Was bedeutet das „Jetzt“ in Johannes 12,31?

Was bedeutet das „Jetzt“ in Joh. 12,31?

Antwort A

Jetzt ist das Gericht der Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden.” So hat der HERR kurz vor Seinem Hingang ans Kreuz gesprochen. Wie ist dies „jetzt” zu verstehen? Welches Gericht ist gemeint? Wann wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen?

Zweifellos redet der HERR von Golgatha. Denn der Tod Jesu ist das Fundament alles Heils. Nicht nur Seine Auferstehung, nein, auch schon Sein Sterben war ein Triumph. Denn die Dahingabe Seines Lebens geschah im Hinblick auf Seine Widerlebendigwerdung und Rückkehr in ein menschliches, aber dann verklärtes und verherrlichtes Leben. (Joh. 10,17) Nur infolge dieses inneren Zusammenhanges und dieser gleichzeitigen Zusammenschau konnte der Gekreuzigte ausrufen: „Es ist vollbracht!” Nur deshalb kann auch Paulus gerade das Kreuz als einen „Triumph” bezeichnen. Er, Christus, hat, als Er die Fürstentümer und Gewalten ausgezogen hatte, sie öffentlich zur Schau gestellt, „indem Er durch dasselbe über sie einen Triumph hielt”. (Kol. 2,14.15)

1. Dieses Kreuz Christi ist das „Gericht der Welt”. Christus hat am Kreuz das Gericht über die Welt getragen. Durch das Kreuz ist Er „die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt”. (1. Joh. 2,2) Zugleich aber ist damit nicht nur die „Verdammung” der Welt als ungöttlicher Welt gemeint, sondern „richten” heißt zweierlei: den sittlichen Zustand nach der schlimmen wie auch nach der guten Seite hin offenbar machen und dementsprechend das Urteil sprechen. Das Kreuz Christi aber macht einerseits offenbar, wie gesunken, verloren und gottfeindlich die allgemeine Welt ist, dass sie für Ihn, den König der Ehren, keinen anderen „Thron” hat als den Hügel Golgatha! Andererseits aber stehen auch andere unter dem Kreuz: Maria, Johannes, der Jünger, den Jesus lieb hatte, und - im Geist seitdem - so viele Tausende, die gerade den Gekreuzigten als ihren Erlöser erlebt haben.

So ist das Kreuz und der Gekreuzigte eine große „Scheidung” (- das griechische Wort für „Gericht” heißt auch „Scheidung” -); den einen ein „Stein des Anstoßes” und „ein Fels des Ärgernisses” (1. Petr. 2,8), ein Zeichen, „dem widersprochen wird” (Lk. 2,34), den anderen aber der kostbare „Eckstein”, auserwählt und aufs festeste gegründet (Ps. 118,22; Jes. 28,16; 1. Petr. 2,6); den Juden ein Anstoß, den Griechen eine Torheit, den Erlösten aber die Kraft Gottes (1. Kor. 1,22.23) und die Wahrheit und die Weisheit und die wunderbarste Liebesoffenbarung des Höchsten (1. Kor. 1,24).

2. Und weil dieses „Gericht” der Welt zugleich die Grundlage ihrer Errettung ist, ist es verbunden mit dem Hinausgeworfenwerden des Fürsten dieser Welt. Der HERR redet hier in der Form der Zukunft. „Der Fürst dieser Welt wird hinausgeworfen werden.” Vollendet wird dies werden erst in der Endzeit, wenn Satan, die alte Schlange, in den Feuersee geworfen sein wird. (Off. 20,10) Aber begründet worden ist es auf Golgatha. Daher diese so merkwürdige Verbindung von Gegenwart und Zukunft: „‚Jetzt‘‚wird‘er hinausgeworfen ‚werden‘!” Aber dazwischen liegen ungezählte Triumphe der Auswirkung des Kreuzes. Jedesmal, wenn eine Seele zum Glauben an den Gekreuzigten kommt, verliert Satan einen Teil seines Reiches. Er wird aus diesem Herrschaftsgebiet „hinausgeworfen”. (Mt. 12,29)  Christus zieht ein und richtet Sein Regiment auf. Mit Golgatha aber beginnt diese Reihe der Siege. Seiner Kraft nach ist das Ausgestoßenwerden Satans im Kreuzestode Christi begründet; seiner Auswirkung nach geschieht es allmählich, seiner Vollendung nach wird es einst völlig sein.

