Werden alle Kinder Gottes den Herrn schauen?

Werden nicht alle Kinder Gottes den HErrn schauen? oder nur unter der Bedingung von Matth. 5,8 und Hebr. 12,14?

Antwort A

Mit „den HERRN schauen” meint der Fragesteller sicherlich das Den-HErrn-Sehen dann, wenn wir werden durch die Entrückung mit Ihm vereinigt sein und bei Ihm sein in der Herrlichkeit. Über diese wunderbare, vor uns liegende Sache - das Vereinigtwerden und Vereinigtsein mit dem HERRN in Seiner Herrlichkeit - gibt uns das Wort Gottes reichliche Belehrung. In Ev. Johannes 14,3 sagt uns der HERR, dass Er wiederkommen und uns zu Sich nehmen werde, auf daß, wo Er ist, auch wir seien, und Kap. 17,24 lesen wir wiederum, dass es Sein Wille ist, dass wir bei Ihm sein sollen, wo Er ist (auf dass wir Seine Herrlichkeit schauen). 1. Kor. 15 wird uns gesagt, wie wir dem Leibe nach dafür passend gemacht werden, dort zu sein, wo Er ist: Die Entschlafenen werden auferweckt werden in Unverweslichkeit, in Herrlichkeit, in Kraft - ein geistiger Leib -, und die Lebenden werden verwandelt werden (V. 42b-53). Phil. 3,21 sagt uns, dass wir dann einen Leib haben werden, der Seinem Leibe gleichförmig ist, den Er jetzt dort, wo Er ist, als der verherrlichte Mensch besitzt (wie auch Röm. 8,29 sagt: „Denn welche Er zuvor erkannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern”). Und 1. Thess. 4,15-17 zeigt uns, wie die Vereinigung mit Ihm geschehen wird: durch die Entrückung, nachdem unmittelbar vorher die Auferstehung der in Christo Entschlafenen (und die Verwandlung der Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des HERRN) vor sich gegangen sein wird. Nun ist die Frage: Wer hat daran teil? Welche Voraussetzungen hierfür zeigt uns das Wort Gottes? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Jeder, der Gott geglaubt hat und so unter die Wirkung des Opfers Jesu Christi gekommen ist. Das ist die Lehre des Wortes Gottes von Anfang bis Ende. Ist in einer der vorgenannten Schriftstellen oder sonstwo im Worte Gottes auch nur eine Andeutung dahingehend zu finden, dass das Teilhaben an der Entrückung und dem Vereinigtwerden mit dem HERRN in Seiner Herrlichkeit irgendwie von uns - unserem Zustand und Tun - abhängig gemacht wird? Nein, sondern es gründet sich ganz allein auf das Opfer und die herrliche Person unseres Heilandes Jesus Christus, ist also ein freies Geschenk der wunderbaren Gnade Gottes! Und darum ist es auch allen gegeben, die durch Glauben diese herrliche Gnade angenommen haben, ohne irgendwelche Ausnahme. Sie alle werden, wenn jener herrliche Augenblick gekommen sein wird, entrückt werden und bei dem HERRN sein! Und nun - darum haben wir obige Feststellung gemacht -: Ist es denkbar, dass irgendwelche von denen, die hiernach bei Ihm sein werden, wo Er ist, Ihn nicht sehen werden? Nein, das ist undenkbar! Hier auf der Erde zwar gibt es den Fall, dass infolge Blindheit ein Mensch den anderen, bei dem er ist, nicht sieht, aber in der Herrlichkeit wird es keine Blindheit oder irgendwelche - ja erst durch die Sünde in die aus Gottes Hand vollkommen hervorgegangene Schöpfung hineingebrachte - Unvollkommenheit mehr geben: Alle, die bei Ihm sein werden, werden Ihn auch sehen! Demnach ist unsere Antwort: Ja, alle Kinder Gottes werden den HERRN schauen!

