Antwort A
Ehe wir näher auf obige Frage eingehen, möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass im Jahrbuch 12, Seite 257-262 dieser Zeitschrift, versucht worden ist, für obiges Gleichnis im Zusammenhang mit den übrigen Gleichnissen des Reiches der Himmel, wie sie uns im Evangelium Matthäus gegeben sind, eine Erklärung zu geben. Wir empfinden sehr tief, wie schwer es ist, das Wort Gottes in seiner ursprünglichen Bedeutung auszulegen und annähernd den wahren Sinn ans Licht zu stellen; dennoch vertrauen wir dem HERRN, dass Er uns durch Seinen Geist Sein Wort erschließt und wir praktischen, geistlichen und gegenwärtigen Nutzen haben. Nichts ist gefährlicher, als den Kindern Gottes der Jetztzeit alles zu rauben, was nicht in den 13 anerkannten Paulinischen Briefen enthalten ist, indem man für die Gemeinde fast nur diese Briefe gelten läßt, alles andere aber Israel zuschreibt. Wie töricht! Es ist hier nicht die Gelegenheit, den biblischen Beweis zu erbringen, dass die fast 2000jährige Geschichte der Gemeinde, welche die von Israel an Dauer, Größe und göttlicher Herrlichkeit weit überstrahlt, viel mehr Recht hat (entsprechend der der Gemeinde gegebenen allüberragenden Erkenntnis des HERRN als „des Christus”, des himmlischen Menschen, des „Hauptes” der Gemeinde und des „Sohnes Gottes” in Seiner göttlichen Herrlichkeit), alles für sich in Anspruch zu nehmen, wo irgend etwas von Seiner herrlichen Person im Worte Gottes Alten und Neuen Testaments gefunden wird! Und ist nicht Er das Wesen und der Geist der Schrift? Und stehen wir Ihm nicht näher als irgendeine erlöste Schar im Alten oder Neuen Testament? Wir, Seine Fülle?! Wir als Gemeinde Christi dürfen und können all Seine Herrlichkeitsoffenbarungen, die im Laufe der Zeit gegeben worden sind, von Anfang bis Ende schätzen, würdigen und genießen - selbst jene Offenbarungsherrlichkeiten, die nicht unmittelbar mit der Gemeinde in Beziehung stehen, weil wir Ihm am nächsten stehen, ja im Blick auf Seine menschliche Herrlichkeit eine Lebenseinheit mit Ihm bilden. Darum wird auch jeder geistliche Diener des HERRN all die geistlichen Herrlichkeiten Seines ganzen Wortes der Gemeinde der Jetztzeit zugängig zu machen suchen, weil Christus der Geist der Schrift ist.
Merkwürdigerweise hat man versucht, dieses Gleichnis und dessen Erfüllung in eine spätere Zeit zu verlegen, wo die Gemeinde die Erde schon durch die Entrückung verlassen hat. Andere wiederum haben versucht, für die fünf zurückgebliebenen törichten Jungfrauen eine neue Gelegenheit ihrer Errettung in der großen Drangsalszeit nach der Entrückung der Gemeinde zu sehen, obwohl der Herr ausdrücklich sagt: „Wahrlich, Ich sage euch, Ich kenne euch nicht.” Dies sagt Er, weil sie in keinem geistlichen, lebendigen Herzensverhältnis mit Ihm, dem Bräutigam, standen. Ja, hatten sie nicht auch Lampen wie die klugen Jungfrauen? Und brannten ihre Lampen nicht eine geraume Zeit, denn sie sagen: „Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen erlöschen?” Ja, Lampen hatten sie, aber nirgends wird gesagt, dass sie je Öl besaßen, viel weniger Gefäße mit Öl, wie die klugen sie hatten.
Da wir nun zum Hauptgegenstand der Frage gekommen sind, wollen wir versuchen, an der Hand des Wortes die Frage zu beantworten.
