Antwort A
1. Kor. 3,13 sagt uns Paulus, dass eines jeden Werk offenbar werde, und Jakobus ermahnt uns, Täter des Wortes zu sein (Jak. 1,22). Hier in der in Frage stehenden Stelle wiederum die Weisung: „ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk”! Alle diese Stellen zeigen uns zunächst, wo die Quelle unseres Ruhms liegt, dass es nur Christus und Sein Werk ist und dass an diesem Maßstab gemessen der Ertrag aller menschlichen Werke nur ein Ertrag der Gnade ist, dass aber andererseits Nachfolge und treuer Dienst (Werk) nicht voneinander zu trennen sind und dass eines das Ergebnis des anderen ist. Ein Christ, der sich wiederum unter Satzungen gefangennehmen läßt, nachdem er die herrliche Freiheit, in die ihn Christus gebracht hat, erkennen durfte, wird sich sowohl in seinem Werk für den HERRN als auch im Dienst den anderen Gläubigen gegenüber als schwach und unklar erweisen. Die Galater hatten sich wieder der religiösen Welt zugewandt und an Dingen Wohlgefallen gefunden, die dem religiösen Fleische Nahrung boten, mit anderen Worten, sie begehren wieder ein Gesetz, und nun gibt ihnen Paulus einen Gradmesser, er sagt ihnen: Wollt ihr ein Gesetz haben, dann erfüllt das Gesetz Christi! Hier hatten sie ein Vorbild an dem Einen, der in Seinem Leben dem Gesetz Genüge getan und der die Lasten anderer auf Sich genommen hatte. Im Blick auf dieses kostbare Vorbild konnte Paulus den Galatern sagen: Erweist euch als Leute, die tragfähig sind, und als solche, die jedermann etwas sein können, dann werdet ihr euch nur noch des HERRN rühmen. Was war der Ruhm der Galater? Neue Satzungen, die sie in die Beschneidung hineingeführt hatten, und darum verweist der Apostel den einzelnen darauf, sein eigenes Werk zu prüfen, im Blick auf dasselbe würde dann aller Ruhm schwinden, da habe ein jeder dann genug an seiner eigenen Last, was davon abhalte, anderen Bürden aufzuerlegen, die dem Gesetz Christi zuwider sind. So liegt hier für uns als Gläubige die praktische Mahnung: keinen anderen Ruhm zu kennen als nur das Kreuz des HERRN (V. 4), von der Welt, auch von der religiösen, geschieden zu sein und willig die damit verbundene Schmach zu tragen, die unser Malzeichen sein soll (V. 17). Dann ist unser Werk auf Sein Werk aufgebaut, und bei der Prüfung wird sich's erweisen, dass es Bestand hat. Unser Rühmen ist dann nur der HERR (1. Kor. 1,31), und die eigene Last wird dann so sein, dass sie im Blick auf das Kreuz gering wird, und wir erkennen, dass wir unser Leben an den Christus verloren haben (Mt. 10,38.39). Dann hört Gesetz und Ruhm auf, und das Gesetz Christi beginnt für uns, indem wir unsere Last nicht mehr sehen, sondern bereit sind, die Last anderer mitzutragen (V. 2). Also nicht sich mehr aufbürden, denn darin erweist sich die Schwäche, sondern das eigene Werk prüfen; dann werden wir uns nur des HERRN rühmen, und die aufgelegte Last wird uns genügen, dieweil wir wissen, Sein Werk wird in unserer Schwachheit vollbracht (2. Kor. 12,9).
Ph. W.
Antwort B
Viele Glieder der galatischen Gemeinde hatten den Gesetzeslehrern Gehör geschenkt und sich von der Wahrheil des Evangeliums der freien Gnade abgewandt. Dadurch hatten sie persönlich Schaden an ihrem inneren Leben gelitten, denn im Gesetz gerechtfertigt werden wollen heißt: „abgetrennt von Christus, aus der Gnade gefallen sein” (5,4). Aber auch in das Gemeindeleben war Verderben eingedrungen. Die Einigkeit im Geiste war zerstört: Richtgeist und Parteigeist trennt die Gläubigen (5,15).
