Antwort
In 1. Kor. 12 finden wir, soweit ich erkenne, die Bildrede des menschlichen Leibes und die Tätigkeit seiner Glieder zur Veranschaulichung der Verantwortung der Glieder einer örtlichen Gemeinde wie auch des ganzen Leibes Christi, und zwar in ihren Beziehungen untereinander. Dagegen sehen wir in Eph. 4 mehr die Beziehungen der Glieder zum himmlischen Haupt.
1. Kor. 12,26 u. 27 ist eine Zusammenfassung dessen, was in V. 14-25 gesagt ist. Zum Verständnis der Frage erscheint es also erwünscht, das ab V. 14 Gesagte kurz zu betrachten. In einer Bibelstunde hörte ich darüber eine aus dem Text sich ergebende Dreiteilung, die ich angeben darf:
1. Abschnitt - Vers 14-16 = persönliche Verantwortung jedes Gliedes, auch des kleinsten; keine Ausrede, keine Entschuldigung im Blick auf die Mitarbeit. Kennwort dieses Teiles: „nicht”. 2. Abschnitt - Vers 17-20 = Verschiedenartigkeit des Dienstes der Glieder, aber in voller Harmonie untereinander; nicht eine einzelne Person alles, kein Monopol für einen Prediger. Kennwort dieses Teiles: „wäre”.
3. Abschnitt - Vers 21-25 = gegenseitige Abhängigkeit der Glieder voneinander im Leibe. Jeder Arbeiter, jeder Bruder, jede Schwester, jedes Glied bedarf des anderen. Keine Unabhängigkeit in unserer Arbeit, wir sollten uns fürchten, etwas ohne Übereinstimmung mit unseren Brüdern zu tun. - Kennwort dieses Teiles: „bedarf”.
Zu weiterem Verständnis sind dann noch die Verse 4-6 des Kapitels (vergl. Röm. 12,4.5) heranzuziehen, weil sie eine grundlegende Wahrheit ins Licht stellen. Jeder Christ ist eine Original- Neuschöpfung. Gott wiederholt Sich niemals in Seinen Arbeitern, wie ja auch jeder Mensch nach der ersten Schöpfung ein absolutes Original ist. Die dreimalige feierliche Betonung: Verschiedenheiten von Gaben, Verschiedenheiten von Diensten, Verschiedenheiten von Wirkungen warnt uns ernst vor allem Schablonisieren- und Schematisierenwollen sowie auch vor Übertragungen unserer Erfahrungen und Arbeitsmethoden auf andere Glieder oder gar auf den ganzen Leib.
Jedes Glied hat seine besondere, von keinem anderen Gliede zu ersetzende Aufgabe vom Haupte erhalten und sollte seinen Dienst klar erkennen und ausüben zum Wohle des Ganzen. Kol. 4,17 vergl. mit 1. Kor. 12,11 u. 18. Wir sollen einander harmonisch ergänzen zur Verherrlichung desselben Gottes und Vaters, von welchem alle Dinge sind, durch denselben Herrn Jesus Christus, durch welchen alle Dinge sind, in der Kraft und in Abhängigkeit von demselben Heiligen Geiste, der gibt, wie Er will! (Bitte vergleichen: 1. Kor. 12,4.7-11 und 1. Kor. 8,6; Eph. 4,4-6; Hebr. 13,20.21; Off. 5,9.)
Wie wichtig die normale Tätigkeit jedes Gliedes im natürlichen Leibesleben ist, wissen wir aus täglicher Erfahrung. Welch ein Hindernis für die Arbeit kann schon das Versagen eines Zahnnerven bilden, ganz zu schweigen von dem Ausfall eines ganzen Gliedes, wie es uns die Nachkriegszeit so häufig schmerzlich vor Augen führt.
