Welchen irgend ihr die Sünden vergebet, denen sind sie vergeben

Was ist zu verstehen unter Joh. 20,23: „Welchen irgend ihr die Sünden vergebet, denen sind sie vergeben usw.?“

Antwort A

Die Worte des HERRN haben auf keinen Fall etwas zu tun mit dem Papst, auch nichts mit der Ohrenbeichte.
Es hat Gott wohlgefallen, die herrliche Botschaft des Evangeliums nicht Engeln aufzutragen, sondern Menschen sollen es verkündigen, und zwar solche, die versetzt sind in das Reich des Sohnes Seiner Liebe (Kol. 1,13). Der Diener Christi darf, gebunden an das Evangelium, an die Zusicherungen des Wortes, die Vergebung der Sünden verkündigen (2. Kor. 5,20.21).

Wer nun diese Botschaft annimmt, hat damit Vergebung oder Erlass seiner Sünde. Wer dagegen diese Botschaft nicht annimmt, behält damit seine Sünde. Der Diener Christi wird auch das letztere zum Ausdruck bringen müssen, und der Ausdruck auch dieser schrecklichen Botschaft wird zur Wahrheit bezw. zur Tatsache bei den Ungläubigen (vgl. Joh. 3,36).

Des weiteren redet 1. Kor. 5,13 davon, dass der Böse hinausgetan werden soll: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus”, und 2. Kor. 2,6-10 von der Wiederaufnahme eines solchen: „Wem ihr aber etwas vergebet, dem vergebe auch ich” usw. - Dieser Ausschluß und diese Aufnahme in Gebundenheit an das Wort und unter der Leitung des Geistes sind vor dem HERRN gültig (vgl. hierzu auch 2. Thess. 3,6; Titus 3,10.11 und 1. Tim. 1,20).
W. W.

Antwort B

Diese Stelle wird häufig so ausgelegt, als ob sie sich nur auf die Apostel bezöge und keine Beziehung habe zu den Kindern Gottes im allgemeinen. Ist dem so?
1. Vor allen Dingen ist es gut und wichtig, festzustellen, dass es sich in dieser Stelle keineswegs um ewige Vergebung handelt aus dem einfachen Grunde, weil eine solche niemals von irgend einem Menschen, auch nicht von einem Apostel in seiner ihm vom HERRN gegebenen Autorität, anderen Menschen erteilt werden konnte. Das Wort Gottes sagt uns im Gegenteil, dass nur Gott Sünden vergeben kann. Der Herr Jesus vergab Sünden; dadurch offenbarte Er, dass in Seiner Person Jehovah in Gnade dem Menschen nahe gekommen war. Er war Gott geoffenbart im Fleische. (Vgl. Ps. 103,3 mit Lk. 7,48; Mk. 2,5-10.)

2. Ferner ist wichtig, dass diese Worte nicht an die Jünger in dem Charakter als Apostel gerichtet wurden. Dies geht sehr klar aus dem Evangelium Joh. hervor, denn in demselben werden dieselben niemals Apostel genannt, sondern einfach „Jünger”, die durch Glauben Leben empfangen wie jeder andere Gläubige. Nicht die Vorzüge der Apostel, sondern das gemeinsame Gut aller Glaubenden finden wir hier, nämlich: ewiges Leben.

3. Wir finden Vers 22, dass der HERR, der Auferstandene, in sie hauchte. Er gab ihnen den Heiligen Geist und damit gewissermaßen Auferstehungsleben. Dies haben nicht nur die Apostel, sondern jeder, der mit Ihm, dem Auferstandenen, in Beziehung steht. Wie einst Jehovah dem Adam den Odem des Lebens einhauchte (1. Mose 2,7), so hauchte der HERR in sie, sie wurden die Empfänger des Auferstehungslebens in Ihm. Wir sollten hienieden von diesem Leben, welches Christus ist, gekennzeichnet sein. In diesem Lebensbande sind wir vereinigt.

Leider kann durch Unwachsamkeit selbst ein Kind Gottes tief fallen, d. h. es verleugnet, was es besitzt: die Kraft des Auferstehungslebens in Christo. Daher liegt uns ob, nach dem hier niedergelegten Worte des HERRN uns mit der Sünde auch des Bruders zu beschäftigen. Die Stelle
1. Kor. 5,13 (vgl. 2. Kor. 2,6-11) kann hier wohl herangezogen werden. - Es ist ein sehr ernster Schritt; wir alle sollten sehr wachsam sein im Aufblick zum HERRN, durch Ihn bewahrt zu bleiben vor Sünden, die uns der Vorrechte der Gemeinschaft mit Ihm und den Seinen berauben.

So, glaube ich, ist das „Vergeben” und „Behalten” zu verstehen. Es ist keine ewige Vergebung noch ewiges Behalten der Sünden hier in Frage, sondern es bezieht sich auf den irdischen Zustand und trägt daher einen zeitlichen Charakter.
K. O. St.