Demgegenüber erinnert Paulus an die herrliche Stellung der Gläubigen in Christo. Sie sind vom Gesetz befreit, stehen unter der Gnade und sind Geistesmenschen, die, mit Christo gekreuzigt, durch den Geist leben und die Frucht des Geistes in ihrem Wandet offenbaren dürfen und sollen. Diese zeigt sich im Gemeindeleben besonders in der Liebe, Sanftmut, Demut und Geduld. Auch ein Christ kann fehlen und fallen. Zwar kann er nicht mit Wissen und Wollen sündigen und in der Sünde beharren (1. Joh. 3,6.9), aber er kann aus Schwachheit sündigen, „von einem Fehltritt übereilt werden”. Was sollen die Geschwister in solchem Falle tun? Soll man streng und hart mit einem schwachen Bruder verfahren, ihn etwa aus der Gemeinschaft ausschließen? - Nein, das wäre nicht „geistlich”. Die „Geistlichen”, d. h. die Gläubigen, welche durch den Geist geleitet werden, sollen ihm im Geist der Sanftmut zurechthelfen, damit er wiederhergestellt werde. Das ist Geistesfrucht. Sind sie sich ihrer eigenen Schwachheit bewußt, so werden sie vor Hochmut, Überhebung und Lieblosigkeit bewahrt. Das „Gesetz Christi”, die Liebe, wird erfüllt, indem man sich mit unter die Last des anderen stellt, auch unter seine Schwachheit, sein Zukürzkommen. Wie wenig entspricht oft unser Verhalten diesem „Gesetz Christi”! Wie gering ist unsere Tragkraft, wie kurz unsere Geduld, wie kalt unser Herz! Wie wenig Erbarmen, wie wenig helfendes Mitleid findet oft der gefallene Bruder! Liebe und Demut gehören dazu. Aber meist regt sich der Pharisäer in uns, der den Zöllner mit kalter Verachtung straft. Wir vergleichen uns mit ihm, um an uns selbst Gefallen zu haben - so wollen wir Ruhm an dem anderen haben - mit einer gewissen Befriedigung, ja, vielleicht sogar Schadenfreude betrachten wir den Fehltritt durch das Vergrößerungsglas unseres fleischlichen Richtgeistes. So versündigen wir uns an dem Bruder und betrügen uns selbst. Gewiß sollte der Fall eines Bruders uns veranlassen, unser eigenes Werk zu prüfen, aber nicht, um selbst Ruhm zu haben im Vergleich mit jenem, wie ein Kind, das zur Mutter sagt, wenn eins der Geschwister ungehorsam war: „Nicht wahr, Mutter, ich bin aber artig!” Nein, jede Vergleichung mit dem anderen führt zu einem falschen Urteil, ist also Selbstbetrug. Es kommt vielmehr darauf an, was unser Werk nach dem Urteil Gottes wert ist. In dem Lichte Seiner Heiligkeit, Seines Wortes, gemessen an dem Einzigen, dessen Werk dem Vater wohlgefiel - wie unvollkommen, fehlerhaft, schwach erscheint da unser Werk! Wie müssen wir uns da in den Staub beugen: „Wir sind unnütze Knechte!” (Lk. 17,10). Und selbst wenn unser Herz uns nicht verdammt, wenn wir es wagen dürften, in aller Demut, wie Paulus 1. Kor. 15,10, zu sagen: „Ich habe mehr gearbeitet als sie alle,” so müßten wir doch gleich ihm hinzufügen: „nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir war.” Und sind wir nicht so tief gefallen wie andere, so hat uns doch nur die Gnade bewahrt. Vor dem Richterstuhl des Christus wird ein jeder empfangen, was er in dem Leibe getan, nachdem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses (2. Kor. 5,10). Da gibt's kein Vergleichen mehr; da wird jeder seine eigene Last tragen, jeder für sich selbst verantwortlich sein. Wohl uns, wenn wir dann, trotz all unserem Zukurzkommen, doch das Lob empfangen, dass wir treu erfunden sind. - Also Brüder, lasst uns geistlich miteinander umgehen, als Glieder eines Leibes, einander stützend, helfend, tragend in Demut, Liebe und Geduld!
