Antwort A
Paulus beschnitt den Timotheus, damit die Juden das Evangelium durch ihn hören und aufnehmen möchten, da die Juden mit jemandem, welcher einer anderen Nation angehörte, zu dieser Zeit nichts gemein haben wollten (Apg. 10,28).
M. K.
Antwort B
Oberflächlich betrachtet ist die Handlung des Apostels Paulus in Apg. 16,4 mit der Lehre in Gal. 5,1-4 nicht zu vereinen, und ist ein Widerspruch zwischen Handlung und Lehre. Doch nur scheinbar für solche, welche Einzelheiten aus dem Zusammenhang des Schriftganzen herausreißen und durch Vernunftschlüsse irregeleitet werden. Es ist manchmal schon gesagt worden, dass dunkle Schriftstellen nur im Lichte der ganzen Heiligen Schrift ausgelegt werden können. So auch hier.
Timotheus ist ein Kind gemischter Ehe: Der Vater ein Grieche, die Mutter eine Jüdin. Paulus findet Timotheus würdig, ihn auf seinen Reisen im Dienste des Evangeliums zu verwenden. Er nahm und beschnitt ihn um der Juden willen, aus Liebe zu dem Volke, deren Vorurteil begegnend, um auf alle Weise etliche für Christum zu gewinnen. 1. Kor. 9,20.21. Wie fern es ihm lag, dadurch die Gläubigen unter das Gesetz Moses zu bringen, ersehen wir aus Gal. 2,1-5.
In Gal. 5,1-4 bemüht sich der Apostel, den Gläubigen die Nutzlosigkeit der Beschneidung vorzustellen und die Gefahr zu zeigen, welche mit der Unterwerfung unter das Gesetz verbunden war. Sie konnten nicht auf dem Werke Christi zur Gerechtigkeit ruhen und zugleich sich verantwortlich machen, selbst die Gerechtigkeit nach dem Gesetz zu vollbringen. Er wendet sich ganz entschieden gegen die, welche ihnen den Gesetzesgehorsam predigten und dadurch der Freiheit in Christo berauben wollten: „... ich wollte, dass auch sie sich abschnitten, die euch aufwiegeln.”
R. B.
Antwort C
Ein Bruder sagte mir einst: „Um die Handlungen eines Bruders zu beurteilen, ist es nötig, die Beweggründe zu kennen, welche uns meistens entgehen.” - So kommt es vor, dass ein Bruder durch etwas im Widerspruch zu stehen scheint mit seiner Lehre. In solchen Fällen, wenn die Tat nicht böse, sondern unbegreiflich ist, ist es gut, bevor man daraus einen Widerspruch folgert, Geduld zu haben, bis die Gesinnungen des Herzens geoffenbaret werden, was der HERR, der alles sieht, früher oder später tut, wenn es sich um Böses handelt. - Hier haben wir jedenfalls sofort anzunehmen, dass kein Widersprach besteht.
Den Beweggrund Pauli, als er den Timotheus beschnitt, finden wir in Vers 3 (Apg. 16): „Um der Juden willen”; also nicht um des Gesetzes willen. Wir wissen aus der Geschichte des Alten Bundes, wie die Juden die Unbeschnittenen verachteten und von ihnen nicht zu lernen hatten. Es ist klar, dass Paulus und Timotheus bei den Juden nicht Eingang erhalten hätten, wenn sie nicht Juden, gesetzmäßige Juden gewesen wären. Obgleich Paulus der Apostel der Nationen war, kann man aus Röm. 10,1; 11,14; 1. Kor. 9,20-23 ersehen, wie sehr es ihm auf dem Herzen lag, seinen Brüdern im Fleische die in Christo geschehene Erfüllung der Verheißung zu verkündigen. - Ja, mag man sagen, für Paulus selbst ist es begreiflich, aber warum Timotheus einer solchen Form zu unterwerfen? Beachten wir das enge Band zwischen Timotheus und Paulus. 1. Kor. 4,17; 1. Tim. 1,2; 2. Tim. 3,10.11. Wie ein Kind mit seinem Vater, so war Timotheus in Gemeinschaft mit Paulus; er war so eins mit dem Apostel, dass er, um Israel für Christum zu gewinnen und Eingang bei ihm zu haben, es der Mühe wert hielt, sich der Beschneidung zu unterwerfen, um dem HERRN mit Paulus in einem breiteren Gebiete zu dienen. Ist eine solche Gleichgesinnung vorhanden in den Versammlungen des lebendigen Gottes, zwischen jungen und alten Brüdern, oder hat der Geist dieses Zeitlaufs es schon vermocht, Kluften zwischen jungen und alten Brüdern zu graben?
