Wie ist 1. Johannes 5,2 zu erklären?

Wie ist 1. Joh. 5,2 zu erklären?

Antwort

Die Stelle lautet also: „Hieran wissen (oder erkennen) wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und Seine Gebote halten.
Ohne Frage ist diese Stelle schwerer zu erklären als solche Worte, in denen der Beweis für unsere Liebe zu Gott in unserer praktischen Liebe zu Menschen, d. h. den Brüdern gesehen wird, wie in Kap. 4,20.21 (vgl. z. B. 1. Joh. 3,11-14 oder Joh. 13,34.35 u. a.). Diese letztere biblische Beweisführung ist uns viel geläufiger, und solche Stellen haben das meiste dazu beigetragen, dass in der christlichen Gemeinde die lebendige Bruderliebe treulich geübt wird, und es hat stets auf die ungläubige Welt einen sehr großen Eindruck gemacht, dass die Christen einander praktisch so lieb hatten, dass sie in allem füreinander eintraten und sich halfen, wie Gott ihnen die Möglichkeit dafür gab, ja oft weit mehr über ihr Vermögen. Diese Betonung des praktischen Glaubens (vergl. Jak. 2,15-17) also ist uns Gläubigen viel natürlicher als eine solche Stelle, in der der Wahrheitsbeweis für unsere Liebe zu den Kindern Gottes in unserer Liebe zu Gott gesehen wird, wie in der vorliegenden.

Nun kann man sich die Beantwortung derselben wohl leicht machen, indem man zunächst folgende Erwägungen anstellt: 1. Gott sagt nach Joh. 14,21ff. und z. B. auch nach dem der Stelle unserer Frage folgenden Vers (1. Joh. 5,3): „Liebet ihr Mich, so haltet Mein Wort oder Meine Gebote”; 2. das aber ist eines Seiner Gebote (in neutestamentlichem Sinne; im N. T. wird nie unter den „Geboten” das alttestamentliche Gesetz verstanden), dass wir einander lieben (vgl. 1. Joh. 4,21; Joh. 13,34, wie oben schon angeführt). Gut! Hier an der Stelle wird nun gesagt: „Hieran erkennen wir, dass wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und Seine Gebote halten.” Wenn nun aber Seine Gebote (z. T.) darin bestehen, dass die Kinder Gottes sich untereinander lieben, und die Liebe zu Gott durch das Halten Seiner Gebote bewiesen wird, so würde der Satz von V. 2 folgendermaßen umschrieben werden können, wobei der Vorder- und der Nachsatz so ziemlich das Gleiche aussagen würden: „Hieran erkennen wir, dass wir die Gotteskinder lieben, wenn wir Gott lieben, was wir damit beweisen, dass wir Sein Gebot der Bruderliebe beobachten”. - Eine solche Auslegung wäre sehr bequem, aber sie ist natürlich falsch, wird dem Ernst des Verses in nichts gerecht, sondern ist fast nur eine Spielerei mit Schriftaussagen, die in anderer Verbindung ihre große Bedeutung haben, hier aber gar keine Erklärung geben, sondern fehlerhafte Schlußfolgerungen. Nein, diese Stelle besagt vielmehr genau das Gegenteil solcher Stellen, die, wie oben gezeigt, in der praktischen Bruderliebe den Tatbeweis für die vorhandene Gottesliebe sehen.
Aber in Gottes ewigem Wort gibt's keine Widersprüche, wenn kurzsichtige Menschen auch oft solche vermuten. Und so ist hier auch nicht nur kein Widerspruch, sondern vielmehr eine wunderbar Ergänzung und Erweiterung der vorherigen Aussagen zu finden. Und zwar, soweit ich sehe, in folgendem Sinne:

