Antwort
Beim Lesen der genannten Verse kann in jemand der Gedanke aufsteigen, dass ein Mensch sich durch „gute Werke” das ewige Leben verdienen könne. Aber ein solcher Gedanke entspricht durchaus nicht dem Sinne des in diesen Versen Gesagten und ist gerade das Gegenteil von dem, was in besonderer Weise in diesem Briefe mit größter Bestimmtheit gelehrt wird: die Rechtfertigung allein durch Glauben (3,20a.28). Wenn wir uns die betreffenden Verse genau ansehen, finden wir, dass sie auch keineswegs im Gegensatz zu dieser Lehre stehen - wie könnten sie auch? -, sondern dass sie ihr vollen Raum lassen, denn die Worte V. 6: „nach seinen Werken” stellen die Werke nicht als die Ursache für die Vergeltung hin, sondern lediglich als den Maßstab, nach dem Gott einem jeden vergelten wird; die Ursache sind nicht die Werke, sondern ist das, woraus die Werke hervorgegangen sind - das, was im Herzen ist. Das stimmt mit dem überein, was uns Gottes Wort über das Herz sagt: „... der Mensch sieht auf das äußere, aber Jehova sieht auf das Herz” (1. Sam. 16,7); „Behüte dein Herz mehr als alles, was zu bewahren ist; denn von ihm aus sind die Ausgänge des Lebens” (Spr. 4,23); „Denn aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen” (Mt. 15,19); „Das in der guten Erde aber sind diese, welche in einem redlichen und guten Herzen das Wort, nachdem sie es gehört haben, bewahren und Frucht bringen mit Ausharren” (Lk. 8,15). Das, worauf es ankommt, ist die Herzensstellung eines Menschen zu Gott; nach dieser richtet es sich, ob Gott einem Menschen „ewiges Leben” (V. 7), „Herrlichkeit und Ehre und Frieden” (V. 10) geben kann, oder ob er „Zorn und Grimm” (V. 8), „Drangsal und Angst” (V. 9) über einen Menschen ergehen lassen muß. Und diese entscheidende Herzensstellung eines Menschen wird durch die Werke desselben offenbar, und dadurch sind die Werke gleichsam ein Beweismittel, auf das Gott Seinen Geschöpfen gegenüber Bezug nimmt. In dieser Weise sind hier die Werke zu betrachten. Das zeigt das ganze Kapitel 2. Nachdem in Kap. 1 das Tun des Menschen in seiner furchtbaren Verdorbenheit ans Licht gestellt worden ist, beschäftigt Kap. 2 sich mit dem Inneren, dem Herzen des Menschen (s. V. 5.15.29!), und zeigt, dass Gott nicht nach dem äußeren Schein urteilt, sondern dass Er - ohne Ansehen der Person - „das Verborgene der Menschen” richten wird (V. 1-16) und dass nicht bloßes Wissen und äußere Form, sondern nur die richtige Herzensstellung zu Ihm Wert vor Ihm hat (V. 17-29). Nur die, welche in der richtigen Herzensstellung zu Gott sind, sind es, die „mit Ausharren in gutem Werke Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit suchen” (V. 7), und dieses „Suchen” besteht darin, dass sie, glaubend, was Gott in Seinem Worte sagt, und daher wissend, dass „Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit” ihrer wartet, sich auf dieses ihrer Wartende freuen und bis dahin in Hingabe und Gehorsam hienieden leben. Dieses Glauben und Leben in Hingabe und Gehorsam ist das „gute Werk” und „das Gute wirken”, wovon V. 7 und 10 gesprochen ist - also etwas ganz anderes als sogenannte „gute Werke”, durch die manche Menschen meinen, sich Gottes Gunst zu verdienen und einen Platz im Himmel zu erlangen. Wahrer Glaube ist also die unbedingte Voraussetzung für das, was in V. 7 und 10 gesagt ist.
Das Ebengesagte ist auch deutlich aus V. 8 zu ersehen, wo das Entgegengesetzte gezeigt wird. Da heißt es: „... denen aber, die streitsüchtig und der Wahrheit ungehorsam sind, der Ungerechtigkeit aber gehorsam, Zorn und Grimm!” Der Glaubende gibt Gott recht und stellt sich unter die Wahrheit - ist ihr „gehorsam”, d. h. glaubt sie; hier aber ist von Menschen die Rede, die Gott nicht recht geben, sondern bestreiten, was Er sagt, und der Wahrheit nicht gehorsam sind, also sich ihr nicht unterwerfen, sich nicht unter sie stellen, sie nicht glauben. Diesem Herzenszustand entspricht es, dass sie „der Ungerechtigkeit gehorsam” sind. Dieses Nichtglauben und Leben in der Ungerechtigkeit ist „das Böse”, das ein solcher Mensch „vollbringt” (V. 9).
So haben wir gesehen, dass das in Röm. 2,6-11 Gesagte sich nicht auf die Werke eines Menschen gründet, sondern auf seine Herzensstellung zu Gott - darauf, ob er glaubt oder nicht, und dass die (im übrigen sehr notwendigen! Anm. d. Schriftl. F. K.) Werke nur der Ausdruck von dieser Herzensstellung sind.
Eine Parallele zu dem vorstehend Betrachteten finden wir in Ev. Joh. 5,29, wo der Herr Jesus von der Auferstehung spricht und sagt, dass alle, die in den Gräbern sind, Seine Stimme hören „und hervorkommen werden: die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse verübt haben, zur Auferstehung des Gerichts”. Wenn der Herr Jesus hier „das Gute” sagt, meint Er nicht das, was Menschen als „gute Werke” bezeichnen, sondern das, was Gott als „gut” anerkennt, und das ist nur das, was aus Ihm Selbst hervorgegangen ist; Er allein ist die Quelle „des Guten”. Daher ist die erste Notwendigkeit für einen Menschen, ehe er „das Gute getan” haben kann, dass Gott in ihm wirken konnte, und dieses setzt den Glauben voraus gemäß der jeweiligen Offenbarung Gottes diesem Menschen gegenüber. (Letztere - die jeweilige Offenbarung Gottes - erwähnen wir, weil dieser Grundsatz sich auf alle erstreckt, die an der Auferstehung des Lebens teilhaben werden, zurück bis auf Adam, und auch auf die, welche vielleicht keine andere Offenbarung Gottes hatten als die in der Schöpfung - Röm. 1,19.20 - und in ihrem Gewissen - Röm. 2,15). Deshalb - weil der Glaube die erste Voraussetzung für „das Gute” ist - sagte der Herr Jesus den Juden Joh. 6,29b auf ihre Frage: „Was sollen wir tun, auf dass wir die Werke Gottes wirken?” (V. 28): „Dies ist das Werk Gottes, dass ihr an Den glaubet, den Er gesandt hat.” Damit - mit dem Glauben an den HERRN - fing für sie das Tun „des Guten” an, und damit hat es auch für uns angefangen, und es findet seine Fortsetzung in dem Glauben, Lieben, Hoffen, Gehorchen. Nur ein Mensch, welcher glaubt, kann „das Gute” tun, da - wie schon gesagt - nur Gott Selbst „das Gute” wirken kann, und nur ein Mensch, welcher glaubt, das Werkzeug Gottes hierzu sein kann. Dasselbe ist es auch mit dem „guten Werke” in unserer betrachteten Schriftstelle.
Th. K.