Welt” stets bewußt bleiben. Er ist ein Menschenmörder von Anfang, ein Lügner und der Vater derselben (Joh. 8,44) und nimmt selbst die Gestalt eines Engels des Lichts an. (2. Kor. 11,14) Sein Zutritt zu den Himmeln lässt diese nicht rein erscheinen in Gottes Augen (Hiob 15,15); kein Wunder, dass sie eines Tages von der Gegenwart Satans befreit werden müssen, dass der Satan hinabgeworfen wird, und mit ihm seine Engel. Dieses Gericht wird in Off. 12,7-12 ausgeführt.

Die Wunderwerke des Herrn Jesus und Seiner ausgesandten Jünger (Lk. 9 u. 10) an den von Dämonen Besessenen bilden die Vorgeschichte dieses Gerichtes, so dass der HERR sagen kann: „Ich schaute den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.” (Lk. 10,18) Und in Lk. 19,37.38 loben die Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott wegen all der Wunderwerke, die sie gesehen, und sagen: „Friede im Himmel und Herrlichkeit in der Höhe!” Der Geist Christi, in ihnen wirkend, sieht die Befreiung des Himmels von Satan und seinen Mächten voraus. Hatten die Engel nach der Geburt des HERRN von Frieden auf Erden gesprochen (Lk. 2,14), so würde das Heimsuchen der Heerschar in der Höhe Frieden im Himmel bewirken.

Aber unsere Stelle in Jes. 24 geht noch weiter. Der Teufel ist auf die Erde hinabgeworfen und weiß, dass er nur wenig Zeit hat. (Off. 12,12) Seine große Wut darüber richtet sich vornehmlich gegen den treuen Überrest Israels, der in den Zeiten der Drangsal vor ihm fliehen wird. (Off. 12,13) Doch es dauert nicht lange, bis die Macht Satans auch auf der Erde ein vorläufiges Ende findet: Beim Anbruch des Tausendjährigen Reiches wird der große Drache ergriffen und für 1000 Jahre gebunden. (Off. 20,1-3) Davon spricht Jesaja, wenn er sagt (24,22): „sie werden in die Grube eingesperrt”. Samt seinen Engeln und den Königen der Erde auf der Erde, die sich gegen Gott aufgelehnt haben, liegt er dort gebunden, eingesperrt, wie man Gefangene einsperrt, und in den Kerker eingeschlossen.
Nach Vollendung der tausend Jahre wird der Satan für eine Weile losgelassen werden. Er wird ausgehen, die Nationen zu verführen, die an den vier Ecken der Erde sind, den Gog und den Magog. (Off. 20,7.8) Feuer vom Himmel verschlingt diese Nationen, und der Teufel wird jetzt in den Feuer- und Schwefelsee geworfen, wo er gepeinigt wird von Ewigkeit zu Ewigkeit. (Off. 20,9.10)

Diesem endgültigen Gericht Satans schließt sich das Gericht der Toten vor dem weißen Throne an. (Off. 20,11-15) Das Meer gibt seine Toten wieder, und der Tod und der Hades. Jeder, der nicht geschrieben gefunden wird in dem Buche des Lebens, wird in den Feuersee geworfen.

