Antwort A
So gestellt, zerfällt die Frage in vier Unterfragen: Was bedeutet der Stein? Was bedeuten die sieben Augen darauf? Was seine Eingrabung? Was die Hinwegnahme der Ungerechtigkeit des Landes an einem Tage?
Mit verwundertem Interesse muss jeder Schriftkundige in Israel sich über den Stein aufgehalten haben; denn kein Geringerer als Moses, der große Prophet und Verfasser der ersten Teile der Heiligen Schriften, hatte ihn schon genannt im Segen Jakobs über Joseph (1. Mose 49,24f.): „Von dannen ist der Hirte, der Stein Israels.” Von wannen? „Von dem Gott deines Vaters ... von dem Allmächtigen.” Verheißungsvoller Ursprungsort! (Auch den Hirten nennt Sacharja, Kap. 13,7, und zwar als den Genossen Jehovas.) Jahrhunderte nach Mose erst ist wieder von dem geheimnisvollen Stein die Rede: Ps. 118,22. Jesaias noch redet in denselben Ausdrücken von ihm, Kap. 28,16. Siehe auch Sach. 10,4.
Der Stein ist Jehova-Jesus.
Die sieben Augen sind die Augen Jehovas, wie Kap. 4,10 in bezug auf 3,9 ausdrücklich sagt. Zu welchem Zwecke sie die ganze Erde durchlaufen, sagt 2. Chr. 16,9: „Auf dass Er Sich mächtig erweise an denen, deren Herz ungeteilt auf Ihn gerichtet ist.” Da dieses ungeteilte Herz wirklich sowohl bei dem Haupte der Zivilbehörde, Serubbabel, als auch bei dem Vertreter des Religionsverhältnisses, Josua, vorhanden war, so verbürgt Sich Jehova, Sein Wort zu erfüllen derart, daß, sollte das Hindernis für den guten Fortgang des Tempelbaues sogar ein großer Berg sein, derselbe doch zur Ebene werden sollte (4,7). Dabei erscheint der Stein nochmals, und zwar als Schlußstein des Tempelgebäudes, woraus wir erkennen: Jehova-Jesus ist Grundlage und Abschluß der Wege Gottes.
Das Eingravierte auf einem Gegenstand gibt Auskunft entweder über den betreffenden Gegenstand selber oder über etwas, wozu er in Beziehung steht. Als Beispiele mögen dienen Sach. 14,20; 2. Mose 28,12.29.36; Off. 3,12. „Seine (des Steines) Eingrabung eingraben” ist also das zum Ausdruckbringen der Gedanken Gottes über den Stein, das Eingegrabene ist dieser Ausdruck.
Das Hinwegnehmen der Ungerechtigkeit des Landes zeigt, dass nach den Gedanken und nach dem Herzen Gottes Sein Land und Volk ein Ganzes bilden und daß, wenn Seine Zeit gekommen ist, Er in Verbindung mit dem Stein in Eile den Weg frei macht zur Einführung der Segnung, Vers 10, welche zu spenden von jeher Seine Verheißung war. Siehe 3. Mose 25,23: „Mein ist das Land” (26,32-35; 5. Mose 29,22 - 30,14).
Eine Anzahl der Weggefährten war auf den Erlass des Cyrus hin aus Babel zurückgekehrt; hatte zuerst den Altar wieder aufgerichtet an seiner Stelle und dann den Grund zum Hause Jehovas gelegt. Auf heimtückisches Betreiben der Feinde ihrer Nationalität (bildlich als „großer Berg” dargestellt) wurde ihnen der Weiterbau auf königlichen Befehl untersagt, und ihr Unglaube gehorchte nur zu schnell. Nach 17 Jahren wurde die Arbeit wieder aufgenommen, nachdem Gott Selber durch die Propheten Haggai und Sacharja das Volk aufgerüttelt hatte. „Das Wort Jehovas geschah” heißt es immer wieder; aber „es geschieht” zu den Propheten nicht, um nur ein naheliegendes Ergebnis zu erzielen, sondern es wird hinsichtlich der Endzeit gegeben, wo die jeweiligen Wege Gottes, die anfänglichen und die im Laufe der Zeit immer neu folgenden, ihren Abschluß finden im kommenden Reiche. Und da ist der Mittelpunkt immer Christus. Der Geist benützt jede Gelegenheit, die sich Ihm bietet, um durch Personen und Umstände Christum vorbildlich darzustellen. Der Tempelbau mit der Grundsteinlegung und die dabei im Vordergrund stehenden Persönlichkeiten war solch eine Gelegenheit.
