Verhalten nicht nach Willen Gottes Apg. 2

Darf man sagen - wie ich kürzlich hörte -, dass das Verhalten der Gläubigen nach Apg. 2,44.45 unrecht oder „nicht nach dem Willen Gottes“ gewesen sei?

Antwort A

Wer sagt, das in den angegebenen Versen geschilderte Verhalten der Gläubigen sei unrecht - nicht nach dem Willen Gottes - gewesen, geht bei diesem Urteil offenbar von dem gegenwärtigen Zustand der Verhältnisse unter den Gläubigen und von einer nicht zutreffenden Vorstellung über das in V. 44 Gesagte aus. Der Zustand von heute ist aber sehr verschieden von dem von damals; deshalb müssen wir versuchen, den damaligen Zustand uns zu vergegenwärtigen; und wir müssen versuchen, unsere Vorstellung über die Sache aus dem Worte selbst zu gewinnen; und im Lichte dieser Dinge müssen wir das erwähnte Verhalten der Gläubigen beurteilen.
Die V. 42-47 des 2. Kap. der Apg. zeigen uns den ganz anfänglichen Zustand der Versammlung (Gemeinde). Dieser war gekennzeichnet durch völlige Hingabe an den HERRN, sichtbar in allem Verhalten der Gläubigen. Was sie gesehen und gehört und an sich erfahren hatten - sie wußten, dass ihre Sünden vergeben waren, dass sie die Gabe des Heiligen Geistes empfangen hatten, dass der Gekreuzigte und Auferstandene und zur Rechten Gottes Erhöhte, an den sie glaubten, der verheißene und von ihnen erwartete Messias ist, von Gott „sowohl zum HERRN als auch zum Christus gemacht” (V. 36), und dass sie durch Ihn errettet waren von dem kommenden Gericht und mit Ihm gesegnet werden sollten -, wirkte so mächtig auf sie und machte ihnen den HERRN so groß, dass sie sich Ihm ganz übergaben, und die Folge hiervon war, dass sie sich durch Ihn so völlig miteinander verbunden und so völlig gleichbegnadigt und gleichgesegnet wußten, dass sie dieses auch äußerlich zum Ausdruck brachten, indem sie „alle beisammen waren und alles gemein hatten”, so wie V. 44 und 45 es berichten.

Die Vertreter der Auffassung, dieses Verhalten der Gläubigen sei nicht nach Gottes Willen gewesen, denken sich vielleicht nach V. 44 ein alle Gläubigen äußerlich zusammenschließendes Gemeinwesen, abgeschlossen von der Umwelt, wie es später in dem Klosterwesen seinen Ausdruck fand. Wenn es so gewesen wäre, dann wäre dieses Verhalten tatsächlich nicht nach Gottes Willen gewesen, denn ein solches äußerliches Zurückziehen und Abschließen von der uns umgebenden Welt ist nicht nach Gottes Willen und Gedanken, sondern Er will, dass wir in der Welt, da, wo Er uns hingestellt hat, Ihn verherrlichen und Seine Zeugen sind. Diese obenbezeichnete Vorstellung über das in V. 44 Gesagte ist aber offenbar irrig, denn in V. 46 wird uns gesagt, dass sie „täglich einmütig im Tempel” - nicht im eigentlichen Tempel, dem Heiligtum, selbst, sondern in den dazugehörenden Gebäuden, die für solche Zwecke zur Verfügung standen - „verharrten und zu Hause das Brot brachen”. Daraus ergibt sich klar, dass das „alle ... waren beisammen” nicht ein Beisammenwohnen bedeutet, denn das konnte ja „im Tempel” nicht sein, sondern nur darin bestand, dass sie täglich im Tempel zusammenkamen und dort einmütig beisammen verharrten, wodurch ihrem aus dem Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Verbundenseins geborenen Herzensdrange entsprochen wurde und sie zugleich die Gelegenheit hatten, die „Lehre der Apostel” entgegenzunehmen und vielleicht auch gemeinsam „in den Gebeten” zu „verharren” (V. 42); und dass sie nach wie vor ihr „zu Hause”, also die einzelnen ihr eigenes Heim, ihre eigene Wohnung hatten.