Und gerade das ist die geheimnisvolle Spannung, die das gegenwärtige Zeitalter beherrscht: nach (!) dem Siege des Triumphators ist das Reich des Siegers verborgen, und das Reich des Besiegten ist offenbar! Der Überwinder scheint überwunden, und der Überwundene scheint zu triumphieren.
Darum sind wir jetzt „Wartende”. Wir sind auf „Hoffnung errettet”. (Röm. 8,24) Darum schauen wir aus nach Seiner Wiederkunft. Sein Erscheinen in Herrlichkeit ist die Lösung aller Spannungen.

Darum auch der doppelsinnige Gebrauch des Wortes „erhöhen”. „Und Ich, wenn Ich von der Erde erhöht sein werde, werde alle zu Mir ziehen.” (Joh. 12,32; vgl. 3,14; 8,28) Die Erhöhung ans Kreuz (V. 32.33) und die Erhöhung auf den Himmelsthron gehören zusammen. Der Gekreuzigte ist der Gekrönte (Phil. 2,8-11; Hebr. 2,9); und darum muss der alte Fürst dieser Welt „hinausgeworfen” werden, weil der neue, der eigentliche Fürst, der König aller Könige, Seinen Einzug halten will!
3. Und warum sagt der HERR „Jetzt”, obwohl Er doch noch vor Golgatha steht? - Weil Er als Gott alle Zeiten zugleich sieht, weil Er nicht an die Zeitschranke gebunden ist und weil Ihm schon bei dem Hingang zum Leiden „die vor Ihm liegende Freude” vor Augen stand. (Hebr. 12,2) So sieht Er schon vor Golgatha und Pfingsten Seine Jünger als „Söhne” Gottes an. (Mt. 5,45; 6,9-13) So nennt Er sie schon vor Golgatha „rein” um Seines Wortes willen. (Joh. 15,3) So sagt Er schon vor Golgatha zum Vater: „Ich habe das Werk vollbracht, welches Du Mir gegeben hast, dass Ich es tun sollte.” (Joh. 17,4)

Zugleich aber steht dieses „Jetzt” auch in Beziehung zu dem Augenblick, in dem der HERR es tatsächlich damals sprach. Die Griechen waren gekommen, um Ihn zu sehen. (V. 20-24) Doch der HERR konnte sie nicht ohne weiteres empfangen, weil die „Zwischenwand der Umzäunung” zwischen Israel und den Nationen noch bestand. (Eph. 2,11-22) Erst wenn Er „erhöht” sein würde - nach Golgatha nebst Seiner Himmelfahrt -, wird Er sie „alle” (die Griechen wie die Juden usw.) ohne Unterschied zu Sich ziehen können. (Vgl. Apg. 10; Eph. 2,16.17)

Dennoch ist Ihm dieses Kommen der Griechen ein prophetisches Zeichen. So werden sie dereinst kommen aus den Ländern der Nationen, von allen Gegenden der Erde, um Ihm zu huldigen: im Zeitalter der Gemeinde wie im Zeitalter des Messiasreiches! Er, der Sohn Davids, wird dastehen als Panier der Völker; und nach Ihm werden die Nationen fragen. (Röm. 15,12; Jes. 11,10) Das wird dann in Wahrheit eine „Verherrlichung” des Menschensohnes sein!

