Unterscheidung der Geister

Ist Menschenkenntnis dasselbe wie „Unterscheidung der Geister“ (1. Kor. 12,10)? Ist es nur ein Mangel an der in 1. Kor. 12,10 erwähnten Geistesgabe, wenn ein Diener Gottes wie ein „Argloser“ (Röm. 16,18) „erkünstelten Worten“ (2. Petr. 2,3) Glauben schenkt und auf diese Weise oft betrogen wird? Muß man unter Ausschaltung von Menschenkenntnis jeden hochachten? (Phil. 2,3). Und wie soll ein Bruder, der die Gabe der „Unterscheidung der Geister“ hat, handeln, damit die ihm verliehene Gnadengabe der Allgemeinheit nützt?

Antwort A

Wir müssen zunächst feststellen, was „Menschenkenntnis” und was „Unterscheidung der Geister” ist.
Menschenkenntnis” ist die Fähigkeit, einen anderen Menschen nach seinem inneren Wesen, seiner Veranlagung, seinen Eigenschaften und Fähigkeiten, seiner Gesinnung - überhaupt was und wie er ist - richtig zu beurteilen. Sie setzt gewisse geistige Fähigkeiten voraus: Beobachtungsgabe, feines Gefühl, klares und folgerichtiges Denken u. a. m., die nicht bei jedem Menschen vorhanden sind und auch nicht von jedem, der sie hat, richtig angewendet werden. Die Folge ist, dass nur wenige wahre Menschenkenntnis besitzen. Aber jeder, der diese Fähigkeiten besitzt, kann durch richtigen Gebrauch derselben sich Menschenkenntnis aneignen, mehr oder weniger, und kann darin fortschreiten, wobei die Erfahrung eine wichtige Rolle spielt. Menschenkenntnis ist also eine rein menschliche Fähigkeit, die ein ungläubiger Mensch, etwa ein Arzt oder Anwalt, ebensogut besitzen kann wie ein gläubiger (wiewohl die Menschenkenntnis eines Gläubigen noch eine Vertiefung erfahren kann und wird durch das göttliche Licht, welches ihm gegeben ist).

Anders ist es mit der „Unterscheidung der Geister” in 1. Kor. 12,10. Diese ist eine der „Gnadengaben” (V. 4), von denen in diesem Kapitel die Rede ist. Diese „Gnadengaben” („Geistliche Gaben”, V. 1; „Offenbarungen des Geistes”, V. 7) werden durch den Geist den einzelnen Gläubigen zugeteilt: dem einen diese, dem anderen jene Gnadengabe. So ist auch die Gabe der „Unterscheidung der Geister” eine Gnadengabe, die nicht jeder besitzt, die auch nicht jemand sich aneignen kann, sondern die nur der hat, dem sie gegeben worden ist, und die - wie jede andere „geistliche Gabe” oder „Offenbarung des Geistes” - den Glauben an den Herrn Jesus, Leben aus Gott und den Besitz des Heiligen Geistes zur Voraussetzung hat. Aus Vorstehendem ergibt sich klar, dass „Menschenkenntnis” und die Gabe der „Unterscheidung der Geister” nicht dasselbe ist, sondern sehr verschieden voneinander sind. Es besteht aber noch ein Unterschied zwischen diesen beiden Dingen, der in Vorstehendem nicht berührt worden ist: „Menschenkenntnis” hat es, wie wir oben gesehen haben, nur mit dem zu tun, was der Mensch in sich ist; die Gabe der „Unterscheidung der Geister” aber hat es mit dem Geiste zu tun, der in dem Menschen ist und ihn beherrscht. -