Geradeso macht sich in der Gemeinde das Versagen oder gar der Ausfall eines einzelnen Gliedes und des ihm anvertrauten Dienstes bemerkbar. Der geistliche Zustand der Gemeinde ist abhängig vom geistlichen Zustand des einzelnen Gliedes. Fehlt es bei dem einzelnen an Gottesfurcht im Sinne von Spr. 8,13, an Abhängigkeitsbewußtsein vom Haupte in Wort und Gebet, an Unabhängigkeitsbewußtsein von ererbten Menschensatzungen oder an Liebe (1. Kor. 13,1), Demut, Fleiß (2. Petr. 1,5-10), geistlicher Energie, vorsichtiger Prüfung (1. Thess. 5,21; Apg. 17,11), restloser Willenshingabe (Röm. 12,1ff.), kurz gesagt, an Wachstum und Heiligung - so leiden alle Glieder mit; ganz zu schweigen von offenbarem Sündendienst oder Weltförmigkeit, z. B. Neid der Glieder untereinander (siehe 3. Joh. 9; Phil. 2,3; Gal. 5,15.)
Kommt z. B. ein Glied einer örtlichen Gemeinde, das sich über eine Sünde nicht gebeugt hat, in die Versammlung, so wird die Gemeinschaft des Heiligen Geistes der Glieder untereinander unterbrochen durch ein Glied und die Wortverkündigung in Verbindung mit der Wirksamkeit des Heiligen Geistes an den versammelten Gliedern gedämpft. Dabei muss auch an den Kampf zwischen Licht und Finsternis in der unserem irdischen Auge entzogenen unsichtbaren Welt erinnert werden. (Eph. 6,12.) Wie werden sich die Fürsten des Lichtes, die uns umlagern, verhalten gegenüber den Fürsten der Finsternis, wenn z. B. in einer Versammlung ein Bruder sitzt, der die Lieder des Glaubens mitsingt, aber in seinem Familienleben Anstoß gegeben hat, ohne sich darüber zu beugen? (Lies Eph. 3,10!)
Die Wahrheit in Vers 26 wirkt sich in dem Organ des Leibes organisch aus. Wenn ein Glied leidet, so leiden zunächst die Glieder der örtlichen Gemeinde mit, demnächst aber auch die Gesamtgemeinde.
An Leiden körperlicher Art ist wohl in Verbindung mit dieser Stelle nicht zu denken, wenn es auch wahr ist, dass wir den körperlichen Leiden unserer Geschwister im HERRN mit Mitgefühl und Fürbitte zu begegiten haben. Auch um Leiden um Jesu willen - wie der Fragesteller erwähnt - kann es sich hier nicht handeln (vergl. 1. Petr. 4,14).
A. v. W.
Anmerkung des Schriftleiters
Diese klare und ernstlichst zu beherzigende Antwort bedarf an sich keiner Ergänzung, und nur um einiges zu unterstreichen und zu erweitern, schrieb ich das Nachfolgende.
Die Frage, ob körperliche Leiden (Krankheit) gemeint sein könnten in 1. Kor. 12,26, zeigt, dass der Fragesteller das schöne Bild vom Organismus unseres Leibes nicht verstanden hat. Möge ihm da obige Antwort weitgehendste Dienste tun! Wer hier an leibliche Krankheit denkt, der verwechselt das Bild mit dem, was es darstellen soll. Bei dem Bilde, d. h. also in dem leiblichen Organismus, handelt es sich um leibliche Krankheit, bei dem geistlichen Organismus des „Leibes Christi”, bei diesem „Leibe”, zu dem wir durch den Einen Geist getauft sind (V. 13), kann es sich demgemäß nur um geistliche Arten von Schäden, Leiden und Nöten handeln, die in ihren Auswirkungen die ganze Körperschaft der Gemeinde Gottes (am Ort oder weit über denselben hinaus, wenn nicht gar die über die ganze Erde hin zerstreute) beeinträchtigen. Verfasser obiger Antwort wies auf einige körperliche Leiden hin - wie klar ist dies alles, wenn man es aufs Geistliche überträgt! Würde hier an körperliche Leiden gedacht, so würde das ganze Bild rettungslos zerstört! Ich erlaube mir dazu noch ein kleines Beispiel anzuführen: Vor kurzem hatte ich mir bei einem Sturze auf unserer frischgeölten Treppe den linken Daumen verstaucht. Welche Geringfügigkeit, nicht wahr?! „Nur” den linken Daumen! Nicht der Rede wert! So scheint es - und doch hat mein ganzer Körper tagelang unter dieser Verletzung fühlbar gelitten; und nicht nur das, sondern meine ganze Lebenshaltung erlitt eine gewisse Schädigung, indem ich tagelang mich beim Gehen, besonders auf jener Treppe, höchst unsicher fühlte - so waren Leib und Seele in Mitleidenschaft gezogen durch „nur” den linken Daumen!