Aber diese Seine „Verherrlichung” ist wie die des Weizenkornes. Es muss in die Erde gelegt werden und sterben, wenn es Frucht bringen soll. So auch Christus. Sein Leiden ist darum nicht nur die Vorstufe zur Herrlichkeit, sondern der Beginn der Verherrlichung selbst. Die „Stunde” der Verklärung beginnt mit einer „Stunde” der Not. Darum spricht Er: „Die Stunde ist gekommen, dass der Sohn des Menschen verherrlicht werde.” (V. 23) „Jetzt” ist Meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen: „Vater, rette Mich aus dieser Stunde!”? Doch darum bin Ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche Deinen Namen! (V. 27.28)

So also beginnt „jetzt” die Ausführung des Gerichts. „Mit Seinem schmerzlichen Todesgefühl beim Kommen der Griechen kündete es sich an, durch Seinen Tod wurde es vollzogen, durch Seine Auferstehung offenbar gemacht und durch Seinen Heiligen Geist der Welt bekannt gemacht (Joh. 16,11) und von ihr angeeignet.
Darum auch Sein doppeltes, triumphierendes „Jetzt” (V. 31), das Er dem einmaligen, zitternden „Jetzt” von soeben gegenüberstellt. „‚Jetzt‘ist Meine Seele bestürzt.” (V. 27) Aber: „‚Jetzt‘ ist das Gericht dieser Welt! Jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden.
Er. Sr.

