Antwort A
Zu 1: Im täglichen Leben der Welt kommt es oft vor, dass jemand am Telephon oder an der Tür einem nach ihm Fragenden erklären läßt, er sei nicht da. Er hat sich verleugnen lassen. „Verleugnen” bedeutet also „das Dasein leugnen”. Demnach bedeutet „sich selbst verleugnen” das Leugnen des Daseins der eigenen Person. Der Herr Jesus sagt also, wer Ihm nachfolgen will, muss seine eigene Person so betrachten und behandeln, als wäre sie nicht da. Warum? Weil sie das Nachfolgen unmöglich macht. Die Neigungen und Wünsche und der Wille unseres alten Menschen, des Fleisches, unserer alten Natur, sind dem Willen Gottes entgegengesetzt und daher mit der Nachfolge unseres HERRN unvereinbar. Der HERR hatte davon gesprochen, dass Er leiden müsse; das war Gottes Wille. Petrus aber sagte: „Gott behüte Dich, Herr! dies wird Dir nicht widerfahren”. Das waren die Gedanken des natürlichen Menschen, der den Leidensweg nicht gehen will - die Gesinnung des Fleisches, die immer gegen Gott ist (vgl. Röm. 8,7), unbewußt dem Satan, dem Feinde Gottes dienend. Daher sagte der HERR zu Petrus: „Gehe hinter Mich, Satan! du bist Mir ein Ärgernis, denn du sinnest nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist”. So ist die Gesinnung des Fleisches immer nie gottgemäß. Deshalb ist sie nie mit dem Wege des HERRN einverstanden, und darum kann jemand dem HERRN nur dann nachfolgen, wenn er sich selbst verleugnet - seinen alten Menschen mit seinen Neigungen und Wünschen und seinem Willen gänzlich als nicht vorhanden behandelt.
Zu 2: Das Sich-selbst-Verleugnen allein genügt aber nicht, da es nur die Beseitigung des Hindernisses ist, das der Nachfolge im Wege steht, aber noch nicht die Nachfolge selbst. Die Nachfolge selbst besteht in dem gehorsamen Tun des Willens Gottes, und mit diesem ist Leiden verbunden, da der Weg durch eine sündige, gottfeindliche Welt führt. Der Weg des HERRN war ein beständiger Leidensweg und endete am Kreuze. Das Kreuz ist der umfassendste, sprechendste Ausdruck für diese Leiden. Und jeder, der dem HERRN nachfolgt, hat die Leiden dieses Weges durch diese feindliche Welt zu tragen, wie gerade sein - des nachfolgenden - Weg sie mit sich bringt. Das ist „sein Kreuz aufnehmen”. Nicht „das Kreuz”, als ob es sich um das Kreuz des HERRN handelte - wiewohl es „Seine Schmach” ist und es die „Leiden Christi” sind, die er trägt (Joh. 15,18-20; 2. Kor. 1,5-7; Hebr. 13,13; 1. Petr. 2,19-23; 4,12-16) -, sondern „sein Kreuz”, nämlich dessen, der Ihm nachfolgt, weil er, der nachfolgende, es ist, welcher die in dieser Nachfolge ihm begegnenden Leiden erdulden muß. Diese Leiden sind „sein (des Nachfolgenden) eigenes Kreuz”.
Es ließe sich über diesen Gegenstand noch sehr viel sagen, aber andererseits wieder kann nur der Heilige Geist es unseren Herzen recht aufschließen, was der HERR uns mit diesen Worten sagen will. Der Gegenstand ist von großer Einfachheit, und doch auch von großer Tiefe und Kostbarkeit, und immer wieder, wenn wir uns damit beschäftigen, werden wir neu mit dem Wunsche erfüllt: Ich möchte dieses Wort besser verstehen und in meinem Leben mehr verwirklichen!
Th. K.
Antwort B
Zu 2: Die doppelte Feststellung des vorletzten Absatzes der schönen obigen Antwort ist sehr wichtig, darum möchte ich sie noch einmal ernstlich unterstreichen.
