Söhne bzw. Kinder Gottes?

Wer sind die Söhne (nach Luther: Kinder) Gottes in 1. Mose 6,1-4; Hiob 1,6; 2,1 u. 38,7?

Antwort A

Aus all den verschiedenen Auffassungen hierüber sind wohl die drei folgenden am besten geeignet, einer näheren Prüfung unterzogen zu werden.
1. Einige Schriftausleger sehen in den Söhnen Gottes aus den oben angegebenen Stellen die Kinder des Seth, bei dem wir 1. Mose 4,26 lesen, dass man nach der Geburt seines Sohnes Enos anfing, den Namen des HERRN anzurufen. Es scheint also, als ob Seth gottesfürchtig war und sich deshalb an die Hilfe Gottes hielt. Ob aber die Kinder von Seth nun ausnahmsweise fromm waren und deshalb den Namen „Söhne oder Kinder Gottes” bekamen, ist doch wohl sehr fraglich. Wenn nach Röm. 3,23 kein Unterschied ist, indem sie alle gesündigt haben, dann ist es wohl ausgeschlossen, dass die Söhne Seths zum Unterschiede von den anderen Menschen „Söhne Gottes” hießen. Übrigens werden in dieser Zeitperiode die Menschen niemals Kinder Gottes genannt mit Ausnahme von Lk. 3,38, wo wir lesen, dass Adam ein Sohn Gottes war. Notgedrungen müßten dann aber alle anderen Adamskinder auch Söhne Gottes sein, was aber auf Grund von Joh. 8,44 und 1. Joh. 3,8-10 ausgeschlossen sein muß. Die Annahme, in den Kindern Gottes dort die Kinder des Seth zu sehen, hat deshalb so gut wie nichts für sich.

2. Nach einer anderen weniger bekannten Auffassung handelt es sich in der Stelle 1. Mose 6,1-4 bei den Söhnen Gottes um Kinder Adams, die ihm vor dem Sündenfall geboren wurden. Wenn es auch nicht ausgeschlossen sein muß, dass Adam und Eva vor dem Falle Kinder zeugten, so ist diese Ansicht doch etwas sehr gewagt. Das Wort: „Seid fruchtbar und mehret euch!” galt gewiß sofort, nachdem es Gottes Mund gesprochen hatte; ob aber wirklich Leben erzeugt ist vor dem eigentlichen Fall des Menschen, davon lesen wir in der Schrift auch nicht ein Wörtchen. Diese Anschauung, in den Söhnen Gottes aus 1. Mose 6 vor dem Fall geborene Menschen zu sehen, beruht darum mehr auf spekulativem Denken als auf dem festen unerschütterlichen Gottesworte. Wenn dann in 1. Mose 6,1-4 vor dem Fall geborene Menschen zu sehen sind, dann müßten in den übrigen Stellen Hiob Kap. 1 und 2 und 38 usw. ebenfalls solche gesucht werden. Wohin das aber führt, das auszudenken überlasse ich der Anwendung des Lesers. Da diese zweite Auffassung noch weniger für sich hat als die erste, darum wird sie auch wenig gehört und geglaubt.

3. Nach der dritten Auffassung, zu der ich auch neige, sind die Kinder oder Söhne Gottes aus diesen Stellen gefallene Engel. Dass die Engel nach Hiob 38,7 jauchzten, als der Grund der Erde gelegt wurde, ist mit dem übrigen Inhalt der Schrift sehr wohl zu vereinen. Dass sie dann auch vor Jehova treten, um Bericht zu erstatten über ihre Tätigkeit oder Gottes Lob zu sagen, wie wir's in Hiob 1 und 2 lesen, das ist ebenfalls jedem Bibelleser glaubhaft. Dass aber, wie in 1. Mose 6 berichtet wird, die Engel den Vorgang des Zeugens vorzunehmen imstande sind, das scheint vielen Bibellesern auf Grund von Mt. 22,30 nicht recht glaubhaft zu sein. Gewiß steht es biblisch fest, dass nach Mt. 22,30 die Engel Gottes weder freien noch sich freien lassen; aber kann es sich denn in 1. Mose 6 nicht um gefallene Engel handeln, um Engel des Teufels, um Geistwesen, die die natürliche Schöpferordnung verkehrt haben in eine unnatürliche? Auf Grund von Judä scheint das tatsächlich der Fall zu sein. Dort lesen wir von der Sünde der Sodomiter und im Zusammenhang damit von der Sünde der gefallenen Engel.
Es scheint also, als ob die Söhne oder Kinder Gottes in den obenerwähnten Stellen Engel sind.
A. C.