Wer die Gabe der „Unterscheidung der Geister” besitzt, wird mittels derselben auch immer die Geister zu unterscheiden vermögen und darum nicht betrügerischen Geistern oder falschen Brüdern zum Opfer fallen. Er hat aber diese Gabe empfangen nicht nur, damit er selbst nicht betrogen werde, sondern sie ist ihm „zum Nutzen” gegeben (V. 7), d. h. um den anderen Gliedern des Leibes Christi, der Versammlung, in der er ist, und darüber hinaus, damit zu dienen! - Hier fühlen wir gleich wieder den Schaden, der daraus erwächst, dass die Versammlung (die Gemeinde) des HERRN nicht in der äußeren Einheit dasteht, die von Ihm gewollt ist, sondern in viele Teile und Teilchen zersplittert ist, so dass der Nutzen der verschiedenen Gaben nur einem - meist kleinen - Teile zugute kommt. Sicherlich hat Gott die verschiedenen Gaben so reichlich gegeben, dass allen Bedürfnissen begegnet werden würde, wenn alles in Ordnung wäre; aber durch den erwähnten Zustand der Zersplitterung kommt es, dass in den einzelnen Kreisen oft großer Mangel hinsichtlich der Gaben ist, indem sie infolge des Getrenntseins der Gläubigen voneinander dem Dienste der von Gott gegebenen Gaben entzogen sind. Welch ein Schade! Wie betrübend für unser Herz und wie beschämend für uns! Und welch eine Mahnung für uns, uns sorgfältig zu prüfen und sorgfältig darauf zu achten, dass nicht etwa wir uns hierin schuldig machen! Wir können den Schaden nicht heilen, können das, was zertrennt ist, nicht zusammenbringen, aber wir können eine Stellung einnehmen und ein Verhalten beobachten Gottes Wort gemäß und Seinen Gedanken entsprechend! Das wollen wir allezeit zu tun versuchen! Und wir können auch die uns verliehenen Gnadengaben immer noch nutzbar machen und sollten dies in dem uns irgend möglichen Umfange tun! - So muss auch ein Bruder, der die Gabe der „Unterscheidung der Geister” besitzt, dort, wo der HERR ihn hingestellt hat, mit dieser Gabe dienen, indem er Geister, die er als von unten, als unecht, falsch, irrig, betrügerisch erkennt, als solche aufdeckt, vor ihnen warnt und dahin wirkt, dass solchen dem Wort Gottes gemäß begegnet wird. - Wenn nun aber ihm von den anderen nicht geglaubt wird, weil sie es nicht so sehen, sich selbst ein treffendes Urteil zutrauen und denken, der Bruder täusche sich und tue jenem unrecht, und so dem Bruder widerstehen? (Solche Fälle gibt es nicht selten, so betrübend und beschämend dies auch ist.) Was kann und soll der Bruder dann tun? Er kann nur darüber trauern, weil er sieht, wie die Geliebten des HERRN so schwach und verkehrt sind und nicht dem Geiste Raum geben, sondern sich von einem Truggeiste täuschen lassen zu ihrem - vielleicht großen - Schaden, und kann es nur dem HERRN überlassen und trotz dieses Nichtverstandenwerdens und Nichtanerkanntwerdens weiter bereit sein, dem HERRN und den Seinen zu dienen! So zu tun wird oft schwer sein, aber Seine Gnade ist genug, uns auch dazu fähig zu machen! Er schenke sie jedem von uns reichlich! - (Zu diesem Gegenstand „Unterscheidung der Geister” siehe auch „Handreichung” Bd. 14 [1929], S. 49-55.)

Wie ist es aber nun mit denen, die nicht die Gabe der „Unterscheidung der Geister” haben? Sind sie ganz ohne Möglichkeit gelassen, betrügerische Geister und falsche Brüder zu erkennen? Es wäre schlimm, wenn dem so wäre, da jene Gabe doch nur manchen verliehen ist (auch durchaus nicht jedem „Diener Gottes”, womit der Fragesteller sicherlich die Brüder meint, die öffentlich am Wort dienen). Aber es ist nicht so, denn Gott hat uns in Seinem Worte Unterweisungen für das Erkennen solcher gegeben, die uns täuschen und irreführen und betrügen wollen, die für jeden Gläubigen gelten und ausführbar sind. Wir finden sie in Mt. 7,15-20 und 1. Joh. 4,1-6. In diesen beiden Schriftstellen handelt es sich nicht um eine „Gnadengabe”, sondern um etwas, was jedem zur Verfügung steht. Darum braucht keiner wie ein „Argloser” „erkünstelten Worten” Glauben schenken und auf diese Weise betrogen werden! Nein - auch den, der genannte Gabe nicht hat, will der Geist Gottes vor jedem Betrug bewahren. Wichtig dabei ist nur, dass wir dem Geiste Gottes wirklich Raum geben! Tun wir dies, dann wird Er uns fähig machen, die Geister zu prüfen, mit denen wir es zu tun haben, und zu erkennen, ob sie aus Gott sind oder nicht, und zu unterscheiden, was echt und unecht, was wahr und unwahr ist. Hierfür sind uns verschiedene, sichere Richtlinien gegeben. Wir wollen uns kurz mit den genannten beiden Schriftstellen beschäftigen.