Mt. 5,8 spricht nicht von dem Schauen des HERRN in der Herrlichkeit, sondern von dem Schauen Gottes. In bezug auf dieses aber - buchstäblich genommen - lehrt uns das Wort Gottes, dass der Mensch Gott nicht sehen kann: „Niemand hat Gott jemals gesehen” (Joh. 1,18); „... der allein Unsterblichkeit hat, der ein unzugängliches Licht bewohnt, den keiner der Menschen gesehen hat noch sehen kann ...” (1. Tim. 6,16). Und das ist ja auch selbstverständlich: Wie sollte Gott von uns - überhaupt von einem Geschöpf - gesehen werden können? Das Geschöpf - jedes - ist begrifflich gebunden, begrenzt (auch in der ewigen Herrlichkeit, so verschieden der Zustand dann von dem gegenwärtigen auch sein wird); Gott aber ist unbegrenzt. „Gott ist ein Geist”, sagt der Herr Jesus Joh. 4,24, womit Er bekunden wollte, dass Gott nicht den menschlichen Vorstellungen von Person und Ort unterliegt. Wenn Er sollte gesehen werden, könnte das nur sein in der Form irgendeines Seiner Geschöpfe; eine solche hat Er aber nicht; darum ist es vollkommen unmöglich, dass Er gesehen werden könnte, außer dass Er eine für Seine Geschöpfe wahrnehmbare Form annehme, wozu Er natürlich die Macht hat. Aber dann ist es eben nicht ein unmittelbares Schauen Gottes - das ist unmöglich -, sondern ein mittelbares, wie wir es im Alten Testament wiederholt finden (siehe 1. Mose 18,1.2ff. u. V. 22-33; 2. Mose 33,11a; 4. Mose 12,5.8 und andere Stellen) und wie es im Neuen Testament in der Person des Herrn Jesus uns in wunderbarster, vollkommener Weise vor Augen tritt: Er, der Sohn, war nicht nur die Offenbarung des Vaters, als Er hienieden war (siehe Joh. 1,18; 14,9-11), sondern Gott war in Ihm gegenwärtig (2. Kor. 5,19; Kol. 1,19), und Er wird auch in der Herrlichkeit in Ewigkeit Der sein, in welchem der unsichtbare Gott gesehen werden wird, was wir klar daraus ersehen, dass Er „das Bild Gottes” (2. Kor. 4,4), „das Bild des unsichtbaren Gottes” (Kol. 1,15) genannt wird. Das Wort sagt uns also klar, dass wir Gott Selbst nicht sehen können, in bezug auf den HERRN aber sagt es uns. „... wir werden Ihn sehen, wie Er ist” (1. Joh. 3,2). Gott Selbst kann nicht gesehen werden, aber Er hat in Seinem geliebten Sohne, unserem verherrlichten HERRN und Heilande, uns Sein Bild gegeben! Wie wunderbar ist das! Wenn nun Mt. 5,8 gesagt ist: „... sie werden Gott schauen”, kann das nach dem, was wir vorstehend festgestellt haben, entweder nur in abstrakter (nicht buchstäblicher, sondern bildlich angewandter) Weise oder in der vorstehend eben erklärten (mittelbaren) Weise gemeint sein. Das letztere kommt dem Zusammenhange nach - es werden hier die Charakterzüge derer gezeigt, die auf das „Reich der Himmel” warten, und dieses ist nicht droben in der Herrlichkeit, sondern hat seinen Platz auf dieser Erde, wie Mt. 13,24-50 klar zeigt - nicht in Frage, sondern nur das erstere: Die, welche reinen Herzens sind, sind glückselig, weil sie dadurch in einem inneren Zustande sind, in welchem sie Gott gleichsam persönlich fühlen, wirklich erleben, Gemeinschaft mit Ihm haben (wie dies im menschlichen Leben der Fall ist, wenn wir in der Gegenwart einer Person weilen, die wir hochschätzen und lieben). Es ist nicht nur das Bewußtsein Seiner Gegenwart, sondern mehr - ein Genießen Seiner Person, wie Er Sich uns geoffenbart hat; das drückt das Wort „schauen” aus! Es ist also etwas, was wir hier auf der Erde, jetzt, erfahren dürfen und sollen, und spricht nicht von dem, was droben, in der Herrlichkeit, einst sein wird. -