Wir brauchen wohl nicht erst den Leser darauf aufmerksam zu machen, dass unter „Öl” der Heilige Geist in Seiner verschiedenen und mannigfaltigen Wirkung zu verstehen ist. (Vgl. Off. 11,4; Hebr. 1,9; 2. Mo. 27,20 usw.) Von den Törichten wird V. 3 ausdrücklich gesagt, dass sie „kein Öl mitnahmen”. Dies zeigt uns klar, dass sie den Geist Gottes nicht besaßen. Röm. 8,9 sagt: „Wenn aber jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht Sein.” Alle Auslegungskünste scheitern an dem untrüglichen Worte Gottes. Man hat auch gesagt, dass sie wohl Leben hätten, aber nicht die Fülle des Geistes. Aber wenn das so wäre, hätte der HERR nie sagen können: „Ich kenne euch nicht!” Auch ist es falsch, zu sagen, dass die fünf Klugen die Fülle des Geistes hätten und darum entrückt würden, die törichten aber die Fülle des Geistes nicht hätten, da sie die sogenannte „zweite Gnade” noch nicht empfangen hätten. So sagen uns manche aus der Pfingstbewegung, dann die sogenannten Perfektionisten. Leider wird auch in vielen anderen Kreisen dies so gelehrt. Sie hatten wohl Lampen, ein Bild des Bekenntnisses, wie auch die übrigen, aber kein Öl.
Und wenn gesagt wird: „... denn unsere Lampen erlöschen”, so wird erstlich gar nicht gesagt, dass ihre Lampen brannten, weil das Öl fehlte, und will man unbedingt annehmen, dass sie brannten, ist an den Docht zu denken, der wohl eine kurze Zeit brennen, vielmehr glimmen konnte. Doch Rückschlüsse im Worte Gottes zu machen ist sehr gefährlich. Man beachte, dass zwischen dem Schmücken der Lampen und dem Erlöschen derselben keine lange Zeit liegt, weil eines dem anderen sofort folgt (vgl. V. 7 u. 8). Dann haben die Törichten keine Gefäße mit Öl. Daraus muss man schließen, dass sie den Geist Gottes in ihren Herzen nicht besaßen. Röm. 5,5: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben worden ist”, trifft auf sie nicht zu, vielmehr was wir in 2. Tim. 3,5 lesen: „... die eine Form der Gottseligkeit (Lampen) haben, deren Kraft (der Heilige Geist) aber verleugnen.”
Es besteht ein Unterschieb zwischen „Erleuchtet sein” und Empfang des Heiligen Geistes. In Hebr. 6,4 und 10,32 wird von solchen gesprochen, die erleuchtet waren, ohne dass unbedingt göttliches Leben in Verbindung damit steht. Man kann alles einsehen und zum Teil auch verstehen, oder richtiger: wissen, ohne Christum im Herzen in der Kraft des Heiligen Geistes zu besitzen.
Eph. 1,18, wo dasselbe Wort gebraucht wird und es nur für Kinder Gottes in Frage kommt, wird ausdrücklich gesagte „... damit ihr, erleuchtet an den Augen eures Herzens, wisset ...” Hier wird das Herz genannt, welches gleichsam mit dem „Gefäß” der klugen Jungfrauen verglichen werden kann. Es ist ein Unterschied zwischen dem Wirken des Heiligen Geistes an mir und in mir. Das eine zeigt die Tätigkeit des Heiligen Geistes von außen, das andere von innen; letzteres setzt den Besitz des Heiligen Geistes voraus, was bei ersterem nicht unbedingt anzunehmen ist.
Man hat viel darüber gesagt, dass sie doch Jungfrauen waren und Ihm entgegengingen wie die anderen. Aber das Unterscheidende ist nicht die „Jungfrau”, sondern das Öl, denn darauf legt der HERR das Gewicht. Mit „Jungfrau” steht 1. Absonderung, 2. Bekenntnis, 3. Erwartung in Verbindung. Man kann dieses alles der Form und dem äußeren Wissen nach haben und doch im entscheidenden Augenblick, nämlich beim Kommen des HERRN (auch früher durch andere Prüfungen), sich erweisen als geist- und christuslos. Nur Christus bzw. der Geist gibt diesen drei Dingen göttlichen Charakter und Wert. Ihr Zustand wurde klar offenbar nach dem Mitternachtsruf. In ihrem Bekenntnis gaben sie vor, den Bräutigam zu erwarten, doch war alles nur Kopfwissen und keine Lebens- und Herzenssache. Wie ernst ist dies! Wie steht es mit dir, mein Leser?