Daher sind wir der Überzeugung, dass es keineswegs gegen Gottes Willen war, dass alle, welche glaubten, beisammen waren. Im Gegenteil finden wir darin etwas von dem, was in der Herrlichkeit sein wird, wenn der HERR uns verherrlicht dorthin gebracht haben wird, wo Er uns die Stätte bereitet hat: Dann werden wir für immer „alle beisammen” sein! Möchten wir ein tieferes Empfinden von dieser herrlichen Tatsache haben und schon jetzt viel mehr uns zueinander hingezogen fühlen in herzlicher Liebe! (Joh. 13,34.35; Röm. 12,10; 1. Petr. 1,22; 1. Joh. 5,1b. Bitte diese Stelle jetzt zu lesen!) und so die Gelegenheiten zum Zusammenkommen viel mehr benützen, als es meist geschieht (Hebr. 10,25)!

Was die Gütergemeinschaft betrifft, die in den Worten ausgedrückt ist: „und hatten alles gemein” und die wir in Kap. 4,32-35 noch näher beschrieben finden, so haben wir beim Lesen dieser Verse noch ganz unvermeidlich den Eindruck, dass dieselbe ein Ausfluß der Liebe zueinander war. Die Liebe drängte die Herzen derer, welche begütert waren, mit ihren Gütern dem Mangel anderer abzuhelfen. Sie konnten es nicht ertragen, die Fülle und Überfluß zu haben und andere Not leiden zu sehen. Sie sagten sich jeder, was ich habe, soll mein Bruder, meine Schwester auch haben; was mein ist, soll auch meinem Bruder, meiner Schwester gehören. Ihr Herz war gelöst von dem irdischen Besitz durch den Besitz einer „besseren und bleibenden Habe” (Hebr. 10,34) und erfüllt von Liebe zueinander. Und was so herrlich ist: Es waren nicht nur einzelne, in denen die Liebe so wirkte, sondern „die Menge derer aber, die gläubig geworden, war ein Herz und eine Seele” (4,32a) - alle waren von gleicher Liebe zueinander erfüllt. Wie groß und kostbar! Wie könnte man sagen, dass dieses nicht nach Gottes Willen gewesen sei? Nimmermehr! Im Gegenteil: das war ganz nach Seinem Willen- eine Wonne für Sein Herz! Dass doch unsere Herzen mehr hiervon verstehen und empfinden würden! Dann würden wir nicht nur viel glücklicher sein, sondern auch viel gesegneter und für andere ein Segen sein!

Selbstverständlich wäre es eine große Verirrung und ein Zeichen völliger Verkennung des gegenwärtigen Zustandes und der gegenwärtigen Verhältnisse, wenn wir danach streben und versuchen wollten, den in Apg. 2,44.45 und 4,32-35 gezeigten Zustand jetzt wieder aufrichten zu wollen. Das wäre darum vollkommen irrig und verfehlt, weil die unerläßliche Voraussetzung dafür, die damals vorhanden war, gegenwärtig fehlt: dass „die Menge derer, die gläubig sind” - also alle Gläubigen - „ein Herz und eine Seele” sind, oder in anderen Worten: dass die Versammlung (Gemeinde) gänzlich rein und unverdorben ist! Das ist sie nur zu Anfang ganz kurze Zeit gewesen, und sobald sie es nicht mehr war, hat jener liebliche Zustand aufgehört, weil er von dem Augenblick an, wo dieses fehlte, nicht mehr möglich war. Das sehen wir in der Apostelgeschichte von Kap. 5 an: Ananias und Saphira waren untreu in dieser Sache - sie waren nicht mehr alle „ein Herz und eine Seele”, das Böse hatte Eingang gefunden! -, und in Kap. 6 finden wir schon Murren über das Übersehen von Witwen bei der täglichen Bedienung. Es war vorbei mit dem schönen - ach, so schönen -, unsere Herzen so erquickenden Zustande in Kap. 4,32; vorbei für immer! Denn der Zustand der Versammlung (Gemeinde) ist nur immer schlimmer geworden, und wir finden im Worte Gottes nichts, was uns auch nur einen Schimmer von Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Versammlung (Gemeinde) zu ihrem ursprünglichen reinen Zustande geben könnte, sondern das Gegenteil (s. 2. Tim.; 2. Petr.; Judas; Off. 1-3). Deswegen finden wir auch keinerlei Ermahnung in den Briefen, Gütergemeinschaft zu üben. Aber wir finden die Ermahnung, Liebe zu üben - einander zu lieben „in Tat und Wahrheit!” Das können wir auch bei dem gegenwärtigen betrübenden Zustande - nicht Gütergemeinschaft haben, aber dem Bruder, der Schwester helfen, wenn wir sie in Not sehen und es uns möglich ist zu helfen. Den anfänglichen lieblichen Zustand wiederherstellen können wir nicht, aber in demselben Geiste und in derselben Liebe handeln können wir. Dazu wolle der HERR unsere Herzen mehr und mehr fähig machen durch Seine Liebe! (Hierzu bitten wir noch zu lesen: Röm. 12,13a; Gal. 6,9.10; Hebr. 13,16; 1. Joh. 3,16-18.) -
Also die Frage ist mit Nein zu beantworten. Das Verhalten der Gläubigen in Apg. 2,44.45 war recht und nach Gottes Willen.
Th. K.

