Wie ist das „Denn auch“ in Matthäus 15,27 zu erklären?

Wie ist das „Denn auch“ in Matth. 15,27 (vgl. Mark. 7,28) zu erklären? Darin liegt doch eigentlich kein Gegensatz?!

Antwort

Der ganze Vers lautet: „Sie aber sprach: Ja, HERR; denn es essen ja auch die Hündlein von den Brosamen, die von den Tischen ihrer Herren fallen.
Allerdings liegt hier - dem Wortlaut nach gesehen - kein Gegensatz, wie er doch nötig erscheint, wenn die Frau, die Heidin, mit ihrem Flehen das Herz des HERRN rühren will. Die Luthersche Übersetzung sagt hier wohl darum auch: „Ja, HERR, aber doch ...” Da ist die ganze Schwierigkeit fortgenommen. Aber so lautet die Stelle im Grundtext nicht und daher - z. B. nach der Elberfelder Übersetzung - die scheinbare Unerklärbarkeit dessen, dass der HERR ihren großen Glauben lobt und ihr das Erbetene zuteil werden läßt.

Vergegenwärtigen wir uns kurz die Sachlage. Über diese ist im Jahrbuch 6, S. 167 in dem Aufsatz: „Gebete, die erhört und die nicht erhört werden” einiges gesagt, was die vorliegende Frage auch streift. Es heißt da - ich schreibe es für solche, die den Band nicht haben! - u. a.: „Dann (weiter) bleiben unsere Gebete auch unbeantwortet, weil wir unverständig bitten ..., im Geistlichen wie im Natürlichen hat Gott gewisse Grundsätze und Ordnungen festgelegt und Er kann Bitten, die diesen entgegenstehen, nicht ohne weiteres erfüllen. Aus dem Fall mit dem kananäischen Weibe können wir etwas lernen (Mt. 15,21-28). Sie kam in der tiefen Sorge um ihre Tochter zum HERRN, um von Ihm als dem ‚Sohne Davids‘ gesegnet zu werden - und ‚Er antwortete ihr nicht ein Wort‘ ... Aber Er wies sie nicht ab, wie Er uns nicht abweist. Sie kam unter ganz falschen Voraussetzungen zu Ihm, und ehe Er ihre Bitte erfüllen konnte, musste Er sie belehren, damit sie erst den rechten Stand vor Ihm einzunehmen lernte. Welche Ansprüche hatte sie als ‚Heidin‘ an den ‚Sohn Davids‘? Er muss ihr erst die Augen über sich selbst und ihre Stellung zu Ihm öffnen, Und sie versteht Sein Wort. Sie beugt sich und sagt: ‚Ja, HERR‘ und nimmt ihren Platz als ein ‚Hündlein‘ vor Ihm ein, als eine, die kein Anrecht an Israels Verheißungen hat ... Aber das Erbarmen des HERRN ist auch für die ‚Hündlein‘ da, und so klammert sie sich an Ihn und erwartet ein Brosämlein von Seinem Tische, von Ihm, den sie das Recht hatte, ihren HERRN zu nennen. Der HERR hatte Sein Ziel erreicht, sie war zur rechten Glaubensstellung hingeführt usw.

