Antwort
Diese Frage ist wohl darum erhoben worden, weil das Leben Simsons viele besondere Merkmale trägt, die wir bei den anderen Richtern vermissen, und er der letzte Richter ist - wenigstens im Buch der Richter. Eli im 1. Sam. war auch Richter, doch war er zugleich Hoherpriester, und Samuel, der wohl auch Richter war, führte aber seinen Richterdienst mehr mit dem Schwert des Wortes und des Geistes sowie mit Gebet aus, weil er ja auch Prophet war (vgl. 1. Sam. 7,2-14). Darum finden beide keinen Platz in dem besonderen Buch der Richter. Dazu trägt 1. und 2. Sam. einen ganz anderen Charakter als das Buch der Richter. In Samuelis wird von Gott ein neuer Anfang gemacht, nachdem das Priestertum in Eli und seinen Söhnen vollständig versagt und das Königtum dem Fleische nach in Saul ein Ende gefunden, um das Königtum in David, dem Auserwählten Gottes, aufzurichten. In den zwei Büchern Samuelis finden wir die aufsteigende Linie in David, die dann in Salomo ihre Krone und ihren Abschluß findet. Hingegen zeigt uns das Buch der Richter den Niedergang, der mit dem Bericht der Kap. 17-21 ein so verdorbenes Sittengemälde von der damaligen Zeit zeichnet, wie wir es uns schlimmer kaum denken könnten. Es ist zu beachten, dass uns die Personen und Begebenheiten im Buch der Richter nicht nach genauer geschichtlicher Reihenfolge vorgestellt werden, sondern mehr nach dem zunehmenden sittlichen, religiösen und nationalen Verfall des Volkes Israel. Dies ist auch der Grund dafür, dass die jeweiligen Feinde wie Stämme Israels häufig wechseln. Unter solchen Verhältnissen können wir verstehen, dass oft die Frage aufgeworfen worden ist: Sind die Richter Bilder von Christo? Die meisten haben diese Frage mit nein beantwortet und dabei vergessen, dass selbst die hervorragendsten Schattenbilder vieles an sich haben, das nie und nimmer auf den Herrn Jesus angewendet werden könnte. In Richter ist dies leider nun besonders der Fall. Die Herrlichkeit des HERRN ist in den Richtern darum so verhüllt bzw. konnte sich weniger entfalten, weil wir hier mehr die äußere Seite der Geschehnisse finden - den nationalen, religiösen Niedergang, weniger die inneren, familiären Zustände. Im Buch Ruth, wo uns die liebliche Seite von der Zeit der Richter gezeigt wird, was aber aus obigen Gründen keinen Platz findet im Buche der Richter, wird uns in Boas ein vielsagendes Bild von Christo gegeben. Dann war es auch eine Zeit, die besonders arm war an Menschen von Charakter. Dies scheint auch der Grund dafür zu sein, dass Gott meist durch in sich unfähige Männer und eigenartige Waffen Sein Volk befreit, ja, dass selbst ein Weib unter den Richtern gefunden wird. Man vgl. bitte 3,15: ein linkshändiger Richter; 3,31: ein „Rinderstachel”; 4,4: ein Weib; 4,21: ein Zeltflock; 7,20: Trompeten, Krüge und Fackeln; 9,53: ein Handmühlenstein; 15,15: ein Eselskinnbacken. Es bewahrheitet sich hier 1. Kor. 1,27-29; 2. Kor. 12,9 und besonders Hebr. 11,34 in bezug auf uns. Doch wenn wir an den HERRN als Retter denken, dann kommen uns solche Stellen in den Sinn: 2. Kor. 13,4 und im allgemeinen das Kreuz als der Ausdruck größter Verachtung und Niedrigkeit, wo aber der größte Sieg aller Zeiten errungen wurde.
Doch sind wir nicht auf Vermutungen angewiesen, um die Ansicht zu rechtfertigen, dass wohl in allen Richtern - mit Ausnahme des Abimelech Kap. 9, der sich selbst zum Richter machte - gewisse Züge Christi gefunden werden, und demnach auch im Leben Simsons.