In Hebr. 12,14 beziehen sich die Worte „ohne welche niemand den HERRN schauen wird” auf das Schauen des HERRN in der Herrlichkeit, aber es soll in diesem Verse uns keineswegs gesagt werden, dass wir dadurch, dass wir „dem Frieden mit allen und der Heiligkeit nachjagen”, uns etwa dafür passend machen, den HERRN zu schauen, sondern der Vers zeigt uns, was zur Verwirklichung des im vorhergehenden Verse Gesagten notwendig ist: dass wir mit allen in Frieden sind und ein Leben der Heiligkeit - des „Geheiligtseins” - führen, und ermahnt uns, nach diesem mit ganzem Herzen und allem Ernst zu trachten („jaget nach”!). Wenn es dann weiter heißt: „ohne welche niemand den HERRN schauen wird”, wird damit das Wesen dieser Heiligkeit gezeigt: dass sie eine unerläßliche Eigenschaft aller derer ist, die den HERRN schauen werden - also mit zu dem gehört, was die Seinen passend macht, dort zu sein, wo Er ist! Dazu können unsere Anstrengungen nichts beitragen, sondern es ist das freie Geschenk Seiner wunderbaren Liebe und Gnade in Christo Jesu (Eph. 1,6). In Ihm sind wir bereits „Geheiligte” und „Heilige” (siehe Joh. 17,19; Röm. 1,7; 1. Kor. 1,2; 2. Kor. 1,1 usw.). Darum kann die Aufforderung, der Heiligkeit nachzujagen, nicht bedeuten, dass wir sie durch unsere Anstrengungen zu erlangen suchen sollen, sondern sie kann nur bedeuten, dass wir diese Heiligkeit, die wir in Christo vor Gott bereits besitzen, in unserem Leben mit allem Ernst praktisch zu verwirklichen suchen sollen! Wohl werden wir darin immer unvollkommen sein und hinter dem Ziel Gottes mit uns zurückbleiben, aber unser Herz sollte allezeit auf dieses Ziel entschieden gerichtet sein! In welchem Maße wir dies tun, wird einst offenbar werden, und je nachdem wir es getan haben, wird unser Lohn sein. Es werden darin große Verschiedenheiten sein, aber den HERRN schauen werden trotz dieser Verschiedenheiten alle Erlösten, denn alle besitzen diese „Heiligkeit”, weil sie Ihn besitzen, der Sich für sie hingegeben hat, in dem sie eine neue Schöpfung sind, der Sich Selbst für sie geheiligt hat. Die Menschen, welche den HERRN nicht schauen werden, weil sie die „Heiligkeit” nicht besitzen, sind keine Erlösten; solche können aber auch gar nicht „der Heiligkeit nachjagen”, weil ein Mensch dies erst dann kann, wenn er Leben besitzt; ohne dieses weiß er auch gar nichts von dieser Heiligkeit, so gelehrt und so religiös er auch sein mag. Aber der Gläubige weiß von dieser Heiligkeit und besitzt sie, kann und soll ihr „nachjagen”, indem er sie in seinem täglichen Leben zu verwirklichen sucht, und wird einst „den HERRN schauen”!

Wenn wir mit Vorstehendem den ersten Teil der Frage mit Ja und den zweiten Teil mit Nein beantwortet haben, weil das Schauen des HERRN etwas ist, was ganz allein auf Seiner Gnade beruht, so möchten wir doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass das in Mt. 5,8 und Hebr. 12,14 Gesagte uns nie wichtig genug sein kann! Wir haben schon erwähnt, dass der Lohn, den wir einst empfangen werden, dadurch bestimmt werden wird, wie wir uns in unserem Leben praktisch zu diesen Dingen gestellt haben, denn nur insoweit konnten und können wir etwas tun, was eines Lohnes wert ist, als wir reines Herzens gewesen sind und dem Frieden mit allen und der Heiligkeit nachgejagt haben. Aber auch schon jetzt, in unserem Leben hienieden, geht uns viel verloren, wenn wir darin lässig waren. Darum lasst uns sorgfältig darauf achten, dass wir ein reines Herz haben, und mit aller Entschiedenheit dem Frieden mit allen und der Heiligkeit nachjagen! Tun wir das, dann verdienen wir uns zwar nicht dadurch das, was Gott uns in Seiner unendlichen Liebe aus freier Gnade schenkt, aber wir haben dadurch großen Segen schon hier und herrlichen Lohn einst in der Ewigkeit!
Th. K.