Bei den Galatern aber war der Kern der Frage ganz anders. Sie waren im Begriff, die Beschneidung zu beobachten wegen des Gesetzes, als Gehorsam gegen dasselbe, als Rechtfertigungsmittel. (5,4.) Deshalb das scharfe Entgegentreten des Apostels. Paulus beschnitt Timotheus, um Juden aus der Herrschaft des Gesetzes herauszuziehen, während die falschen Lehrer den Galatern die Beschneidung auferlegten, um sie wieder unter diese Herrschaft zu stellen. Also standen tatsächlich die Beschneidung des Timotheus und die des Gesetzes sich ganz und gar entgegen.
Timotheus wie Paulus taten bei jener Gelegenheit, was jeder Knecht des HERRN tun soll, nämlich sich den Sitten des Voltes zuneigen, wohin der „HErr der Ernte” ihn gestellt hat, sofern diese Sitten nicht sündhaft sind.
Leider entnehmen manche Christen aus dieser Stelle, man dürfe in der religiösen Welt bleiben, ja! wie die Welt bleiben, damit man etliche aus derselben erretten möchte. Vor falschen, verderblichen Lehren, schriftwidrigen Überlieferungen und Gewohnheiten die Augen schließen, um etliche zu erretten. Sie gleichen Soldaten, die ihre Waffen ablegen, um in dem feindlichen Heere Gefangene zu machen; sie werden bald selbst gefangen sein. Wenn solche Christen ihr Herz vor dem HERRN im Lichte Seines Wortes prüfen, werden sie finden, dass ihr Herz solche Dinge liebt.
Geschwister, junge Geschwister, wie steht es um uns? Sind wir außerhalb des Lagers? (Hebr. 13,13.) Erkennen wir „die Kraft Seiner Auferstehung und die Gemeinschaft Seiner Leiden”? (Phil. 3,10.) Sind wir gute Kriegsleute Jesu Christi? (1. Tim. 1,18; 2. Tim. 1,8.) Beobachten wir Phil. 3,17 und 1. Tim. 5,17 und drängt uns die Liebe des Christus (2. Kor. 5,14)? Eine solche Untersuchung ist nie vergeblich, und wenn sie negative Ergebnisse ergibt, so lasst uns uns vor dem HERRN beugen und Ihm leben, der da sagt: „Siehe, Ich komme bald und mein Lohn mit Mir.”
R. W. D.
Anmerkung des Herausgebers
Mancher möchte vielleicht die Handlungsweise Pauli unbesonnen richten mit dem bösen Satz: „Der Zweck heiligt die (unheiligen) Mittel.” Aber würde der Apostel wohl, um jemandem das Evangelium wirksam verkünden zu können, etwas getan haben, was mit der Schrift im inneren Widerspruch gestanden hätte? Sicher nicht! Nie hätte der Apostel sich selbst „offene Türen” machen wollen auf einem bösen Wege, etwa indem er menschliche Systeme gutgeheißen und sich ihnen in einigen Punkten angeschlossen hätte. Unter allen Umständen ging er den Weg, den er den Korinthern predigt in 2. Kor. 6,14ff. Aber die Beschneidung war nicht durch menschliche Mache und Rücksichten auf Menschenmeinung entstanden, sondern sie war göttlich gewollt und eingeführt! Darum konnte Paulus da, wo es sich um die praktische Liebe zu seinem Volke handelte, den das Wort unter Juden predigenden Timotheus beschneiden. Und er wurde damit seiner Stellung in der Freiheit vom Gesetz keineswegs untreu. Aber in dem Augenblick, wo es sich um die Beschneidung als Stück des Gesetzes als Lehre handelte, das in Christo erfüllt war und dessen Annahme und Anerkennung die Gnade ungültig gemacht hätte (Gal. 2,21), da musste er gegen das Sichbeschneidenlassen mit der Strenge auftreten, die eines Apostels Jesu Christi würdig war. Die Liebe zu seinem Volk hieß ihn von seiner Freiheit Gebrauch machen und Rücksicht nehmen in einer Sache, deren Ursprung göttlich war, aber die Liebe zu Christum befahl ihm, da mit äußerstem Ernste zu verfahren, wo „das Evangelium des Christus verkehrt” wurde (Gal. 1,7)