Antwort C

Es sind 3 Stellen der Heiligen Schrift, die mit dieser Frage Verwandtschaft haben. Die 1. Stelle, in Mt. 16,19, ist bereits in Frage Nr. 14 mit berührt. Sie betrifft nicht die Gemeinde, sondern das Reich der Himmel. Es ist dort eine ganz persönliche Aufgabe, die allein Petrus angeht; und einen Nachfolger Petr. hat der HERR nicht gegeben.

Die 2. Stelle, in Mt. 18,18, betrifft die Gemeinde des HERRN. Diese ist heute noch auf der Erde, und ihr gilt noch, was hier gesagt ist. Es handelt sich hier um Sünde innerhalb der Gemeinde, und wir empfangen Anweisung, wie mit der ungerichteten Sünde Eigenwilliger gehandelt werden soll. Es ist Zucht; - das Binden der Sünde steht im Vordergrund.

In der 3. Stelle, Joh. 20,23, sehen wir in dem Kreis der Jünger auch das Bild der Gemeinde: der HERR ist in der Mitte und der Heilige Geist in ihnen. Die Jünger sind die Gesandten der Gnade Gottes, und Vergeben steht in dem Vordergrund. In Mt. 18,18 kam die Unbußfertigkeit in Frage mit dem Binden, hier der Dienst der Gnade mit dem Vergeben. Ich glaube, zwischen beiden Stellen besteht eine sehr nahe Beziehung. In beiden handelt es sich um besondere Dinge und spezielle Fälle. Je nachdem, ob es sich um Zucht und Heiligkeit oder um den Dienst der Gnade handelt, die Handlungsweise der Jünger wird damit übereinstimmend sein. Sie empfangen Heiligen Geist, der den Jüngern geistliches Verständnis gibt, dem Namen des HERRN gemäß zu handeln. Der Schwerpunkt in diesen Stellen ist nicht ein Auftrag des HERRN, sondern die Zusage Seiner wirkenden Bestätigung dessen, was sie tun. Beispiele des Vergebens und Nichtvergebens glaube ich zu sehen in Ap. 7,60; 2. Tim. 4,16; 2. Tim. 4,14; 1. Tim. 1,20; 2. Kor. 2,10; auch Jak. 5,15 dürfte eine gewisse Anwendung finden.
In beiden Stellen, Mt. 18 und Joh. 20, ist alles persönlich, einzeln. „Welchen irgend ihr ... vergebet” ist etwas ebenso Persönliches, Spezielles, wie in Mt. 18: „Was irgend ihr ... bindet”.

Wir dürfen das Vergeben der Sünden nicht verwechseln mit dem Auftrage der Verkündigung der Vergebung der Sünden an alle Nationen. (Lk. 24.) Dieser Auftrag wurde der gleichen Jüngerschar gegeben, während wir in Joh. 20 keinen Auftrag finden, sondern dass der Geist in geistlichem Verständnis ihre Leitung von Fall zu Fall sein würde und sie in bestimmten Fällen auch Sünde behalten mußten. Beispiele der Ausführung des Auftrages von Lk. 24 enthält reichlich die Apostelgeschichte, z. B. 13,38.39; 10,43.
Wir sehen, dass hier nach zwei Seiten hin von Vergebung der Sünden gesprochen wird: einmal in Verbindung mit Menschen, in den Wegen des Waltens Gottes, das andere Mal als das Geschenk der Gnade für alle, die da glauben. Dies ist die Annahme in dem Geliebten. „Ihrer Sünden werde Ich nie mehr gedenken” (Hebr. 10,17). Diese Vergebung ist so vollkommen vollendet, daß, wenn die Schrift davon spricht, sie sagt, dass es kein Opfer mehr für Sünden gibt und die Geheiligten ein- für allemal vollkommen gemacht sind (Hebr. 10,14). Dieser Vergebung und Annahme von seiten Gottes können wir durch unser Vergeben nichts hinzu- noch abtun, es weder durch unser Vergeben befestigen noch lösen. Diese Vergebung steht in Verbindung mit dem Auftrag der Verkündigung in Lk. 24.
Das Vergeben von unserer Seite aus berührt das Walten Gottes auf der Erde und öffnet den Weg für die Gnade. Vergebung ist oft nötig, um die Zucht abzuwenden und der Hand der Gnade in Gottes Verwaltung bezüglich des Sünders Raum zu machen. Anderseits können auch wir in Verleugnung des Geistes Jesu Christi durch Härte und Nichtvergeben uns selbst unter Zucht bringen. Mt. 18,31-35.

Wenn diese beiden Seiten der Vergebung nicht unterschieden werden, stellen wir die vollkommene Erlösung durch das eine Opfer Christi in Frage.
v. d. K.