Antwort des Schriftleiters

Vorstehende Antwort, die meine vollste Zustimmung findet, wird vielleicht einigen Lesern befremdend sein vor allem in der Behandlung der ersten Stelle. Denn es wird viel davon geredet, dass ein reines Herz die Vorbedingung für das Schauen Gottes in der Herrlichkeit ist, und das sogar von lehrenden Brüdern, denen man solche Unklarheiten eigentlich nicht zutrauen sollte. Daraus entsteht dann gar leicht die (grundfalsche) Auffassung von der Elite- oder Auswahlentrückung, von der in der Schrift aber nicht nur nichts zu finden ist, die vielmehr die Dinge geradezu auf den Kopf stellt. Das zeigt obige Antwort auch, aber die Meinung ist so weit verbreitet, dass man sie gar nicht ernst genug abweisen kann. Die Entrückung ist doch - gleichlaufend und auf gleicher Stufe mit der Erlösung unseres Leibes (Phil. 3,20.21) - die Frucht der Gnade Gottes; wäre es nicht so, so wäre die Erlösung von Seele und Geist wohl von der Gnade abhängig, aber zu der des Leibes genügte die Gnade nicht, da müßte der Mensch mitwirken! Aber der Mensch ist ein unteilbares Ganzes von Leib, Seele und Geist, und so gut letztere durch die Gnade erlöst sind, so gut ersterer, wenn auch der Zeit nach die völlige Erlösung des Leibes später in die Erscheinung tritt als die von Seele und Geist, und das hat ja auch seine guten Gründe, da im Leibesleben die Bewährungszeiten durchgemacht werden müssen, die dann den Lohnempfang vorbereiten. (2. Kor. 5,10; Off. 22,12)

Das „Schauen Gottes” ist, wie in Antwort A gezeigt, etwas anderes als das Sehen des HERRN in Seiner Herrlichkeit. Freilich darf man nicht allzuviel Gewicht auf das deutsche Wort „schauen” legen, denn das betr. griechische Wort bedeutet ebensogut „sehen” und ist so auch in vielen anderen Stellen übersetzt, wo „schauen” nicht so sehr am Platze wäre, man vgl. z. B. Mt. 24,30; 26,64; Joh. 3,36; 16,16.22; 19,37; Apg. 2,17; 18,15; 20,25 u. a. Man kann natürlich auch „schauen” sagen, aber das Wort „Schauen” ist doch, wie Antwort A sagt, mehr eine Art von Genießen dessen, was man sieht, also „schaut”, in unserem Falle ein Genießen der Person des HERRN (Hebr. 12,14) oder Gottes (Mt. 5,8). Tatsächlich sagen die meisten Übersetzungen ja auch „Gott schauen” und legen so der Stelle eine andere Bedeutung bei, als wenn sie sagen würden „Gott sehen”.