Die Verse 8-10 in Sach. 3 bilden einen Abschnitt für sich. Der Hohepriester Jehoschua (d. i. Jehova-Jesus ist Rettung) und seine Genossen sind „Männer des Wunders”, des Wahrzeichens, des Vorbildes; eigentlich sind Seine Genossen allein so genannt (in Jes. 8,18 die Kinder und Er). Der Geist blickt da in damals noch ferne Zeit, von der Er schon durch David geredet hatte, Ps. 110: er redet von dem durch göttliche Berufung und göttlichen Eidschwur zur Melchisedek-Hohepriesterstellung erhobenen Messias, Hebr. 7, der in dieser Stellung Genossen hat. Den an Ihn gläubig gewordenen Hebräern (und uns natürlich mit ihnen) wird gesagt, dass sie diese Genossen sind (Hebr. 3,1 und 14; siehe auch Off. 1,6). Aber auch die Getreuen aus Juda, die durch die große Drangsal hindurchgehen, am Ende derselben beim Strafgericht über gewisse Nationen mitwirken und ins Reich eingehen, sind Seine Genossen, wie es ja von Anfang der Berufung Israels an feststand, dass es ein Volk von Priestern sein sollte, was es auch sein wird (siehe 2. Mose 19,6; Jes. 61,6; Ps. 45,7; 110,3; 149,6-9; Obadja V. 17-21; Micha 5,5-8; Sach. 9,13-16; 10,4-12). Vers 8 ist aber nur einleitend auf die nachfolgende Mitteilung hin, dass Jehova Seinen Knecht, Sproß genannt, kommen lassen wolle. Dieser Titel „Sproß” bezeichnet selbstverständlich den Messias. Jesaias und Jeremias hatten Ihn schon so genannt (Jes. 4,2; Jer. 23,5; 33,15). Es mag sonderbar scheinen, dass gerade dem Josua diese Mitteilung gemacht wird, da er doch selber den Messias darstellte. Die Sonderbarkeit verwandelt sich in bewunderndes Staunen, wenn wir entdecken, dass Josua nur den priesterlichen Messias vorbildlich darstellt, während der königliche durch den Landpfleger Serubbabel dargestellt wird (Hagg. 2,20-23), der ja im Geschlechtsregister des Messias steht (Mt. 1,13). Beides zusammen, König- und Priestertum, wird in Kapitel 6,12.13 genannt; aber auch schon in Kapitel 4 unter dem Bilde der beiden „Söhne des Öls” vorgestellt. Serubbabel hatte dieses Haus gegründet und würde es vollenden (4,9); der „Sproß” würde den Tempel des Reiches bauen (Hes. 40-48) und Träger der Herrlichkeit sein.
Also bedeutet Sach. 3,9: „Denn ein Grundstein ist ja vor deinen Augen gelegt worden, Josua (siehe Esra 3,8-13 und Hagg. 1) ...; in Meinen Augen ist es der Stein, den Ich gelegt habe, auf dem alles ruhen wird: eben der Sproß, den Ich verheißen habe, Mein Knecht: auf Ihn gründet sich alles, was nach Meinen Gedanken in Erfüllung gehen wird. Es wird gewährleistet dadurch, dass Er die Fülle der Kenntnis Meiner Gedanken hat und dass Ich Selber Ihn als den bestätige, der Er ist und was Er ist.”
