Antwort
Eine dahingehende Frage ist bereits in den „Handreichungen” Bd. 1 (1913), S. 91-96 von mehreren Brüdern beantwortet worden.
Wenn wir von „Sündenvergeben” lesen oder hören, denken wir zunächst an die Schuld des Menschen Gott gegenüber und an die Ewigkeit, und in dieser Beziehung ist es ohne Zweifel, dass nur Gott allein Sünden vergeben kann. Nur Er ist in dieser Stellung zum Menschen, und nur Er hat dazu das Recht. Wie könnte ein Mensch das tun, der doch selbst der Vergebung bedarf? Und wenn Menschen in völliger Verkennung alles dessen behaupten, die Vollmacht zu haben, Sünden zu vergeben, dann ist das eine ungeheuerliche Anmaßung und hatten die Schriftgelehrten und Pharisäer, die den Herrn Jesus nur als einen Menschen ansahen, von diesem Standpunkt aus durchaus recht, wenn sie sagten: „Wer ist dieser, der Lästerungen redet? Wer kann Sünden vergeben, außer Gott allein?” (Lk. 5,21) Um Vergebung in diesem Sinne kann es sich Joh. 20,23 also nicht handeln. Es gibt aber auch ein Verschulden, ein Sündigen, Menschen gegenüber - das selbstverständlich immer zugleich auch ein Sündigen Gott gegenüber ist -, und soweit das Sündigen ein Sündigen Menschen gegenüber ist, gibt es auch ein Vergeben oder Behalten dieser Sünde seitens der Menschen, gegen die gesündigt ist. Dieser Fall kann in zweierlei Beziehungen eintreten, von welchen die eine oder die andere oder auch beide zugleich vorliegen können: Die eine ist die, dass die Sünde gegen eine Person - oder gegen Personen - geschieht. Für diesen Fall finden wir klare Weisung Mt. 18,15-35; Eph. 4,32; Kol. 3,13. Die andere ist die, dass der, welcher gesündigt hat, einer örtlichen Gemeinde angehört und die begangene Sünde die Gemeinde trifft, so dass diese gezwungen ist, gegen den, der gesündigt hat, Zucht zu üben. Hierfür haben wir im Worte Gottes ein Beispiel und Anweisung 1. Kor. 5, wo wir die Weisung für die Zucht finden, und 2. Kor. 2,1-11, wo wir die Weisung zur Vergebung finden. Hierher gehört auch noch 2. Thess. 3,6-15, wo ebenfalls Zucht angeordnet ist, aber - der Sache entsprechend - in einer milderen Form. Selbstverständlich hat in jedem Fälle die Erteilung der Vergebung immer das Bekennen und Beugen seitens dessen, der gesündigt hat, zur Voraussetzung, wie ja auch Gott immer nur dann Vergebung schenkt und schenken kann, wenn aufrichtiges Bekennen und Beugen vorliegt. Wenn Bekennen und Beugen seitens des Schuldigen nicht da ist, bzw. solange dies nicht da ist, kann Vergebung nicht erteilt werden - bleibt also die Sünde „behalten”. Wir glauben, dass diese Seite der Sünde: Menschen gegenüber, und wohl in erster Linie im Blick auf die Gemeindezucht, Joh. 20,23 gemeint ist. Letztere Annahme ist begründet in dem Zusammenhange mit den vorhergehenden Versen 19-22 in dem dort uns gegebenen Bilde: In V. 19 haben wir ein liebliches Bild von einer Gemeinde, deren Mittelpunkt Christus ist, V. 21 ihre Beauftragung vom HERRN, V. 22 ihre Ausrüstung durch den Heiligen Geist und V. 23 die Aufrechterhaltung ihres Charakters und der Ordnung in der Kraft des Heiligen Geistes.
Theodor Küttner.