In beiden Schriftstellen handelt es sich um das Erkennen der „falschen Propheten”. Doch besteht zwischen ihnen ein großer Unterschied. In Mt. 7 sollen die falschen Propheten an ihren „Früchten” „erkannt” werden. „Früchte” sind das, was das in einem Menschen befindliche Leben seiner Natur nach hervorbringt. Diese „Früchte” kann der Mensch an seinem Mitmenschen sehen und, wenn er selbst ein „guter Baum” - ein durch den Glauben an den Herrn Jesus erneuerter Mensch - ist, beurteilen, ob sie gut oder schlecht sind. Solche erneuerte Menschen gab es bereits vor der Ausgießung des Heiligen Geistes und wird es auch nach der Entrückung der Gläubigen geben. Diesen sagte der Herr Jesus diese Worte. Daher ist das Erkennen an den „Früchten” das Mittel, welches der HERR den Seinen zur Erkennung der „falschen Propheten” für jene eben bezeichnete Zeit gegeben hat (wiewohl es auch für die jetzige Zeit des Hierwohnens des Heiligen Geistes in der Versammlung nicht etwa ausgeschaltet ist, sondern ein wichtiges Erkennungsmerkmal bleibt!). In 1. Joh. 4 aber sollen die falschen Propheten an dem Geiste erkannt werden, der in ihnen ist, und wir werden deswegen aufgefordert, die „Geister” zu „prüfen”, „ob sie aus Gott sind”, auf Grund der Kennzeichen, die uns angegeben werden. Dieses „Prüfen” der Geister aber vermögen wir nicht durch unsere menschlichen Fähigkeiten, sondern nur durch den Geist Gottes, der in uns wohnt. Demnach ist die Gegenwart - das Hierwohnen - des Geistes Gottes die Voraussetzung für das hier Gesagte und zeigt uns dasselbe also das Mittel, welches der HERR den Seinen zur Erkennung der falschen Propheten in der Zeit nach der Ausgießung des Heiligen Geistes bis zur Entrückung der Gläubigen (also in der Zeit, in der wir leben) im besonderen gegeben hat.

Mit Rücksicht auf das eben Gesagte nehmen wir von den beiden Stellen 1. Joh. 4,1-6 zuerst. Ein weiterer Grund hierfür würde auch der sein, dass - infolge des vorgehend gezeigten Charakters dieser Schriftstellen - der hier behandelte Gedanke mit dem weiter oben bereits behandelten Gegenstande - die Gabe der „Unterscheidung der Geister” - sich berührt, obwohl ein großer Unterschied vorhanden ist: 1. Kor. 12,10 handelt es sich um eine Gnadengabe, mittels welcher der, welcher sie hat, die Geister „unterscheidet”; hier - 1. Joh. 4,1-6 - aber handelt es sich um Richtlinien, die für jeden Gläubigen gegeben sind, um die Geister zu „prüfen”. (Wir bitten, diese Schriftstelle genau zu lesen!) - Ein „Prophet” verkündet Gottes Gedanken, Seine Wahrheit. Auch der „falsche Prophet” gibt dies vor. Zum Erkennen dessen, ob der Geist in dem als „Prophet” Auftretenden aus Gott ist oder nicht, sind hier zwei wichtige und untrügliche Kennzeichen als Prüfstein gegeben: erstens ihr Bekenntnis in bezug auf die Person Jesu Christi - nicht nur, wie es bei oberflächlichem Lesen scheint, hinsichtlich der Tatsache, dass Er „im Fleische gekommen”, also Mensch geworden ist, sondern (in Verbindung mit dieser Tatsache) hinsichtlich Seiner ganzen, herrlichen Person-, ob dieses ganz, in jedem Punkte, dem Worte Gottes gemäß ist! (V. 1-3), und zweitens: die Stellung der Welt zu dem, was sie reden - ob die Welt sie „hört”, oder nicht; wenn die Welt sie hört (wie wir dies bei allen Irrsekten deutlich beobachten können!), dann ist dies ein Beweis dafür, dass sie „aus der Welt”, d. h. nach dem Grundsatz und Geist der Welt, reden und es der „Geist des Irrtums” ist! (V. 4-6)