Zusätze des Schriftleiters

Unser werter Mitarbeiter meint in seinem Begleitschreiben, seine Antwort sei nur „eine knappe Skizze, aber vielleicht der Ausgangspunkt zu noch weiteren Hinzufügungen, die ein solches gewaltiges Wort ja ganz von selbst nahelege”. Nun, ich denke, seine gute „kurze Skizze” ist ausführlich genug, um jedem aufmerksamen Leser zu helfen, selber weiter zu forschen auf Grund des klar Gegebenen. Gleichwohl möchte ich noch einige Gedanken äußern zur geneigten Prüfung.
Jetzt ist das Gericht der Welt!” Ja, es ist die mächtige Krisis der Welt: Nach der einen oder nach der anderen Seite des Kreuzes - tatsächlich dargestellt durch die beiden Räuber am Kreuz (Lk. 23) - kann die Entscheidung fallen für den Sünder, für mich, für dich! - aber sie muss es auch: Neutralität beim Kreuze gibt es nicht und nie. (V. 25.26) Christus hat die Entscheidungsmöglichkeit für jeden geschaffen, die Möglichkeit aber wird Verpflichtung zur Entscheidung! Der Feind ist besiegt, das ist die objektive Seite des Gerichts der Welt, der die subjektive, persönliche, folgen muß: dass jeder, für den das „Gericht der Welt” objektive Tatsache ist, es wage, sich offen für den Gekreuzigten zu entscheiden. Der Teufel kann den nicht mehr halten, der in dem Gericht der Welt sein eigenes Mitgerichtetsein anerkennt und sich dem Richter, der heute noch sein Retter ist, willig unterwirft. Der Zeitpunkt ist „Jetzt”! Es ist das „Jetzt”, das damals mit dem Kreuz und dem Opfer des Sohnes Gottes eingeleitet wurde und dem „Jetzt” in Kap. 5,25 entspricht. Wer es nicht anerkennt, verfällt dem Gericht nach dem Tode. (Hebr. 9,27) Was die Welt in Gottes Augen wert ist, ist im Kreuze, in der Kreuzestat zu sehen: Sie ist gerichtet: Denn wenn der Fürst eines Landes gerichtet ist, dann nimmt sein Land daran teil; hier ist „der Fürst dieser Welt” gerichtet und damit auch sein Gebiet, abgesehen davon, dass auch die Bösartigkeit der Welt an sich schon im Kreuze zur Aburteilung gekommen ist. Wohl dem, der das gewaltige „Jetzt” anerkennt und einsieht, was es den Sohn kostete, dies Gericht hinauszuführen, wenn Er Sich auch wie in Joh. 17,4 jenseits des vollbrachten Werkes sieht. Wer es annimmt, gehört zu denen, die sich ziehen lassen durch Ihn zu Ihm! (V. 32) Diese Stelle ist von der Irrlehre der sog. „Allversöhnung” dazu mißbraucht worden, dass alle Menschen (der Zahl nach) gerettet werden müßten, weil der HERR sie alle zu Sich zöge. Aber, wie unser Mitarbeiter ganz klar sagt, handelt es sich um die verschiedenen Gruppen von Menschen - Juden und Griechen, indem nach Seiner Erhöhung der Weg frei sei eben auch für die Griechen, von denen Ihn damals einige zu sehen wünschten. (V. 20.21) Wenn auch diese Griechen, die zum Feste kamen, sog. „Proselyten”, also schon Anhänger des Judentums waren, so würden doch nach dem Kreuz, also nach vollzogenem Gericht der Welt, auch echte Griechen - d. h. noch Heiden! - von Ihm gezogen werden. [Römerbrief! „Juden und Griechen” wie z. B. 10,11.12.] (Gewiß zieht Er in einem Sinne alle Menschen, aber nicht alle folgen dem Zug!) „Alle”, das sind alle Arten von Menschen: Geschlechter, Rassen, Völker, Nationen, auch Charaktere, Mühselige, Gebundene, Beladene usw. -
Wie mag unser geliebter HERR Sich auf den Zeitpunkt gefreut haben, wo Er „sie alle” ziehen würde! Wie war Er doch so bereit, den Leidensweg bis zu Ende zu gehen! Wunderbar jenes andere „Jetzt” von V. 27! Welche Seelenkämpfe, inneren Nöte, Vorempfindungen und Erschütterungen hat Er doch durchgemacht im Blick auf das Kreuz, an dem Er in Seiner moralischen Heiligkeit die Stunden der Berührung mit der Sünde und des Verlassenseins von Seinem Gott und des leiblichen Todes durchkosten sollte! Schreckte Er deswegen zurück vor diesem äußersten Schritt? Gewiß nicht! Gepriesen seist Du, teurer HERR, dass Du nicht nach Errettetwerden aus „dieser Stunde” ausschautest. Hättest Du das getan, wie hätte der Vater Deinen Wunsch nicht erfüllen sollen?! Aber was wäre dann aus uns geworden?! Wir hätten nie errettet werden können, nie würde der Fürst dieser Welt hinausgeworfen worden sein, nie wäre in dem Gericht über diesen das Gericht über sein Herrschaftsgebiet - die Welt vollzogen worden, nie hätte uns ein Lichtstrahl ewigen Lebens geglänzt! Dank sei Dir, treuer HERR, dass Du willig in dieser Stunde bliebst, wenn auch Deine reine Seele unsagbar gelitten hat, mehr als wir je nachfühlen können! - Und doch wurde Er aus „dieser Stunde” gerettet, nur noch nicht in jenen Augenblicken, erst musste „das Gericht der Welt” tatsächlich vollzogen sein, dann erfolgte auch für Ihn die Rettung aus „dieser Stunde” tiefster Erniedrigung, die zugleich die voll wunderbarster Herrlichkeit war, darum auch hier in der Vorerfüllung in V. 28 die kostbare Ablösung von dem Ereignis des Verses 27 folgt ... Wie köstlich für uns, dass diese drei „Jetzt” von V. 27 und 31 (das Wort „Jetzt” kommt auch typisch oft im Johannesevangelium vor!) für Ihn längst erfüllt sind und dass wir vielleicht nur noch kurze Zeit zu warten haben, bis auch wir in die volle Herrlichkeit des durch Seinen Tod Errungenen eintreten werden: „Wir werden Jesum sehen, des Vaters Lieb' verstehen, anbeten Ihn in ew'ger Freud' ” - ja wir werden im Vollsinne wissen, was es ist, Seinen Vater als unseren Vater zu kennen und zu lieben und für ewig dort Ihm gleich zu sein (1. Joh. 3,1.2), Ihm, der uns geliebt und errettet hat mittels Seines so unendlich bitteren Leidens und Sterbens. - Gepriesen sei Sein heiliger Name!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 20 (1935)