Die Schwierigkeit der Stelle Mt. 5,8 liegt mehr in dem Gegensatz gegen Stellen, die eben mit Gottes Ausspruch ein unsererseits-Gott-Sehen-Können für unmöglich erklären; obige Antwort gibt solche Stellen an; man lese dazu aber auch 2. Mo. 33,20! (Vgl. darüber auch Jahrb. 1, Frage 28, und Jahrb. 3, Frage 17) Demgegenüber aber gibt es auch wieder wunderbare Stellen, die von einem „Schauen Gottes” im Alten Testament so deutlich reden, dass wir gezwungen sind - da wirkliche Widersprüche in der Schrift nicht vorhanden sind! -, in diesem „Schauen” eben doch etwas anderes als ein buchstäbliches Sehen zu erblicken. Solche Stellen sind z. B. 1. Mose 32,27-31 (V. 28.30: „Gott”) und 2. Mose 24,9-11! (V. 10.11 „Gott”) übrigens ist in dieser Stelle nicht Gott beschrieben, sondern der Ort, darauf Er stand - also schon diesen zu schauen war gleichsam wie ein Schauen Gottes! Auf solche Stellen, wie oben genannt, wo wir Gott schauen in Seinem Sohne oder im „Engel des Bundes” u. dgl., gehe ich nicht mehr ein, ebensowenig wie auf solche vom „Sehen des HERRN”. Es ist ja auch für unser geistliches Empfinden leichter, das Schauen des HERRN, der Mensch ward um unsertwillen, uns vorzustehen als das Schauen Gottes, des Dreimalheiligen!

Aber aus solcher Stelle wie 2. Mose 24,9-11 geht m. E. klar hervor, dass das Schauen Gottes, wie Antwort A sagt, wie ein inneres Genießen Seiner Person ist. Aber wenn nun behauptet würde, gerade das hätten wir doch in der Herrlichkeit zu erwarten, und somit bezöge sich Mt. 5,8 doch auf diese, so möchte ich an die lieben Leser die Frage stellen, mit welchem Rechte sie dies eine Stück aus der Reihe von neun Glückseligkeiten herausnehmen, um es auf die zukünftige Herrlichkeit beim HERRN zu deuten, während doch die Verheißungen aller anderen acht sich auf die Segnungen im „Reiche der Himmel” beziehen, das, wie Antwort A sagt, seinen Platz auf dieser Erde hat (vgl. des Verf. Aufsatz in Jahrb. 14, Seite 30ff.). Nein, die köstliche Verheißung, Gott zu schauen, die denen „reinen Herzens” zugesprochen wird, kann m. E. nach allem Gesagten sich „nur” auf Segnungen, die hienieden genossen werden, beziehen. Der Schreiber des apokryphischen Buches Tobias hat in dem bekannten Wort „Dein Leben lang habe Gott vor Augen und im Herzen usw.” (4,6) ähnliches als möglich ausgesprochen und offenbar zu erleben getrachtet. Es gibt eine innere Schau Gottes, die dem reinen Herzen Glückseligkeit vermittelt, und nur ein solches Herz, in dem Böses und Unsauberes keinen Platz hat, kann solchen Schauens teilhaftig werden, das sein Inneres erquickt. Das steht in Wechselbeziehung. -

Wir müssen uns nun alle fragen, ob wir diese Gluckseligkeit genießen oder ob wir kein reines Herz haben, sondern Böses darin beherbergen, so dass eine Scheidung zwischen Gott und uns da ist. (Jes. 59,2!!) Einige Psalmstellen zeigen uns auch diese innere Verbindungslinie zwischen dem reinen Herzen und der Gemeinschaft mit Gott. Ps. 24,3-6 (V. 5 „Gott”); Ps. 51,6-18 (10!); 73,1! Wie deutlich reden diese Worte, wenn auch alttestamentlich! Das Herz steht für Willen und Beweggründe - ist unser Herz ungeteilt? Wandeln wir in Unvermischtheit? Wenn „ja”, so haben wir innere Gemeinschaft mit Gott und genießen Seine Ströme der Wonne und freuen uns Seiner Nähe, wenn „nein”, so sind wir auch Kinder Gottes, die einst, und wer weiß wie bald, den HERRN schauen werden, aber wir wissen nichts von jener Glückseligkeit zu rühmen, unser Leben ist schal und leer, und über den Lohn solches Lebens steht etwas in 1. Kor. 3,15! Gott bewahre uns davor!

