Unter "Verbalinspiration" wird in der Regel verstanden, dass die Originalmanuskripte der Bibelbücher wörtlich vom Geist Gottes inspiriert (eingegeben) und daher irrtumslos sind. Ich möchte diese Aussage zuerst biblisch begründen und dann erläutern.
Biblische Begründung der Verbalinspiration
Jesus und die Autoren des Neuen Testaments glaubten an eine wörtliche, ja sogar buchstäbliche Inspiration des Alten Testaments. In einer modernen Ausdrucksweise könnte man sagen, dass die Inspiration bis zum i-Punkt exakt ist:
"... indem ihr dies zuerst wißt, daß keine Weissagung der Schrift aus eigener Deutung geschieht. Denn niemals wurde eine Weissagung durch den Willen eines Menschen hervorgebracht, sondern von Gott her redeten Menschen, getrieben vom Heiligen Geist." (2. Petrus 1,20-21)
"Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, ..." (2. Timotheus 3, 16)
"Meint nicht, daß ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist." (Matthäus 5,17-18)
Man könnte einwenden, dass sich diese Aussagen nur auf die Schriften des Alten Testaments bezogen, da es ja noch keinen Kanon (d.h. autorisierte Sammlung) von neutestamentlichen Schriften gab. Dieser Kanon war aber schon am Entstehen, und es gibt einige Hinweise darauf, dass für diese Schriften dasselbe gilt wie für die Schriften des Alten Testaments:
"... nach der Offenbarung des Geheimnisses, das ewige Zeiten hindurch verschwiegen war, jetzt aber offenbart und durch prophetische Schriften nach Befehl des ewigen Gottes zum Glaubensgehorsam an alle Nationen bekanntgemacht worden ist," (Römer 16,25-26)
Hier geht es eindeutig um die Schriften des Neuen Testaments, da von dem Geheimnis die Rede ist, das bis dahin verborgen war. Dabei handelt es sich um die Botschaft der Apostel über Christus und seine Gemeinde.
"In diesen [Briefen des Paulus] ist einiges schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen wie auch die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben." (2. Petrus 3,16)
Der Apostel Petrus stellt hier die Briefe des Paulus in eine Reihe mit den "übrigen Schriften", nämlich den Schriften des Alten Testaments.
Erklärung der Verbalinspiration
Mit Verbalinspiration ist nicht gemeint, dass die Autoren roboterhafte Schreibmedien waren, deren Hand von einer göttlichen Macht geführt wurde. Es waren Leute, die vom Heiligen Geist getrieben wurden, aber sie verloren dabei nicht die Kontrolle über sich selbst. Es ist ein Prinzip des Wirkens Gottes, dass er die Persönlichkeit (Verstand, Wille, Gefühl) nicht übergeht bzw. missbraucht, sondern vielmehr mit ihr zusammenarbeitet. So schrieben die biblischen Autoren unter dem Einfluss des Heiligen Geistes, jedoch unter Einsatz ihres Willens, ihres Verstandes und ihrer Gefühle. Dabei kamen auch ihr Hintergrund, ihre Bildung und andere Faktoren zum Tragen, sodass jeder Autor in einem ihm eigenen Stil und Vokabular schrieb:
"Und die Geister der Propheten sind den Propheten untertan." (1. Korinther 14,32)
Manche Autoren schrieben ihre Texte bewusst als Gottes Wort: So hatten z.B. die Propheten Visionen, in denen Gott ihnen etwas offenbarte und ihnen auftrug es niederzuschreiben. Andere Autoren schrieben ohne zu wissen, dass Gott sie dabei in besonderer Weise unterstützen würde, damit sich keine Fehler einschlichen - so z.B. Geschichtsschreiber. Auch Paulus wusste beim Schreiben seiner Briefe an die Korinther wohl nicht, welche davon Eingang in die Bibel finden würden und welche nicht.
Die absolute Irrtumslosigkeit bezieht sich nur auf die von den Autoren direkt geschriebenen Manuskripte. Diese sind heute nicht mehr erhalten, dafür aber sehr glaubwürdige Abschriften. Es gibt keine andere Literatur aus der Antike, die nur annähernd so gut überliefert wurde. Dabei wird die Qualität der Überlieferung an der Anzahl der erhaltenen Abschriften und an ihrer zeitlichen Nähe zum Original gemessen. Man kann also für keines der bis heute erhaltenen Manuskripte 100%ige Irrtumslosigkeit beanspruchen, aber durch Vergleiche der verschiedenen Manuskripte erkennt man, dass es verhältnismäßig wenige Abschreibfehler gab und dass der Sinn der Aussagen dadurch nicht in Frage gestellt ist.
Schlussfolgerungen
Gott sorgte auf verschiedene Weise dafür, dass wir sein Wort unverfälscht lesen bzw. hören können:
- Er veranlasste seine Diener zum Schreiben.
- Er half ihnen bei den Formulierungen, sodass sie zwar ihren Persönlichkeiten entsprachen, aber dennoch irrtumslos waren.
- Er sorgte dafür, dass die Schriften oft und sorgfältig abgeschrieben wurden.
- Er half den Gläubigen, die von ihm autorisierten Schriften als solche zu erkennen.
- Er veranlasste Christen, die Bibel unter Einsatz ihres Lebens zu überliefern, zu übersetzen, zu erklären, zu verbreiten - bis an die Enden der Erde.
Und zu all dem wirkte und wirkt er in den Herzen von Menschen - sowohl Gläubigen als auch Ungläubigen -, damit sie sein Wort verstehen und anwenden können. Die Lehre über die Verbalinspiration kann recht trocken und theoretisch klingen. Aber sie ist etwas ganz Einfaches und Lebendiges: Wenn ich mit demütigem Herzen zu Gott komme und die Bibel im Glauben als sein Wort annehme um es zu befolgen, so werde ich die göttliche Inspiration dieses Buches erleben. Gottes Geist wird mir Gottes Wort erhellen, und es wird mir zur Quelle des Trostes, der Stärkung, der Weisheit, der Zurechtweisung werden - kurz: zur Quelle des Lebens.
Weil ich das erlebt habe und immer wieder erlebe, glaube ich an die göttliche Inspiration jedes einzelnen Wortes in der Bibel.