Antwort A
Der Apostel, der in der Reihe der Augenzeugen des auferstandenen HERRN zeitlich „zuletzt” steht, fühlt sich auch als „letzter” Apostel (V. 9), d. h. als einer, der eigentlich „nicht würdig sei, ein Apostel genannt zu werden, weil er die Gemeinde Gottes verfolgt habe”. Wenn er sich im Vergleich zu den übrigen Aposteln des HERRN so tief unter alle stellt, so ist das nur eine unerheuchelte Demut. Der Schmerz über die Tatsache, dass er einst in seiner Verblendung die Gemeinde Gottes verfolgt hat, klingt immer durch seine Worte hindurch, so oft der Apostel darauf zu sprechen kommt. Er fühlt, dass er nicht wert sei, ein Apostel zu heißen und mit diesem Dienst von dem auferstandenen Christus Selbst (1. Tim. 1,12) beauftragt zu sein. Er, der weder ein Schüler Jesu gewesen, als der HERR noch auf Erden wandelte, noch sich in den 40 Tagen nach Seiner Auferstehung Seines Umganges erfreuen durfte, der im Gegenteil die Gläubigen aufs schärfste verfolgte, wird gewürdigt, den auferstandenen HERRN zu sehen! Das ist dem Apostel durch sein ganzes Leben hindurch als eine unbegreifliche Gnade erschienen. Diese Erscheinung des Auferstandenen und diese Berufung zum Aposteldienst war insofern eine unzeitige, als sie nach der Himmelfahrt des HERRN stattfand, nachdem alle anderen Apostel längst in den Dienst gestellt waren.
So kann der Apostel sich eine „unzeitige Geburt” nennen im Blick auf seine Apostelschaft. Damit will er aber keineswegs den Charakter und den Wert seiner Apostelschaft herabsetzen, vielmehr weiß der Apostel, dass er durch Gottes Gnade (V. 10) in Wahrheit ein Apostel Jesu Christi ist (Gal. 1,1) und dass er „in nichts den ausgezeichnetsten Aposteln nachsteht” (2. Kor. 11,5), was seine Stellung und Aufgabe anlangt.
Es ist nicht nötig, bei dem Ausdruck „unzeitige Geburt” anzunehmen, der Apostel mache eine Anspielung auf seine unscheinbare äußere Gestalt, wie einige Ausleger es tun, die auch „Mißgeburt” übersetzen. Ebenso wenig ist die Übersetzung „Fehlgeburt” richtig, obwohl dieser biblische Vergleich sich in Hiob 3,16 und Pred. 6,3 findet. Vielmehr gibt der Ausdruck „unzeitige Geburt” die Meinung des Apostels am besten wieder. Es erklärt sich dieser Ausdruck zur Genüge aus dem Gefühl tiefster Demut und Dankbarkeit des Apostels im Blick auf das „Einst” und das „Jetzt” in seinem Leben.
J. W.
Anmerkung des Herausgebers
Das griechische Wort wird im allgemeinen mit „Fehlgeburt” übersetzt, ohne dass wir diese Übersetzung hier glauben annehmen zu dürfen. Denn wie Hiob 3,16 und Pred. 6,3.4 zeigen, und wie auch der heutige Sprachgebrauch beweist, ist eine Fehlgeburt nicht lebensfähig. Dagegen kann aus dieser Übersetzung eine andere gefolgert werden: „Frühgeburt”, während die übertragene Übersetzung „unzeitige Geburt” im Sinne obiger Antwort dem Begriff der „Spätgeburt” entspräche. Außer der an diesen Begriff sich anlehnenden Antwort könnte man noch im Anschluß an die Übersetzung „Frühgeburt” folgende geben: Paulus war Jude, die Juden werden in der Zukunft den Messias, ihren HERRN, in Herrlichkeit sehen und sich dann bekehren; nun hatte Paulus Ihn aber schon vorher gesehen - später als die übrigen Apostel -, aber viel früher als das übrige Israel, nämlich als der HERR ihm auf dem Wege nach Damaskus erschien, wodurch er bekehrt wurde. - Aber diese Antwort wird dem nachfolgenden mit „denn” eingeleiteten Satze nicht gerecht. Darum ist wohl die aus der Grundbedeutung des griechischen Wortes gefolgerte Übersetzung „unzeitige Geburt” anzunehmen, wozu in Antwort A eine völlige Erklärung gegeben ist.