versiegelter/befreiter Mensch

Römerbrief Kap. 7. Spricht der Apostel hier von einem „versiegelten“ oder von einem „befreiten“ Menschen?

Antwort

Weder von dem einen noch von dem anderen. Zum Versiegeln gehört der Heilige Geist, zum Befreien Christus. Aber in dem Abschnitt V. 7-24, um den es sich handelt, ist nicht vom Heiligen Geist noch von Christo die Rede, sondern vom Gesetz, von einem Menschen, genannt „Ich”, von der in diesem „Ich” wohnenden Sünde, von den Wechselbeziehungen zwischen dieser und dem Gesetz und den aus diesen Wechselbeziehungen sich ergebenden schlimmen Folgen für den „Ich”.
Um eine ganze Menschenklasse, in eine Person zusammengefaßt, anzureden, gebraucht Paulus die Anrede „Du” im 2. Kapitel, ebenso 9,19 und 11,17ff., weil das „Du” eindringlich ist. Hier gebraucht er „Ich”, um der Anschaulichmachung ebenfalls eindringlichen Ausdruck zu geben, nicht weil er sich meint.

Dass er sich meine, lässt sich zwar sagen; aber man beachte, dass er in den ersten 6 Versen des Kapitels von „ihr” und „wir” spricht; auch V. 7 noch beginnt mit: „was sollen wir sagen”; dann aber ist die Mehrzahl nicht mehr so dienlich für das, was er anschaulich machen will. Darum lässt er einen Menschen, einen Israeliten, auf den Plan treten, den er „Ich” nennt, von dem angenommen wird, er habe lange vor der Gesetzgebung gelebt, siehe 5,13 und 7,8b und 9a, sei seit Sinai unter Gesetz gewesen und sei jetzt mit anderen in Christo Jesu, Kap. 8,1.

In der Zeit vor Mose machte die Sünde dieser Persönlichkeit „Ich” keinerlei Beschwerden, obwohl sie nicht gleichgültig gegen dieselbe war; Sünde wurde ja nicht zugerechnet, Kap. 5,13. Als das Gesetz da war, wurde die Persönlichkeit sich schmerzlich der Tatsache bewußt, dass zwei Seelen in ihrer Brust lebten: eine, die dem Gesetz zustimmte, dass es recht sei, und eine, die das Gegenteil will, 7,12.15.16. Durch das Wollen und Ausüben des Gegenteils brachte die in dem „Ich” wohnende Sünde die Persönlichkeit zu Tode, weil das Gesetz ihren Tod forderte, 7,10. (Vgl. für „töten” und „sterben” in ähnlichem Sinne Hos. 6,5 und 13,1.)

Das Gute wollen und es nicht ausüben können zufolge des Gebundenseins an eine nicht zu brechende Macht, an eine Gesetzmäßigkeit in den Gliedern, die aufs Entgegengesetzte hinausläuft, ist eine Sklaverei, die unerträglich ist. Daher der Aufschrei: „Ich elender Mensch! Wer rettet mich aus diesem Leibe, aus der die Sünde liebenden Natur, die dem Leibe anhaftet und unweigerlich dem Tode verfallen ist?

