Sühnung und Versöhnung

Welcher Unterschied ist zwischen Sühnung und Versöhnung? (Vergl. z. B. 1. Joh. 2,2 und 2. Kor. 5,18.)

Antwort A

Die Sühnung muss notwendigerweise einer Versöhnung vorausgehen. Christus musste in den Tod, Sein Blut musste fließen für die Sünde zur Sühnung unserer Schuld (1. Joh. 2,2), damit die Schuld getilgt und ausgelöscht würde, denn ohne eine völlige Tilgung oder Sühnung einer Schuld kann nie eine vollständige Versöhnung stattfinden; so sind wir denn durch Christum Jesum versöhnt mit Gott (2. Kor. 5,18). Schon im Alten Bunde (3. Mose 16) lesen wir von der Sühnung der Schuld (V. 11, V. 16-18). Nachdem der Priester die Sühnung vollendet und das Blut geflossen war zur Reinigung für die Sünde, wurde nach V. 20 alle Übertretung und Ungerechtigkeit auf den Kopf eines Bockes gelegt und derselbe in die Wüste geschickt, damit alles hinweggetan sein möchte, was hindernd der Versöhnung mit Gott im Wege stand. Hebr. 10,1-5 lesen wir, dass unmöglich der Tiere Blut die Sünde für immer hinwegtun konnte (V. 5): „Darum, als Er in die Well kommt, spricht Er: ,Schlachtopfer und Speisopfer hast Du nicht gewollt, einen Leib aber hast Du Mir bereitet' ” usw., und so ist durch das Blut unseres HERRN und Heilandes die Sühnung und Tilgung der Schuld geschehen, und dadurch ist das große Erlösungswerk vollzogen, und wir, die wir an Ihn glauben, haben eine vollständige Versöhnung mit Gott erlangt.
B. B.

Antwort B

Ein Mensch hat einen anderen beleidigt; der Beleidigte fordert eine Genugtuung - die Sühnung; ist diese geleistet, so findet die Versöhnung - die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen Beleidigtem und Beleidiger - statt. So erkläre ich mir den Zusammenhang und den Unterschied zwischen Sühnung und Versöhnung. Die Sühnung für uns, für mich, wegen meiner Sünden ist das Werk Christi, der als Mittler (1. Tim. 2,5.6), als Priester (3. Mose 4,20b.26b.31b.35b; 5,6b.10b.13a.18b.26a) Sühnung für mich tat. Von Gottes Seite geschah dann die Versöhnung auf Grund der durch Christum gemachten Sühnung durch die Annahme derselben (siehe auch Röm. 5, 9-11). In den obigen Stellen in 3. Mose ist zu bemerken: „Der Priester soll Sühnung tun, und es wird ihm vergeben werden” (Versöhnung). Also waren wir drei in Betracht: 1. Gott, dessen Gerechtigkeit und Heiligkeit Genugtuung forderte; 2. Christus, der diese Forderungen befriedigte; 3. Ich, der gar nichts tat und verdiente. Man darf also sagen: Die Versöhnung ist das Ergebnis der Sühnung. Ich möchte noch hinzufügen, daß, wie die Sühnung die Forderung der Gerechtigkeit Gottes ist („der Priester soll Sühnung für ihn tun”), so ist auch die Versöhnung die Forderung der Liebe des Christus (2. Kor. 5,14: „Die Liebe des Christus drängt uns ...”; V. 20: „Wir bitten an Christi Statt: lasst euch versöhnen mit Gott”). Ja, die Versöhnung mit Gott ist ebenso sicher und dauerhaft, wie die durch und in Christo dargebrachte Sühnung vollkommen war.
R. W. D.