Die Auslegung der zweiten Stelle scheint mir sehr wichtig. Ich erinnere mich, wie ich einst in einer großen Gemeinde die Stelle ebenso ausgelegt hatte und nachher Brüder zu mir traten, die mit einem Aufwand vieler Worte, die schließlich sehr ungehalten klangen, mich zu überzeugen suchten von der Falschheit meiner und der Richtigkeit ihrer Anschauung, der zufolge unser Schauen des HERRN nur von unserem Jagen nach der Heiligkeit abhängig sei(!!). Ich sagte ihnen, wie furchtbar das sei und in was für ein unnüchternes „Jagen” man dann hineinkäme und wie schließlich Fleischesheiligung oder auch Sündlosigkeitsbestrebungen - beides gleich verwerflich! - die Folgen solchen Mißverstehens dieser einfachen und so schönen Stelle seien, aber sie ließen sich nicht bekehren; hoffentlich denken sie heute anders!

Jaget nach”, kann auch wiedergegeben werden mit „strebet nach” (so Elberf. in 2. Tim. 2,22, wo übrigens auch vom „reinen Herzen” die Rede ist!). Dieses „Streben” und „Nachjagen” ist höchst wichtig im Blick auf V. 13 und 15. Als Gläubige sind wir in der Stellung des „Geheiligtseins” in Christo Jesu, aber unser praktischer Zustand, unser Wandel und Verhalten kann darin mangelhaft sein, indem wir nicht tun nach V. 15 und womöglich Ähnlichkeit haben mit Esaumenschen (vgl. Jahrb. 17, Frage 8). Dabei aber ist die Heiligkeit oder das Geheiligtsein die Bedingung für das Schauen des HERRN, und in dem Maße, wie uns dieses eine köstliche Aussicht ist, werden wir danach streben, unser Geheiligtsein, d. h. unsere Absonderung von der Welt, vor ihr auszuleben. Es ist also ganz anders, als jene Brüder meinen: sie sehen in unserem Streben nach Heiligkeit oder Geheiligtsein die Grundlage für unser Schauen des HERRN (wie unsicher wäre dann letzteres für uns!!), während die Stelle der Schrift sagt, dass das Geheiligtsein die Bedingung für das Schauen des HERRN ist - und da ist uns letzteres sicher, und auch für das subjektive, persönliche Streben haben wir erst die rechte Möglichkeit in der objektiven, von Gott aus bestehenden Tatsache unseres Geheiligtseins. Warum nun aber das Streben, das Nachjagen, das praktische Darinleben? Nach dem Zusammenhang: der Gemeinschaft mit anderen und mit dem HERRN wegen, um anderen zu helfen, ihrer Stellung gemäß zu wandeln und nicht matt zu werden. Ein nicht von Gott und für Gott Geheiligter = Abgesonderter kann nimmermehr den HERRN schauen - welch ein Antrieb für uns, praktisch zu offenbaren, wer wir sind durch Seine Gnade, die uns für Ihn abgesondert hat! Noch einmal: wie gut, dass das Schauen des HERRN nicht von unserem Jagen und Tun abhängig ist, sondern von Seinem Getanhaben! Denn wer könnte je sagen, er hätte „genug getan”, um nun zu wissen, dass er Ihn sehen würde? Und wissen wir das etwa nicht? Ja, gepriesen sei Gott, das wissen wir! (1. Thess. 4,17 usw.)

Zusammengefaßt also nochmals: Ja, alle wahren Kinder Gottes werden - geistlicherweise - Gott schauen, erleben ihn innerlich, genießen die Glückseligkeit Seiner Gemeinschaft, sofern sie „reinen Herzens” sind, und die Bedingung von Hebr. 12,14 ist keine unseres „Jagens”, Rennens und Laufens, also unseres Tuns, sondern der Heiligkeit und des Geheiligtseins in Christo Jesu, das in Ihm uns zuteil geworden ist; aber unser Nachjagen und Streben nach diesem Geheiligtsein ist die geistliche Folge unseres Besitzes desselben, um auf diese Weise uns selbst und anderen zu helfen, einen freudigen Ausblick auf das baldige Schauen des HERRN.zu haben - und das alles zu Seiner Ehre! Amen.
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 18 (1933)