Gottesliebe (Liebe zu Gott) und Bruderliebe (Liebe zum Bruder) schließen natürlich einander nicht aus, sondern gehören aufs allerinnigste zusammen (vgl. V. 1!), und zwar so sehr, dass sie sich gegenseitig ausgleichen, sozusagen zusammen auf gleicher Höhe stehen und sich regeln eine an der anderen. Beide könnten ja Einbildung sein! Der Maßstab, an dem sie jede sich auf ihren praktischen Wert hin messen, ist die tätige Liebe zum anderen. Ob die Liebe zum Bruder, d. h. zu dem aus Gott Geborenen (V. 1), wirklich echte Liebe ist, zeigt sich darin, ob sie mit der Liebe zu Gott sich eins weiß, die darin besteht, Seine Gebote, Sein Wort zu halten. Die letzten Verse (20.21) von Kap. 4 zeigen uns, dass Gott keine Liebe zu Sich anerkennt, die an dem Bruder (dem aus Gott Geborenen!) vorbeigeht, aber unsere Stelle zeigt uns mit der gleichen Betonung, dass eine Liebe zu den Gotteskindern, wobei Gott daneben steht, ganz undenkbar, ungesund und unecht ist. Solche „Liebe” verdient nicht einmal den Namen! Sie ist Selbstbetrug; sie mag „Sympathie” sein; sie mag gleich sein der selbstsüchtigen Liebe, mit der unwiedergeborene Menschen lieben (Mt. 5,46ff.), aber sie hat nichts zu tun mit der wahren Liebe zu allen aus Gott Geborenen (auch z. B. zu den äußerlich Unsympathischen, zu den äußerlich Unliebenswerten). Diese wahre Liebe fragt in allem, ob Gott damit gedient werde, ob Er auch nicht in Seinen Liebesforderungen und -erwartungen zu kurz komme, ob Seine Gebote, Sein Wort auch nicht darüber „links liegen gelassen” werden. Denn eine Liebe zu Brüdern, die nicht an der und durch die Liebe zu Gott, die im Halten Seines Wortes besteht, geregelt und gemessen und mit dem rechten Inhalt gefüllt wird, nützt ja dem Bruder nichts, ja sie kann und wird sogar oft sehr schädlich sein. Beispielsweise: Wenn man aus „Liebe” zu den Brüdern ein klar erkanntes Gebot des HERRN, z. B. das Sichtaufenlassen, ignorieren, übersehen würde, also aus „Liebe” zu den Brüdern Gott ungehorsam wäre, so würde man jenen nicht etwa nützen, sondern schaden, könnte man doch - von anderem abgesehen - ihnen nie mehr diese erkannte Wahrheit (die man selber nicht beobachtet!) bezeugen! Man könnte ihnen gegenüber z. B. auch nicht von Gehorsam und praktischer Liebe zu Gott reden, wenn man „ihnen zuliebe” Gott vernachlässigt und Sein Wort mißachtet. Der Gedanke, dass man durch Nichtbefolgen eines klar erkannten Gebotes des HERRN den Gläubigen Liebe erweise und ihnen zum Segen sein könnte, ist eine sehr geschickt angelegte Falle des Feindes, in die viele Gotteskinder geraten sind, indem sie sich vom praktischen Gehorsam gegen Gottes Wort in ganz bestimmten Punkten abhalten ließen. Dadurch hoffen sie, „um der Liebe, um des lieben Friedens willen” den Brüdern nützen zu können. In Wahrheit aber sind sie unfähig geworden, das zu sein, was sie, denen Gott mehr Licht als anderen gegeben hatte, nach Gottes Willen jenen sein sollten: nämlich Führer zum Gehorsam gegen Sein Wort und dadurch zu vermehrten Segnungen. Wie mancher hat gefürchtet, sich durch Gehorsam in irgendeiner Sache die „offene Tür” bei gewissen Brüdern zu verschließen; er war ungehorsam, und Gott hat ihn „kaltgestellt” oder braucht ihn nicht da und so, wie Er vordem wollte. Denn die „Segnungen”, die man erlebt, wenn man auf Kosten der Wahrheit, auf Kosten der das erkannte Wort des HERRN haltenden Liebe zu Gott, den Brüdern zuliebe wandelt und handelt, diese „Segnungen” sind ja nur scheinbar und kommen wohl kaum auf die Rechnung des dem HERRN bewußt ungehorsamen Knechtes! Wohl kann Gott stets Sein verkündetes Wort segnen, aber solche Segnungen sind doch nicht eine göttliche Bestätigung jenes Dieners und seines Dienstes, sondern sie liegen gleichsam in der Natur des allezeit lebendigen Wortes, das den göttlichen Segen und die Kraft Gottes in sich trägt!

lasst uns aber wohl bedenken aus dieser Stelle (1. Joh. 5,2), dass Gottes Wort keine Liebe zu den aus Ihm Geborenen als echt anerkennt, über der Er Selber zurückgesetzt wird. Sowohl wenn über der Liebe zu Gott die Brüder vergessen werden (vgl. übrigens „Korban”, Mk. 7,11f.), als auch wenn über der Liebe zu den Brüdern Gott vergessen wird, indem das Halten Seines Wortes vernachlässigt wird - in beiden Fällen redet die Schrift nicht von der echten Liebe. Liebe ist Tat, Liebe ist Wille für den anderen, Liebe ist Hingabe, wie wir am herrlichsten sehen in der Liebe des Herrn Jesus selbst. Er ist für uns Gläubige in den beiden Arten Liebe das erhabenste Beispiel. In solchen Fällen aber, wie sie oben entwickelt sind, wird die Liebe zu leeren Worten und hohlen Gefühlswerten erniedrigt, die wertlos für die also „Geliebten” wie auch für und vor Gott sind. Lieben wir aber wirklich, lieben wir Gott wahrhaft, indem wir in Tat und Wahrheit Seine Gebote, Sein Wort halten, so wissen und erkennen wir daran, dass wir auch die Kinder Gottes wirklich lieben, d. h. nicht in Worten allein und zuerst, sondern eben auch vor allem mit der Tat und der Wahrheit. Das ist ein göttlicher Grundsatz von höchster Bedeutung. Dieses Wissen oder innere Erkennen ist nicht auf dem Gefühlsgrunde seelischer Meinungen und Zuneigungen erwachsen, sondern auf dem göttlich sicheren Grunde Seiner eigenen Anerkennung der Echtheit unserer Liebe zu Ihm, durch Seinen Geist und durch Sein Wort (vgl. z. B. 3,24).

Der HERR gebe uns Gnade, Licht und Weisheit, Sein Wort auch hierin „recht zu teilen” und uns durch dasselbe dahin leiten zu lassen, aus Liebe zu Ihm „das vor ihm Wohlgefällige zu tun” (1. Joh. 3,22) zu Seines Namens Verherrlichung!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 10 (1925)