Nun kann es aber sein, dass wir zu wenig geübt sind, durch den Geist Gottes in der vorstehend gesehenen Weise die „Geiser” zu „prüfen” und auf diesem Wege eine Person in ihrem wahren Wesen zu erkennen. (Es ist ein Schade und demütigend für uns, wenn dieses so ist.) Dann steht uns noch das andere, in Mt. 7,15-20 gezeigte Mittel zur Verfügung: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.” (Wir bitten, genannte Schriftstelle sorgfältig zu lesen!) Die „Früchte” sind nicht die Werke, die die Menschen öffentlich tun, denn diese können einen Schein der Frömmigkeit und Liebe tragen, ohne dem zu entsprechen, was die Menschen wirklich sind - wie es bei den „falschen Propheten” der Fall ist, weshalb der Herr Jesus sagt, dass sie „in Schafskleidern kommen”, „inwendig aber sind sie reißende Wolfe!” -, sondern die persönlichen, unmittelbaren Lebensäußerungen - das, was das in ihnen wohnende Leben selbst hervorbringt, was ihrer Gesinnung, ihren Neigungen und Trieben, ihrer wahren Natur entspringt. Es ist das, was man in dem persönlichen Wandel eines Menschen wahrnimmt, wenn er sich nicht verstellt oder worin er sich nicht zu verstellen vermag: in seiner Familie, seiner Arbeit, seinem Geschäft, seiner Einstellung zur Wahrheit usw. Das sind die „Früchte”. Diese zu sehen ist nicht immer leicht, da die Menschen oft große Schauspieler sind und ihre Umgebung immer zu täuschen suchen. Aber dennoch können wir die „Früchte” erkennen, wenn wir darauf acht geben und - selbst in dem rechten Zustand sind! Letzteres freilich ist die unerläßliche Voraussetzung, denn nur dann, wenn wir selbst der neuen Natur nach wandeln, können wir das richtig erkennen und beurteilen, was von der alten Natur ist; nur wenn wir selbst im Lichte sind, sehen wir, was der Finsternis angehört; nur wenn wir selbst rein sind, empfinden wir jede Unreinheit! In der heiligen Nähe Gottes werden wir vor Täuschung und Betrug bewahrt, wenn wir wachsam sind! Darum: Wir brauchen nicht „falschen Propheten” und „falschen Brüdern” und anderen Betrügern zum Opfer fallen, denn: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!” Es ist eine große Beschämung und ernste Mahnung für uns, wenn wir uns haben betrügen lassen, denn es zeigt uns, dass auf unserer Seite ein Mangel war - dass wir selbst nicht in dem rechten Zustande, mindestens aber nicht wachsam waren! -

