Wer sind die „Ersten“ und „Letzten“?

Wer sind die „Ersten“ und „Letzten“ nach Matth. 19,30; 20,16a und Luk. 13,30?

Antwort

Die Ausdrücke „Erste” und „Letzte” finden ihre Ursache in der Fragestellung des Petrus in Mt. 19,27. Diese nun wiederum wurde angeregt durch die Aussprache des HERRN mit dem reichen Jüngling. Wir finden in dem Verhalten dieses Jünglings und der Jünger Jesu Gegensätze. Ersterer zog den irdischen Reichtum dem himmlischen Schatz vor. Seine Habsucht ließ keine Entscheidung für eine Nachfolge Christi aufkommen. Letztere aber hatten „alles” verlassen, um einen himmlischen Schatz zu haben. Nur war bis jetzt für das Auge kein Unterschied zu sehen bezügl. des Lohnes für ihre Treue. Als Angehörige des Judentums waren sie gemäß der Belehrung der Schrift auf irdische Segnungen gewiesen. Galten doch diese als Lohn für das Halten der Vorschriften des Gesetzes (5. Mose 28). Es bedurfte darum der liebevollen Unterweisung des HERRN, ihre Augen hinzulenken auf das „Erbe des ewigen Lebens”. Etwas ganz Neues für sie! Vom Schauen sollten sie zum Glauben kommen. Nur der Glaube allein vermag den himmlischen Schatz zu erblicken, der für die Erlösten dort aufbewahrt ist. Das Kostbarste jedoch ist Er Selbst, der Friede unserer Seelen. Somit können wir wohl den Petrus in seiner Frage verstehen: „Was wird uns werden?

Nun einige Andeutungen über die Frage selbst! Die Worte „Erste” und „Letzte” können als Schluß der Antwort des HERRN an Petrus aufgefaßt werden. Dann aber wären sie m. E. nicht so recht verständlich. Darum finden wir eine Erklärung in den folgenden Versen 20,1-16. Heißt es doch dort am Schluß wiederum: „Also werden die Letzten Erste, und die Ersten Letzte sein”. In diesem Gleichnis finden wir in V. 1 als erstes „Das Reich der Himmel ist gleich einem Hausherrn ...” Das Wörtchen „gleich” besagt, dass es eine andere Gestalt angenommen hat, als in welcher dieses Reich eigentlich ursprünglich gedacht war. Dieses „gleichgeworden” finden wir zum erstenmal in Mt. 13. Dort sind die Geheimnisse dieses Reiches (nur) den Seinen offenbart. Zu Israel als Volk aber redete Er in Gleichnissen. Warum? Sein Kommen in Gnade wurde gering geachtet. Alles andere sah man in Ihm, nur nicht den Messias.

Seine Handlungen oder Werke der Wahrheit und Liebe wurden Beelzebub zugeschrieben (Mt. 12), nicht aber der wirksamen Kraft Gottes. Der Zustand des Volkes und seiner Führer trug einen bewußt bösen Charakter. Somit war der Eintritt des Friedensreiches verwehrt. Darum finden wir seine nunmehrige Gestaltung in Gleichnisform beschrieben. Matthäus erwähnt das Reich der Himmel 32mal. Lukas erwähnt mehr das Reich Gottes, auch 32mal. Matthäus zeigt mehr die äußere, d. h. die Seite der Verwaltung, und Lukas die innere, sittliche. Beide Arten jedoch sind ineinander verschmolzen. Also handelt es sich in diesem Gleichnis nicht um Belehrung, sondern um Verwaltung. Der Sinn oder Grundgedanke in demselben ist die Vorstellung des HERRN als in Güte handelnd. Das Ergründen der genannten Stunden z. B. würde nur ablenken. Beachtenswert dagegen sind die zu verschiedener Zeit ausgesandten Personen und ihre Handlungsweise dem Hausherrn gegenüber. Hervorgehoben sind eigentlich nur zwei Klassen, obwohl mehrere ausgesandt waren. Bei ersterer sehen wir ein Übereinkommen in dem Tagelohn von 1 Denar. Letztere jedoch wurden gedungen ohne eine feste Abmachung. Sie mußten sich auf die Güte ihres Dienstherrn verlassen. Bei der Auszahlung des Lohnes nun zeigt sich der große Unterschied. Erstere meinten auf Grund ihrer ganzen Tagesarbeit gegenüber letzteren mehr empfangen zu müssen. Erinnert uns dies nicht an Israel?! Sie waren gedungen worden von Jehova unter dem Gesetz. Dieses unterwies über die „Forderungen” Gottes und über den „Lohn”, Der Inhalt des Gesetzes ist: „Der diese Dinge getan hat, wird durch sie leben” (Gal. 3,12), Hatte nun Israel dieses „Leben” erlangt? Niemals! Röm. 4,4 spricht: „Dem aber, der wirkt, wird der Lohn nicht nach Gnade, sondern nach Schuldigkeit zugerechnet”. „Wer aber in Einem strauchelt, ist des ganzen Gesetzes schuldig” (Jak. 2,10). „Aus Gesetzeswerken wird niemand gerechtfertigt!” (Gal. 2,16.) Dieses Verhältnis Israels zum Gesetz sollte sein Ende finden in dem Kommen des HERRN als ihres Erretters. Da sie diesen aber verwarfen, konnte ihnen der Lohn nur nach dem von ihnen vielfältig übertretenen Gesetz ausgezahlt werden, und das ist der Fluch, unter welchem sie heute noch stehen!