Anmerkung des Herausgebers

Die vermeintliche Schwierigkeit dieser Stelle beruht unseres Erachtens auf der Nichtbeachtung des Zusammenhanges und des Wortlauts. Es ist schon gesagt, zu wem diese Worte gesprochen werden: zu den Jüngern! Das Wort steht ferner in engster Beziehung zum Geistempfang, gilt daher jedem, in dem der Heilige Geist wohnt und wirkt. Das Wort ist ferner kein Auftrag, sondern es ist eine Aussage betr. des Geistgewirkten Tuns der Jünger, wie es sein würde in der Zukunft. - Sehen wir uns einmal zwei Worte der Jünger an, die vor dem Geistempfang geredet sind: Mt. 18,21! In der Frage liegt, dass es dem Petrus schwer ist, zu vergeben. Dann Lk. 9,54; sie konnten nicht vergeben, sie wollten ohne Gnade handeln! Und demgegenüber sehen wir Jesus! Er hatte Seine Jünger gelehrt, zu beten „... wie wir vergeben unsern Schuldnern” (Mt. 6,12); Er verwies ihnen das Zürnen (vergl. Lk. 9,52-55), und Er betete für Seine Feinde am Kreuz (Lk. 23,34). - Er handelte in Gnade, d. h. Er konnte in Gnade handeln. Es gab andere Gelegenheiten, da handelte oder sprach Er nicht in Gnade, (vgl. Mt. 23 und Mt. 11,20-24)! - Und nach Jesu Himmelfahrt? Woher konnte ein Stephanus vergeben? (Apg. 7,60.) Woher Paulus in 2. Timoth. 4,16 u. a. m. Woher aber auch hatte Petrus die geistige Kraft, die Sünde zu behalten in Apg. 5 und Paulus in 2. Tim. 4,14? Nur durch den Geist, durch den Er sie in innere Lebensverbindung mit Sich Selbst gebracht hatte. Wer in dieser Verbindung mit dem HERRN steht, kann denken wie Er und handeln wie Er, wenn auch in Schwachheit. Und Er erkennt an, was die Seinen in Abhängigkeit von Seinem Geist tun. („Denen sind sie vergeben usw.”) Dies ist höchst kostbar und wichtig. Sehen wir uns die praktische Folge an!

In verschiedenen Kapiteln des Alten Testaments haben wir Vorbilder für dieses Vergeben, z. B. 4. Mose 12. Wir sehen, wie Mirjam und Aaron gegen Moses murrten. Die Folge war der Zorn Jehovahs (V. 9), Mirjam ward aussätzig. Nunmehr wird die Sünde bekannt (V. 11), und dann schreit Mose zu Jehovah, und Jehovah hört, und wenn auch Mirjam sieben Tage lang ihre Strafe tragen muß, so ist ihr doch vergeben. Wie kam's zu dieser Vergebung ? Moses betete für sie. Das hätte er nicht gekonnt, wenn er nicht zuvor selbst vergeben hätte. Sein Vergeben hat zur Folge, dass Gott wieder in Gnade handelt mit Mirjam. Dieselben Grundsätze gelten noch heute. Wenn wir vergeben (ob nach vorausgegangenem Sündenbekenntnis des anderen, also einem Kinde Gottes gegenüber - vgl. 1. Joh. 1,9 - oder nicht, also Unbekehrten gegenüber - vgl. Jesu Gebet am Kreuz und Stephanus (Apg. 7), die Folge ist, dass Gott vergeben und wieder in Gnade walten kann. Jesu Gebet am Kreuz, das davon zeugte, dass Er Selbst vergeben hatte, hatte zur Folge, dass Jehovah durch die Predigt der Zwölfe Gnade verkünden ließ. Wir lesen aber nichts davon, dass z. B. Kapernaums Gerichtsandrohung zurückgenommen wurde: Jesus hatte da nicht vergeben - Gott also handelte nicht mehr in Gnade. In Apg. 5 handelt es sich um Gläubige, die ewig errettet waren, aber in zeitlicher Hinsicht wurde ihre Sünde von Petrus behalten, und Gott handelte in Gericht mit ihnen. Ebenso hat Paulus - geleitet vom Geist, gemäß Gottes Gedanken - dem Alexander nicht vergeben (2. Tim. 4,14); und als inspirierter Schreiber spricht er aus, was geschehen wird: der HERR wird ihm vergelten nach seinen (bösen) Werken.

Dies sind sehr ernste Dinge, und es ist ersichtlich, dass das Nichtvergeben größere Kraft (Abhängigkeit vom HERRN, Leben mit Ihm) erfordert als das Vergeben. Jedoch meinen wir nicht etwa das Nichtvergeben auf Grund von Unversöhnlichkeit, das ist ja Sünde! sondern das vom Geist gewirkte Nichtvergeben. Unser Vergeben räumt das Hindernis fort, damit Gott wieder in Gnade waltet, aber unser Nichtvergeben bindet Gott gleichsam die Hand. Welche Verantwortung liegt auf uns! Und wie ernst, wenn du und ich nicht vergeben, wo Gott vergeben will; wenn wir also Seine Gnade hindern wollen! Wir werden uns unter Zucht bringen! Aber auch wie kostbar, wenn der Geist der Gnade ungehindert in uns wirken kann und wir in Gnade handeln können, z. B. mit dem Bruder, so dass Gott ihn und uns segnen kann!

Wer sind wir, dass der HERR uns so Großes anvertraut hat! Er gebe uns und all den Seinen Gnade, sich zu bewähren in der praktischen Betätigung dieser Stelle!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 1 (1913)