Antwort C

Sühnung und Versöhnung sind, obwohl in dem Werke Christi innig miteinander verbunden, doch zwei verschiedene Dinge. Sühnung ist die Seite des Opfers Christi, welche Gott zugekehrt ist und Bezug hat auf die ganze Welt. Versöhnung oder Stellvertretung ist die entgegengesetzte Seite und hat nur Bezug auf die Gläubigen. Nach dem Worte in 1. Joh. 2,2: „Er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt” ist Sühnung für die ganze Welt vollbracht worden, also nicht für eine beschränkte Zahl von Menschen, sondern für die ganze Welt. Gott ist durch den Opfertod Christi befriedigt und verherrlicht. Der ewige Wert des Blutes Christi ist vor den Augen Gottes, weshalb der heilige und gerechte Gott Seine Langmut und Güte der ganzen Welt beweisen kann. Auf Grund dieser Tatsache können wir nun ausgehen und den uns gegebenen Dienst der Versöhnung ausrichten, indem wir als Gesandte für Christum bitten an Christi Statt: „lasst euch versöhnen mit Gott!” (2. Kor. 5,20.21.) Damit kommen wir auf eine persönliche Linie, auf die Linie der Errettung oder Versöhnung des einzelnen Gläubigen. Wenn einerseits es Tatsache ist, dass die Sünde in der Welt war und gesühnt werden mußte, so ist es andererseits Tatsache, dass wir uns selbst in dem Zustande der Sünde befanden als unreine, gefallene Geschöpfe und Sünder, als Schuldige. Um diesen Zustand zu beseitigen, war ein heiliges, fleckenloses Opfer nötig, das an unsere Stelle trat, unsere Strafe trug und für uns zur Sünde gemacht wurde, d.h. uns versöhnte. Das ist an demselben Fluchholze und in derselben Stunde geschehen, in welcher die Sühnung für die Sünde gemacht und Gott im Blick auf die Sünde völlig verherrlicht wurde.
W. W.

Antwort D

Ehe wir näher auf diesen so wichtigen und bedeutungsvollen Unterschied zwischen Sühnung und Versöhnung eingehen, ist es vielleicht dienlich, zum besseren Verständnis vorliegender Frage alle diejenigen Stellen des N. T. anzugeben, wo die beiden Worte gefunden werden. Sühnung und verwandte Worte kommen sechsmal vor wie folgt: Luk 18,13; Röm. 3,25; Hebr. 2,17; 9,5; 1. Joh. 2,2; 4,10. Versöhnung: Röm. 5,10.11; 11,15; 2. Kor. 5,18.19.20; Eph. 2,16; Kol. 1,20,21.

Sühnung ist für Gott, obwohl sie uns angeht; dieselbe hat mit der Heiligkeit, Herrlichkeit und den gerechten Ansprüchen sowie Forderungen Seines Thrones zu tun. Wir finden darum in der Epistel an die Römer 3,25 von „Gnadenstuhl” oder „Sühnungsdeckel” gesprochen, ehe wir die leiseste Andeutung von „Versöhnung” haben. Auf Grund der Sühnung kann Gott in vollkommener Harmonie, wenn ich mich so ausdrücken darf, mit Seiner Heiligkeit und Herrlichkeit Sünden vergeben. Darum finden wir ja auch in Röm. 3,25, dass Gott Nachsicht haben konnte mit den Sünden der alttestamentlichen Heiligen im Blick auf die durch den Herrn Jesum zu vollbringende Sühnung. Wie herrlich! Und was ergibt sich aus diesem? Nichts anderes, als dass der tiefste und heiligste Beweggrund des Kommens des Herrn Jesu doch der war, nicht etwa nur Sünder zu erretten, obwohl dies mit eingeschlossen ist, doch ohne Sühnung gar nicht möglich sein konnte, sondern Gott in bezug auf Sünde ewig zu verherrlichen (vergl, Ev. Joh. 4,34; 6,38; 8,29; 10,17-18;12,27-28; 13,31.32; 17,4 usw.). Dies mag manchem Leser etwas fremd erscheinen, da sich in der heutigen sogenannten christlichen Literatur meist alles um „uns” dreht, als ob „wir” alles wären und „Gott” Nebensache. Aber im Worte Gottes handelt es sich immer und ausnahmslos zuerst um Gott und den Herrn Jesum, da an die Errettung eines Menschen nie gedacht werden kann auf Kosten von Gottes Herrlichkeit und Thron; selbst, wenn nicht ein einziger Mensch gerettet würde, hätte doch Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, Sich freiwillig Gott geopfert, ja, es wäre auch dann notwendig gewesen - wir sagen dies mit großer Ehrfurcht -, da Gott durch die Sünde verunehrt war. Der Gott des Lichts und der Liebe nimmt es nie leicht mit der Sünde, also dürfen auch wir es nicht tun!

