Widerspruch zwischen 1. Mose 6,6 und 1. Samuel 15,29

Ich bitte um Aufklärung über den scheinbaren Widerspruch zwischen 1. Mose 6,6 und 1. Sam. 15,29!

Antwort A

Zunächst sei bemerkt, dass dieser Widerspruch in Kapitel 15 des ersten Buches Samuels schon zwischen den Versen 11, 35 und 29 völlig erkennbar ist, und zur Aufklärung desselben sei Ps. 110,4 und 4. Mose 23,19 angeführt; letztere Stelle ist gewissermaßen der Schlüssel unserer Frage.

Gott ist kein Mensch, um zu bereuen”: dieses bezieht sich deutlich auf Seine Worte; „sollte Er gesprochen haben und es nicht tun, und geredet haben und es nicht aufrecht halten?” (4. Mose 23,19); „geschworen hat Jehova, es wird Ihn nicht gereuen” (Ps. 110,4). Dass es in 1. Sam. 15,29 auch der Fall ist, zeigt das Wort: „das Vertrauen Israels lügt nicht”; dieser Name Gottes „Vertrauen” deutet auf die Zuverlässigkeit Seiner Verheißungen und Aussprüche hin. Es reute Jehova: Das ist in bezug auf Sein Tun. Es reute Ihn, dass Er den Menschen geschaffen und Saul zum König über Israel gemacht hatte (1. Mose 6,6; 1. Sam. 15,11.35).
Also bereut Gott zuweilen Seine Werke; Seine Worte aber nie.

Wir können wohl verstehen, dass Er Seine Worte nicht zu bereuen hat, denn ein jedes derselben ist geläutert gewogen (Ps. 18,30; 119,140; Spr. 30,5 u. a.). Keine Macht kann sie auflösen (Joh. 10,35; Jes. 40,6-8), und niemand darf ihnen etwas hinzufügen (Spr. 30,6; vergl. Off. 22,18). Wie oft müssen hiergegen die Menschen ihre Worte bereuen, zurücknehmen, um nicht als Lügner gefunden zu werden; wie oft lügen sie, um ihre Worte nicht zurücknehmen zu müssen, und wie wenig kann man auf ihre Verheißung trauen! -

Sind aber die Werke Gottes etwa unvollkommener als Seine Worte, etwa fehlerhaft? Nein! Sie sind gut (1. Mose 1,11.12.18.21.31. u. a.). Sein Tun ist vollkommen (5. Mose 32,4). Die Schöpfung des Menschen nach Seinem Bilde, die Wahl Sauls als König über Israel, als er in seinen Augen klein war (1. Mose 1,26.27; 1. Sam. 15,17), sind im Gegenteil herrliche Taten und entsprachen völlig den göttlichen Grundsätzen. Nun aber hat sich Satan durch die Sünde, welche durch einen, den ersten Menschen in die Welt gekommen ist, Herrschaft über die Werke Gottes angeeignet. Der Mensch fiel in seine Gewalt, seine Bosheit wurde groß auf Erden, und alles Gebilde seines Herzens war nur böse den ganzen Tag (1. Mose 6,5). Saul „hat sich hinter Jehova abgewandt und Seine Worte nicht erfüllt” (1. Sam. 15,11). Nun verstehen wir, dass es Jehova „schmerzte in Sein Herz hinein”, dass es Ihn reute, das getan zu haben, was durch die Sünde verdorben wurde; wir verstehen, dass Er Sein eigenes Werk unter solchen Umständen Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit halber vernichtete. Umgekehrt reute es Gott auch, Gericht zu üben, nämlich als sich die Schuldigen unter Seine Hand demütigten und Buße taten (1. Chr. 21,15; 2. Sam. 24,16; Jona 3,9.10). Einiges über den Fall von Ninive: Man konnte meinen, Gott habe da Sein Wort (Kap. 3,5) nicht aufrecht gehalten und es bereut. Es ist aber nicht richtig. Hier müssen wir die geistliche Bedeutung von „vierzig Tagen” in Gottes Wort beachten. Soweit ich sie verstehe, stellten sie eine Versuchs- oder Probezeit dar (siehe Mt. 4,1 u. a.). Gott wollte Ninive noch eine Probezeit lassen, ehe Er sie, ihrer Bosheit halber (1,2), umkehre. Auf die Predigt Jonas taten die Niniviten Buße, und so „ließ Sich Gott des Übels gereuen (nicht Seiner Worte), das Er ihnen tun wollte und tat es nicht” (3,9.10). Sie kamen nicht um. Später aber (denn ein Tag ist bei Gott wie tausend Jahre, 2. Petr. 3,8) wurde Sein Wort buchstäblich erfüllt.
Wenn Gott zuweilen, und je nach dem Verhalten des Menschen zu Ihm, Sich's gereuen ließ, so gibt es doch eins Seiner Werke, das Er nie und unter keinen Umständen bereuen wird. Die Gnadengaben und die Berufung Gottes in Christo Jesu, darunter das ewige Leben (Röm. 6,23), sind unbereubar (Röm. 11,29). Diese kann Satan nicht verderben; er ist ja für immer besiegt; die Sünde kann sie nicht vernichten, denn „wo sie überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwenglicher geworden, auf dass ... sie herrsche ... durch Jesum Christum, unseren HERRN” (Röm. 5,20.21). „Gott sei Dank für Seine unaussprechliche Gabe!
R. W. D.