Wir haben zwölf Richter und eine Richterin, die durch Barak (Kap. 4-5) unterstützt wird. Wir könnten sie alle nacheinander durchnehmen, um zu zeigen, dass ihr Name, sodann der Stamm, wie auch ihr Verhalten und ihre Taten uns etwas von Christo zu sagen hatten. Sodann auch, ob das Neue Testament irgendwie auf sie Bezug nimmt. Alles Studien, die wir hier nicht weiter verfolgen können und wir dem Leser überlassen müssen. Doch werden wir gleich beim ersten Richter auf etwas aufmerksam gemacht, worin wir nach unserer Meinung den Schlüssel unserer so wichtigen Frage haben.
Kap. 3,9-11: „Der Geist Jehovas kam über ihn.” Othniel war demnach ein Werkzeug Jehovas. Auch wird von den ersten zwei Richtern berichtet, dass Jehova sie erweckte. Kap. 6,34 finden wir, dass der Geist Jehovas über Gideon kam. Kap. 11,29 wird uns dies selbst von Jephta gesagt. Ferner lesen wir von Simson viermal, dass der Geist Jehovas über ihn kam, um göttliche Taten zu vollbringen. Man könnte hier ja einwenden, dass selbst unbekehrte Menschen wie ein Bileam, 4. Mose 24,2, vom Geiste Gottes gebraucht wurden. Doch dort finden wir aus dem Zusammenhange heraus, welch ein Mensch Bileam war - dass er von dem Geiste gebraucht wurde, gleichsam gegen seinen Willen, die herrlichsten Prophezeiungen über das Volk Israel zu sagen. Dann muss man auch zwischen Geist Jehovas und Geist Gottes unterscheiden. Nicht dass es ein anderer Geist sei, sondern das gegenseitige Verhältnis Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott findet in „Jehova” mehr den wesenhaften und vertrauten Ausdruck. Bei diesem ist mehr der ganze innere Mensch beteiligt, was bei „Gott” nicht unbedingt notwendig ist.
Aber wir haben auch andere Beweise, nämlich die des Neuen Testamentes. Es ist sehr wichtig, dass von den dreizehn Richtern nur vier im Neuen Testament genannt werden, und zwar nicht nur beiläufig oder als geschichtliche Belege, sondern als Glaubenshelden in Hebr. 11,32. Die Reihenfolge ist eine andere als im Buch der Richter. Damit verfolgt der Geist Gottes nicht nur einen gewissen Gedanken in der Art und Völligkeit der Befreiung oder Rettung des Volkes Israel, sondern auch, wenn wir recht verstehen, stellt Er Seine Werkzeuge nach der Ordnung in dem Eingehen auf Seine Gedanken vor. Wir hätten sicherlich Jephta, Simson, vielleicht auch Barak aus der Liste der Glaubenshehelden ausgeschlossen. Aber der Geist Gottes denkt darüber anders, und wir tun gut, uns von Ihm belehren zu lassen. Wir sehen hier klar, dass der Geist Jehovas und der Glaube zusammen gehen. Das Lied in Richter 5 ist ohne Zweifel durch den Geist Gottes im Herzen der Debora und Baraks hervorgebracht worden. Der Geist und Glaube können nur gewisse Züge Christi „in” und „durch” uns hervorbringen. Glaube ohne Christum ist ein Ding der Unmöglichkeit, und wir sind leider viel zu wenig biblisch gebildet, um Glaube und Christus, oder, besser gesagt, Christus, Glaube und Geist als eine selbstverständliche Einheit und Wesensverbindung anzunehmen. Wenn wir dies wären (biblisch gebildet), wie ganz anders würden wir über manche Brüder urteilen; wie würden wir doch etwas von Christo in ihrem Leben entdecken! Wenn auch in verhüllter Form, aber dennoch gewisse Züge, Strahlen Christi! Möchte es mehr bei uns sein! Der Geist Gottes wird immer erst die Gläubigen erforschen, ob etwas von Christo bei ihnen gefunden wird. Darum ausnahmslos immer erst das Gute in allen Briefen, ehe der Tadel kommt. Vgl. besonders die sieben Sendschreiben in der Offenbarung!