Wir haben hier die Einzelheiten dessen, was Jesaja in die kurzen Worte gefaßt: „und nach vielen Tagen werden sie heimgesucht werden”. (24,22) Das hebräische Wort für „heimsuchen” bedeutet zunächst soviel wie „mustern”, „antreten lassen”, wie man Soldaten zum Kriege aushebt. In weiterem und meist so angewandtem Sinne schließt es Bestrafung in sich. (Z. B. Jes. 10,12; 13,11; Jer. 5,9; 10,15; 27,8 und viele andere Stellen) Wir ersehen daraus die „Musterung” der Könige der Erde, die zuvor im Kerker, im Hades eingeschlossen waren, ihr „Antreten” vor dem weißen Throne und ihre ewige Bestrafung mit dem zweiten Tode, dem Feuersee; wir ersehen ferner die „Heimsuchung” Satans und seiner Engel, der Heerschar der Höhe in der Höhe, die „viele Tage” eingesperrt waren, in der Bestrafung mit ewiger Pein im Feuer- und Schwefelsee. Furchtbares Gericht für alle diejenigen, die dem Worte des HERRN nicht geglaubt haben! Anstatt bei Ihm droben in ewiger Herrlichkeit zu weilen, leiden sie Strafe, ewiges Verderben (2. Thess. 1,9), in Gemeinschaft mit ihrem Verführer, dem Gott dieser Welt, der alten Schlange.
Aus diesem einfachen Vergleich der Verse aus Jesaja 24 mit den Kapiteln 12 und 20 der Offenbarung dürfte jedes aufrichtige Herz unter den Gläubigen erkennen, dass es direkte Schriftverdrehung bedeutete, wollte man unsere Prophetenstelle in die Anschauungen der „Wiederbringungs”- oder „Allversöhnungslehre” einzwängen. Es gibt zudem in der ganzen Bibel keine Stelle, die mit dieser bösen Lehre, die das Evangelium seiner Kraft und Gott Seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit berauben möchte, in Einklang zu bringen wäre. Alle Stellen, die von den Vertretern dieser Lehre - es sind leider auch Gläubige darunter - angeführt werden, um ihre irrigen Gedanken zu stützen, ergeben, im richtigen Zusammenhang gesehen, die Haltlosigkeit jeder falschen Anwendung; und auf der anderen Seite steht eine große Anzahl von Stellen in direktem Widerspruch mit der „Wiederbringungslehre”, so dass das Wort Gottes keinen Zweifel an der ewigen Dauer des Gerichtes läßt. Möchte Gott jeden einzelnen von uns bewahren, den Einflüsterungen Satans, der auch gerade hierin so gern die Gestalt eines Engels des Lichts annimmt, Gehör zu schenken! Halten wir uns in Demut an das Wort Gottes, das eine klare Sprache redet! Durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt, lasst uns das schöne anvertraute Gut bewahren! 2. Tim. 1,14.
Th. Bu.

Anmerkungen des Schriftleiters

Die meisten Leser der „Handreichung” werden mit mir einig gehen, wenn ich zu obiger Antwort sage, dass wir allen Grund haben, uns über die klaren, einleuchtenden Ausführungen zu freuen, und dem HERRN dankbar für dieselben sein dürfen. Mögen sie nur vielen dienen!

Eine Minderheit jedoch wird vielleicht sagen, dass V. 22 von Jes. 24 aber auch anders aufgefaßt werden könnte, woraus sich dann leicht die Möglichkeit, diese Stelle auf die „Habenseite” der Wiederbringungs- oder Allversöhnungslehre zu buchen (die ich natürlich genau so ernst und gründlich als schriftwidrig ablehne wie unser Mitarbeiter!), ergäbe. Und zur Widerlegung dieser Meinung glaube ich noch einiges anfügen zu sollen.