Mit diesen Worten ist die Situation so klar beleuchtet, dass es keine Schwierigkeit macht, die scheinbare Härte des HERRN zu verstehen. Er sagt Selber, Er sei nur zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel geführt (V. 24), und wie kann Er da Seine Ordnung durchbrechen um einer „Syro-Phönizierin” willen (Mk.
7,26)?! Sie war ein „Hündlein”, eine Bezeichnung, die dem Judentum gegenüber besondere Verächtlichkeit ausdrückt. Nicht dass Sein Herz hart gewesen wäre! Er wußte auch gut, auf welche Weise Er mit ihr (wie mit uns!) zu reden hatte, um ihren Glauben ans Licht zu ziehen (ähnlich wie in der Geschichte vom blutflüssigen Weibe, Lk. 8,43-48 [47!]). Und hatte sie denn wirklich so großen Glauben? Ja, darauf allein kommt es an, nicht auf die Rationalität, wenngleich die göttlichen Grundsätze in keinem Falle gleichgültig sind. Aber stets geht voran: „Dir geschehe nach deinem Glauben!” (Mt. 8,13). Das ist göttlicher Grundsatz in jenem Falle, genau so wie „den Demütigen gibt Gott Gnade” (Jak. 4,6). Beide Grundsätze finden sich auch in unserer Geschichte, und beiden antwortet Er demgemäß! Und nun wollen wir die Stelle V. 27 noch einmal genauer ansehen. Was sagt sie, die besorgte Mutter, die leicht hätte sagen können, wie heute so mancher: „Ach, was kümmern mich die göttlichen Grundsätze, wenn es (nämlich das Mittel) nur hilft!” - Wie manche greifen zu Zaubermitteln in Krankheitsfällen, zum „Besprechen” und ähnlichem, und warnt man sie, da heißt's: „Das ist doch ganz einerlei, was Gott dazu sagen soll, wenn's nur hilft!” Nichts von solcher Gleichgültigkeit gegen Gott und Sein Wort findest du bei ihr. Sie - die Heidin - ist uns, die auch wir aus den Heiden, den Nationen, sind, ein schönes Vorbild für Abhängigkeit, Demut und Glauben. Sie nimmt die Abweisung seitens des HERRN demütig hin und bleibt doch bei Ihm, läuft nun nicht fort (ebenso auch nicht das samaritische Weib, als der Herr ihr die Wahrheit ins Gesicht sagt, Joh. 4,17ff.). Solchen Menschen, die nicht bei jeder Gelegenheit davonlaufen, beleidigt sich zurückziehen, sondern demütig sich die Wahrheit sagen lassen - solchen ist zu helfen, aus denen wird, geistlicherweise, noch etwas; wer aber gleich davonläuft, „sein Recht haben will”, beleidigt ist, schadet sich und anderen und kommt nie vorwärts - denn nur die Wahrheit kann uns frei machen! - Das Weib also bleibt stehen bei Ihm. Sie hat solch tiefen Schmerz, und Er, dieser Eine, kann helfen - soll und darf sie da nicht weiter bitten? Ja, sie darf, aber unter welcher Begründung? Nun, Liebe macht erfinderisch, und ihr brennendes Herz, innerlich voll Glaubens an den HERRN, findet die Brücke zu Seinem Herzen, zu Seiner schrankenlosen Gnade. Kurz und klar kommt's aus Herz und Mund: „Ja, Herr!” Mit anderen Worten: „Du hast recht, und ich beuge mich darunter, bin bereit, das Urteil gegen mich als gerecht zu unterschreiben ...” Dann vielleicht ein kleines Zögern in der Stimme, gerade genug, um einen ganz kühnen Gedanken im Glauben zu fassen, unausgesprochen, aber hörbar Seinem Ohr zu beten (wie einst Nehemia, Kap. 2,4), und dann: „Denn es essen ja auch die Hündlein von den Brosamen, die herabfallen.” Was hat sie gedacht? Wie kommt sie zu dem „denn auch” (statt „aber doch”, was nicht nur nach dem Grundtext unschriftgemäß, sondern auch längst nicht so schön und überzeugend [für den HERRN!] ist) - wie entsteht dies „denn auch”? Da muss doch ein Satz vorangegangen sein? Sicherlich, und der lautete, denke ich, etwa so -(laut): „Ja, HERR!” - (leise): „Aber - ich wage doch zukommen” - (laut): „Denn es essen ja auch die Hündlein usw.” Sie sagt damit gleichsam, indem sie an den einfachen Vorgang im Leben denkt: „Wenn das Brot so ausschließlich für die Kinder wäre, dass die Hündlein gar kein Bröcklein abbekämen, dann wäre es aussichtslos für mich zu bitten, aber sah ich‘s nicht oft genug, wie ein Hündlein, das nicht so viel braucht wie sein Herr, sich drunten an den Brosamen gütlich tat? Nichts weiter begehre ich, und so wage ich zu kommen. Nicht das Ehrgefühl treibt mich, auch am Tische zu sitzen, nein, das ist nicht mein Platz, aber wenn je ein Hündlein nicht enttäuscht worden ist, sondern seine Brocken bekommen hat, so werde auch ich nicht enttäuscht, wenn ich demütig-glaubend komme und Ihn bitte, an die Hündlein zu denken. Vielleicht hat Er nicht daran gedacht - und ob! - und mein gläubig Wort rührt Sein Herz ...!
O Weib, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willstl” Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an (V. 28). Ja, es ist so, wie es im Liede heißt: „Jesus kann mich nicht enttäuschen ...”; aber wie so oft muss es in bezug auf uns heißen: „Wo ist euer Glaube?” (Mk. 4,40) Welche Mahnungen für uns!

So sehen wir das „denn auch” schön und klar begründet in ihrem Herzensglauben, und der HERR verstand das Stammeln ihrer Seele und antwortete dem Glauben des Hündleins herrlicher, als manches der „Kinder” es je erfuhr, weil die „Kinder” oft als selbstverständlich nehmen wollten, was doch in jedem Fall ein Wunder Seiner Liebesmacht, eine unverdiente Güte und Gnade war! Sie aber erfährt, dass „Gott nicht nur der Juden Gott ist, sondern auch der Nationen Gott”. (Röm. 3,29) Sie erfährt schon damals, noch in der Haushaltung Israels, lange ehe dem Paulus Römer 10 in die Feder gegeben wird, dass „derselbe HERR von allen reich ist über alle, die Ihn anrufen”. (Röm. 10,12) Welche Gnade!

Demut und Glaubensvertrauen - wie tun diese Stücke auch uns so not! Der HERR schenke uns gnädiglich, dass wir darinnen wachsen und zunehmen zu Seiner Herrlichkeit!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 14 (1929)