Antwort A
Der Brief an die Hebräer offenbart die Vollkommenheiten Christi von jüdischem Standpunkt aus gesehen. Um unsere Stelle zu verstehen, müssen wir die Bedeutung des Zehnten begreifen. Wir lesen in 1. Mose 14, dass Melchisedek Abram segnete (V. 19) und dieser jenem dann den Zehnten von allem gab (V. 20). Der Zehnte war also ein freiwilliges Zeugnis der empfangenen Segnung, ebenso wie die Gaben in 1. Chr. 29,5.9.12.14; wenn er dem Volke Israel gesetzlich vorgeschrieben wurde, so geschah es, um die Tatsache zum Ausdruck zu bringen, dass es ein gesegnetes und segnendes Volk war; hätte Israel jene Vorschriften durch Glauben beobachtet, so wäre es auch der Fall gewesen. Die Segnungen Israels und durch Israel sollten darin bestehen, dass Gott Seine Wohnung bei dem Volke hatte, dessen Priester Levi (und seine Nachkommen) war. Da derselbe also Vermittler der Segnung war, erhielt er den Zehnten von seinen Brüdern (Hebr. 7,5.9). Aber als Same, als er noch in der Lende Abrahams war, wurde er teilhaftig der Segnungen und deshalb auch gezehnt, d. h. musste den Zehnten zahlen. Daher ist nicht Levi der Urheber der Segnungen, sondern ein Besserer (V. 7), Melchisedek, d. h. im Vorbild Christus Selbst (V. 3.6). Es ist ein schlagender Beweis, dass alle Segnungen, welche die Juden durch das levitische Priestertum zu erlangen meinten, ihre Quelle von Anfang an in Christo hatten. Wenn man nun die Quelle erreicht hat, wozu dann noch einen Kanal zum Schöpfens des Wassers? Nein, dieser fällt weg, denn er ist nutzlos und sogar schädlich für die Kühle und die Reinheit des Wassers.
Da nun das Gesetz und das levitische Priestertum nur Schatten waren, so ist es klar, dass der Körper, Christus, nicht in demselben zu finden ist, also nicht in der Nachkommenschaft Levis. In 1. Mose, 14,18 sehen wir, dass der Segnende, Melchisedek, gleichzeitig König und Priester war bezw. sein soll. Um diese Bedingung zu erfüllen, musste also dieser aus dem Stamme kommen, der die bestimmte Verheißung des Königs hatte, aus Juda (1. Mose 49,10). Hebr. 7,14 ist demnach ein anderer schlagender Beweis dafür, dass „unser HERR” „Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks” ist. Wenn Israel Jesum, den Nazarener, als König und Priester anerkannt haben wird, wird auch der Zehnte nicht mehr eine tote Form oder eine Nahrung für die Selbstgerechtigkeit (Lk. 18,12) sein, sondern das dankbare Zeugnis von der ewigen Güte Gottes (Ps. 110,3).
Lieber Bruder, Christus ist die Quelle! Sein Tod und Sein Leben sind für uns die Ursachen aller Segnungen (vgl. 1. Mose 14,18; Mt. 26,26-29; 1. Kor. 10,16). Er hat uns auch unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht (Off. 1,5.6). Ja, Ihm sei die Herrlichkeit in die Zeitalter der Zeitalter! Amen. (Hebr. 13,21.)
R. W. D.
Anmerkung des Herausgebers
Der Gegenstand ist ziemlich schwierig, leider ist auch nur vorstehende Antwort eingegangen, doch denken wir, dass sie genügen wird, um dem aufmerksamen Schriftforscher Licht zu geben. In vorliegender Frage liegt verborgen die, wie wir uns zum Geben des Zehnten zu stellen haben. Dazu einige Worte!
Den Zehnten zu geben oder für das Werk des HERRN zurückzulegen, weil im Gesetz (also dem Volk Israel) dies geboten war, ist unter allen Umständen schriftwidrig, selbst wenn man sagt: Was das alttestamentliche Volk Gottes tat, muss das neutestamentliche, das größerer Segnungen teilhaftig geworden ist als jenes, erst recht tun! Nein, und abermals nein! Wir sind nicht unter Gesetz! (Gal. 5,18; 3,2; 4,5.6.) Aber nun berufen sich manche teure Kinder Gottes darauf, dass das Verzehnten schon vor dem sinaitischen Gesetz dagewesen sei, und sie weisen hin auf die Tatsache, dass Abraham dem Melchisedek, der doch ein Vorbild auf Christus sei, den Zehnten gegeben habe. Wenn solche Geschwister 1. Mose 14 für sich so auffassen, wollen wir sie nicht schelten; aber nie sollte man sagen, aus diesem Kapitel gehe hervor, dass die Gläubigen heute den Zehnten zu geben verpflichtet seien. Wenn Verpflichtung da ist, dann ist Gesetz da! Wenn das, was einige tun, darum andere auch tun sollten, dann wird eine menschliche Satzung aufgerichtet, und das ist vom Übel (Kol. 2,20ff.).
Aus dieser wunderschönen Geschichte in 1. Mose 14 geht hervor, dass Melchisedek von Abraham den Zehnten nicht gefordert hat! Freiwillig gab Abraham den Zehnten. Gewiß sind wir Gläubigen von heute Abrahams Same. (Gal. 3,6.7.29.) Aber wenn wir nun deswegen auch den Zehnten geben wollten, so würden wir gerade den Charakter des Gebens Abrahams, den Charakter der Freiwilligkeit, zerstören und ein Gesetz für uns aus dem machen, was Abraham für sich tat. Er setzte sich gleichsam im Herzen vor, als Gesegneter zu geben, wie es ihm gut schien; er gab den zehnten Teil, womit er - was die Zahl 10 bedeutet - das Bewußtsein seiner menschlichen Verantwortlichkeit Gott gegenüber andeutete. (Vergl. über die Zahlen S. 36-38 in Band I.) Wollen wir es machen gerade wie er? Keiner hätte das Recht, es uns zu verbieten, wenn die Beweggründe ganz von selbst die Abrahams und keine gesetzlichen wären. Aber es kommt nicht auf die Zahl 10 an, sondern darauf, den Charakter des Gebens Abrahams zu wahren! Dazu geben uns 1. Kor. 16,2 und 2. Kor. 9,6.7 (8!) wichtige Fingerzeige. Handeln wir nach ihnen als solche, die gesegnet sind, um zu segnen, dann wird der Zehnte oft genug weit überschritten werden, (vergl. z. B. die Geschichte vom Scherflein der Witwe! Mk. 12,41-44). Und dann - gibt es eine Grenze für den, der da weiß: „Was wir leben, das leben wir Dem, der für uns gestorben ist und ist auferweckt worden” (2. Kor. 5,15)? Und das ist nach Hebr. 7, unserem vorliegenden Kapitel, Christus, der da ein unveränderliches Priestertum hat, weil Er in Ewigkeit bleibt (23,24).