Es wäre ein schlechter Dienst an der Wahrheit, wenn man die Augen davor verschließen wollte, dass das Wort „ heimsuchen” in zweierlei Hauptbedeutungen in der Schrift gebraucht wird: nämlich sowohl als „gnädig” wie als „gerichtlich” oder „ strafend heimsuchen”. Im Neuen Testament kommt das Wort (als Zeit- oder Tätigkeitswort wie als Hauptwort) überhaupt nur in ersterer Bedeutung vor, höchstens könnte hier 1. Petr. 2,12 umstritten sein, aber wahrscheinlicher ist auch in dieser Stelle die erstere Bedeutung. Stellen aus dem Neuen Testament z. B.: Lk. 19,44; 1,68.78 u. 7,16; Apg. 15,14; Hebr. 2,6 („auf ihn siehst”)! - Dagegen steht im Alten Testament das Wort im hebräischen Grundtext wie in der vorchristlichen griechischen Übersetzung (der „Septuaginta”), in der das gleiche Wort wie im griechischen Neuen Testament gebraucht ist, sehr oft, und zwar in allen möglichen Verbindungen, Konjugationen (Abwandlungen, deren es im Hebräischen außer „Aktiv” und „Passiv” noch mehrere gibt) und auch Zeitformen, so daß, wenn mir mehr Raum zur Verfugung stünde, ich eine ausführliche Aufstellung über das Vorkommen dieses Wortes geben könnte mit Dutzenden von Anführungen, besonders aus den Psalmen und den Propheten Jesaja und Jeremia.
Nun ist die Grundbedeutung des hebr. Wortes - die unbedingt als solche festzuhalten ist, wie in Antwort A gesagt ist - tatsächlich „mustern”, „untersuchen”, und davon abgeleitet: „sich (suchend) nach etwas umsehen”, „besichtigen” (event. mit Fürsorge), „(feindlich) auf etwas sehen”, „heimsuchen im strafenden Sinne”, ja, „strafen” selbst. Und die Wortform, die (nicht in V. 21, wo der Strafcharakter des Wortes „heimsuchen” ja ganz unverkennbar ist) in V. 22 steht, kann übersetzt werden mit „vermißt werden” (vgl. 1. Sam. 20,25.27Davids Platz blieb leer” oder 1. Kön. 20,39 u. a.) sowie auch mit „heimgesucht werden”, und zwar „gnädig” oder „gerichtlich”, „strafend”, je nach dem Zusammenhang. Das dem Hebräischen entsprechende griechische Wort hat genau die gleichen Bedeutungen, und von diesem Wort abgeleitet ist das uns wohlbekannte Wort „Episkopus” = Aufseher („Bischof!”), wie es so oft im Neuen Testament (z. B. in 1. Tim. 3 und Phil. 1,1 u. a.) vorkommt.
Wie kommt es also nun, dass unsere Stelle von Anhängern der Allversöhnungslehre als Beweis für die schließliche Beseligung aller gebraucht wird? Wenn wir die verschiedensten Übersetzungen (deren Übersetzer doch auch durchaus sprachkundig sind) zu Rate ziehen, so finden wir, dass sie diese m. E. absichtlich knapp und prophetisch-eschatologisch (d. i. endgeschichtlich) geheimnisvoll gehaltene Stelle ganz verschieden wiedergeben, offenbar ganz nach ihren eigenen dogmatischen Überzeugungen. Wenn dabei eine Übersetzung sogar soweit geht, statt „sie werden heimgesucht werden” zu sagen: „sie werden begnadigt werden”, so ist deutlich zu sehen, dass hier „der Wunsch der Vater des Gedankens” ist, denn dies heißt das Wort „heimsuchen” denn doch nicht, nicht einmal im Neuen Testament!! Selbst wenn man - den Zusammenhang (V. 21!! und 1-20!) gänzlich außer acht lassend - „gnädig heimsuchen” sagen wollte, so wäre das doch noch kein bedingungsloses „Begnadigen”! Andere Übersetzungen, wie z. B. Menge, sprechen klar von „abgeurteilt werden”, und das entspricht dem Zusammenhang auch durchaus, wie es ja auch ähnlich unser Mitarbeiter oben zeigt.
Ehe ich hierzu noch einiges schreibe, gebe ich nur einige Stellen an, die das Wort in entgegengesetzten Bedeutungen zeigen (in absichtlich regelloser Reihenfolge): Ps. 106,4; 2. Mo. 4,31; Sach. 10,3 (beide Bedeutungen; die im guten Sinne in der Elberf. mit „mich annehmen” übersetzt); Ps. 89,33; Jer. 5,9.29; Jes. 29,6 (hier auch im gnädigen Sinne, auf Jerusalem bezogen!); Jes. 10,3; 26,14; Jer. 23,17; Jer. 8,12 (10,15); 1. Mo. 50,24.25; 4. Mo. 16,29; Ruth 1,5 usw. usw. (Nur beiläufig sei erwähnt, dass es für einen Sprachkundigen eine wahre Freude und Fundgrube ist, sich mit dem Vorkommen und der jeweiligen Bedeutung dieses bald so bald so gebrauchten Wortes und seinen Wortformen usw. zu beschäftigen! Wie reich ist doch Gottes Wort, wie reich Seine Sprache!)