Schließlich sei noch auf ein Wort hingewiesen, das wir auch beachten sollten und das sich immer sehr nützlich erweisen wird. Dasselbe finden wir in Hiob 12,11: „Soll nicht das Ohr die Worte prüfen, wie der Gaumen für sich die Speise kostet?” Was sagt uns das? Dass wir die Worte der Menschen auf ihren wirklichen Gehalt prüfen sollen. Gott hat unserem Geiste dazu die Fähigkeit gegeben genau so wie unserem Körper für die ihm zugeführte Speise. Wie die Speise von dem Gaumen „gekostet” und so ihre Güte festgestellt wird, so haben wir auch einen geistlichen „Gaumen” für das, was wir sehen und hören. Das ist unser Denk- und Urteilsvermögen. Dieses sollen wir beim Hören immer in Tätigkeit setzen. Es gibt Menschen, die die Speisen nur so hinunterschlucken, ohne sie recht zu kauen und ohne sie richtig zu schmecken - zu „kosten”. So kann man auch Worte einfach hinnehmen, wie sie in unser Ohr dringen - ohne sie geistlich zu „prüfen”. So soll es nicht sein. „Wie der Gaumen für sich die Speise kostet”, so soll unser Geist die Worte prüfen, die wir hören! Dieses „Prüfen” ist das Eindringen in das innere Wesen der Worte, welches oft sehr versteckt und daher schwer zu erkennen ist (Röm. 16,18: „... durch süße Worte und schöne Reden ...!2. Petr. 2,3: mit erkünstelten Worten!”), und das Beurteilen derselben diesem Wesen nach! Das fehlt uns oft, weil wir zu wenig dessen Notwendigkeit empfinden und nicht darin geübt sind. Aber oft kann erst dadurch das wahre Wesen eines Menschen erkannt werden, mit dem wir es zu tun haben. Deshalb sollen wir lernen, die Worte zu „prüfen”! (Siehe auch Hiob 34,3 und 4!) -
Aus all dem, was wir in vorgehender Betrachtung gesehen haben, ergibt sich, daß, wenn ein Diener Gottes wie ein „Argloser” „erkünstelten Worten” glaubt und auf diese Weise oft betrogen wird, dies nicht nur daran liegt, dass er nicht die Gabe der „Unterscheidung der Geister” hat, sondern seinen Grund darin hat, dass er nicht Gebrauch gemacht hat von den Möglichkeiten, die nach den oben betrachteten Schriftstellen für jeden Gläubigen vorhanden sind und die zuerst ein Diener Gottes gebrauchen sollte, und dass dieses Nichtgebrauchmachen immer eine Ursache hat, die zumindest im Nichtachten auf den Geist Gottes und in Unwachsamkeit, in manchen Fällen vielleicht aber auch mit in Untreue im Wandel besteht.

Und „Menschenkenntnis”? Sie ist gut und nützlich (warum sollte sie es nicht sein?). Warum sollte sie je ausgeschaltet werden? Weder braucht die Liebe durch sie beeinträchtigt zu werden - sie kann im Gegenteil durch sie in die richtige Bahn geleitet werden -, noch braucht die gottgewollte und geistgewirkte Hochachtung dem anderen gegenüber darunter zu leiden, denn Hochachtung gebührt einem Menschen immer nur nach dem, was er in Wahrheit ist. Sollen wir einen „falschen Propheten” oder irgendeinen Menschen, der uns zu täuschen und zu betrügen sucht, hochachten? Nein! „Gebet allen, was ihnen gebührt: ... die Ehre, dem Ehre gebührt”, sagt Gottes Wort. (Röm. 13,7) Was Phil. 2,3 uns sagt, ist etwas ganz anderes: Erstens handelt es sich dort um die Kinder Gottes unter sich, und zweitens ist dort von dem „Höherachten” des anderen in einer Verbindung gesprochen, die wenig erkannt wird (wodurch die Mahnung, „den anderen höher zu achten als sich selbst”, vielen als eine Forderung erscheint, die man unmöglich erfüllen könne), nämlich in bezug auf den Beweggrund für unser Tun: Wenn „Parteisucht” oder „eitler Ruhm” unser Beweggrund ist, ist keine Demut vorhanden, und demzufolge Geringachtung unserer Geschwister. Das soll nicht sein, sondern der Beweggrund für unser Tun soll das Verlangen sein, das Wohl der anderen zu fördern, wie V. 4 sagt: „ein jeder nicht auf das Seinige sehend, sondern ein jeder auch auf das der anderen”. Wenn dieses der Beweggrund unseres Tuns ist, stellen wir uns damit unter die anderen - machen uns gleichsam zum Diener der anderen - stellen sie also über uns. Das ist Demut, und dadurch „achten wir in der Demut die anderen höher als uns selbst”.
Der HERR gebe uns Gnade, dass wir dieses alles besser verstehen und verwirklichen lernen!
Th. K.

