Wer ist so blind, als nur mein Knecht

Von wem spricht der Prophet Jesaja im Kap. 42,19: „Wer ist so blind, als nur mein Knecht usw.“?

Antwort A

Durch Würdigung der Worte in Kap. 43,8: „Führe heraus das blinde Volk, das doch Augen hat, und die Tauben, die doch Ohren haben,” und auch derer in Kapitel 43,1 und 10, vgl. Kapitel 43,10: „Ihr seid Meine Zeugen, spricht Jehova, und Mein Knecht, den Ich erwählt habe usw.”, dürften Lichtstrahlen auch auf die hier in Rede stehende Stelle fallen.

Der Prophet spricht von dem Volke oder, richtiger, zu dem Volke als zu einer Person im Zusammenhang in verschiedener Weise:
1. bekommt es (das Volk) einen Verweis (V. 18-20), 2. weist er es auf die Erlösung hin (Kap. 43,1-7), und 3. ermuntert er es zum Glauben und Vertrauen auf ihren Erlöser (Kap. 43,8-13).

In Vers 16 schon hat der Prophet das Volk, welches der HERR erlösen wird, als „Blinde” bezeichnet, weil es die Wege Gottes zu seinem Heile nicht erkannte. Er nennt es auch „Taube”, weil es Gottes Wort hört und seinen Sinn nicht vernimmt. Dann muss in Vers 19, der hier in Rede stehenden Stelle, der HERR noch weiter klagen, und zwar wieder über Sein Volk. Israel war erwählt, dass es unter den Völkern Sein Werk ausrichten sollte, und war doch zurzeit selbst noch blind und taub, verstand selber Gottes Wege und Wort noch nicht, war eigentlich der hohen Stellung nicht wert, zu der es von Gott berufen war.
W. W.

Antwort B

In dem genannten Verse ist in Ausdrücken des Wohlgefallens von der Person geredet, um die es sich handelt. Jehova nennt ihn „Mein Knecht”, „Mein Bote, den Ich sende”, „der Vertraute” und „der Knecht Jehovas”; Er bekennt Sich also ausdrücklich zu ihm. Von dieser selben Person ist bereits zu Beginn des Kapitels (V. 1-7) die Rede, und es ist wohl einem jeden gläubigen Leser jener kostbaren Worte ohne weiteres klar, dass es der Herr Jesus, unser teurer Heiland und HERR, ist, von dem gesprochen ist. Er ist der Knecht, der gesandte Bote, der Vertraute Jehovas in V. 19, um dessen Gerechtigkeit willen es Jehova gefiel, das Gesetz groß und herrlich zu machen (V. 21). - Wie aber kommt es, dass Jehova mit Wohlgefallen von Ihm sagt, dass Er blind und taub sei, Ihn gleichsam als Vorbild dafür hinstellend? Es gibt außer dem körperlichen Blind- und Taubsein, von dem hier nicht die Rede ist, noch verschiedenes anderes Blind- und Taubsein. Der Mensch kann blind sein in bezug auf Gott und die himmlischen, ewigen Dinge, blind für Gottes Güte und Liebe, blind über den eigenen Zustand und taub für Sein Wort, für Seine mahnende, warnende, rufende, lockende Stimme. Das ist der Zustand des Menschen von Natur, das war und ist noch der Zustand des Volkes Israel (s. Jes. 6,9.10; 2. Kor. 3,14-16), niemals aber konnte es der Zustand Seines Knechtes sein, des Boten, den Er sandte, des Vertrauten Jehovas! Er konnte sagen: „Ich habe Jehova stets vor mich gestellt” (Ps. 16,8), und „Er weckt jeden Morgen, Er weckt mir das Ohr ... Der HERR, Jehova, hat mir das Ohr geöffnet, und ich, ich bin nicht widerspenstig gewesen ...” (Jes. 50,4.5). Und doch war Er blind und taub, wie es in V. 20 heißt. Wofür war Er denn so blind und taub? Für die Reize und Lockungen dieser Welt, durch die der große Feind Gottes die Menschen verblendet und verleitet! Sein Auge und Sein Ohr war allem diesem gegenüber völlig verschlossen! Alle ihre Herrlichkeit konnte nicht den geringsten Einfluß auf Ihn ausüben, ihre lieblichsten und verlockendsten Einladungen fanden kein Gehör bei Ihm. Er ging rein und unbefleckt durch diese Welt als „der Sohn des Menschen, der im Himmel ist” (Joh. 3,13), dessen Auge und Ohr nur für Gott geöffnet war in vollkommener Hingabe, so dass Er am Ende Seiner Erdenlaufbahn zum Vater sagen konnte: „Ich habe Dich verherrlicht auf der Erde” (Joh. 17,4). Darum ruhte das ganze Wohlgefallen Jehovas auf Ihm von Ewigkeit her, ehe Sein Fuß über diese Erde schritt; darum fand Jehova Seine Freude darin, immer wieder hinzuweisen auf Seinen Geliebten, der Seine Wonne war. Deshalb ruft Er Seinem armen, irrenden Volke zu: „Höret, ihr Tauben! Und ihr Blinden, schauet her, um zu sehen! Wer ist blind, als nur Mein Knecht?, und taub, wie Mein Bote ...?” (V. 18.19.) Er bildete einen vollkommenen Gegensatz zu dem in geistiger Blindheit und Taubheit dahingehenden Menschen und ist ein herrliches Vorbild für die, welche aus der Finsternis herausgeführt sind in Sein wunderbares Licht.