Wir könnten auch die anderen Richter durchnehmen - mit Ausnahme von Abimelech, wie schon gesagt - und würden in allen ganz bestimmte Züge Christi finden. Uns ist der Hauptzug Gideons die Niedrigkeit und Demut des HERRN, darum wird er auch mit einem Gerstenbrote, der Speise der Sklaven, verglichen (Richter 7,13), wie im Leben Simsons mehr die Stärke und die Macht des Lebens des HERRN, das nicht gebunden werden konnte, vorgestellt wird. Vgl. Ev. Joh. 18,6!
Wenn wir jetzt auf Simson besonders kommen, möchten wir versuchen, nur gewisse Andeutungen zu machen, ohne alles berühren zu können, was vielleicht über ihn gesagt werden könnte.
1. Er ist der einzige Richter, dessen Geburt und Werdegang besonders erwähnt wird.
2. Die Art und Weise seiner Geburt trägt einen besonderen göttlichen Charakter und göttliche Bestimmung.
3. Er ist der einzige, der Nasir war (der Gottgeweihte). Vgl. 4. Mose 6.
4. Er war der stärkste Mann, den die Bibel uns zeigt.
5. Er war der Mann, der stets den Sieg allein errang. Denken wir an Kap. 15,11-15, wo seine Volksgenossen ihn den Feinden auslieferten. Wer wird da nicht an den Verrat und die Überlieferung Christi an die Römer erinnert? Fast alle Richter hatten die Hilfe ihrer Volksgenossen, selbst ein Gideon.
In allen diesen Begebenheiten finden wir wunderbare Züge Christi - gleichlaufende Linien, wie sie uns im Neuen Testament gezeigt werden. Wir müssen es dem Leser überlassen, selbst Betrachtungen und Vergleiche anzustellen. Er wird großen Gewinn haben. Die obenerwähnten fünf Punkte, die noch vermehrt werden könnten, haben ihre vollkommene Erfüllung in dem Herrn Jesus gefunden.
Merkwürdig ist, dass von Kap. 16 an, dem Kapitel seines Niedergangs durch den Verrat gött licher Geheimnisse an Delila, wodurch Jehova von ihm wich (Kap. 16,20), nie mehr der Geist Jehovas erwähnt wird, und sofort finden wir, dass er hier kein Bild von Christo ist, sondern mehr eine Warnung für Kinder Gottes. Selbst sein Ende illustriert uns nicht den Sieg Christi, sondern mehr, dass Gott sein Gebet erhörte und sein Ende mit seinen Feinden beschlossen hatte (Christus starb für seine Feinde). Das, was er anfing (Kap. 13,5), konnte er nicht vollenden, sondern andere traten an seine Stelle, besonders Samuel und David, diese welche in Hebr. 11,32 nach Simson genannt werden.
Was nun das Rätsel betrifft, Kap. 14,14, so denken wir, dass sowohl „Fresser” als „Starker” (eigentlich „Grausamer”) Satan vorstellt, der von Simson bzw. Christus besiegt wurde, um uns göttliche Speise für Herz und Seele darreichen zu können. Christus musste erst Satan binden, wie es uns in der Versuchungsgeschichte geschildert wird, um uns das Brot des Lebens reichen zu können. Vgl. Lk. 11,21-22. Die erste Macht tat Simsons war der Sieg über den Löwen; die erste Macht tat des HERRN war das Binden Satans. Ihm sei Dank, dass es so ist und wir es mit einem geschlagenen Feind zu tun haben!
K. O. St.
Anmerkung des Schriftleiters
Diese kostbare Antwort, die, wenn sie auch gerade bezüglich Simson selbst ein wenig knapp gehalten ist, sehr gründlich in den Gegenstand der Vorbilder auf Christus im Richterbuch einführt, um Wesentliches zu erweitern, fehlt mir der Raum. Ich beschränke mich daher auf ein paar kurze Bemerkungen!
