Antwort A
Gott will nicht, dass das Blut Abels durch den Tod Kains gerächt werden soll. Eine gegensätzliche Anordnung trifft Gott für die Welt nach der Flut. Da bestimmt Er: „Wer Menschenblut vergießt, durch den Menschen soll sein Blut vergossen werden” (1. Mose 9,6). Gott will Gericht und Regierung mittelbar durch die Hand des Menschen ausüben. Aber nicht so in der Welt vor der Flut. Wir sehen, wie wichtig die Unterscheidung der verschiedenen Zeitalter, der verschiedenen Verwaltungsperioden Gottes ist. Petrus unterscheidet in seinem zweiten Briefe die damalige Welt (2. Petr. 3,6), die jetzige Erde (V. 7) und die neue Erde (V. 13). In der damaligen Welt nimmt Gott die Ausführung des Gerichtes in Seine eigene Hand, und Er richtet schließlich die Gewalttätigkeit des Menschen mit der Sintflut. Auf der jetzigen Erde legte Er die Ausführung des Gerichtes in die Hand des Menschen. Nicht, dass es jedem überlassen wäre, das Schwert zu nehmen, sondern Er richtet und regiert durch die Obrigkeit in Vergeltung wie Kriegführung. Ein göttlicher Grundsatz, der noch für die „jetzige Erde” gilt. Wir müssen lernen, das verschiedene Walten und Verhalten Gottes in den verschiedenen Zeit-Perioden zu unterscheiden. Es ist voll göttlicher Weisheit und Herrlichkeit. In der Welt vor der Flut will Gott nicht „durch den Menschen” das Gericht an Kain ausführen. Er allein will richten, und wer seine Hand wider Kain erheben würde, würde das Recht Gottes antasten, welches Er Sich vorbehalten; und es sollte siebenfältig gerächt werden. Und wie will Er richten? Langsam ist Gott zum Zorn und groß an Güte! Man möchte sagen, ein mildes Gericht trifft Kain - aber ein siebenfältiges (vollkommenes) Gericht soll den treffen, der dem Walten Gottes mit Kain entgegentritt. In diesem allen liegen tiefe und ernste Wahrheiten für uns. Die alte Welt lässt die Lichtstrahlen göttlichen Handelns auf die jetzige Erde fallen.
In den Persönlichkeiten der alten Welt und ihrer Geschichte liegt mehr als ein bloßer Bericht. Alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben (Röm. 15,4). Auch in den Geschichten der Personen der alten Welt gibt Gott uns Belehrungen und Lichtblicke für die jetzige wie für die zukünftige Welt. Lernen wir nicht durch Paulus in Röm. 5,14, dass in Adam Gott schon Christus sah? Und wird in Hosea 6,7 nicht eine Vergleichslinie mit Adam und Israel gezogen? Dürfen wir über solche Vergleichslinien in den gewaltigen Gestalten der ersten Menschen, über die es Gott gefallen hat, uns zu berichten, nicht nachsinnen? Eva, Kain, Abel, Henoch, Noah, Abraham usw., alle werden im Neuen Testament wieder vor uns gestellt als Vorbilder, als Wegtypen usw. für unsere Tage. In Eva sehen wir sowohl das Licht des Lebens in Verbindung mit ihrem Samen als auch die Gemeinde. Die Röcke von Fellen für die Bedeckung weisen hin auf die Dahingabe des Lebens eines anderen zur Bedeckung des Sünders. Der HERR sagt, die Schrift sei es, die von Ihm zeuge (Joh. 5,39). Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis der Schrift: Ihn darin zu finden. Überall finden wir Herrlichkeiten in Verbindung mit Ihm. Abel, der Gerechte, lässt uns Christus, den Gerechten, sehen, der Sich Selbst auf den Altar legt. Henoch - Christus als den mit Gott wandelnden Menschen, der Sein Wohlgefallen hat. Noah - Christus als den Prediger der Gerechtigkeit. Abraham - Christus als den Menschen außerhalb der Welt des Fleisches, in dem alle Vorsätze Gottes ihre Erfüllung finden. Isaak - Christus aus den Toten auferstanden. Jakob - Christus in Beziehung zu Israel. Joseph - Christus von Israel verworfen, aber unter den Nationen verherrlicht usw. usw.
Und Kain? Er war der Mörder des Gerechten. Der Mensch im Fleische. Ganz besonders aber steht Israel in Kains Geschichte vor uns. Stephanus nennt Apg. 7,52 Israel der Mörder des Gerechten. Ist Israel nicht gleich Kain ein Flüchtling, umherirrend und unstet bis auf den heutigen Tag? Hat Gott nicht auch das Zeichen der Unverletzbarkeit auf Israel gelegt? Und wird nicht ein siebenfältiges Gericht dem Manne oder der Nation folgen, die Israel antastet, um es zu vernichten?
Deshalb mag eine Antwort auf diese Frage sein: Gott sah in Kain schon die Mörder „des Gerechten” und Er handelte mit Kain nach Seiner Vorkenntnis, uns zur Belehrung.
