Die ersten beiden Kapitel der Bibel, aber auch zahlreiche andere Bibelteile befassen sich mit Aussagen zur Schöpfungsthematik. Alle Berichte ergänzen sich und vermitteln in ihrer Gesamtheit eine detaillierte Beschreibung des Schöpfungshandelns Gottes. Im Umgang mit der Bibel gibt es zwei generelle, nicht harmonisierbare Linien: eine bibeltreue und eine bibelkritische Haltung. Die Vorentscheidung für die eine oder andere Richtung geschieht nicht erst im NT beim Interpretieren der Auferstehung Jesu oder seiner Wunder; die Weggabelung für zwei völlig divergierende Arten von Schriftverständnis setzt bereits am Anfang der Bibel ein:
1. Bibeltreue Auffassung: Der Schöpfungsbericht nach 1. Mose 1 und 2 (wie auch alle sonstigen Teile der Bibel, die gemäß 2. Timotheus 3,16 unter göttlicher Anleitung verfasst wurden) ist nicht menschlich erdacht, sondern Gott selbst ist der Urheber dieser Information. Kein Mensch war Zeuge des Erschaffungshandelns Gottes, und so kann nur er uns durch Offenbarung mitteilen, wie und wie lange, in welcher Reihenfolge und nach welchen Prinzipien er geschaffen hat. In krassem Gegensatz dazu steht die folgende Leitidee:
2. Bibelkritische Auffassung: Hiernach ist der Schöpfungsbericht in die Teile 1. Mose 1-2a und 2,4b-2,25 aufzutrennen und verschiedenen menschlichen Autoren, dem Elohisten (junge Quelle) und dem Jahwisten (ältere Quelle), zuzuschreiben, die in eigener Überlegung über die Herkunft der Welt und des Lebens nachgedacht haben. Nach dem babylonischen Exil wurden die Einzelteile zu einem Sammelwerk vereinigt. Man legt Wert darauf, Widersprüche und unterschiedliche Entstehungszeiten in beiden Berichten zu finden, um diese Zwei-Quellen-Hypothese zu stützen. Als die beiden Hauptargumente werden genannt:
a) Die Berichte unterscheiden sich durch unterschiedliche Gottesnamen (Elohim, Jahwe).b) Die Texte widersprechen sich in der Reihenfolge der Erschaffung:
„Pflanzen – Tiere – Mensch“ im ersten Bericht und
„Mensch – Pflanzen – Tiere“ im zweiten.
Gegen diese beiden Stützen der bibelkritischen Hypothese sind gewichtige Einwände geltend zu machen:
Zu a): Gott offenbart sich in der Bibel als Vater, Sohn und Heiliger Geist mit mehr als 700 verschiedenen Namen (siehe auch Frage FG3), um uns seine zahlreichen Wesenszüge mitzuteilen. Unterschiedliche Gottesnamen verschiedenen Verfassern zuordnen zu wollen, – in Konsequenz der obigen Auffassung müssten es mindestens 700 sein – , ist eine willkürliche Unterstellung, die dem Gesamtzeugnis der Bibel nicht angemessen ist.
Zu b): Ab 1. Mose 2,4b beginnt nicht ein zweiter Schöpfungsbericht, der aus einer anderen Quelle stammt, sondern hier wird ein Detail, nämlich die Erschaffung des Menschen, ausführlich beschrieben. Es handelt sich um einen Parallelbericht zu 1. Mose 1 – 2,3 mit einer anderen Zielsetzung, und zwar dem leicht erkennbaren Aussageschwerpunkt „Wie, wo, in welcher Reihenfolge und in welcher Zuordnung zueinander und zum Schöpfer schuf Gott die beiden ersten Menschen?“ Auch bei anderen Berichten der Bibel finden wir die Erzählmethode, ein Ereignis zunächst chronologisch und im Überblick darzustellen und in einem zweiten Durchgang auf hervorzuhebende Details näher einzugehen. Es wird ausdrücklich gesagt (V8), dass Gott den Garten pflanzte. Das Anpflanzen eines Gartens setzt bereits geschaffene Pflanzen voraus. Nach dem Pflanzen „ließ der Herr aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume“ (V9); dies darf ebenfalls nicht mit einer Erschaffung der Bäume verwechselt werden. Die verwendeten Wörter „pflanzen“ und „aufwachsen“ sind im Gegensatz zu denen in 1. Mose 1 keine Schöpfungsverben, denn sie beschreiben Tätigkeiten, die von einem bereits vorhandenen Bestand ausgehen. Weiterhin ist die Interpretation von Vers 19 bedeutungsvoll: Betrachtet man diesen isoliert und leitet allein daraus eine Lehre ab (Verletzung von Auslegungsgrundsatz A4, siehe Anhang Teil II), so könnte man unterstellen, die Tiere seien nach dem Menschen erschaffen worden. Bedenkt man jedoch, dass 1. Mose 2,7-25 äußerst stark anthropozentrisch (auf den Menschen hin) ausgerichtet ist, dann wird klar, dass es auch hier in Vers 19 nicht mehr um den Zeitpunkt der Erschaffung der Tiere geht, sondern um den Test der geistig-sprachlichen Fähigkeiten es gerade geschaffenen Menschen, wie er Tiere benennt. Der Nebensatz will nur darauf hinweisen, dass auch die nun vorgeführten Tiere – bemerkenswerterweise werden die Feldtiere besonders erwähnt, die ja vom selben sechsten Schöpfungstag wie der Mensch stammen – ebenfalls aus des Schöpfers Hand hervorgingen. Diesem Hintergrundwissen wird man in der deutschen Fassung dadurch gerecht, dass der hebräische Grundtext von Vers 19 in zwei verschiedene Zeitformen übersetzt wird (Tiere bringen und benennen im Präteritum, der 1. Vergangenheitsform; Tiere erschaffen im Plusquamperfekt, der 3. Vergangenheitsform, hier kursiv gedruckt):
„Und Gott, der Herr, brachte alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels, die er aus dem Erdboden gebildet hatte, zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde“ (1 Mo 2,19).
Quelle: Aus dem Buch: "Fragen, die immer wieder gestellt werden", CLV Verlag, 1996