Antwort
Man hätte ein volles Recht, nach der angeführten Stelle zu sagen: wir wissen es nicht, denn wo die Schrift schweigt, haben wir nichts zu sagen und auch nichts zu vermuten. Möglicherweise genügt den Lesern diese Antwort nicht, und doch ist es gut für uns, unseren Glaubensgehorsam daran zu prüfen, ob wir bereit sind, stille zu sein und demütig uns unter Sein Wort zu beugen, auch wenn wir es nicht verstehen. Wir sind manchmal nur neugierig, während uns Unterwerfung not ist. (Ich sage das selbstverständlich nicht im Blick auf den Einsender der Frage, den ich persönlich kaum kenne, sondern für uns alle ganz allgemein.) Erkenntnis ist gut und nötig, aber Beugung, Gehorsam ist die Grundlage aller Segnungen. „Den Demütigen gibt Gott Gnade” (Jak. 4,6). Nach dieser etwas absonderlichen, aber mir persönlich wichtig scheinenden Einleitung habe ich zu der Frage noch einiges mehr zu sagen; und zwar keine Vermutungen, die ohnehin wertlos wären, sondern Tatsachen, von denen aus vielleicht etwas Licht auf die Frage fällt.
Zunächst etwas über den Zeitpunkt jener Platzveränderung des Apostels und über die mögliche Dauer derselben. Wann also ging er nach Arabien? „Nach seiner Bekehrung”, sagt die Titelfrage. Natürlich ja, denn sonst hätte diese Reise für uns kein weiteres Interesse; dass diese Reise in die Zeit nach seiner Bekehrung fiel, macht sie uns erst wichtig; aber wie lange nach derselben? Apg. 9,18-20 sagt uns, dass er nach seinem Sehendgewordensein, seiner Taufe und kurzem Kennenlernen der Jünger in Damaskus angefangen habe, Jesus als den Sohn Gottes zu verkünden. Danach seien alle, die es hörten, außer sich geraten, zumal seine ursprüngliche Absicht, die ihn nach Damaskus geführt habe, allbekannt gewesen war (V. 21). Er sei aber in seiner Predigt immer mehr erstarkt und habe die Juden in Verwirrung gebracht durch seine Beweise, dass dieser („Jesus, der Sohn Gottes”) der Messias, der Christus sei (V. 22). Der nächste Vers redet dann von dem Verlauf „vieler Tage”, denen der Ratschluß der Juden gefolgt sei, ihn umzubringen; dies sei aber dem Saulus bekannt geworden, und da die Tore streng bewacht worden seien, um ein Entweichen unmöglich zu machen, so hätten schließlich die Jünger ihn nachts in einem Korbe von der Stadtmauer herabgelassen (V. 23-25). Danach finden wir ihn in Jerusalem (V. 26). (Vgl. Apg. 22,20 u. 26,17.)
Dieser Hergang seiner Geschichte nach Lukas gibt uns keine weiteren Anhaltspunkte für obige Unterfrage nach dem Zeitpunkt seiner Reise nach Arabien als die, dass der Schluß mit dem Bericht in 2. Kor. 11,32.33 zusammengehören muß, als auch V. 26 zu Gal. 1,18 stimmt. Aus letzterer Stelle geht m. E. unzweifelhaft hervor, dass zwischen seiner Bekehrung und seinem ersten Besuch in Jerusalem (bezw. seiner Rückkehr dorthin; denn von Jerusalem war er einst ausgezogen gegen die Christen in Damaskus!) drei Jahre liegen, nicht aber, dass er drei Jahre in Arabien gewesen sei. Ein Vergleich der Stellen in Apg. 9 und 2. Kor. 11 zeigt, dass die Juden sich bei ihrem Kampf gegen Paulus wie so oft einer weltlichen Macht bedienten, des Nabatäerkönigs Arethas, der gerade damals das römische Damaskus besetzt hielt mittels eines königlichen Verwalters (eines „Ethnarchs”). Da nun Saulus-Paulus aber nach Gal. 1,17 zweimal in Damaskus war, nach seiner Flucht (Apg. 9,25) aber nach Jerusalem kommt (V. 26), so ist sein Aufenthalt in Arabien in den Zeitabschnitt der „vielen Tage” von V. 23 zu verlegen, wie ich glaube. Wenn dem aber so ist, so kann er nicht allzulange in Arabien gewesen sein. Aus dem ganzen erhellt, dass diese Reise wohl innerhalb jener drei Jahre von seiner Bekehrung ab (Gal. 1,18) lag, aber dass sie durchaus nicht gleich nach seiner Bekehrung stattgefunden habe, sondern erst, nachdem er durch seine Zeugenarbeit die Wut der Juden so erregt hatte, dass er den Gläubigen am Ort am besten zu dienen glaubte, wenn er für einige Zeit verschwände. Gewiß hat der HERR ihm diese Weisung gegeben, und aus Apg. 22,10 wissen wir, dass er von Anfang an nichts anderes wollte, als des HERRN Willen tun. Welch ein Vorbild für uns!