Die Schrift berechtigt uns, mit dem Anfang spätere Ereignisse zu verbinden. Wenn Jesaja (46,9-11) auffordern muß, des Anfänglichen zu gedenken, so muss er sogleich hinzufügen, dass Gott von Anfang an das Ende verkündige. (Wir vermögen nur vom Ende aus den Anfang zu sehen.) Welche unvergleichliche Majestät tritt uns in dieser Stelle entgegen, wenn Er den Nachdenkern über das Anfängliche der Urzeit und über das „von alters her” Sich als der offenbart, der das Ende darin verkündigt und das, was noch nicht geschehen ist. Wir empfangen damit zugleich einen Schlüssel für das Verständnis der Vorzeit.
Dies sind alles nur kleine Andeutungen. Viele andere Linien können wir in den Tagen der Vorzeit finden in Verbindung mit der Gemeinde sowie der jetzigen wie der zukünftigen Welt. Nur mit Bewunderung und Anbetung können wir über das Tun Gottes nachsinnen. Dies zu tun war schon die Freude der Heiligen des Alten Bundes: „Ich gedenke der Tage der Vorzeit und überlege Dein Tun” (Psalm 143,5). Wieviel mehr sollten wir darüber sinnen, die wir das Licht der Offenbarung Gottes im Sohn und den Heiligen Geist empfangen haben! „O, Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes. Wie unausforschlich sind Seine Gerichte und unausspürbar Seine Wege” usw. (Röm. 11,33.36.)
v. d. K.
Anmerkung des Herausgebers
Dem Fragenden kam es offenbar zunächst darauf an, eine Erklärung des „es soll siebenfältig gerächt werden” zu bekommen. Eine völlig befriedigende zu geben scheint uns recht schwer. Wir geben aber im folgenden einige Winke, die das Verständnis der Stelle erleichtern können. Die Zahl „Sieben” ist die Zahl der Vollkommenheit in der Schrift. Belege dafür zu geben ist unnötig, jeder kann mit Hilfe der Konkordanz genügend Belege finden; wir weisen nur hin auf die Zahl der Feste Jehovas, der Geister und Gemeinden usw. in der Off. Joh. und auf das siebenmalige Umziehen der Mauern Jerichos, wie die siebenmalige Untertauchung des Naeman und auf „den Siebenten von Adam, Henoch” (Jud. 14), der nicht starb (1. Mose 5,24). Übrigens lesen wir auch mehrfach von siebenfacher Strafe (vgl. 3. Mose 26,18.21.24). Nur Gott Selbst konnte diese Strafe ansetzen für den, der Kain erschlagen würde. Es war das erstemal seit der Austreibung der Menschen aus dem Paradiese, dass Strafe verhängt wurde, und sie musste ebenso umfassend wie unvergeßlich ernst sein, wenn sie zeigen sollte, wie Gott über die Sünde des Mordes dachte. Daher, glauben wir, wurde eine siebenfache Rache Gottes angesagt. Dabei ist es aber ein wohltuender Gedanke, dass Gott Selbst das Strafmaß bestimmte sowie die Rache in Seine Hand nahm. Anders ist es bei Lamech (1. Mose 4,24). Hier sehen wir, wie der Mensch sich zu rächen trachtet und wie sehr damals die Entartung des Menschengeschlechts schon zugenommen hatte. Und nun noch ein Gegenstück! Mt. 18,21 fragt Petrus den HERRN, ob es genug sei, dem gegen ihn sündigenden Bruder siebenmal zu vergeben. Jesus aber sagt: „siebzigmal siebenmal” (V. 22). Dies kann man gleichbedeutend achten mit „unendlich oft”. Aber es ist doch nicht unwichtig, zu sehen, wie diese Zahl entstanden ist: nämlich aus siebenmal zehn mal sieben. Die Zahl 10 wird von etlichen Forschern als die Zahl der menschlichen Verantwortlichkeit gegenüber Gott gedeutet (man nehme dazu die Konkordanz zur Hand! Nur einige Stellen: Lk. 15,8; 19,13; Mt. 25,1; Lk. 17,12 und 17; Off. 17,12; 1. Mose 42,3. Man beachte besondern die Vervielfältigungen von Zehn, so Zehntausend!). Dadurch wird uns diese Zahl der Bereitwilligkeit zur Vergebung ganz besonders ernst, aber auch köstlich. - Wir geben diese Zahlen nur als Winke für das Forschen, nicht um eine vollständige Erklärung der fraglichen Stellen abzugeben. Wir meinen nur, dass in der Schrift nichts Unwichtiges ist und dass auch in diesen Zahlen eine tiefe Bedeutung liegt, wenngleich es auch oft schwer ist, diese zu finden. Doch sollte niemals eine Spielerei aus dem Forschen nach der Bedeutung der Zahlen werden! Wenn uns aber daran gelegen ist, das Wesen und den Charakter Gottes wie des Menschen besser zu verstehen, so sollten wir auch den Zahlen Beachtung schenken, sie aber stets nur im Lichte der Schrift betrachten und zu deuten suchen!