Der Gegenstand ist wirklich ernst für einen jeden von uns, denn zu unserer Beschämung müssen wir bekennen, dass wir leider nur zu oft nicht dem uns gegebenen herrlichen Vorbilde entsprechen. Und je weniger Auge und Ohr offen ist für Gott, um so mehr ist beides offen für die Welt und ihre Dinge! „Die Lampe des Leibes ist dein Auge; wenn dein Auge einfältig ist, so ist auch dein ganzer Leib licht; wenn es aber böse ist, so ist auch dein Leib finster” usw. (Lk. 11,34-36). lasst uns darum sehr achtgeben und unser Auge auf den HERRN gerichtet halten, denn „die Herrlichkeit des HERRN anschauend, werden wir verwandelt nach demselben Bilde” (2. Kor. 3,18).
Th. K.

Antwort C

Dies Kapitel spricht von dem Knecht Jehovas, von dem HERRN in Seinem Leben der Niedrigkeit, unter dem Auge Gottes. Sein Leben hienieden war so, wie unser (des Menschen) Leben hätte sein sollen zum Wohlgefallen Gottes (V. 1). Vers 19 wird von vielen schriftkundigen Brüdern auf Israel gedeutet; Israel wird auch oft in der Schrift als „Knecht” angeredet. Es sei Israel, das nach dem Vorsatz Gottes der Vertraute Jehovas sei, das aber in seiner Verantwortlichkeit gefehlt habe.

Mir scheint das Wort einfacher zu sein, wenn man in dem 19. Verse wie in den Anfangsversen Christus erkennt (Mt. 12,14 bis 21). Vers 18 ist ohne Zweifel Israel. Es sind die Tauben und Blinden, die, wenn sie wollen, hören und sehen können und deshalb aufgefordert werden zum Sehen. Dann wird ihnen V. 19 Sein Knecht, der Vertraute Jehovas gezeigt in einer Blind- und Taubheit, die nur bei Ihm gefunden wird und im Gegensatz zu Israels Blindheit stand. Der in Niedrigkeit wandelnde Knecht (Apg. 4,27) war auf Seinem Pfade hienieden blind und taub für alles, was dem Willen Gottes entgegenstand, im Gegensatz zu Eva und Adam, die nicht blind und taub waren für die Dinge, die Satan ihnen ins Auge und ins Ohr gab. - Natürlich soll mit diesen Worten nicht ausgeschlossen sein, dass auch in diesen Versen (18 bis 25) der HERR in Seiner Verbindung mit Israel, oder besser gesagt, Israel in seiner Verbindung mit dem Herrn gesehen wird.
v. d. K.

Anmerkung des Herausgebers

Mancher Leser der Stelle möchte auf den ersten Blick sagen: Das ist nur Israel! Mancher wird sofort sagen: Kein anderer als Jesus ist gemeint, zumal wenn er an Mt. 12,14-21 denkt. Dennoch ist beim näheren Zusehen und Forschen weder das eine noch das andere so klar wie beim ersten Eindruck. Wir glauben auch, dass in erster Linie Jesus gemeint ist, dass aber die andere Deutung damit in engster Verbindung steht. Wie das? Nun, zunächst ist in diesem Kapitel wie auch in Kapitel 49,1-6 eine beständige Wechselbeziehung zwischen Jesus als Knecht Jehovas und Israel in derselben Stellung zu erkennen. Und wenn wir diese Tatsache scharf ins Auge fassen, so wird uns vielleicht klar werden, dass ja zwischen Jesus und dem Volke Israel bezüglich ihrer Stellung als Knecht kein so großer Gegensatz bestehen kann; denn Jesus ist der Messias und der König Israels, und wie oft wird der König eines Landes genannt, wenn das Volk gemeint ist, und umgekehrt! Der König repräsentiert (stellt dar, vertritt) das Volk. Licht auf diese Wechselbeziehung zwischen Israel und Jesus dürften die Worte Jesu fallen lassen, in denen Er das Reich Gottes als mitten unter ihnen (wörtlich Lk. 17,21) nahe zu ihnen gekommen (Lk. 10,9; vgl. Mt. 12,28; 21,43 u. a. m.) zeigt: In der Person des Königs war das Reich da, wenn auch die Reichsangehörigen ihre Stellung noch nicht erkannten. Somit kann in unserer Stelle Jesus gemeint sein, der König Israels in Knechtsgestalt; es kann auch Israel gemeint sein in der Person seines Königs. Indem sein König blind und taub war nach dem Wohlgefallen Jehovas, hatte das Volk eine Blindheit und Taubheit, die Gott wohlgefällig war. Blind und taub für alles, was nicht dem Charakter eines seinem Herrn völlig gehorsamen Knechtes entsprach, so war Jesus, und so wird einmal in der zukünftigen völligen Erfüllung dieses Wortes Israel wirklich sein und dann die erhabene Aufgabe erfüllen können, zu der Gott es unter den Nationen gesetzt hat. In der ersten Erfüllung des Wortes, die besonders zur Zeit von Jesu Erdendienst geschah, war Israel in falscher Weise blind und taub und musste hingewiesen werden auf den Knecht Jehovas, der Seinen Weg in Abhängigkeit und Treue ging, auf Jesus, den König Israels, der in der Mitte Israels wie der Dienende war (vgl. Lk. 22,26.27).
Wir glauben somit sagen zu dürfen, dass diese Stelle zunächst in Jesus ihre Erfüllung fand und einst in Israel, dem es jetzt noch nicht „wie Schuppen” von den Augen gefallen ist, seine volle Erfüllung finden wird, wenn es den „König in Seiner Schönheit” (Jes. 33,17) schaut und für alles außer Ihm blind und taub ist (vgl. Jes. 33,14-21!).


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 1 (1913)