Punkt 3 des oben über Simson Gesagten betrifft das Nasiräat. Der wahre volkkommene und allezeit unveränderlich bleibende Nasir (Gottgeweihte) hienieden war unser Herr Jesus, aber in geistlicher Verwirklichung, während Sein Vorläufer, Johannes der Täufer, auch bleibender Nasir war, aber in alttestamentlicher Weise. Das Volk verstand beide Arten nicht (vgl. Mt. 10,16-19), aber dessenungeachtet blieb der HERR in vollkommener geistlicher Absonderung Seinem Gott und Vater geweiht, auch im Dienst an den Menschen. Simson war darin leider sehr unvollkommen, aber nichts destoweniger ist er in seinem nicht nur für eine Zeit, sondern für sein Leben, wenn auch mit Unterbrechungen, was nicht hätte sein dürfen, bestehenden dauernden Nasiräat ein Vorbild auf den HERRN, in dem wir die Vollkommenheit haben, hierin wie in allem. Aber ist es nicht wunderbar: mag Simson so verkehrt handeln wie nur irgend möglich (ich schreibe dies mit Zittern im Blick auf einen Mann Gottes, der er doch war!) - er darf nicht „im Fleisch vollenden”, was „im Geist angefangen” hat. (Gal. 3,3.) Wenn sein letzter Sieg (Richter 16) auch bei weitem nicht solche reinen Beweggründe trägt wie die Siege des HERRN, so ist es doch ein Sieg, der beruht auf der Kraft eines für Gott Geweihten und Abgesonderten, war doch sein Haar wieder gewachsen (16,22) und war doch sein Herz im Gebet vor Jehova! (V. 28.) „Den Ausgang ihres Wandels” anschauend, ahmet ihren Glauben nach!” (Hebr. 13,7.) Bei dieser Gelegenheit lasst uns einen Blick auf Simsons Zukurzkommen richten - als Warnung für uns!
Die „zwei neuen Stricke” von Kap. 15,13f. waren genau so belanglose „Flachsfäden” für ihn wie die „sieben frischen Stricke” von 16,7-9 oder die „neuen Seile” - und das „Gewebe” von 16,10ff. usw. (vgl. Dan. 3,21 u. 25!) -, solange Simson sein göttliches Geheimnis vor der Welt verborgen hielt; in dem Augenblick aber, wo er dieses preisgab, als sein „ganzes” Herz (V. 18) statt mit Jehova mit der Welt verbunden ward (16,15ff.), da gab es nichts, was seinen Fall verhindern konnte! Und wie schmerzlich: „er wußte nicht, dass Jehova von ihm gewichen war!” (V.20) Was hatte ihn gefällt? Die Liebe zur Welt! Sein ungläubiges, weltlich gesonnenes Weib neigte sein Herz, wie später die Weiber Salomos Herz neigten (1. Kön. 11,1-8; schrecklich! man vgl. die Beurteilung dieses Falles durch Nehemia, Neh. 13,26 [23-27])! So ist es, geliebte Geschwister, wenn wir gleichsam unser geistliches Abgesondertsein preisgeben, „das gute Gewissen von uns stoßen” (vgl. Apg. 24,16 mit 1. Tim. 1,19 und 3,9!), dann kann das vorläufige Ende nur sein, dass wir, „was den Glauben betrifft, Schiffbruch leiden” (1. Tim. 1,19!). lasst uns wachsam sein!
Obige Antwort regt an zum Finden weiterer Punkte bei Simson, die vorbildlich auf Christus sind, und da möchte ich zum Schluß nur noch die kleine liebliche Begebenheit 15,18-19 nennen, die uns den in seinen Bedürfnissen von Jehova abhängigen Knecht Gottes zeigt, wie es in Vollkommenheit der war, der „auf dem Wege aus dem Bache” trank (Ps. 110,7) und der ständig der Fürsorge seines Gottes und Vaters vertraute (vgl. z. B. Sein Gebetsleben und Stellen wie Ps. 16,1.8; 22,8-11.24 usw.; Hebr. 2,13a; 12,2a u. a). - Sicher enthält die kleine Episode noch mehr vorbildliche Züge, aber ich breche hier ab, indem ich die Leser bitte, sich weiter mit dem Erforschen der Geschichte des Richters Simson zu beschäftigen, zu ihrem bleibenden Gewinn. - Der HERR aber sei gepriesen für Sein so herrliches, doch auch so ernstes Wort!
F. K.