Anmerkung des Herausgebers

Diese Antwort ging uns aus dem Felde zu!
Wir sind sehr dankbar für diese klaren Gegenüberstellungen der wichtigeren Auffassungen über diese Schriftworte, vor allem 1. Mose 6. Doch möchten wir noch mit einigen Worten auf die erste und letzte Auslegung eingehen.

Zunächst spricht uns gegen die sehr bekannte dritte Auffassung, derzufolge 1. Mose 6 in den „Söhnen Gottes” (gefallene) Engel zu sehen seien, außer der angeführten Stelle Mt. 22,30 noch u. a. sehr Lk. 24,39. Wie können geschlechtslose Geistwesen sich mit Fleischeswesen geschlechtlich, also fleischlich, verbinden? Und es handelt sich um Ehebündnisse! Außerdem trifft das Strafgericht Gottes die Menschen auf der Erde (V. 3.5-7!), also waren sie die Sünder, nicht aber Engel! - Nun scheint aus Judä V. 6 und 7 zwar hervorzugehen, dass das „Nichtbewahren des ersten Zustandes” eines Teiles der Engelwelt darin bestanden habe, dass sie „ihre Behausung verließen” und „anderem Fleische nachgingen”. Aber in V. 7 ist statt „gleicherweise wie jene” (die Engel) nach dem Griechischen doch wohl zu lesen: „gleicherweise wie diese” (das sind die, die im Briefe sehr oft „diese” genannt werden, vgl. V. 8, 10, 12, 14, 16, 19!). Wenn diese Meinung richtig ist, dann wüßten wir aus 1. Mose 6 allerdings nicht, worin jenes Sündigen der Engel (2. Petr. 2,4) bestanden habe (was wir ja auch nicht zu wissen brauchten!), nur, meinen wir, jedenfalls nicht darin, dass sie der Hurerei sich hingaben. - Aber wir können darüber nichts Bestimmtes aussagen und wollen natürlich auch keine Lehre über diese schwierige Stelle prägen. Nur wollen wir alle Seiten, soweit uns möglich, betrachten!

Zur ersten Auffassung! Aus 1. Mose 4,25.26 (vgl. 5,1! Kapitel 5 ist Seths Geschlecht!) geht hervor, dass Gott den Samen des Seth gesetzt hat; also wäre es doch wohl möglich, dass der Ausdruck „Söhne Gottes” auf die Sethiten ginge, vorzüglich, wo doch, unseres Erachtens, V. 26 zeigt, dass es ein gottesfürchtiges Geschlecht gewesen sein muß, denn wo anders hätte mit dem Anrufen des Namens Gottes begonnen werden können als bei ihnen? Doch nicht bei den Kainiten! Nun sind allerdings in der Schrift die Engel häufig, aber nicht in jener Zeitperiode vor der Flut, sondern erst nach der Flut, mit „Söhne Gottes” benannt worden, z. B. Hiob 1,6; 38,7, wenn auch diese Stelle einen Zeitpunkt lange vor der Flut betrifft (die Stelle ist aber nach derselben inspiriert!). Jedoch (abgesehen vom N. T.) werden z. B. in 5. Mose 14,1 u. 2; vgl. 2. Mose 4,22f.; Ps. 82,6.7; und Ps. 73,1.11.15, wo das Wort „Söhne” nicht mit Jehova, sondern mit Gott verbunden ist! u. a. auch die Israeliten hebräisch „Söhne Gottes” genannt (woraus natürlich nicht hervorgeht, dass etwa jeder Mensch von Natur als ein „Kind” oder „Sohn Gottes” - auf den feinen Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen im N. T. gehen wir hier nicht ein - von Gott anerkannt wird!). Dazu halten wir die in Antwort A erwähnte Stelle Lk. 3,38, wo ausdrücklich nur Seths Linie genannt ist, doch für sehr wichtig und beweiskräftig. Die Benennung „Söhne Gottes” bezieht sich eben, je nach Zusammenhang, auf verschiedene Wesen. - Wir behaupten nun aber doch nicht, dass die Sethiten gemeint seien; wir stellen nur Aussage gegen Aussage! Sind aber die Sethiten gemeint - und wir glauben es eher, als dass die Engel gemeint seien -, dann hätten wir hier in 1. Mose 6 den großen Gegensatz zwischen Gläubigen und Ungläubigen, der in der ganzen Schrift zu finden ist. Seth und Kain - sie waren Häupter von verschiedenen Menschenklassen, sie hatten damals ihre Nachkommen wie heute noch. Aber die Kinder Gottes werden - wie Israel im Alten Bunde - durch die Kinder der Welt verführt zu unheiligen Dingen, zum Verleugnen der göttlichen Grundsätze und befinden sich in beständigem Kampf mit der von außen an sie herantretenden Sünde (Hebr. 12,1-4; 2. Kor. 6,14ff. u. a.). Und dieser Kampf begann damals in 1. Mose 6, und die Söhne Gottes fielen der Verführung zum Opfer. „Noah aber fand Gnade” (V. 8), d. h. er sah sich als Sünder, der das Gericht ebenfalls verdient hatte, und nahm die Begnadigung an!