Zusätze des Schriftleiters

Vorstehende ernstbelehrende und lieblich-erbauliche Darstellung wird gewiß vielen zum Segen sein. Der HERR gebe Gnade dazu!
Wie ich bei nachträglichem Wiederdurchlesen des Fragebriefes gesehen habe, habe ich mich in der Wahl der Grundstelle geirrt: nicht wegen Apg. 2,44.45 wurde angefragt, sondern wegen Erweiterung ersterer Stelle in Apg. 4,32-35. Da aber beide Stellen unauflöslich zusammengehören, indem beide der trübungslosen ersten Zeit der Gemeinde angehören (d. h. vor Kap. 5), so hat es mit diesem Versehen nichts auf sich, zumal in obiger Antwort beide Stellen behandelt sind.
Die Sachlage, aus der heraus die Frage entstanden ist, scheint mir sehr ernst zu sein. Der Frager hatte in je einem Predigtvortrag von zwei verschiedenen glaubigen Rednern die in der Frage niedergelegte Auffassung vertreten gehört, dass die Gläubigen nicht nach Gottes Willen gehandelt hätten, als sie eben gemäß Apg. 4,32-35 (ja sogar 36.37 wurde unter diesem Gesichtswinkel gesehen!!) verfuhren. Der langbekehrte Frager und die Seinen waren durch diese Worte beunruhigt, um so mehr, als die Äußerungen so öffentlich getan wurden. Er meinte, und wie ich glaube, mit vollem Recht, dass man nicht in einer großen Versammlung verkünden dürfe, die ersten Christen hätten „nicht richtig” gehandelt in diesem Stück! Daher die Frage an die „Handreichung”-Schriftleitung!

Und ich muss sagen, ich halte solche Kritik an den „ersten Christen” für eine schwere Entgleisung, selbst wenn sie aus dem berechtigten Gedanken der notwendigen Abwehr gegen heutige falsch verstandene Gütergemeinschafts- oder (christliche) Gemeinwesens-Lehren entstanden sein sollte, was ja um so näher liegt, als der sogenannte christliche Kommunismus derlei Bestrebungen befürwortet und durchzuführen sucht. Wenn auch dieser letztere nicht solche Grundsätze verfolgt wie der politische Kommunismus mit seinen letzten politischen Früchten der „Kollektive-Wirtschaft” des Sowjetstaates Rußland, in welchem es nur heißt: „Gib, gib, gib her!” - wenn auch, wie gesagt, der christliche Kommunismus versucht, zu handeln nach den Grundsätzen der Bibel: „Nimm, nimm, nimm hin!” - so wäre es doch grundverkehrt, ihm heute das Wort zu reden, und zwar weil, wie oben sehr klar gesagt ist, die Voraussetzungen für solches Tun fehlen. Die Gemeinde Gottes ist nicht das, was und wie sie sein sollte und wie sie in jener Anfangszeit war! Zerrissenheit, Sünde, Weltliebe, kurz Satansmacht in aller möglichen Hinsicht, Kompromisse mit der Welt, religiöses Schwätzertum und Formwesen jeder Art hat sie verwüstet, und die hin und her sich aus dem Chaos menschlicher Meinungen auf den „Felsen der Bibel” rettenden Trümmer können weder innerlich noch äußerlich jene herrlichen Zustände wiederherstellen; sie haben auch keine Verheißung dafür, dass es geschehen werde, noch sind ihnen (d. h. uns Gläubigen allen) Anweisungen gegeben, wie wir's etwa beginnen sollten.