In dem Brief an die Römer, wo das Evangelium Gottes uns dargelegt wird und wo wir die göttliche Ordnung sowie die Grundsätze Gottes im Blick auf Seine Herrlichkeit und Ehre sowie die Rechtfertigung des Glaubenden in einer so wunderbaren und vollkommenen Weise vorgestellt finden, hören wir erst dann von „Versöhnung”, nachdem die Frage der Sünde im Lichte eines heiligen Gottes und zu Seiner Verherrlichung für immer geordnet ist. Die Schrift spricht nie (was man so oft hören und lesen kann) von einer „Versöhnung Gottes mit den Menschen”, da Gott doch nicht der Feind des Menschen ist (vergl. Joh. 3,16), obwohl der Mensch der Feind Gottes ist (vergl. Röm. 5,10). Bei der Versöhnung handelt es sich um den Menschen oder Dinge (Kol. 1,20). Wir bedürfen der Versöhnung mit Gott. Auch dies hat Gott in Christo getan. Lk. 15,11-32 zeigt, was unter „Versöhnung” zu verstehen ist. Gott hat in Gnaden mit uns gehandelt, hat uns den Kuß der Vergebung und des Vergessens gegeben, uns mit dem besten Kleid (Christus) gekleidet, mit dem Ring der ewigen Liebe versehen, Sandalen an unsere Füße getan, die wir bisher im Staub der Sünde uns befanden, wir sind versetzt in die Gegenwart unseres Gottes, nähren uns von dem geschlachteten Kalbe (Vorbild auf Christus), anstatt wie vordem von den Trebern, und erfreuen uns Seiner heiligen Gegenwart in Gnade. In anderen Worten: Wir sind zu Gott gebracht, bei Ihm erfreuen wir uns, in Ihm und Christo Jesu, unserem HERRN, in Seiner Liebe und Gnade, so dass es heißt, „sie fingen an, fröhlich zu sein.” Gepriesen sei Gott für den Reichtum Seiner Gnade, welche Er gegen uns hat überströmen lassen!
K.. O. St.

Antwort E

Gerechtigkeit verlangt Sühnung für Sünde; Liebe verlangt Versöhnung, innerste Übereinstimmung und schattenloses Wohlgefallen. Als die Strafe zu unserem Frieden auf Ihm lag, wurde unsere Sünde gesühnt, aber die Liebe Gottes will mehr, sie will Menschen so in Übereinstimmung mit sich haben, so heilig und tadellos vor sich sehen, dass Er Sein Wohlgefallen daran haben kann. (Versöhnung erstreckt sich auch auf die Schöpfung: Kol. 1.)

Die Sühnung bringt keine Veränderung oder Verbesserung an oder in uns hervor - sie ist der Tod des Sünders, das gerichtliche Ab- und Hinwegtun des Menschen im Fleische aus dem Auge Gottes, in dem Kreuze Christi! Das Alte ist vergangen. - Der Mensch im Fleische ist in seiner Gesinnung tatsächlich Gottes Feind, er kann nicht verbessert, nicht heilig und tadellos gemacht werden. Die Versöhnung kann nicht mit dem Menschen im Fleische stattfinden. Derselbe muss im Tode Christi sein Ende finden. In 2. Kor. 5,17 heißt es nicht, das „Schlechte” und „Böse”, sondern das „Alte” ist vergangen. Nichts vom Alten kann Gott mit Sich Selbst versöhnen, mit Sich in Übereinstimmung bringen, zu Seiner Freude haben. Das Alte muss gehen. Alles muss neu werden „in Christo”. Versöhnung (das Wohlgefallen Gottes an uns und unsere Freude in Gott und Seiner Liebe) erreichen wir nur durch den Tod (Röm. 5,10).

