Antwort A
Zum ersten Teil der Frage, das Anrühren des Herrn Jesus nach Seiner Auferstehung betreffend, finden wir eine schöne, klare Belehrung im 7. Bd. der „G. H.” (1920), S. 36-39. Für solche aber, die nicht die Möglichkeit haben, nachzuschlagen, möchten wir kurz einige Worte dazu bemerken.
In Joh. 20 werden uns in den verschiedenen Personen Gläubige verschiedener Zeiten in ihrem Zustande und Verhalten gegenüber dem Herrn Jesus vorgebildet. In Maria Magdalena (V. 11 bis 18) sehen wir den gläubigen Überrest aus Israel, der zur Zeit des Todes des Herrn Jesus da war und in die neue Ordnung der Dinge überging und den Anfang der Versammlung oder Gemeinde bildete und in dieser aufging. Diese Gläubigen hatten aus den prophetischen Schriften über den Messias eine Vorstellung, die sich auf Seine Gegenwart in irdischer Leiblichkeit beschränkte, in der man Ihn anrühren konnte, und mußten deshalb erst dahin belehrt werden, dass sie Ihn, nachdem Er gestorben und auferstanden war, nicht mehr und nicht wieder so besitzen konnten wie vor Seinem Tode, sondern in einem ganz anderen, neuen Zustande und Verhältnis. Deshalb sagt Er der Maria Magdalena: „Rühre Mich nicht an!” Die weiteren, den Grund dieses Verbotes erklärenden Worte des HERRN: „denn Ich bin noch nicht aufgefahren zu Meinem Vater” zeigen aber, dass es sich keineswegs hierbei um die Aufhebung der durch die Propheten gegebenen, noch unerfüllten Verheißungen handelte, sondern nur um eine durch Seine Verwerfung bedingte Hinausschiebung - dass Er erst auffahren müsse zu Seinem Vater, ehe Er jene Verheißungen erfüllen könne, wie auch Petrus in Apg. 3 dem Volke sagte: „... welchen freilich der Himmel aufnehmen muss bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von welchen Gott durch den Mund Seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat”. (V. 21.) Wir wissen ja, was mit dieser wunderbaren Tatsache Seines Auffahrens zum Vater und Seines Dortseins alles verbunden ist; wir wissen aber auch, dass Er, wenn die Zeit gekommen sein wird, auch Sein Wort inbezug auf Sein irdisches Volk Israel einlösen und dazu wieder auf diese Erde kommen wird. Dann werden sie Ihm als ihrem Messias huldigen und Ihn gleichsam „anrühren”. Letzteres finden wir in Thomas vorgebildet. (V. 24-29.) Dazwischen liegt die jetzige Zeit der Versammlung oder Gemeinde, die wir in V. 19-23 finden. - Was den zweiten Teil der Frage betrifft, so wird der beste Weg zur Klarheit der sein, dass wir einmal untersuchen, was das Wort Gottes uns über den Herrn Jesus von Seinem Tode am Kreuze bis zu Seiner Himmelfahrt sagt.
Über die letzten Augenblicke des Herrn Jesus und Seinen Tod lesen wir in Lk. 23,46: „Und Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: Vater, in Deine Hände übergebe Ich Meinen Geist! Und als er dies gesagt hatte, verschied Er”, und in Joh. 19,30: „Als nun Jesus den Essig genomen hatte, sprach Er: Es ist vollbracht! und Er neigte das Haupt und übergab den Geist”. Diese Worte zeigen, dass der Geist des Herrn Jesus bei Seinem Tode am Kreuze zum Vater ging, während Sein Leib am Kreuze zurückblieb und dann abgenommen und ins Grab gelegt wurde. Dass der Geist aus dem am Kreuze hängenden Leibe weg sofort zum Vater ging und nicht erst an den Ort der Abgeschiedenen, um diesen zu predigen, wie manche auf Grund von 1. Petr. 3,19 irrtümlich annehmen - s. hierzu 1. Bd. (1913), S. 167ff., Antwort Bund C-, zeigen uns die Worte des Herrn Jesus an den Räuber am Kreuze in Lk. 23,43 mit überwältigender Klarheit: „Wahrlich, Ich sage dir: Heute wirst du mit Mir im Paradiese sein”. Nicht im „Gefängnis”, wo die ungläubig Abgeschiedenen sind, sondern im Paradiese! Das ist doch wahrlich ein Unterschied. Im Paradiese sind nicht die „Geister, welche einst ungehorsam waren” (oder: „nicht glaubten”), denn das Paradies ist die Herrlichkeit beim Vater, der Platz und der Zustand, den die Erlösten bei Ihm haben, wenn sie aus diesem Leben scheiden, biszum „Tage der Erlösung” (Eph. 4,30), d. h. bis Er die Seinen von dieser Erde wegnimmt und in das Vaterhaus einführt, wo Er ihnen die Stätte bereitet hat. Dort war Sein Geist, während Sein Leib im Grabe lag, bis zu Seiner Auferstehung, bei welcher Sein Geist wieder mit Seinem Leibe - der hierbei durch die göttliche Macht in einen geistigen Leib verwandelt wurde - vereinigt wurde. Letzteres ist keine Vermutung oder bloße Schlußfolgerung, sondern Gottes Wort stellt Ihn uns so vor unser Auge nach Seiner Auferstehung. Es berichtet uns, dass Er auferstanden und das Grab leer war, dass Er den Seinen erschien, ihnen Seine Hände und Füße und Seine Seite zeigte, mit ihnen redete und vor ihnen aß, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht einen Geist vor sich sahen, sondern dass Er es Selbst war und dass Er Sich „in vielen sicheren Kennzeichen lebendig dargestellt hat, indem Er vierzig Tage hindurch von ihnen gesehen wurde und über die Dinge redete, welche das Reich Gottes betreffen” (Mt. 28; Mk. 16; Lk. 24; Joh. 20 und 21; Apg. 1,1-8; 10,40.41). Dann ging Er als Mensch, im Auferstehungsleibe, in die Herrlichkeit ein (Mk. 16,19; Lk. 24,51; Apg. 1,9), wie Er den Seinen angekündigt hatte.