F. Kpp.
Anmerkung des Herausgebers
Was für eine schöne Antwort - diese einzige auf obige Frage eingegangene! Möchten die teuren Leser dieses Heftes viel Zeit dabei verbringen können, sich mit Forschen über diesen Gegenstand zu beschäftigen, um zu erfahren, „ob es sich also verhält”, wie der Einsender der Antwort sagt! Das ganze dritte Kapitel des Propheten Sacharja stellt auch die Erfahrung einer Seele dar, die mit Gott in Ordnung kommt. Die Erfahrung der Macht Jehovas genügt nicht, Jerusalem völlig wiederherzustellen (Kap. 2), die Frage der Sünde muss an dem späteren Tage, wo Jerusalem wieder der Segensmittelpunkt der Welt werden soll (2,11!), ebenfalls geregelt sein, und das geschieht vorbildlich in Kapitel 3. Aber was dort gesagt ist in bezug auf Jerusalem und Israel, lässt sich eben auch leicht übertragen auf den einzelnen Sünder, der vor Gott offenbar geworden ist. Darüber können wir uns hier nicht verbreiten; doch ist das Kapitel wert, nach dieser wie nach jener Seite hin betrachtet zu werden. In dieser Hinsicht wie hinsichtlich des Hauptgegenstandes des prophetischen Gesichtes erscheint der Stein - Christus - als höchst wichtig, wie uns Jes. 28,16 und daran anknüpfend 1. Petr. 2 zeigt. Wer an Ihn - den Stein - glaubt, auf Ihn vertraut, auf Ihn sich gründet, der wird nicht zuschanden! Prüfen wir uns: was ist uns dieser Stein?
Was die sieben Augen anbetrifft, so erinnern wir an die sieben Geister in Off. 4,5 und 5,6 und im Anschluß daran noch an Jes. 11,1.2, wo von - wenn wir so sagen dürfen - sieben verschiedenen Ausstrahlungen des Geistes Jehovas, von sieben „Geistern” die Rede ist in Verbindung mit dem Schößling (Sproß) oder Reis aus dem Stamme Isais. Bezüglich der „Eingrabung” deuten wir noch hin auf Off. 2,17, ohne dass wir zu allen diesen Andeutungen nähere Erklärung geben möchten. - Es ist köstlich für uns Gläubige der Jetztzeit, zu sehen, wie in Ihm, unserem Herrn Jesus Christus, sich alle diese Weissagungen erfüllen werden; ja, Er ist Anfang und Ende aller Wege Gottes! Noch liegt die Decke auf Israels Herzen (2. Kor. 3,15); aber wie wird es einst staunen, wenn es die Erfüllung all dessen sieht, was es durch die Jahrtausende hin Tausende von Malen in seinen Propheten gelesen und - nicht verstanden hat, weil es einst „den abwies, der da redete” (Hebr. 12,25!); wie wird es staunend niedersinken, wenn es ihm, wie einst Paulus, „wie Schuppen von den Augen fallen wird”! Möchte dieser Tag bald erscheinen, an dem „ganz Israel” errettet wird und Jehova in seiner Mitte wohnen wird (Röm. 11,26; Sach. 2,10). Welche Freude wird dann sein bei der Tochter Zion! - Möchten wir Gläubigen heute Ihn ehren, indem wir allein auf Ihn vertrauen und unter Seinen Augen uns glücklich wissen, die uns leiten wollen (Ps. 32,8). Wir werden uns um so besser von ihnen leiten lassen können, je mehr wir von den Dingen dieser Welt wegschauen und aufblicken, wir möchten sagen, in Seine Augen, um wie Stephanus nach 2. Kor. 3,18 hineinverwandelt zu werden in Sein Bild (siehe Apg. 7, 54-60; und vergl. Vers 59.60 mit Lk. 23,34 und 46)!