Anmerkung des Herausgebers

Aus vorstehender Antwort, der einzigen eingegangenen, die aber überzeugend ist, geht in Übereinstimmung mit der Schrift hervor, dass Gott nie Seine Worte bereut, wohl aber hier und da Seine Werke. Wir möchten an Hand der Schrift noch weitergehen und statt nur von der Unveränderlichkeit Seiner Worte lieber reden von der Seines Charakters, Seines Wesens: Er Selbst bleibt stets derselbe, Er ist der Unveränderliche (Mal. 3,6; Ps. 102,26.27; Hebr. 1,11.12; vergl. 2. Mose 3,14.15; Hebr. 13,8; Jak. 1,17 u. a.), darum sind auch die Kundgebungen Seines Geistes, also auch Seine Worte, unveränderlich. Wie köstlich ist das! Ja, wie gern hätten wir manches Wort nicht geredet, wie leicht kommen Verfehlungen unserer Zunge vor, wie ernst und wichtig für uns sind die die Zunge betreffenden Ermahnungen von Jak. 3! Bei unserem Gott dagegen ist alles vollkommen. Darum braucht Er Seine Worte nicht zu bereuen, weil Sein Wesen unveränderlich bleibt.

Wenn Er aber Seine Werke, vollzogene oder angedrohte, bisweilen bereut und zurücknimmt - so kann Er doch nicht vollkommen sein! - so wird von solchen, die Ihn nicht kennen, oft geurteilt. Aber man kann beim Betrachten der betreffenden Geschichten nicht sagen von Gott, wie man oft von einem Menschen sagt: „er musste das und das zurücknehmen, er hat sein Tun bereut, denn er befand sich im Unrecht oder Irrtum” usw. Gott tut nie Unrecht - Er ist der Heilige, Vollkommene, Gerechte; „niemand ist gut, als nur einer, Gott” (Lk. 18,19). Wer natürlich von vornherein das unumschränkte, vollkommene Gutsein Gottes nicht anerkennt, der wird in den Stellen, die von Gottes Reue reden, selbstverständlich einen „Beweis” finden für seine gotteslästerliche, gegenteilige Behauptung. Kinder Gottes, Kinder dieses Gottes, des heiligen, vollkommenen Gottes der Bibel, haben mit solchen Behauptungen nichts zu tun. Ihnen können aber gerade im Hinblick auf die heilige Vollkommenheit unseres Gottes Schwierigkeiten erwachsen infolge dieser Stellen. Ihnen, wie auch dem Einsender der Fragen, seien hier noch einige Worte gewidmet!
Was ist Reue? Leidwesen, Bedauern über eine Tat (oder Unterlassung), die man ungeschehen machen möchte. Der Hauptbestandteil bei der Reue ist nicht der Wunsch, die Tat ungeschehen zu machen, sondern die Trauer, die man im Blick auf dieselbe empfindet; jener Wunsch ist erst die Folge von der Trauer. Nehmen wir nun den Fall von 1. Mose 6,6! Gott bleibt in Seinem Wesen stets der gleiche, also auch in Seinem unveränderlichen Haß gegen die Sünde. Darin ändert Er Sich nie. Nun fielen die für Ihn geschaffenen Menschen von Ihm ab und in schreckliche Sünde. Da erfüllt das Herz Gottes Trauer (ebenso als Er sah, auf welchem Wege Saul ging). Gott