Ist dies kleine Bild aus dem körperlichen Leben nicht sehr leicht aufs Geistliche, auf das Leben der Gemeinde zu übertragen? Aber wenn wir es buchstäblich auf das Leben der Gemeinde Gottes übertragen wollten, zu was für grotesken Ungeheuerlichkeiten der Auslegung kämen wir dann! Und wo wären die Grenzen der Auslegung? Gäbe es überhaupt welche? Und wenn wir ungehemmt alle möglichen leiblichen Krankheiten als mitbestimmend für das geistliche Wachstum der Glieder, d. h. in hinderndem Sinne, auffassen wollten, gäbe es dann überhaupt ein gesundes geistliches Wachstum in der Gemeinde?! Die Frage stellen heißt, sie verneinend beantworten!
Verfasser obiger Antwort schreibt aber sogar im letzten Absatz das Gegenteil, wenn er betont - und das kann nicht genug betont werden! -, die körperlichen Leiden unserer Geschwister riefen unsere Teilnahme in Fürbitte (usw.) hervor. Ist denn nicht solche teilnehmende Fürbitte, überhaupt jede derartige Teilnahme („Gemeinschaft”) ein Zeichen von geistlicher Gesundheit? Geben Stellen wie z. B. 2. Kor. 1,7; Phil. 2,25ff.; Röm. 12,13 u. a.; Jak. 5,13-18 (welche Überzeugung einer auch über V. 14 hat) uns nicht ein Recht, dies so anzusehen?
Wenn man hier aber auf die Krankheiten hinweist, die Paulus in 1. Kor. 11,30 nennt, so verwechsle man doch (bitte) nicht Ursache und Wirkung! Diese Krankheiten, die ein zeitliches Strafgericht an Gläubigen darstellten, waren doch erst die Folgen („deshalb” bezieht sich auf V. 29) des geistlichen „Krankseins”, d. h. des traurigen Zustandes der korinthischen Gemeinde im Blick auf die Herrenmahlfeier, die von den Korinthern in höchst ungeziemender, ungebührlicher („unwürdiglicher”) Weise begangen wurde.
Und nun noch ein Wort dazu, dass obige Antwort auch die in der Frage genannten „Leiden um Jesu willen” nicht in das 1. Kor. 12,26 gemeinte Leiden einbeziehen will.
Wahrlich, nein! Ebenso - und noch weniger, als körperliche Leiden gemeint sein können, dürften wir an derartige Leiden, Leiden um des HERRN willen, denken! Warum nicht? Weil solche Leiden nicht nur voll Segen für uns sind, sondern weil sie, wie aus ungezählten Stellen hervorgeht, gottgewollt sind. Stellen anzugeben erübrigt sich bei der Fülle derselben. Nur eine setze ich in Worten hierher, die uns zeigt, welch ein Vorrecht solche Leiden sind: „Denn euch ist es in bezug auf Christum geschenkt worden, nicht allein an Ihn zu glauben, sondern auch für Ihn zu leiden.” (Phil. 1,29.) Dazu vergl. noch Hebr. 13,12.13! Welch ein erhabenes Geschenk! Ein Geschenk, würdig des Schenkers, der es den Seinen nie verhehlt hat, dass sie um Seinetwillen würden leiden müssen! (Vergl. u. a. Joh. 16,18-21!) Wie könnten diese Leiden unter die von 1. Kor. 12,26 zu rechnen sein?! Im Gegenteil, sie dienen - richtig angesehen - hervorragend mit zum normalen Wachstum der Gemeinde Gottes, nicht nur dadurch, dass auch sie, und zwar noch viel mehr als leibliche Krankheiten, zur Fürbitte anregen, zum Mittragen, zum Mitteilen in Liebe und Trost, sondern auch dadurch, dass sie in besonderer Weise von Gott dazu bestimmt sind, Segensquellen zu sein. Lehrt uns das nicht schon der entsagungsreiche