Antwort des Schriftleiters
Ein scheinbarer Gegensatz mag in diesen Versen gesehen werden - ein Widerspruch keinesfalls! Im Worte Gottes sind keine wirklichen Widersprüche und Fehler, wohl aber oft außerordentliche Schwierigkeiten, die wir Gegnern des Wortes ruhig zugeben sollten, ohne uns darum zu streiten. Kann es uns bei unserem stückweisen Erkennen schwer fallen, unsere Unwissenheit dem gewaltigen Worte Gottes gegenüber vor ebenso unvollkommenen Menschen einzugestehen? Ich meine nicht! Wer dadurch uns und vor allem dem Worte Gottes „einen Strick drehen” will, der tut es auf seine Verantwortung. Wer vorgibt, nicht an die Inspiration (die göttliche Eingebung) des Wortes glauben zu können wegen solcher angeblichen Widersprüche, der beweist nur seinen Hochmut oder sein Nichtwollen, denn die Beweise für die göttliche Wahrheit des Wortes sind unendlich zahlreicher als die scheinbaren Unstimmigkeiten, von denen sich manche bei nähererm Zusehen bald von allein lösen, während andere uns vielleicht erst viel später, vielleicht erst in der Ewigkeit offenbar werden. Gott hat Zeit - haben wir sie also auch, wenn es sich um „Rätsellösung” handelt (Dan. 5,12): „Hernach wirst du’s verstehen!” (Joh. 13,7.)
Ich will versuchen, im folgenden für die angefragten Stellen eine Lösung anzugeben. Wem dieselbe nicht genügt, dem wolle der HERR eine klarere schenken zu Seiner Zeit! Dem einen oder anderen der vielen, die hier eine Schwierigkeit sehen, hoffentlich auch dem Fragesteller, mag diese nützen!
Setzen wir zunächst die beiden Stellen hierher:
„Die Männer aber, welche mit ihm des Weges zogen, standen sprachlos, da sie wohl die Stimme hörten, aber niemanden sahen.” „Die aber bei mir waren, sahen zwar das Licht, aber die Stimme Dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht” (so nach Elberfelder Übersetzung). In einigen anderen Übersetzungen ist in der zweiten Stelle eingefügt „und wurden voll Furcht”, aber diese Einfügung ist nach den besseren grundtextlichen Handschriften nicht erforderlich und erst ein späterer (selbstverständlicher) Zusatz. Sonst stimmen die Übersetzungen im wesentlichen überein, was zunächst leicht einzusehen ist, da die Worte ganz einfach sind und es sich in beiden Stellen um die gleichen Ausdrücke handelt für „hören” und „Stimme”.
Nach dem Grundtext könnte man eine kleine Verschiedenheit sehen darin, dass das griechische Wort für „hören” teils mit dem Genetiv, teis mit dem Akkusativ (d. h. dem 2. und 4. Fall) konstruiert wird, aber da die Konstruktion mit den 2. Fall, die in der ersten Stelle steht, auch in Apg. 22,7 bezüglich Paulus selber steht (nicht aber in Apg. 9,4), so kann man hierin keine Beweiskraft finden dafür, dass das „Hören” bei Paulus und seinen Begleitern im wesentlichem verschieden gewesen wäre, wie denn ja der klassische Gebrauch des Griechischen (also zu der Zeit, als ein feines Griechisch gesprochen wurde, wo die Unterschiede in den Konstruktionen genau durchgeführt wurden) zur Zeit, als das Griechische „Allerweltssprache” (die „Koiné”) war (zur Zeit Pauli), längst verwischt und veroberflächlicht worden war. Somit kann man aus diesen verschiedenen Konstruktionen des „Hörens” mit dem 2. und 4. Fall keine klaren Folgerungen ziehen, obwohl für mich hierin immerhin ein feiner Unterschied liegt.