Es ist wunderbar, in Verbindung mit dem Obengesagten zu sehen, dass der HERR als Mensch Selbst in allem uns voranging und wir alles mit Ihm teilen: Als Er aus diesem Leben schied, ging Sein Geist dorthin, wo Er als der verherrlichte Mensch jetzt weilt, während und solange Sein Leib im Grabe lag, und genau so ist es mit allen Erlösten, die aus diesem Leben geschieden sind und scheiden, mit dem Räuber am Kreuze anfangend: auch sie haben in der Zwischenzeit ihren Platz dort bei Ihm (Lk. 23,43; 2. Kor. 5,8; Phil. 1,23); Er wurde „aus den Toten auferweckt durch die Herrlichkeit des Vaters” (Röm. 6,4) - ist auferstanden -, und ebenso werden alle entschlafenen Heiligen auferweckt werden - auferstehen -, wenn Er kommen wird (1. Kor. 15, besonders V. 23 und 42-55; 1. Thess. 4,13-16), und die Lebenden werden im gleichen Augenblick und durch dieselbe Macht verwandelt werden (Joh. 11,26; 1. Kor. 15,51.52; Phil. 3,21); und Er ging ein in die Herrlichkeit und ist dort „verherrlicht”, und ebenso werden wir einst verherrlicht dort eingehen und dort sein (Joh. 14,3; 17,24; 2. Kor. 5,1-4; Phil. 3,20.21; 1. Thess. 4,17). Welche Liebe und Gnade! Gepriesen sei Er dafür. -
Welchen Verkehr Er als der Auferstandene in der Zwischenzeit bis zu Seiner Himmelfahrt mit dem Vater hatte, darüber sagt das Wort nichts, und deshalb können auch wir nichts darüber sagen. Dass Er Gemeinschaft mit dem Vater hatte, bedarf ja keiner Erwähnung; aber dass ein Verkehr mit dem Vater in dem Sinne anzunehmen wäre, dass Er vor Seiner Himmelfahrt, die Er vor den Augen der Seinen antrat (Apg. 1,9), mit Seinem Auferstehungsleib bereits in die himmlischen Örter eingegangen sei, Er also einmal dort und wieder einmal hier auf der Erde gewesen sei, dazu gibt uns das Wort Gottes keinerlei Anlass und Recht, denn es spricht von dem auferstandenen HERRN in der Zeit bis zu Seiner Aufnahme immer nur als noch hier auf der Erde befindlich, wie wir aus schon aufgeführten Stellen sehen (s. bes. Apg. 1,3), und von dem Eingehen des auferstandenen HERRN in die Herrlichkeit immer nur als einem einmaligen Vorgang, der den Abschluß Seines Hierseins nach Seiner Auferstehung bildete, wie ebenfalls die dazu bereits angegebenen Schriftstellen zeigen. Er ging dabei zum ersten Male in die Herrlichkeit ein und „setzte sich zur Rechten Gottes” (Mk. 16,19). Diesen Platz wird Er erst aufgeben, wenn der langersehnte Augenblick gekommen sein wird, wo Er den Seinen entgegenkommen wird, um sie heimzuholen in das Vaterhaus. Dann wird Er aufstehen und „herniederkommen vom Himmel”, um den Seinen zu begegnen in der Luft (1. Thess. 4,17) und dann alles auszuführen, was auf die Entrückung folgt.
Th. K.
Antwort B
Ohne obige kostbare und an sich keineswegs ergänzungsbedürftige Antwort erweitern zu wollen, scheint es mir doch nötig, den Schwierigkeiten des Fragenden von einigen anderen Gesichtspunkten aus zu begegnen.