Kap. 24,48-51: in jenem Knecht fehlt die Gesinnung Christi Seinen Geliebten gegenüber. Kap. 25,8-13: bei den törichten Jungfrauen fehlt der Geist Christi, und Kap. 25,24-30: bei dem bösen und faulen Knechte fehlt die Erkenntnis Christi. Die Gesinnung, der Geist und die Erkenntnis Christi waren die lebendigen Beweise des treuen und klugen Knechtes (24,45-47), der klugen Jungfrauen (25,4-10) und des guten und treuen Knechtes (25,21.23). Wie sehr ernst auch für uns alle, die wir Kinder Gottes sind und uns durch Seine Gnade zu den klugen Jungfrauen rechnen dürfen! Möge der HERR uns allen immer die göttliche, jungfräuliche, geistgewirkte Herzensgesinnung schenken, indem wir mit dem Herzen auf Ihn warten und unser Leben davon lebendig zeugt!
K. O. St.
Antwort des Schriftleiters
Der Verfasser obiger so kostbaren, klar verständlichen Antwort hat gewünscht, dass ich noch etwas anfügen möchte. Aber ob das nötig ist? Möge der Leser entscheiden! Und möge in jedem Falle das, was der HERR unserem Mitarbeiter wie auch mir gegeben hat, den forschenden Lesern zu bleibendem Segen dienen! Wir, die wir über so wichtige Fragen zu schreiben die gottgegebene Aufgabe haben, fühlen, welch ernste Verantwortung das mit sich bringt. Es darf daher bei dieser Gelegenheit vielleicht einmal die Bitte ausgesprochen werden, dass die treuen Bezieher der „Handreichungen” der jeweiligen Mitarbeiter wie der beiden Schriftleiter mehr fürbittend gedenken möchten!
Ohne irgend etwas von dem in obiger Antwort Gesagten anzutasten - ich möchte es vielmehr hier ernstlich unterstreichen -, glaube ich doch bei dem vorliegenden Gegenstand darauf hinweisen zu dürfen, dass wir nicht aus dem Auge verlieren müssen: wir haben es hier nicht mit einer lehrhaften Darlegung oder auch instruktiven Geschichte zu tun, sondern mit einem Gleichnis, einem Gleichnis von: Reich der Himmel. Auf letzteren Ausdruck einzugehen erübrigt sich im Blick auf die wichtigen Ausführungen im letzten Jahrbuch über „Reich der Himmel” und „Reich Gottes”. Aber auf den Begriff des „Gleichnisses” möchte ich mit einigen Worten zu sprechen kommen.
Gleichnisse haben einen großen Hauptzweck: eine bestimmte Wahrheit in ganz besonderer Weise zu beleuchten. Sie sind daher nicht durch einander auszulegen, bzw. der Punkt, auf den es in diesem Gleichnis ankommt, findet nicht eine gleichbedeutende Anwendung in jenem Gleichnis, noch weniger aber ist das der Fall mit Nebenpunkten, deren jedes Gleichnis etliche aufzuweisen hat. Wer ferner diese Nebendinge - nicht etwa „Nebensächlichkeiten”, im Worte Gottes ist nichts nebensächlich, aber es ist in einem Gleichnis (nicht in einer Geschichte oder Lehrdarstellung) manches nur Rankwerk gleichsam, wodurch die Hauptsache um so klarer hervorgehoben werden soll; man vergleiche die beiden Gleichnisse vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme (Lk. 15) (die Beschreibung von den zwei verlorenen Söhnen halte ich, im Gegensatz zu vielen anderen Auslegern, nicht für ein Gleichnis, sondern für eine gleichnisähnliche Geschichte oder vielleicht auch eine Parabel) - wer also diese Nebendinge alle auszudeuten versucht und sich dabei bemüht, ein vollständiges Lehrgemälde zu zeichnen, der wird nicht nur gar leicht den Hauptpunkt (den Vergleichungspunkt) aus dem Auge verlieren, sondern er wird aus Nebendingen, aus Rankwerk, lehrhafte Hauptsachen machen, wie das gerade auch bei denen geschehen ist, die in den fünf törichten Jungfrauen, weil es „Jungfrauen” sind, Gläubige gesehen haben oder sehen, die nicht mit entrückt werden (wie oben gesagt), oder was dergleichen Lehrungeheuerlichkeiten mehr sind.