Etwas anderes ist aber nach dem Grundtext höchst bemerkenswert, und tatsächlich liegt hier m. E. eine nicht von der Hand zu weisende Lösung: das Wort, das für „Stimme” gebraucht wird (Phoné) hat verschiedene Bedeutungen, die z. T. auf die tatsächlich mögliche Verschiedenheit der sprachlichen Abstammung des griechischen Wortes zurückzuführen sind - was ich hier nicht weiter behandeln möchte, da es für die wenigsten praktische Bedeutung hat, wer in der Grundsprache bewandert ist, versteht mich -, also das Wort kann heißen „Stimme”, „Schall”, „Ton” (und Verwandtes), und somit ist es kein verkehrter Ausweg, den die Elberfelder Übersetzung gefunden hat, wenn sie in Kap. 9,7 unten in der Fußnote „den Schall” setzt, während die v. Eß-Bibelübersetzung dies Wort gleich im Text selbst gebraucht. „Es käme aber (doch) noch darauf an, zu erfahren, ob dies Wort, das so verschieden heißen kann, auch in der Sprache der Bibel in diesen verschiedenen Bedeutungen vorkommt” - höre ich da einige Vorsichtige sagen! Nun wohl, man prüfe! Ich setze hierher etliche Stellen, wo dies Wort angewandt ist, und bitte die „Vorsichtigen” selbst, die beste Bedeutung des Wortes im Rahmen der obengenannten drei Bedeutungen herausfinden zu wollen: Mt. 3,3 (und Parall., auch Joh. 1,23); Mt. 3,17; Mt. 17,5 (Mk. 9,7 usw.); Joh. 3,8 Elberf.: „Sausen” - genügt der Beweis?!); Joh. 3,29; 5,25 usw.; 10,3.4.5 ...; 18,37; Apg. 7,31; 11,9; 12,22; 13,27; 1. Kor 14,7 (Elberf.: „Ton”; das Wort für „Töne” im gleichen Vers ist ein anderes!); V. 8.10.11 (sind diese Stellen nicht beweiskräftig?!); Gal. 4,20; 1. Thess. 4,16; Hebr. 3,7 usw.; 12,19.26; Off. 1,10!; 3,20; 4,1.5; 8,13!; 10,3.4; 11,15; 9,9 (Geräusch”!!); 14,2 („Stimme”, „Rauschen”, „Rollen”, „Stimme” - 4mal das gleiche Wort!!) usw. Ich gebe mich der Hoffnung hin, diese Stellen seien beweiskräftig genug, um uns zu überzeugen davon, dass in unseren angefragten Stellen das Wort verschieden wiedergegeben werden darf. In der ersten Stelle hörten sie wohl den „Schall”, den „Ton”, sahen aber keine Person, in der zweiten sahen sie „zwar das Licht” (von einer Person ist nicht die Rede!), hörten aber nicht die „Stimme” - kann hier gar nicht anders heißen, weil danach folgt (wörtlich) „des mit mir Redenden” (vgl. V. 7, „ich hörte eine mit mir redende Stimme”, ebenso, nur in dritter Person, in Apg. 9,4). Ich glaube oder hoffe wenigstens, dass der Gegensatz oder angebliche Widerspruch, der natürlich keiner ist, hiermit gelöst sein dürfte, möchte aber noch auf zweierlei hinweisen:
1. Auf die Stelle Joh. 12,28.30, die ich absichtlich oben noch nicht mitangeführt habe. Hier steht auch das Wort für „Stimme”, sowohl als sie geschah, als auch als der HERR über sie spricht. Und dazwischen, V. 29, ist uns die Wirkung derselben gezeigt! Je nach dem inneren Wesen hörten die einzelnen sie verschieden, die einen (die meisten) als Donner, andere wenigstens schon als Sprache eines Engels zu Ihm! Hätten sie richtig zu Ihm gestanden, so hätten sie alle die Stimme richtig aufgefaßt! - Ich denke, diese Stelle wirft Licht auch auf unsere gefragten Stellen!
Und in Verbindung hiermit noch ein anderes:
2. Auf die Männer, die mit Paulus reisten, kam es in der Geschichte nicht an, das kommt sowohl in dem von Lukas gegebenen geschichtlichen Bericht (Kap. 9) als auch in der persönlichen Darstellung des Paulus (Kap. 22), die er 25 Jahre nach seiner damaligen Bekehrung vor den jüdischen „Brüdern und Vätern” (22,1) gibt, klar zum Ausdruck; und demgemäß sind jene die Mitreisenden betreffenden Bemerkungen zu werten: die Betreffenden waren dabei und waren doch nicht dabei! Sie sahen das Äußere, nahmen am Äußeren teil und blieben trotz ihres Schreckens (vgl. „sprachlos”) innerlich unbeteiligt. Sie konnten als einzige Zeugen jenes den Paulus völlig umwandelnden Vorfalles wohl angeben, dass etwas Außerordentliches geschehen sei, sie hätten es später nie ableugnen können, aber sie hätten auch nie vermocht zu sagen, was wirklich geschehen sei. „Ein blendendes Licht war zu sehen, aber ob eine Person? - wir wissen es nicht ... Ein Schall war zu hören, vielleicht gar ein Brausen, ein Getöse, ein Rauschen - aber ob eine Stimme? - wir wissen es nicht! Wir haben keine gehört!” - Ist dies nicht ganz deulich und einfach? Geliebter Leser, so sehe ich diese Stelle an, über die ich viel gesonnen habe vor dem HERRN - und wenn du nun bedenkst jenes köstliche Wort, dem Paulus eingegeben: „Der natürliche Mensch vernimmt nicht (faßt nicht), was des Geistes Gottes ist ... und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird” (werden muß) usw. (1. Kor. 2,14.15), dann wirst du vielleicht - wie ich - in den verschiedenen Berichten über den Anteil der Begleiter des Saulus bei seiner Bekehrung eine wundersame Harmonie sehen, und du wirst vielleicht ausrufen: „Aber so ist es ja im Grunde genommen bei jeder echten Bekehrung: die ‚Damaskusstunde‘ geht jeden persönlich und ganz allein an; die anderen merken wohl, dass da ‚etwas geschieht‘, aber sie vernehmen nicht, was!” O ja, ein wunderbarer Gott ist unser Gott! Gepriesen sei Er, der uns so wunderbar für Sich gewann, der uns „von dem Volke besonders nahm” und der dennoch die Welt etwas davon spüren läßt, dass „Leben von oben” hineingetreten ist in unsere arme, niedrige, menschliche Sphäre - ja wahrlich, ein „Leben aus Gott”, das nur durch „den Geist des Lebens in Christo Jesu” (Röm. 8,1) begriffen wird! Gepriesen sei Sein Name!
„Wie köstlich sind mir Deine Gedanken, o Gott! Wie gewaltig sind ihre Summen!” (Ps. 139,17.)
F. K.