Aber wenn wir in allem „zurückkehren zum Anfang”, wie ein - nach 1. Joh. 2,24 u. a. - oft gebrauchter Ausdruck lautet? Auch dann kommen wir einzelnen nicht zu der buchstäblichen Darstellung jenes Anfangszustandes, der ja nicht gesetzlich gefordert wurde, sondern der ein Ausfluß der in das Herz durch den Geist ausgegossenen Liebe (Röm. 5,5) war. Wohl können wir uns bemühen, im Gehorsam gegen das Wort die großen Grundsätze des Zusammenkommens der Gemeinde nach Apg. 2,42 (wie in obiger Antwort beschrieben!) auf uns, d. h. auf jeden kleinen örtlichen Kreis immer besser anzuwenden, und wir werden bei all unserer Schwachheit, im Bewußtsein, dass wir nichts sind, uns der Treue des HERRN erfreuen dürfen, dass Er uns erlaubt, in geringem Maße jene Grundsätze zu verwirklichen, und wo es in Demut und Abhängigkeit, Wahrheit und Liebe geschieht, da wird auch die praktische Bruderliebe zunehmen (wie oben gezeigt! Vgl. noch Jak. 2,15.16 und 1. Thess. 4,9.10!); aber jenes, was einmal so schön war, wiederherzustellen wird uns nie gelingen eben wegen der Zerrissenheit und Uneinigkeit des Volkes Gottes, die nicht geringer wird, sondern eher zunimmt am Ende der Tage. Gewiß mag es hier und da Zusammenschlüsse von vordem getrennt gewesenen Gläubigen geben - neben manchen dahingehenden unbiblischen Bestrebungen auch biblische - aber „die Menge” der Gläubigen (4,32) rückt dennoch nicht (wahrhaft) zusammen! Die unselige Zerrissenheit bringt uns um die schönsten Fruchte der Liebe Christi! Ein unschriftgemäßes Sichvereinigen aber, ohne völlige Absonderung von der Welt, dürfte nicht ein „Zurückgehen zum Anfang” genannt werden und würde auch nicht die Folgen von Apg. 4,32 haben!

Dennoch, wo die Liebe wächst, da wachsen auch die Bemühungen derselben (1. Thess. 1,3)! Und das ist köstlich und wird in jeder (örtlichen) Gemeinde zu spüren sein! Nur die Liebe brachte jenes uns so erquickende Verhalten hervor, keine Vorschrift dazu war erlassen, wie uns ja gerade die Geschichte von Ananias und Saphira zeigt (vgl. Apg. 5,4!), und wer daher sagt - aus was für einem Grunde auch immer - das Tun jener ersten Christen sei unrichtig, sei gegen Gottes Willen gewesen, der kritisiert nicht nur jene in ihrer geistlichen Gesinnung uns so turmhoch überragenden ersten Christen, sondern der übt auch gewissermaßen (natürlich ungewollt) an Gott selber Kritik, Der, weil Er Liebe ist, diese Liebe in den Seinen gewirkt hatte! Gottgewirkte Liebe lässt sich nicht einzwängen in die Zwangsjacke menschlicher Überlegungen, sie geht ihren eigenen Weg, der Vernunft oft entgegen, aber sie kann auch nicht kopiert, nicht nachgemacht werden, und darum, wo Gott sie um unserer, des ganzen Gottesvolkes, Untreue willen nicht mehr wirken kann, da vermögen wir sie auch nicht hervorzubringen, am wenigsten in ihren ureigensten Betätigungen, wie sie in den behandelten Stellen in so überströmender Fülle sich zeigen!

Gott sei Lob und Preis, der so in jenen „ersten Christen” wirkte, uns Nachgeborenen zu immerwährender Belehrung, Ermunterung, Erbauung und Erquickung, indem Er in ihnen schaffte, „was vor Ihm wohlgefällig war!” (Hebr. 13,21) Er wolle es in Gnaden auch in uns tun (Eph. 2,10) nach dem Maße unseres „Glaubens, der in der Liebe tätig sei” (Gal. 5,6 nach Luther) zu Seines Namens Verherrlichung!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 15 (1930)