Recht häufig hört man noch heute, wo die Erkenntnis der Wahrheit bezüglich der notwendigen Leiden des Volkes Gottes für Christum doch wirkliche Fortschritte gemacht hat, Meinungen des Inhalts, als seien alle die Leiden, die wir Gläubigen - ebenso wie die ungläubige Welt - zu erdulden hätten, wie besonders Krankheiten, Siechtum, Todesfälle der Angehörigen, Lasten und Verluste, etwa durch Kriege u. dgl. mehr, unter „unserem Kreuze” zu verstehen. Das ist nach der Schrift ganz und gar unrichtig. Wohl haben wir Gläubigen diese Art Leiden durchzumachen, die Gott zur Prüfung des Glaubens oder zur Erziehung oder zur Bewahrung oder gar zur Züchtigung anwendet, wie uns manche Stellen der Schrift zeigen (z. B. 2. Kor. 12,7ff., Hebr. 12,4-11; 2. Tim. 4,20; Phil. 2,26-28 u. a.), und die Gnade genügt, um uns in denselben bewähren zu lassen (2. Kor. 12,9) und sie wahrlich anders zu tragen, als wie die Welt sie trägt, und uns auch darin als „mehr denn Überwinder” zu beweisen. (Röm. 8,37.) Ist es doch ein gewaltiger Unterschied, ob man solche allgemeinen Leiden erträgt in Gemeinschaft mit Christo und unter Seinen segnenden Händen, die nie mehr auflegen, als wir ertragen können (1. Kor. 10,13), oder ob Ungläubige, die den HERRN Jesus nicht kennen und darum auch nicht die Liebes-, Kraft- und Trostquellen in Ihm, solche Leiden durchmachen! Wir wissen unter allen Umständen, dass sie uns, die wir „Gott lieben, zum Guten mitwirken müssen!” (Röm. 8,28.) Welche Gnade und Kraft zum Leiden gibt das doch! Was weiß die Welt davon?! Aber so wichtig diese Betrachtungsweise unserer Leiden allgemeiner Art auch ist, so tragen letztere doch keineswegs den biblischen Charakter dessen, was unter unserem „Kreuz” zu verstehen ist - es sei denn, dass sie in Verbindung mit diesem oder als Folge desselben eingetreten wären.
Der Zusammenhang sämtlicher in der Frage angegebenen Stellen, wozu ich noch Mt. 10, im ganzen, besonders aber Vers 34-39 hinzuziehen möchte, zeigt uns klar genug, dass unter „unserem Kreuz” - d. h. ganz richtig, wie in obiger Antwort dargestellt ist: unter dem eigenen Kreuz eines Nachfolgers des Herrn Jesus - die Leiden und Verfolgungen um Seines Namens willen zu verstehen sind. Diese Leiden entstehen fast ausschließlich so wie auch die Leiden, die Er, unser hochgelobter HERR und Heiland Jesus Christus, auf Seinem Wege hienieden durchzumachen hatte und die ihre Krönung fanden am Kreuze auf Golgatha. Und wodurch entstanden sie? Etwa durch die Feindschaft der römischen Welt oder der Welt im allgemeinen? Keineswegs. Es ist eher zu beobachten, dass die Welt im allgemeinen, die römische wie die jüdische, Ihm eine gewisse Achtung nicht nur nicht versagte, sondern sie Ihm oft genug bezeugte. (Man vergleiche hierzu unter vielem das Urteil des Pilatus, das seines Weibes und das des einen Räubers am Kreuze - Mt. 27,19.24; Lk. 23,14.41 u. a.) Und hierzu paßt wunderbar das Wort Spr. 16,7: „Wenn eines Mannes Wege Jehova wohlgefallen, so lässt Er selbst seine Feinde mit ihm in Frieden sein”. Wir Gläubigen sollten viel mehr nach der Verwirklichung dieses Wortes trachten und nicht so leicht ein Leiden um Untreue willen (vgl. 1. Petr. 2,20) verwechseln mit dem Leiden um der Gerechtigkeit oder um Christi willen! Wir Gläubigen haben kein Recht, trotzig, lieblos, ungerecht, feige, klatschsüchtig, schwatzhaft, verleumderisch, übelnehmerisch, unversöhnlich, ungezogen, träge, faul, oberflächlich, hinterlistig, ungenau, unehrlich, fleischlich usw. zu sein (vgl. Gal. 5,16-26), und wenn wir dann dieserhalb seitens der Welt zu leiden haben, zu sagen, womöglich mit Märtyrermiene: „Ja, wir Gläubigen müssen viel leiden um des HERRN willen!” Das ist eine arge Heuchelei, die bei der Welt nur Schande auf den Namen des HERRN bringt. Wie vieles ließe sich darüber sagen! Welche ernsten praktischen Belehrungen gibt uns da z. B. der ganze Titusbrief!