Aber noch eins: man sagt zur Stärkung der Ansicht, dass Engel gemeint seien, es sei doch das Geschlecht der Riesen aus dieser Verbindung hervorgewachsen. Jedoch der Anfang von V. 4 zeigt, dass diese Riesen, Menschen außergewöhnlicher Kraft, schon vorher dagewesen sind, Nachkommen Kains - was ja bei diesem ungezügelten Geschlecht (vgl. 4,17-24) zu verstehen ist -; und als die Söhne Gottes fielen, da entstanden aus ihren unheiligen, fleischlichen Verbindungen, vielleicht zur Strafe, auch solche Gewalttätige an Kraft, möglichenfalls auch überragend an menschlichem Verstand, wie die Kainiten nach 4,17.21.22, zu denen andere aufsahen, Kraftmenschen, die aber ihre Kraft nicht von Jehova hatten und von vornherein die erklärten Feinde der Sanftmütigen waren und blieben. Fällt von hier aus vielleicht auch etwas Licht auf 4. Mose 16,1-3 (Judä 11c)? [nachdem von Mose 12,3 gesagt war, dass er sanftmütiger als alle Menschen war!]. - Solche Riesen an Kraft waren auch nach der Flut vorhanden, vgl. 4. Mose 13,33. Aber das Gericht ist bereit für sie (Jud. V. 14.15) wie für alles Fleisch. Damals wollten die fleischlichen Menschen, auch die fleischlich gewordenen Sethiten - wenn also hier die Sethiten zu verstehen sind! - die nicht mehr als „Söhne Gottes” sich bewährten, denn fleischliche Abstammung nützt nichts (Joh. 1,12.13; 3,6a), sich dem Rechten (d. i. dem das Rechte Bezeugen) des Geistes Gottes nicht fügen, nämlich z.B. als Noah ihnen predigte (1. Petr. 3,19.20; vgl. 1,11; siehe Frg. 41, Band I, 1913!), und das Gericht kam „und brachte alle um”, bis auf Noah, den „Prediger der Gerechtigkeit”, mit den Seinen. Und so wird das Gericht kommen über die, welche in der Weise sich verhalten, wie die in den Tagen Noahs taten (siehe Lk. 17,26.27!).

Wir sind etwas weiter gegangen und haben gleich einen kurzen Überblick über die ganze Stelle zu geben versucht. Vielleicht möchte der eine oder andere nun doch eher an die Sethiten als an die Engel denken bei dem Ausdruck „Söhne Gottes” in 1. Mose 6. Aber wir sagen nochmals: Wir stellen wahrlich durchaus keine Lehre darüber auf, zumal wir selber auch noch nicht zu Ende sind mit unserem Forschen über diese Sache, sondern wir möchten durch die verschiedenen Gegenüberstellungen von Schriftaussagen über diesen Gegenstand jedermann Anregung geben zum Weiterforschen, wie dies denn ja überhaupt der gesegnete Zweck der „G. H.” ist. - Auch bei diesem vorliegenden Gebiet gilt praktisch für uns 2. Tim. 3,16.17!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 3 (1915)