Chr. K.
Anmerkung des Herausgebers
Zu obigen Antworten noch einiges! Das brüderliche Verhalten zu einem Kinde Gottes, das „von einem Fehltritt übereilt” ward, ist ein ganz anderes (Gal. 6,1ff.) als das Verhalten, das in Fällen einzutreten hat, da der sündigende Gläubige in seiner Sünde verharrt (darin „wandelt”, 2. Thess. 3,6; vergl. Antw. C zu Frage 28!) oder sich gar nicht von der Welt unterscheidet, ein „Böser” ist (1. Kor. 5, bes. V. 11-13!). Gal. 6,1ff. hat nichts zu tun mit der Frage schriftgemäßer Zucht. Wüßten wir alle nur besser nach dieser Stelle zu wandeln, wie oft würden wir selbst verhindern können, dass Gläubige in einen solchen Sündenzustand geraten, dass Zucht unerläßlich ist.
Wer sich selber kennt durch Selbstprüfung, ohne sich (und seine Arbeit) mit anderen hochmütig zu vergleichen, der muss beschämt bekennen, dass er nichts ist, dass alles, was die Gnade trotz der Hindernisse, die wir selbst ihr in den Weg legen, dennoch in uns fertig gebracht hat, uns zum Rühmen bringt dessen, was Christus ist. Das Wort hier schließt nicht den Ruhm und die Freude am eigenen gottgewirkten Werk aus, aber nimmt ihm das verderbliche Vergleichen mit anderen und gibt ihm die rechte Richtung: Christus. Was an unserem Wirken gut ist, ist ja nur Gottes Gabe, was schlecht ist, ist unser Zukurzkommen, unser Verschulden: was für ein Recht hätten wir also wohl, über andere uns zu erheben, sie vor unserer „Größe” sich beugen zu lassen! Wir haben genug zu tragen an unseren Verkehrtheiten, für die wir auch vor dem Richterstuhle die Verantwortung tragen, haben also keinen Grund, andere gering zu achten, uns aber hoch! Da wir aber unser eigenes Zukurzkommen kennen, auch in dem der anderen uns selber wiederfinden, so gebührt es uns, einander zu ertragen, die Lasten der Geschwister zu tragen (ohne über die Fehlenden herzufallen, wie - wenn auch in guter Meinung - die drei selbstgerechten Freunde des Hiob!) und uns in demütiger Selbsterkenntnis mitzubeugen unter die Fehler der anderen und ihnen „zurechtzuhelfen im Geiste der Sanftmut”!
Möchten wir unser gegenseitiges Gemeinschaftsleben auch unter dem Gesichtspunkt ansehen, nie von anderen zu viel zu erwarten, milde gegen sie, desto strenger gegen uns selbst zu sein, dann werden wir nicht in ihnen so leicht enttäuscht, verlieren das Vertrauen zu ihnen nicht (Philem. V. 5c) und finden auch weniger Veranlassung, in den Fehler zu verfallen, uns besser als sie zu dünken. Das Verhalten des Herrn Jesu dem Petrus gegenüber ist hier sehr belehrend und ermunternd für uns: Er erwartete nicht zu viel von Seinem Jünger, wußte, was dessen Glaube hergeben konnte und was nicht, warnte ihn in heiliger, treuer Besorgnis vor Selbstüberhebung, und, da Er seinen Fall voraussah, betete Er für ihn, dass sein Glaube nicht aufhöre, verzweifelte nicht an ihm, sondern half ihm nach dem Fall wieder vollkommen zurecht (vgl. Lk. 22,31-34.60-62; 24,34; Joh. 21,15ff.). - Möge der HERR uns Gnade schenken, Seine Gesinnung zu haben (Phil. 2,5) und untereinander in Wahrheit die Gemeinschaft des Geistes zu verwirklichen und aneinander das Gesetz des Christus zu erfüllen: die Liebe! (6,2; Röm. 13,8).