Da, in dieser höchsten Not, tritt Jesus Christus auf den Plan und rettet die Persönlichkeit aus der Gebundenheit, löst sie ganz vom Gesetz. Dies aber nicht, um sie in den vorherigen Zustand zu versetzen, wo sie nichts von Gesetz und Übertretung wußte, sondern in die Stellung einer Persönlichkeit, die wohl weiß, was Gesetz und Übertretung sind, die aber zugleich weiß: Was und dieweil ich lebe, entspricht es einzig dem Empfinden meines Herzens, dass ich nichts anderes kennen will, als Dem zu leben, der durch Seinen Tod mich vom Todesurteil weggekauft hat, nachdem ich schon so gut wie gestorben war. (Kap. 8)
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Ist es nicht so, dass alles andere, womit man Röm. 7,7-24 erklären will, irgendwo und irgendwie einen Haken hat? Der Mensch sei bekehrt, aber nicht befreit. Gewiß. Aber stellt das Evangelium von Jesu Christo einen Menschen unter Gesetz? Oder Paulus rede von sich. Warum nicht? Er hatte wie kein anderer die Situation erfaßt: Gesetz, und Christus, des Gesetzes Ende. Darum spricht er von V. 14 an in der Gegenwartsform, während er vorher, V. 7-13, in der Vergangenheitsform Geschichte vorgetragen hatte. Er will aber lehren, nicht von sich erzählen. Gab es in seinem Leben eine Zeit, wo er „ohne Gesetz”, V. 9, gewesen wäre? In Phil. 3,5.6 sagt er selbst „nein”. „Beschnitten am achten Tage ... was die Gerechtigkeit betrifft, die im Gesetz ist, tadellos erfunden.

Oder man sagt: der Mensch, um den es sich handelt, habe den Heiligen Geist nicht. Was soll das meinen? Dass er nicht versiegelt sei mit dem Heiligen Geiste? Eph. 1,13: Es ist gewöhnlich so, dass zwischen dem Geglaubthaben und dem Wissen um das Versiegeltsein eine kürzere oder längere Zeit vergeht, sie kann sogar aus Mangel an Belehrung ein Leben lang andauern. Aber das Nichtwissen ändert nichts an der Tatsache, dass der Glaubende von da an, wo er geglaubt hat, den Heiligen Geist empfangen hat und dadurch mit dem Heiligen Geist versiegelt worden ist. Woher kommt in diesem Menschen das Wollen des Guten? Wer oder was wirkt in ihm dies Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes? Welches war die treibende Kraft in dem, der den 119. Psalm geschrieben hat? Und was sagt David in Ps. 51,10 und 11? Er betet: „Schaffe mir, Gott, ein reines Herz, und erneuere in meinem Innern einen festen Geist! Verwirf mich nicht von Deinem Angesicht, und den Geist Deiner Heiligkeit nimm nicht vor mir!

Hatte David den Geist der Heiligkeit, oder hatte er ihn nicht? Wenn er ihn nicht gehabt hätte, könnte er nicht sagen: Nimm ihn mir nicht! Und doch war es in ihm nicht der Geist der Pfingsten, d. h. nicht der Geist der Sohnschaft, in welchem wir jetzt „Abba, Vater” rufen. Immerhin aber war es der Heilige Geist. Siehe Nehem. 9,20: „Du gabst ihnen Deinen guten Geist, um sie zu unterweisen.Jes. 63,11 und 10: „... Welcher Seinen Heiligen Geist in ihre Mitte gab.” „Sie haben Seinen Heiligen Geist betrübt.

Darum ist es eine gewagte Sache, zu sagen, der betreffende Mensch habe den Heiligen Geist nicht. Es kann doch nur der Heilige Geist sein, der das Wohlgefallen am Gesetz Gottes in einem Menschenherzen wirkt. Nur wenn Er einen Menschen angefaßt hat, kann dieser durch Haltenwollen des Gesetzes in den geschilderten Zustand kommen, ebenso wie es ein wirklicher Gläubiger sein kann, der Christum aus dem Auge verliert und unter Gesetzestun zurückfällt. Auf keinen Fall paßt auf diesen Menschen: „als das Gesetz kam”, auch auf Paulus nicht. Zu seiner Zeit war es vor 15½ Jahrhunderten, heute ist es schon seit mehr als doppelt soviel Jahren gekommen. Es steht auch nicht da, dass es in Paulus oder eines heutigen Menschen Leben eingetreten sei. Es kam geschichtlich dort am Sinai.
Das oder der „Ich”, als gedachte Persönlichkeit genommen, wie vorgetragen, löst allein die Schwierigkeit.
Adelphos.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 23 (1938)