Wenn der HERR zu Maria sagt: „Rühre Mich nicht an, denn Ich bin noch nicht aufgefahren zu Meinem Vater”, während Er acht Tage später zu Thomas sagt: „Lege ... deine Hände in Meine Seite” - also mit anderen Worten „rühre Mich an”, so schlußfolgert anscheinend der Frager, dass dem „Denn” des ersten Satzes zufolge der HERR innerhalb der acht Tage etwas wie Aufgefahrensein erlebt haben könnte. Da aber Jesu Himmelfahrt tatsächlich erst später geschah, so entstand offenbar für ihn die Frage, ob der HERR in jenen acht Tagen einen besonderen Verkehr mit dem Vater gehabt habe, also schon vor der eigentlichen Himmelfahrt in die himmlischen Örter eingegangen gewesen sei, so dass das Berühren des HERRN durch Thomas gemäß des „Denn” des ersten Satzes gerechtfertigt gewesen sei. Menschlich angesehen hat der Fragende scheinbar recht mit solcher Schlußfolgerung. Aber die menschlichen Verstandesschlüsse werden den göttlichen Gedanken nie gerecht!
Was der HERR der Maria, die Ihn mit „Lehrer” anredet und als solchen anerkennt, zur Belehrung sagen konnte, damit sie fähig würde, die göttlichen, himmlischen Verwandtschaftsbeziehungen den Seinen mitzuteilen, das konnte Er acht Tage später nicht einem Thomas sagen, der noch nicht eingegangen war in die Verwandtschaft, da er an jenem „ersten Tage in der Woche” nicht dabei war, als die himmlischen Verwandtschaftsbeziehungen den Jüngern erschlossen wurden. Thomas konnte somit auch nicht so glauben wie die anderen - und darin ist er, wie in Antwort A und in Frg. 4, Jahrb. 7, worauf obige Antwort hinweist, klar gesagt ist, ja ein Vorbild von dem zukünftigen jüdischen Überrest, der erst glauben wird, wenn er schaut. Der HERR aber lässt Sich in Seiner unfaßbaren Gnade auch zu einem Thomas herab, und wenn Thomas schon nicht lernen kann, was Maria, die Liebende, die in ihrer hingebenden Liebe dem geliebten Meister huldigen wollte, sozusagen spielend lernte von ihrem Lehrer und was sie den Jüngern mitteilen durfte (und ja auch mitteilte nach V. 18), so darf er doch den HERRN so berühren, wie er es als Beweis für dessen Auferstehung gewünscht hatte. Dass der HERR inzwischen etwas dem Aufgefahrensein ähnliches erlebt haben müßte oder - als der auferstandene zweite Mensch - schon in die himmlischen Örter eingegangen gewesen sein müßte, darf nach den vielfachen klaren Aussagen der Schrift über Seine Himmelfahrt auch nicht einmal andeutungs- oder frageweise angenommen werden, es ist aber auch gar keine Nötigung für solche Frage vorhanden, wenn man bedenkt, wem (und wann und unter welchen Umständen) Er jenes „Rühre Mich nicht an” sagte und wem dagegen (und wann usw.) das „Lege deine Hand in Meine Seite!”
Es ist auch noch zu beachten, dass die Schrift kein Wort von einer Bitte oder einem hier in diesem Zusammenhang ausgeführten Versuch der Maria, Ihn anzurühren, enthält, während Thomas ausdrücklich gewünscht hatte, seine Hande in Jesu Seite legen zu können, um Ihn als Auferstandenen anzuerkennen. Der HERR begegnet jedem der Seinen, wo er ist. Jeder bekommt die seiner Stellung und seinem Zustand angemessene Belehrung: Maria eine sehr tiefe, uns in ihrem Vollsinne mangels Parallelen in der Schrift hienieden kaum völlig verständliche, Thomas eine einfachere, leichter verständliche, deren Wirkung aber nicht minder bedeutsam ist, wie das kostbare Bekenntnis des Thomas zeigt. Marias vielleicht geheimes Sehnen, dem der HERR durch Sein Verbot begegnet, entsprang aus vollkommenem Glauben (der durch solch Verbot in nichts erschüttert werden konnte), Thomas' offen ausgesprochener Wunsch dagegen aus unverhohlenem Zweifel (der durch Nichtgewähren seines ihm berechtigt scheinenden Begehrens nur noch tiefer geworden wäre). Mit anderen Worten: das Anrühren, das der Maria verwehrt, und das Anrühren, das dem Thomas gewahrt ward (dass er es ausgeführt habe, ist nach dem Wortlaut der Stelle übrigens auch nicht unbedingt sicher!) - diese beiden Arten von Anrühren haben gar keine Ähnlichkeit miteinander - darum hat die mit „denn” eingeleitete Begründung des Verbots an Maria auch keine Beziehung auf die Szene des HERRN mit Thomas. Jenes Verbot der Maria gegenüber vertiefte die inneren Beziehungen zwischen dem Auferstandenen und uns, den Seinen, während durch die dem Thomas gegebene Erlaubnis oder Gewährung seines Begehrens, Ihn zu betasten (vgl. Mt. 28,9!), die irdischen sichtbaren Verbindungen zwischen dem Auferstandenen und der Klasse der Seinen, die der sichtbaren Zeichen zum Glaubenkönnen bedurfte (Israel, vergl. Joh. 4,48, also im Joh.-Evang.!), im Blick auf die spätere Zukunft neu angeknüpft wurden.
„Wie köstlich sind mir Deine Gedanken, o Gott! Wie gewaltig sind ihre Summen!” (Ps. 139,17.)
F. K.