Wenn diese Ausführungen einigermaßen einleuchtend sein sollten, so brächten sie uns zu der immerhin nicht unwichtigen Feststellung, dass aus dem angeblichen Verhalten des Paulus, gleich nach der Bekehrung nach Arabien zu gehen, nicht zu folgern sei, dass jeder Jungbekehrte erst einmal gleichsam „in die Stille gehen” müsse (wenngleich es manchmal sehr gut und nötig sein kann!), ehe er für den HERRN Zeugnis ablege. Bei Saulus-Paulus ist dies wenigstens nicht so gewesen! Man kann nicht auf ihn hinweisen, um junge, frische Bekenner mundtot zu machen! Wohl uns, wenn wir so gründlich bekehrt sind, dass wir gleich von da an „Seine Zeugen” werden!
Nunmehr hierzu eine weitere Unterfrage: Wohin ging der Apostel eigentlich? Nach Arabien! Ja, aber Arabien ist sehr groß, und wenn man die Meinung, er sei drei Jahre - wie gesagt, stimmt dies nicht (Gal. 1,18) - in Arabien gewesen, etwa damit stützen wollte, Arabien sei doch so weit weg gewesen (wenn man etwa an das Land der Königin von Scheba denkt!), dass er Monate allein auf den Weg habe rechnen müssen, so würde man mit dieser falschen Meinung jene falsche Behauptung von den drei Jahren (angeblich in der Stille!) nicht stützen können. Denn Arabien lag bei Damaskus sozusagen vor der Tür, nämlich das sogen. Peträische Arabien mit der südöstlich vom Toten Meere gelegenen Hauptstadt Petra. Nach der damaligen Zeitgeschichte des jüdischen Schriftstellers Josephus beherrschte dies sehr ausgedehnte Gebiet des nördlichen Arabiens der uns aus 2. Kor. 11,32 bekannte und oben schon genannte Nabathäerfürst Aretas IV., der sich ungefähr um jene Zeit mit Rom im Kampf befunden hatte. (Näheres hierüber ist für uns hier ohne Belang.) In dies Gebiet südlich von Damaskus, östlich von Palästina (nicht zu weit vom Jordan entfernt!), mag sich Paulus begeben haben. Es gab dort nicht unbedeutende Städte, wie das etwa sechsmal im Alten Testament genannte Bozra, sowie Gerasa, und auch ein Philadelphia, und ich glaube nicht, dass der feurige Apostel in diesen Gegenden untätig gewesen ist! Zu Arabien gehörte damals wie heute (landschaftlich) auch die Sinaihalbinsel! Aber ebenfalls die spätere römische Provinz Auranitis, nahe bei Damaskus (südöstlich), mit dem heute noch Hauran heißenden hohen Gebirge; auch die sogen. Syrische Wüste, östlich von Damaskus. Also Paulus war wohl aus den Händen der Juden, aber durchaus nicht allzuweit von Damaskus fort!
Haben wir in Vorstehendem einige mehr äußere Punkte zur Sachlage der Frage berührt, so gibt uns Gal. 1 noch ein anderes, volleres Licht!
Wir sehen, wie der Apostel dem inspirierten Wort zufolge sich bemüht, darzutun, dass er bezüglich seines Evangeliums in nichts, in durchaus keiner Hinsicht von Menschen abhängig gewesen sei (vgl. 1,1.11.12). In V. 16 sagt er dazu, dass er sich nach seiner Berufung durch Gott nicht mit „Fleisch und Blut” (d. h. irrtumsfähigen Menschen) besprochen habe, Menschen gleichsam gefragt habe: „Was meint ihr dazu, wenn ich Jesus den Christus predigen würde?” - er habe sich auch nicht in Jerusalem Rat geholt von denen, „die vor ihm Apostel gewesen” seien, sondern - und nun schiebe ich ein, was ich oben ausgeführt habe - als er durch die Wut der Juden in Damaskus nicht mehr glaubte, dort bleiben zu sollen, ging er nicht etwa nach Jerusalem, sondern nach (dem angrenzenden) Arabien, wo er auch keinen fragen konnte, was sie zu seiner Predigt meinten! Irgendwohin musste er gehen - wohin? Überall die Gefahr, von Menschen begutachtet oder beeinflußt zu werden - nicht so in Arabien, einer nichtjüdischen Landschaft, wo der Einfluß der noch gesetzesstrengen Judenchristen ihm in seiner inneren Entwicklung nicht hinderlich sein konnte. Und dann zurück nach Damaskus und von dort äußerlich unter größten Gefahren, aber innerlich „um so mehr erstarkt” (wie schon Apg. 9,22 steht, darauf kam's ihm an, denn darauf kam es Gott an!), endlich für ganze zwei Wochen („15 Tage” nur!) nach Jerusalem!