Der Tod muss auf alles „Alte” geschrieben und das „neue” Leben in Christo erfaßt sein.

Versöhnung wird verkündigt: „lasst euch versöhnen”; es bedarf eines Eingehens, eines Erfassens unsererseits im Glauben. Die Grundlage ist der Tod Christi; das Resultat für solche, die den Tod Christi erfassen, ist die Versöhnung, die ungetrübte Freude in Gott und der Liebe Gottes, und eine gegenwärtige Errettung von allem, was „alt” ist. Unsere Stelle (2. Kor. 5,18) zeigt, wie Versöhnung und neue Schöpfung eng verbunden ist.

Sühnung und Versöhnung berühren den ersten und den zweiten Menschen, das Aufgeben des ersten und das Kommen zum zweiten, an dem Gott Wohlgefallen findet. Wir stehen so leicht still, betrachten und beklagen den elenden Zustand und die Kraftlosigkeit des Alten und verwirklichen nicht, was das Kreuz Christi für den Gläubigen ist. Nur durch den Tod erreichen wir die Versöhnung. Wir müssen im Glauben den Schritt vom ersten zum zweiten Menschen machen, nur dann gehen wir in die Versöhnung ein und verwirklichen durch Sein Leben das Errettetsein von dem Gebiet des Todes.
v. d. K.

Anmerkung des Herausgebers

Zunächst möchten wir die teuren Leser, die nur eine lutherische Bibelübersetzung zur Hand haben, darauf hinweisen, dass diese Übersetzung leider den Begriff „Sühnung” nicht hat, sondern auch an Stellen, wo nach dem Urtext „Sühnung” übersetzt werden muß, „Versöhnung” setzt. Das ist recht schade, da dadurch Tausenden von Kindern Gottes der Unterschied zwischen diesen wichtigen Begriffen nie klar wird.

Zu obigen umfassenden Ausführungen nur noch wenige Bemerkungen. In 2. Kor. 5,19 handelt es sich nicht darum, inwieweit die Welt versöhnt ist, noch wie weit die Menschen in die Versöhnung eingegangen sind, sondern es ist die grundsätzliche Tatsache gezeigt, dass Gott in Christo der ganzen Welt gegenüber eine solche Stellung der Gnade einnimmt und das Zeugnis davon aufrecht erhält. Jeder kann teilhaben an der Versöhnung, nachdem Christus die Sühnung für die ganze Welt geworden ist (1. Joh. 2,2), Es steht aber keineswegs da, dass Er die Sühnung für die Sünden der ganzen Welt ist! Weder aus diesen Stellen, noch aus Kol. 1,20 kann man folgern, dass einst alle Menschen, auch die, die sich nicht versöhnen ließen, gerettetwerden. In der ersten Hälfte von Kol. 1,20 ist (wie in den Versen vorher) die Rede von versöhnten Dingen auf der Erde und in den Himmeln, nicht von Menschen! In der zweiten Hälfte aber heißt es. „Und euch.” Wer sind diese? Die, welche in die Versöhnung eingegangen sind. Darum: „Lasset euch versöhnen mit Gott.” - Übrigens ist die Stelle 2. Kor. 5,20 auch für Kinder Gottes da! Mancher Gläubige ist noch nicht in den vollen Genuß der Versöhnung eingetreten; auch darin lehrt uns der „gefundene” Sohn (Lk. 15,32) vieles. Am Herzen und im Hause des Vaters ist mehr für uns zu finden als nur Vergebung der Sünden, so kostbar diese auch ist (vergl. dazu den Schluß von Antwort D)!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 2 (1914)