Der Grundsatz der um 11 Uhr Gedungenen spiegelt sich in den Worten: „Die Barmherzigkeit rühmet sich wider das Gericht” (Jak. 2,13), und Röm. 4,5: „Dem aber, der nicht wirket, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet”. Solche waren die Jünger, und solche sind die, die sich aus Gnade retten lassen. Prophetischerweise sehen wir in den fraglichen Ausdrücken Israel und die Nationen. Durch das Blut ist ein neuer Bund errichtet worden, nicht mit uns, sondern wir genießen im voraus die Segnungen dieses Bundes. (Vgl. Jahrb. 10, Frg.14 u. Frg. 3 ds. Js.! F. K.) Somit sind die Heiden die Ersten geworden und Israel die Letzten. Durch den Fall der Juden ist den Nationen Heil geworden (Röm. 11). Wenn wir unsere Stellung betrachten, so ist unser Dienst nicht um Lohn, sondern aus Liebe. Der HERR wird trotzdem einem jeden geben, was recht ist (in Seinen Augen!), als Anerkennung. Wo jemals in bezug auf uns Lohn erwähnt ist, so nur der Ermunterung wegen, niemals als Grund für unseren Dienst. Aber auch Israel wird einmal zurechtkommen; nachdem es den Lohn für sein frevelhaftes Verhalten dem Messias gegenüber erhalten hat. Dann werden sie die Stelle der „Letzten” einnehmen bezüglich der Segnungen. Somit empfing Petrus eine kostbare Antwort auf seine Frage. Uns aber bleibt nur übrig, die Güte des Hausherrn zu rühmen. Nicht ungläubige Fragen, sondern Vertrauen ehrt den HERRN!
W. Wst.

Anmerkung des Schriftleiters

Mehrfach ist dieser Gegenstand in früheren Tagen mitbehandelt worden, besonders in Jahrbuch 1, Frg. 7; aber das ist lange her, und mancher Leser heute mag jenes (in vieler Hinsicht grundlegende) Jahrbuch nicht haben und sich auch nicht mehr aneignen können - somit ist es gut, dass obige der eben genannten ähnliche Frage hier gründlich und klar behandelt ist! - Auch über die „Lohnfrage” ist früher eingehend geschrieben worden: Jahrbuch 3, Frg. 27! Vgl. auch die eben behandelte Frage 15! Nun noch ein paar Winke über die drei Stellen! Wenn alle drei auch sicher den gleichen Grundgedanken haben, wie es oben ausgeführt ist, so unterscheidet sich der Wortlaut der Stellen doch bemerkenswerterweise etwas voneinander, und ich glaube, wir sollten auch dies beachten!