Ich will weiter nichts dazu sagen, aber ich denke, auch wenn wir nicht direkt erfahren, warum Paulus nach Arabien gegangen sei, so geben doch diese Erörterungen einiges Licht darüber. Der Apostel ging nicht „in die Stille”, er war auch nie und nimmer „arbeitslos” in Arabien! Nein, alles und alles diente dem einen Zweck, ihn um so fähiger zu machen für seinen besonderen Dienst. Dazu musste gewiß auch dieser Aufenthalt beitragen, wenn uns auch sonst nichts Genaues darüber mitgeteilt ist.
Kann ich somit auch keine bestimmte Auskunft geben, warum er nach Arabien gegangen sei, da der Apostel es uns nicht sagt - der Heilige Geist ihn nicht dazu autorisiert! -, so können doch die mancherlei Umstände aus dem Wort Licht auch auf diesen „Pfad des Gerechten” fallen lassen, so dass wenigstens verkehrten Vermutungen der Boden genommen werde. Andererseits regen uns diese verschiedenen Punkte zum weiteren Forschen an.
Und dazu noch ein ganz kleiner Hinweis, keine Behauptung, keine Lehre, auch keine Vermutung, nur eine Aufforderung zur Beachtung: Nur zweimal spricht das Neue Testament von Arabien (außer Apg. 2,10 „Araber”), und beide Stellen stehen im Galaterbrief, der sich mit der Stellung des Gläubigen zum Gesetz auseinandersetzt: hier in 1,17 und in Kap. 4,25, in jenem gewaltigen „Beweis” für unsere Freiheit vom Gesetz (vgl. 4,21 mit 5,1!).Ob wohl, als Paulus den Galaterbrief schreiben mußte, ihm dies Wort (Arabien) in die Feder gegeben wurde, gleichsam am damit anzudeuten, dass er in Arabien (Sinai - Hagar gehörte, wie gesagt, dazu!) besonders erstarkt sei bezüglich der Fragen unserer Stellung zum Gesetz? Hat er dort besondere Erfahrungen gemacht, vielleicht als er es nicht mit Juden zu tun hatte? Hat er dort vielleicht auch seine persönlichen Erfahrungen von Röm. 7 und Gal. 2,19-21 gemacht? Es sind nur Fragen, keine Vermutungen, keine Lehren. Aber gleichgültig ist es nie, wenn der Heilige Geist ein Wort - hier „Arabien” - dicht beieinander zweimal gebraucht. Wir haben stets darüber nachzudenken, auch wenn wir keine Folgerungen daran anzuknüpfen haben.
Jedenfalls aber: Saulus-Paulus befand sich in Arabien ebensowenig in beschaulicher Stille und Ruhe wie der Herr Jesus, als Er „vom Geist in die Wüste” geführt wurde, sondern zweifellos auch in einem Kampf, in dem er erstarkte, während unser geliebter HERR darin nach jeder Seite hin Sieger blieb (und Paulus wurde „gekräftigt durch Seine Kraft”!).
Und mögen unsere Wege, die Gott uns führt, manchmal vielleicht für uns selber, gewiß aber für andere, rätselhaft sein, sie sollen uns zum Guten mitwirken, uns, die wir Gott lieben (Röm. 8,28), und wir werden durch dieselben fähiger werden zum Zeugnis für Ihn, wenn wir mit Ihm diese Wege gehen, gleichsam, wie ein bekannter Ausdruck sagt: „Allein mit dem Meister”! Dazu diente dem Paulus jene Reise nach Arabien, zu welchem Zwecke er sie von sich aus auch angetreten haben mochte.
Möchten wir von ihm als „seine Nachahmer” lernen, von ihm, der seinerseits so wunderbar „Christi Nachahmer” war (1. Kor. 11,1)!
Wie kostbar aber ist die Schrift überall, wo wir sie erforschen! Dem HERRN sei ewig Dank und Preis für Sein Wort!
F. K.