Anmerkungen des Schriftleiters

Ich denke, jeder wird mir beistimmen, wenn ich sage, dass uns hier eine ganz wunderbare Antwort geschenkt ist, für die wir dem HERRN von Herzen dankbar sein wollen, ob wir nun wie der Fragende in dieser Sache Schwierigkeiten hatten oder nicht! - Aber wenn letzteres auch nicht (oder noch nicht), so ist es doch wohl sicher, dass vielleicht in keiner Zeit wie gerade in heutiger - etwa seit dem großen Kriege! - sich das religiöse Schwindel- und Schwindlerwesen in so erschreckender Weise gemehrt hat, so dass früher oder später diese Fragen auch dem zu schaffen geben können, der seither (noch) nichts damit zu tun hatte. Darum prüfe jeder die vorstehende Antwort recht eingehend und suche sie sich zunutze zu machen!

Woher kommt es nur, dass gerade Gläubige verhältnismäßig leicht betrogen werden, sowohl von solchen, die mit falschen Lehren „hausieren”, wie auch - und das, wie gesagt, immer mehr und mehr - von solchen, die unter dem Schein der Frömmigkeit und der Echtheit derselben als geschäftliche Betrüger auftreten und oftmals mit großem Nutzen weiterziehen? Dass solch letztere keine „Empfehlungsbriefe” haben (gemäß 2. Kor. 3,1!; vgl. Jahrb. 15, Seite 78!), sollte ja die Geschwister doch stutzig machen, wenngleich auch „Empfehlungsbriefe” und selbst Kautschukstempel von Gemeinden gefälscht werden (können), und die Gläubigen sollten nicht gar zu leichtgläubig darauf „hereinfallen”, wenn jener Namen von bekannten Brüdern nur so „herunterrasselt” und etwa betont, wieviel der und jener schon bei ihm gekauft habe - was in derlei Fällen zu 99¾ % nicht stimmt! - ja, woher kommt es? Nun einfach, weil sie keine „Menschenkenntnis” haben oder sich fürchten, dem manchmal sicheren Gefühl („Instinkt!”), das einen warnt, zu folgen, aus Rücksicht auf den „lieben Bruder”, der der Betreffende doch sein könnte! Sicher ist es an sich nicht immer „so schlimm”, wenn man einmal zuviel getraut hat und dabei betrogen ist, wenn man also dem Übel nicht widerstanden (nach Mt. 5,39) oder das Böse mit Gutem überwunden hat (nach Röm. 12,21) usw. Aber ob dies die richtige Anwendung der Stellen ist? Und ist nicht dem Betrüger durch unsere Leichtgläubigkeit „Wasser auf die Mühle gegeben”, so dass er es nun wieder etwas leichter hat, andere auf Grund des Schwindels bei uns auch zu betrügen?! Nein, von Ausnahmefällen abgesehen, wo man als vor dem HERRN das „Gib dem, der dich bittet!” (Mt. 5,42) gleichsam überspannen zu müssen glaubte, ist es besser und wichtiger, ein wenig mehr Menschenkenntnis zu haben und anzuwenden als zu wenig und solche Betrüger, die oft ganze Gemeinden brandschatzen, zu entlarven und nötigenfalls sogar der irdischen Gerechtigkeit zu überliefern; wir müssen doch, wo wir können, Gottes Kinder, unsere Geschwister, zu schützen suchen vor Schaden und Gefahren, sowohl Leibes als der Seele! (Vgl. auch hier Phil. 2,4!)

Menschenkenntnis! Die Schrift sagt: „Alle Menschen sind Lügner” (Röm. 3,4), und wenn man dies auch nicht mehr auf wahre Gotteskinder anwenden darf, so ist es doch sehr ernst, dass der Teufel die Welt zu dem „Grundsatz” geleitet hat: „Mundus vult decipi!”, d. h. „die Welt will betrogen sein!” Er ist „der Lügner von Anfang” (Joh. 8,44), und er macht seine Getreuen zu Lügnern, und die Welt rechnet gar nicht anders als mit Lüge und Belogenwerden! Und der Herr Jesus sagt: „Die Söhne dieser Welt (dieses Zeitlaufs!) sind klüger als die Söhne des Lichts in bezug auf ihr eigenes Geschlecht.” (Lk. 16,8) Ja, von uns heißt es „Den Reinen ist alles rein” (Tit. 1,15.16!), und wie der vor 17 Jahren entschlafene Bruder General G. v. Viebahn zu dieser Stelle einmal („Bibellesezettel”!) sagt, so ist es auch (wenngleich das m. E. nicht die einzige Deutung der Stelle ist!):