Es hat einmal jemand ein Gleichnis der Schrift mit einer Glaskugel verglichen, die auf einer Glasplatte ruht; diese Kugel - und je größer sie ist, desto klarer wird das Bild! - berührt die Unterlage nur an einem einzigen Punkte. Versucht man irgendeine andere Stelle der Kugel mit der Unterlage in Berührung zu bringen, d. h. gleichzeitig mit dem ersten Punkte, dann muss die Kugel zerbrechen; sie kann immer nur mit einer Stelle aufliegen! - Ja, so ist es auch mit dem Gleichnis. Aber, um im Bilde zu bleiben, man darf vielleicht sagen, es gäbe aber viele Punkte, einen ganzen Kranz von solchen ganz nahe dem einen Hauptpunkte! Ja, und wenn man den unbedingt bei dem Gleichnis festhält, dann darf man mit Vorsicht auch eine gewisse Ausdeutung jener versuchen. Aber ob man das fertigbekommt oder nicht - einerlei, der Vergleichungspunkt bleibt gänzlich unantastbar, unangreifbar, kann nicht aufgehoben oder abgeschwächt werden. Das lasst uns festhalten!
Bezogen auf das Gleichnis von den 10 Jungfrauen: Was ist der Hauptpunkt, worauf kommt es dem teuren HERRN an? Obige Antwort sagt es ganz unzweideutig: auf das Öl! (V. 3) Ob dieses da ist oder nicht, das ist die Frage! Nicht ob es dagewesen, oder ob einmal Öl in der Lampe war oder ob der Docht - der bei den damaligen Lampen einfach ins Öl gelegt wurde und mit dem einen Ende über den Rand des ziemlich flachen Gefäßes herausragte - einmal früher mit etwas Öl in Berührung gekommen war und noch in seinen Fasern etwas enthielt (Züge, die sich lehrhaft ausdeuten lassen, wie oben in Antwort A in Vorsicht geschehen ist!) oder wie man sich das sonst vorstellen will - nicht darauf kommt es an, sondern auf das Vorhandensein des Öles in den Lampen und das Mitgenommenhaben des Öles in den Gefäßen - darauf kommt es allein an. Halten wir dies fest, dann schwindet die Schwierigkeit der „Krämerfrage”, ferner ob bei der tatsächlichen Kürze der Zeit noch ein „Kaufen” möglich sein kann, ferner ob der HERR, der doch „den glimmenden Docht nicht auslöschen” wolle (Mt. 12,20) - auch solche falsche Verbindung und Anwendung eines Nebenzuges! - das nicht anerkennen werde, wenn man noch zu „kaufen” sucht, um die verlöschende Lampe neu anzufachen ... usw. usw.; das alles ist Rankwerk, vielleicht hier und da von Bedeutung, in einem Einzelfalle als praktische Ermahnung für heute, aber bezüglich des Hauptpunktes nicht von entscheidender Wichtigkeit! Hast du Öl? Ja? Wohl dir! Du wirst bereit sein können, wenn der Augenblick kommt, den wir ersehnen - hast du es noch nicht? O dann warte nicht noch einen Tag - das ist die Ermahnung heute, entsprechend der des HERRN „Wachet!” in V. 13, der Anwendung des Gleichnisses auf die Zeit vor Erfüllung desselben! Hast du es aber dann noch nicht, dann ist es zu spät, du törichte Jungfrau, die du mit einer schöngeschmückten Lampe genug zu haben meintest. Wie schön auch das Gefäß, der Lichtträger - meinetwegen, wie gesagt wird, das christliche „Bekenntnis” - sein mag, ohne den Brennstoff, ohne das Öl ist es wertloses Metall. Denn wie schon oben betont: „Wer Christi Geist nicht hat, ist nicht Sein Eigen!” (Röm. 8,9) Selbst wenn er noch so religiös-stimmungsvoll „Pfingsten” feiern mag! Und wenn dieses jemand lieset, der noch nicht wahrhaft „bekehrt”, noch nicht „aus Gott geboren”, noch nicht „göttlicher Natur” teilhaftig ist (1. Thess. 1,9; Joh. 1,12.13; 2. Petr. 1,4 u. a.) - mein Freund, dein Zustand ist verzweifelt ernst! Was du tun sollst? Beizeiten „kaufen für dich selbst” (nach V. 9, angewandt!). Und wie? In dem du glaubest an den Herrn Jesus, wie die Schrift sagt, denn durch Glauben an Ihn empfängst du nach Joh. 7,37-39 Seinen Geist! (Vgl. auch Eph. 1,13 u. a.)
Uns allen aber gilt und gelte mehr und mehr des HERRN Wort von V. 13: „So wachet nun, denn ihr wisset weder den Tag noch die Stunde!” Er gebe uns Gnade dazu!
F. K.