Dienst des in die Erde gefallenen sterbenden Weizenkorns? (Joh. 12,24.) Ist nicht das Blut der Märtyrer und die Tränensaat der ersten Christen die Quelle der nach allen Ausrottungsversuchen stets neu aufblühenden Gemeinde Gottes gewesen?! Paulus sagt uns in seinem an persönlichen Erfahrungen so reichen Philipperbrief darüber ein einzig kostbares Wort: Phil. 1,12-14, und 1. Kor. 16,9 gehört vielleicht auch mit hierher. Welche Quelle von Segen sprudelte gleichsam aus dem Steinhaufen, der den ersten Blutzeugen (Stephanus) deckte (Apg. 7), welche herrlichen Folgen wurden flüssig durch die Leiden der Gläubigen in Apg. 4 oder 12 (Petrus)! Welche unendlichen Segnungen erwuchsen der Gemeinde bis heute hin aus den Gefangenschaftszeiten, die Paulus durchmachte: die kostbarsten, tiefsten Briefe des Apostels schenkte uns Gott aus jenem Leiden!
Wenn wir somit sehen, dass diese Art Leiden gleichsam zu den Erfordernissen des geistlichen Wachstums zu rechnen sind, dass sie, um im Bilde zu bleiben, gewissermaßen zur gesunden Ausarbeitung des Leibes gehören, ohne die der Organismus des Leibes nicht das würde, was er sein soll, dann - ja, dann können oder sollten wir solche Art Leiden vielleicht eher in dem zweiten Glied des besprochenen Verses (also 1. Kor. 12,26b) sehen: „Wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit!” Denn solche Leiden sind ja Herrlichkeit, wie die schon in obiger Antwort angeführte Stelle 1. Petr. 4,14 im ganzen Zusammenhang zeigt; V. 15 weist dann leicht und ohne Künstelei auf 1. Kor. 12,26a hin! Ob nicht in dieser Hinsicht auch der Stelle 2. Kor. 12,5-10 Erwähnung getan werden darf, selbst wenn es sich oder gerade wenn es sich in V. 7 u. 8 um eine Bewahrungskrankheit gehandelt hat!, oder auch der Stelle Hebr. 12,4-11?
Wie dem auch sei, der unserer Stelle 1. Kor. 12,26 vorangehende V. 25 zeigt die unauflösliche innere geistliche Verbindung zwischen den Gliedern des einen Organismus, der in V. 27 „Christi Leib” genannt wird. Wir tragen alle eine unausdenkbare Verantwortung füreinander: „die gleiche Sorge unter den Gliedern füreinander”! So gut, wie das - und in viel stärkerem Maße, als manche Menschen sich das denken! - in dem leiblichen Organismus unseres Körpers der Fall ist, so in ungleich tieferer Weise in dem Leibe Christi, dem wir durch den Heiligen Geist als Glieder angehören. Wie hoch sollten wir unsere Zusammengehörigkeit einschätzen, wie sehr für das Wohl und Wachstum jedes einzelnen besorgt sein, wie treulich uns hüten, dass wir nicht durch geistliches Zukurzkommen aus eigener Schuld das Wohl der benachbarten Glieder oder gar des ganzen Leibes gefährden oder wenigstens beeinträchtigen! Welche Würde liegt auf uns, aber demgemäß auch welche Verantwortung, doch dementsprechend auch wieder - welch Hilfsmittel steht uns zur Verfügung: der „Eine Geist, mit dem wir alle getränkt sind” (V. 13). Wie kostbar ist das!
So lasst uns alle die „Gnade haben” (nach Hebr. 12,28), im Geiste zu wandeln gemäß Gal. 5,16 u. 25, und wir alle, die Glieder des Leibes Christi, werden Segen davon haben, menschlich unberechenbaren Segen, und - Er Selber wird verherrlicht werden!
F. K.