ist doch nicht empfindungslos! Wäre Er nicht lebendig, wäre Er nicht persönlich, wäre Er unfähig gewesen, Sich wie Er tat in Christo (2. Kor. 5,19) - als vollkommener Mensch unter den von Ihm geschaffenen Menschen zu bewegen und mit ihnen zu fühlen (Hebr. 2,18; 4,15) -dann, ja dann wäre Er auch unfähig, Schmerz und Trauer beim Anblick der durch Satans Macht in Sünde gefallenen Menschheit zu empfinden. Dann aber hätte Er auch nicht Zorn empfinden können und keine andere Seelen- und Willensregung, es wäre ein unpersönlicher Gott, ein Gott, wie ihn verschiedene philosophische Unglaubenssysteme erfunden haben, es wäre nicht der Gott der Bibel. Der Gott, der Sich „geoffenbart hat im Fleisch” (1. Tim. 3,16), der Gott - Jehova, der schon Jahrtausende zuvor bei den ersten Menschen „im Garten” wandelte „bei der Kühle des Tages” (1. Mose 3,8), der die Tür der Arche „hinter Noah zuschloß” (1. Mose 7,16), der mit Mose auf dem Berge „redete, wie ein Mann mit seinem Freunde redet” (2. Mose 33,11) usw., der Gott, der uns Menschen so erschaffen hat, wie wir sind (ausgenommen die Sünde!) in Seinem Bilde, nach Seinem Geschlecht (Apg. 17,28.29), der kann auch empfinden wie wir, wenngleich Er als der Vollkommene nicht abhängig ist von Seinen Empfindungen, sondern frei über allem waltet. Ja, unser Gott fühlt, und zwar unendlich tiefer, reicher, reiner, inniger als wir; und was noch köstlicher ist: Er lässt es uns wissen! Er lässt uns durch diese Stellen vom Bereuen hineinblicken in Sein Herz, und Er zeigt uns zugleich, wie Er, der über allem steht und vor dem Anfang das Ende kennt und an allem mit Seiner ganzen Person teilnimmt, wie Er mit uns handelt: In dem Augenblick, als die Niniviten Buße taten, aIso ihr sündiges Leben änderten, in dem Augenblick änderte Gott Sein Verhalten gegen sie, nicht aber Sein Wort! Das behielt Gültigkeit, aber Sein augenblickliches Handeln wurde bestimmt durch das Verhalten der Menschen. Wie gnädig ist Er und barmherzig, langsam zum Zorn und groß an Güte, langmütig und freundlich (vergl. Joel 2,13; 2. Petr. 3,9 u. a.)! Gerade weil Gott unwandelbar ist in Seinem Wesen, deshalb muss in Ihm der Menschenkinder Sünde Schmerz hervorrufen, deshalb aber muss auch die Sinnesänderung der Menschen bei Ihm ein verändertes Verhalten auslösen - beides drückt die Schrift aus durch das uns Menschen am meisten zu Herzen gehende, weil dem menschlichen Verstehen am nächsten kommende Wort „Reue” und „bereuen”, und indem also Gott Selbst von Seiner Reue spricht, zeigt Er uns vielleicht am tiefsten Seine Gesinnung, Seine liebevolle Natur, kurz: Sein Herz! - „Dieser Gott ist unser Gott immer und ewiglich!” (Ps. 48,14.) Halleluja!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 4 (1916)