... in dieser Tatsache (von V. 15) liegt der Grund, weshalb lautere Kinder Gottes, welche allen, die im Namen Jesu kommen, ohne Mißtrauen begegnen, so oft von „christlichen” Schwindlern überlistet werden. Von letzteren ist hier die Rede, und darum hat die ganze Stelle für die Gläubigen der Gegenwart eine hohe, praktische Bedeutung. Wenn es schon damals schwierig war, die Gemeinde der Gläubigen vor solchen Leuten zu bewahren, wieviel mehr heute! Eine befleckte Gesinnung und ein beflecktes Gewissen, heuchlerische Gottesgemeinschaft, greulich, ungehorsam, zu jedem guten Werke unbewahrt - welche Personalbeschreibung! Es ist der Heilige Geist, der diese Darstellung gibt, und wir finden sie in einer erschreckenden Weise bestätigt. In 2. Petri und im Judasbriefe finden wir noch erschütterndere Darstellungen davon, was für verworfene, schamlose Menschen unter den Gläubigen ihr finsteres Werk und Wesen im Auftrag Satans treiben. Dies alles sind keine Phantasiegebilde, sondern Tatsachen, die immer schrecklicher hervortreten, je mehr die Zeit der Gnade dem Ende zueilt. Dennoch wird der HERR die Aufrichtigen bewahren; möchten wir nur wachen, dass wir vor dem Auge des HERRN als „Reine” dastehen, welche das Siegel Gottes tragen! (Vgl. 2. Tim. 2,19)
Soweit v. V.'s Worte, die beherzigenswert genug sind, gerade auch im Blick auf unsere Frage.

Wir haben in der Schrift ungezählte Beispiele sowohl für einfache und „vertiefte” (vgl. Antwort A zu Anfang!) Menschenkenntnis als auch für Geisterunterscheidung, wie auch für das „an den Früchten Erkennen” (übrigens nicht an den Blättern, d. h. an dem mehr selbstverständlich Hervorgebrachten und zuerst Augenfälligeren eines Lebens!!), und nur die Schrift ist es, die uns bildet. Hier ein paar Begebenheiten, aus denen viel zu lernen ist, soweit ich wenigstens sehe und verstehe, andere mögen anders darüber urteilen! Aber prüfen wir z. B. folgende Stellen! Apg. 8,9-25: Simon, der Zauberer, hatte genügend „Menschenkenntnis”, um zu wissen, was den Menschen gefiele, womit er sie begeistern und fangen könnte, und er übte seine Kenntnis in bösem Sinne weidlich aus. Philippus, der (später „Evangelist” benannte, 21,8) treue Arbeiter im Werk des HERRN, hatte wenig oder gar keine Menschenkenntnis, aber auch nicht die Gabe, Geister zu unterscheiden; er durchschaute den getauften Simon keineswegs! ... Aber dann kamen die Apostel Petrus und Johannes, und sofort änderte sich die Sache. Diese Männer, vorzüglich Petrus als Sprecher für Gott, hatten Menschenkenntnis, aber auch Geisterunterscheidungsgabe, und der Zauberer wurde durch seine Bitte als unlauter offenbar. Es scheint mir sogar so, als habe es gar nicht der Gabe bedurft, sondern als ob Petrus schon vermöge seiner geistlich vertieften Menschenkenntnis den Simon, und zwar an seinen „Früchten”, habe entlarven können. Dagegen haben wir in Apg. 13,4.12 die Offenbarmachung des falschen Propheten Bar-Jesus (Elymas), und das geschah anscheinend durch die Gabe der Geisterunterscheidung (V. 9.10), die Paulus in besonderer Weise besaß (was z. B. auch Apg. 20,29.30 zeigt u. a. St.), jedoch auch geistlich „vertiefte” Menschenkenntnis und Beurteilung aus den „Früchten”. Das zeigen z. B. auch Stellen wie Apg. 15,48 u. 16,15. Andere Fälle von Menschenkenntnis, doch auch in bösem Sinne, sind uns gezeigt in Apg. 24,1ff. u. 19,23ff. Man fühlt förmlich die Klugheit der Welt, wie sie der Erreichung der egoistischen Ziele dient. Dagegen sehen wir bei Aquila und Priscille ein hohes Maß von Gabe der Geisterunterscheidung in der Behandlung, die sie dem Apollos zuteil werden ließen. (Apg. 18,24ff.) Wie mancher hätte nach dem Anhören dieses Mannes (heute!) vielleicht gesagt: „Ach, der steht ja ganz verkehrt, den können wir nicht in unserer Mitte aufnehmen!” Aber jene beiden treuen Menschen erkannten, was in ihm steckte, und wußten schnell, dass er echt sei - und wie echt, zeigte sich darin, dass er die Belehrung annahm! Darum bekam er dann auch eine gute Empfehlung seitens der Brüder mit auf den Weg, der ein Segensweg ward. (V. 27f.) Was wäre geworden, wenn Aquila und sein Weib nicht jene Gabe gehabt hätten? Und wenn man sagt: „Aber es steht doch nicht da, dass sie sie hatten?” Nein, aber die Praxis bewies es, wie so oft!