In der 1. Stelle, am Schluß der Antwort an Petrus (Mt. 19,30), heißt es: „Aber viele Erste werden Letzte, und Letzte Erste sein”.
Dagegen lautet die 2. Stelle am Schluß des Gleichnisses (Mt. 20,16): „Also werden die Letzten Erste, und die Ersten Letzte sein”.
Und in der 3. Stelle (Lk. 13,30) wird gesagt: „Und siehe, es sind Letzte, welche Erste sein werden, und es sind Erste, welche Letzte sein werden”.
In der 1. Stelle handelt es sich um einen Gegensatz („aber”); in der 2. ist vor allem die Reihenfolge umgedreht und mit dem „also” die Anwendung des Gleichnisses eingeleitet; in der 3. Stelle ist die Tatsache des Verses 30 gleichsam eine Vertiefung von dem in V. 26-29 Gesagten.

Die 1. Stelle soll uns vielleicht sagen, dass nicht alle Erste ihren Platz mit den Letzten vertauschen müssen, gehörten doch die Jünger selber eigentlich auch zu den Ersten, d. h. Erstberechtigten, zu Israel! Aber wenn auch nicht alle, so doch viele werden ihr erstes Vorrecht verscherzen. Doch, wenn auch von „vielen Erstens” die Rede ist, so doch nicht auch von „vielen Letzten”; das zweite Glied spricht mehr einen Grundsatz aus, ohne die Letzten näher zu bezeichnen. Grundsätzlich werden die Nationen den Platz der „Ersten” einnehmen dann, wenn es sich darum handelt, um des Namens des HERRN willen alles zu verlassen, während „viele Erste”, von denen man dies hatte erwarten können, darin untenanstehen werden - aber der Grundsatz, der allen das Tor öffnet zu dieser Bevorzugung, wird - geschichtlich, tatsächlich - von nicht vielen verwirklicht, wie die Gegenwart zeigt! Welche Gnade „aber”, zu denen gehören zu dürfen, die um Seines Namens willen irgend etwas von dem in V. 29 Genannten verlassen haben! Hundertfältig wird der Lohn sein! Verwirklichen wir den Grundsatz, geliebte Geschwister?

In der 2. Stelle ist, wie schon erwähnt, die Reihenfolge geändert, und das ist doch sicher sehr bemerkenswert. Der Blick des HERRN ruht bei der Anwendung des Gleichnisses auf den so hochbegnadigten Letzten, die nichts zu erwarten hatten und dabei in Wirklichkeit mehr als irgendein anderer bekommen haben. Hier stehen „die” Letzten und „die” Ersten sich scharf gegenüber. Nicht der Grundsatz der Verwaltung wird betont, sondern der tatsächliche Verlauf derselben wird beschrieben. „Die” Letzten - ich und du, wir armen Heiden, schon errettet nur aus Gnaden - bekommen einen Lohn aus Güte, der „die” Ersten, welche Letzte sein werden (schon jetzt), zur Eifersucht reizt. Wie trat das doch schon in der Apostelgeschichte zutage! Aber wie tief sind doch Gottes Gedanken: dürfen wir von dieser jüdischen nationalen Eifersucht, diesem bösen Scheelsehen, nicht eine Linie hinüberziehen nach Röm. 10,19 und 11,11-15? (Nur eine Frage!)
Wenn der große Tag erscheint, da Er Seinen Lohn austeilt, mit dem Seinigen tut (V. 15), was Er will, dann werden auch die Ersten, welche Letzte sein werden, weil sie ihr gottgeschenktes Vorrecht verscherzt haben, Ihn preisen lernen, der auf Golgatha die Bürgschaft dafür geleistet hat, dass Güte und Wahrheit sich begegnen - Gerechtigkeit und Friede sich küssen konnten (Ps. 85,10). So kann jedem ein Lohn nach Güte, nicht nach Verdienst zuteil werden. Denn „wo ist der Ruhm? Er ist ausgeschlossen”! (Röm. 3,27.) Das gilt auch hier. Keiner vermöchte sich eines Lohn verheißenden Dienstes zu rühmen: die Letzten nicht, die nur eine Stunde gearbeitet haben, und die Ersten nicht, weil ihr Dienst nie das gewesen war, was er hätte sein sollen! Denn Israel unter Gesetz war ein widerspenstiges Volk!
lasst uns in Treue arbeiten, Brüder und Schwestern, solange es Tag ist, und wenn wir auch erst spät in die Arbeit eintraten als „die Letzten”, die bei „den Ersten” kein Ansehen genießen - tut nichts: wir haben einen HERRN, der gütig ist! Welche Gnade, Ihm dienen zu dürfen, angeworben von Ihm Selbst! lasst uns trachten, „dem zu gefallen, der uns angeworben hat” (2. Tim. 2,4)!