Schon die Tatsache dieses verschiedenartigen diesbezüglichen Sprachgebrauchs sollte die Vertreter jener gefährlichen und soviel böse Folgen zeitigenden Lehre vorsichtig machen. Denn zuallererst muss doch stets die Grundbedeutung angewandt werden („mustern”, „untersuchen”), und dann muss der Zusammenhang beachtet werden. In unsere Stelle (Jes. 24,21-23) aber die Gnade hineinzutragen entspricht weder dem Verse 21 noch dem Verse 23! Die ernsten Gegensätze zwischen den in V. 21 Genannten und denen von V. 23 würden völlig verwischt, wenn es hieße, jene von V. 21 würden begnadigt. (Was, wie oben gesagt, ja auch nicht übersetzt werden darf!) Dass Jesaja die Tiefe seiner Weissagung selber verstanden habe, ist nicht anzunehmen, aber wir, die wir Off. 20 haben, finden uns leicht in die Bedeutung der Stelle hinein, wenn wir sie eschatologisch („endgeschichtlich”) fassen, wie Verfasser obiger Antwort getan. Wenn aber die Stelle nicht Bezug hat auf das vorübergehend Wiederlosgelassenwerden des Satans (Off. 20,7ff.), der dann endgültig in den Feuersee geworfen wird, worauf will man sie dann beziehen? Denn dass „ An jenem Tage” auf den „Tag des HERRN” geht, ist doch unbestreitbar (vgl. Frg. 3 in Jahrb. 11, wo sich unser Mitarbeiter F. Kpp. schon einmal mit unserer Stelle in ähnlichem Sinne befaßt!!); wenn dem aber so ist, so können die Worte „nach vielen Tagen” doch eigentlich nur auf die Endereignisse gehen. Diese aber zeigen deutlich genug, dass das „Heimsuchen” wie ein Sichwiedererinnern an lange Zeit gleichsam Vergessengewesene ist, wobei sie aus dem Kerker geholt werden, um nun endgültig gerichtet zu werden. Wenn man die „vielen Tage” nicht auf das Eingeschlossensein während der 1000 Jahre bezieht - worauf dann?? Etwa auf die Ewigkeit? Mit welchem biblischem Recht?

Noch eine kleine Schlußbemerkung! Wenn trotz alle- und alledem doch behauptet werden sollte, das Wort hier in V. 22 könne aber eben doch auch ein Heimsuchen im guten Sinne bedeuten, so möchte ich darauf folgendes antworten: Wenn ich dies annehmen müßte (was aber durchaus nicht der Fall ist!), dann würde ich ausgehen wiederum von der Grundbedeutung „mustern” und sagen: Sowohl der losgelassene Satan und seine Heerschar (Off. 20,7) als auch die Toten von Off. 20,12, die alle - auf diese Weise - noch einmal heimgesucht („gemustert”) werden, erfahren ja auch gleichsam noch eine gnädige Qualitäts-Prüfung, die aber der Satan dazu benutzt, um die Nationen zu verführen, während die Toten von V. 12 auch nicht sofort verworfen werden, sondern so, dass sie nach ihren Werken und nach dem Maßstab des „Buches des Lebens” gerichtet werden! Diese letzte „Musterung” der „Heerschar in der Höhe” und der von diesen abhängigen Herrschaftsträger auf der Erde - und letzten Endes sollte der Mensch („Adam”) als solcher Herrscher auf der Erde sein (1. Mo. 1,28) - fällt durchaus negativ aus, und es zeigt sich, dass die vorläufige „Heimsuchung” - „Musterung” von „jenem Tage” (V. 21!) schon deutlich genug die Vorbedingungen zur endgültigen Verwerfung in sich trug. Die weitere nochmalige Heimsuchung, das sich noch einmal nach jenen Umsehen seitens Gottes konnte nur das erste Urteil bestätigen. Und der Feuersee, d. i. der zweite Tod, ist das endgültige Teil derer, die alle Gnadenerweisungen Gottes mißachtet und damit Ihn Selber verworfen haben. „Welche Strafe leiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des HERRN hinweg!” (2. Thess. 1,9) Schrecklich, dass die Anhänger jener verwerflichen Lehre die klaren Aussagen der Schrift völlig umbiegen! Gott gebe ihnen Gnade, dass sie wieder „nüchtern” werden (2. Tim. 2,26) aus der Verführung des Feindes, der manche sonst so liebe, teure Geschwister für seine bösen Zwecke hat mißbrauchen können! Welch ein tiefes Leid ist das doch, und welch ein Riß geht mittels dieser falschen Lehre durch Gottes geliebtes Volk! „Hütet euch vor dem Sauerteig” böser Lehre! (Mt. 16,12)

Nein, die behandelte Stelle gibt, wie wir gesehen haben, jener Lehre keinerlei Berechtigung - das sage ich als vor dem HERRN stehend in meiner Kenntnis der Sprache der Schrift sowohl wie nach meiner Überzeugung von dem Zusammenhang, in dem jene Stelle gesagt ist, der zu deutlich, als dass es zu übersehen wäre, auf die Endgeschichte hinweist.

Der HERR gebe uns Gnade und Licht, um abhängig von Seinem Worte zu bleiben, das „Leuchte unserem Fuße” ist! (Ps. 119,105)
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 16 (1931)