Und so ließen sich noch viele Stellen anführen, aus denen man Menschenkenntnis, Erkennen aus den „Früchten” und auch aus den „Worten” (wie Antwort A aus den Stellen Hiob 12,11 u. 34,3.4 so kostbar zeigt; siehe hierzu auch Mt. 12,37 mit Lk. 19,22!) und das Höhere: die Geisterunterscheidung lernen oder wenigstens sehen lernen kann. Letztere naturgemäß mehr aus dem Neuen Testament (man vgl. z. B. auch die Wahl des Timotheus und des Titus u. a. zu Mitarbeitern durch Paulus), erstere Arten des Sichschützens vor Betrogenwerden von falschen Lehren und von geschäftlichen Betrügern findet man aber auch vielfach im Alten Testament, besonders viel u. a. auch im Leben Davids und Salomos. Man lese es daraufhin durch, und man lernt da viel. Nur ein Hinweis auf eine Stelle für das Prüfen („Kosten”) der Worte (nach Hiob 12,11): 2. Sam. 1,13-16! (Zusammenhang!) Wieviel göttlicher hier Davids Handlungsweise als z. B. die Elis gegenüber Hanna. (1. Sam. 1,12ff.!)

Wenn einer, besonders ein sonst erfahrener, älterer treuer Bruder, einem anderen, der Menschenkenntnis hat, es übel nimmt, dass dieser mit seiner Fähigkeit mehr in der Beurteilung und Entlarvung böser Elemente erreicht als er mit seinem Alter und seiner sonstigen Erfahrung, dann zeigt dieser Letztere eine bedauerliche Eigenschaft (oder wenigstens Anfänge davon), nämlich die des Neides, und dieser lässt es nicht gern zu, dass dem, der recht hat, auch recht gegeben werde. Aber wenn dieser, der recht hat, nun wieder wahrhaft demütig ist - „den Demütigen gibt Gott Gnade!” -, so wird doch sicher für beide Teile Segen hervorgehen. Gott ist treu!
lasst uns stets zu lernen trachten, auch auf diesem Gebiet; wir lernen nie aus, und zumal heute bei der inneren Zerrissenheit des Volkes Gottes ist es nötig, auf diesem Gebiet zum Nutzen (zur Erbauung) der Gemeinde viel zu lernen, denn der Mangel unter uns ist ja so, so groß! Und am besten lernen wir von den vielen Vorbildern der Schrift und unter diesen wieder am meisten von Ihm Selber, der den Geist „ohne Maß” hatte (Joh. 3,34) und der auch die beste Menschenkenntnis hatte (Joh. 2,24.25!), der aber auch die „Früchte” sowie auch die „Worte” am besten zu beurteilen verstand. (Vgl. z. B. Lk. 23,39ff. oder 7,36-50 usw. usw.)
Sein Name sei in Aufrichtigkeit gepriesen! Er schenke es uns, zu wachsen in Seiner Gnade und in Seiner Erkenntnis! (2. Petr. 3,18)
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 17 (1932)