Die 3. Stelle (Lukas-Evangelium!) steht in dem ernstesten Zusammenhang! Hier handelt es sich nicht um Treue in der Absonderung wie in der ersten, nicht um Verwaltung, Dienst und Lohn wie in der zweiten, sondern hier ist von drinnen und draußen - von „In-dem-Reich-Gottes-sein” und „Draußen-hinaus-geworfen-sein” die Rede - davon, von dem Hausherrn gekannt oder nicht gekannt zu sein - von Errettet- oder nicht Errettetsein (V. 23)! Hier sind die Worte V. 30 wieder grundsätzlich angewandt und zugleich als ernstlich zu beachtende Tatsache („siehe!”), die den Versen 26-29 eine schwerwiegende Betonung gibt. Wie furchtbar traf der Herr Jesus, der untrügliche Mund der Wahrheit, das fromme, aber daher Ihn verwerfende Judentum mit Worten wie V. 28!! Was, sie sollten Übeltäter sein (V. 27)?! und sie, die stolz waren, sich „Söhne Abrahams” nennen zu dürfen (Joh. 8) - sie sollten nicht mit den Patriarchen („ihren Vätern”!) und den Propheten im Reiche Gottes sein?! Und statt dessen würden „sie kommen von Osten und Westen und von Norden und Süden” und dabei sein? (V. 29.) Wenn nicht sie, die Juden von weither, gemeint waren - und daran ist nach diesem Worte von Palästina aus gesehen nicht gedacht -, wer waren die Kommenden dann? O, „Mühselige und Beladene” (Mt. 11,28) aus allen Himmelsrichtungen, zunächst solche, welche die Juden als Feinde ansahen: aus Osten Babylonier, aus Westen Griechen und Römer, aus Norden Assyrer und aus Süden Ägypter - und dann Völker, aus diesen und nach ihnen entsprossen, wobei Germanen und Romanen und Slaven und Türken und Chinesen und Japaner und Hottentotten und Papuas und Neger und Mulatten und Indianer und wer sonst noch - alle, alle, alle -, ja wahrlich „siehe”: lauter„Letzte” - und wir sind „Erste” geworden (Preis sei Gott!), und wir begnadigten Letzten, wir harren der Zeit, da Erste wenigstens noch Letzte werden möchten! Und wir sehen aufsteigendes Morgenrot im Osten und wissen: nicht mehr lange, und Sein altes Bundesvolk Israel wird Seinen Messias erkennen und Ihm huldigen. Sel'ge Zeit, o wärest du schon dal - Aber beachten wir wohl („siehe”!): grundsätzlich sind diese Worte V. 30! Es heißt nicht die Letzten, die Ersten! Es sind nur etliche aus den einen wie aus den anderen, die jetzt und dann errettet werden, nicht alle Letzten, nicht alle Ersten! Die Errettung ist grundsätzlich für alle Letzten heute, und für alle Ersten dann, aber sie ist doch wiederum nur persönlich heute für die durch die enge Pforte Gehenden (V. 23.24!) und dann für die, trotz Antichrist und Trübsalszeit, ja gerade in ihr, ihren Messias Erkennenden und Annehmenden (V. 35): die Auserwählten (vgl. z. B. 18,7)!

Wollen wir, die Erretteten von heute, wir „Letzten”, die schon jetzt „Erste” geworden sind - einst wird es herrlich in die Erscheinung treten, dass wir, die wir zur „Gemeinde der Erstgeborenen” gehören (Hebr. 12,23), wahrlich Erste sind - ich sage: wollen wir als so hoch Begnadigte uns nicht noch viel treuer beweisen und zu bewähren trachten in diesem dunklen Zeitlauf, aus dem wir sittlich herausgenommen sind (Eph. 2), damit noch manche „Letzte” aus den Nationen zu „Ersten” werden und unser HERR und Heiland schon jetzt hoch gepriesen werde?!

Siehe, Letzte sind Erste geworden - welche Gnade und Herrlichkeit! Hoch erhoben sei dafür der Name Christi Jesu, unseres HERRN, ewiglich!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 12 (1927)