Nein, die Leiden unseres geliebten HERRN entstanden (wenn auch die durch die jüdischen Machthaber aufgestachelte Volksmenge die römische ungerechte Urteilsfällung erzwang, welche den letzten Ausschlag für die Kreuzigung gab) eben hauptsächlich durch die Feindschaft jener religiösen Führer des jüdischen Volkes, denen nicht nur Jesu moralische Reinheit, sondern noch vielmehr Seine Verachtung ihrer religiösen (Schein-)Frömmigkeit von Anfang an ein Dorn im Auge war. Das, was in Seiner Strafrede Mt. 23,13-39 seinen äußersten Niederschlag fand, was durch seine ganze Diensttätigkeit hindurch immer aufs neue zum Gegensatz gegen die religiösen Machthaber des auswählten Volkes Israel führte, das erregte die Feindschaft des selbstbewußten Judentums, das sich seiner Abstammung von Abraham rühmte und dabei Ihn, den wahren Samen Abrahams, zu töten suchte. (Joh. 8!) Dieser Gegensatz lässt sich auf eine Grundformel bringen, die damals wie heute die Leiden, welche die Schrift unter dem „Kreuz” Seiner Nachfolger versteht, hervorrief, zuerst für Ihn, den HERRN Selbst, und seither stets aufs neue in allen möglichen Abstufungen, Arten und Weisen für uns, die wir Ihm nachfolgen sollen und dürfen, indem wir „unser Kreuze auf uns nehmen” - nämlich auf die Grundformel: „Religiöser Irrtum oder christliche Wahrheit?” Die erstere umfaßt alle die religiösen, frommen, und dabei so heuchlerischen „gottesdienstlichen” Übungen, zuerst des Judentums zur Zeit Jesu, dann während der Jahrzehnte des Dienstes der Apostel, dann der nachapostolischen Jahrhunderte bis heute hin, all die einander oft entgegengesetzten „Gottesdienste” der Namenschristenheit, ob protestantisch oder katholisch oder wie immer, alle die religiösen Irrtümer der „verderblichen Sekten” (2. Petr. 2,1), alle die Nachahmungen ursprünglich, nämlich in der Zeit des Alten Testaments, gottgewollter israelitischer Frömmigkeitsbezeugungen (Tempel, Altäre heilige Personen, heilige Kleidung, Orte, Zeiten, Tage, Formen, Liturgien, Opfer, Sakramente usw., usw.), wie auch das Hineintragen götzendienerischer, ja teuflischer Elemente aus dem Heidentum (Buddhismus, Theosophie, Mazdazman, Spiritismus, Okkultismus) in die Namenchristenheit u. a. m. (wie z. B. Freimaurertum u. a.) - während die letztere, die christliche Wahrheit nur in dem geschriebenen Worte Gottes zu finden ist; deswegen müssen solche, die dem HERRN wahrhaft nachfolgen wollen, zurückkehren zu dem, „wie es im Anfang war”. Die christliche Gemeinde, das wahre Haus Gottes, die echte Gemeinde Jesu Christi ist „der Pfeiler und die Grundlage der Wahrheit” (1. Tim. 1,15). Ihr gehört jeder wiedergeborene Mensch an (man lese die Apostelgeschichte!), ob aus dem Judentum, dem Heidentum, dem Islam oder der Namenchristenheit, und in dem Maße, wie er Front macht gegen die religiösen Irrtümer dieser Welt, gegen die falschen „Gottesdienste” und gegen die religiösen Mischmasch-Einrichtungen der Zeit vor seiner Bekehrung - in dem Maße wird er zu leiden haben, wie Christus auf dem gleichen Grunde litt, und dies „sein Kreuz” soll er, der Nachfolger Jesu, auf sich nehmen „täglich” und so dem HERRN nachfolgen! Diese Leiden kommen vielfach von den eigenen Angehörigen (Mt. 10,35.36 u. a.) - wie es beispielsweise die Gläubiggewordenen aus dem Judentum noch heute, aber auch aus dem Heidentum und dem Islam immer wieder erfahren; so aber auch die Bekehrten aus der Christenheit. Denn das kann die religiöse Weltchristenheit, so manches sie den entschiedenen Christen sonst vielleicht „gnädig” nachsehen mag, durchaus nicht verzeihen, dass sie ihre religiösen, menschlich doch so „gutgemeinten” Einrichtungen als schriftwidrig oder unbiblisch verurteilen, verwerfen und sich davon offen lossagen! - Aber leider: Viele, die aus der Namenchristenheit sich zumHErrn bekehrt haben, meinen, ihre überkommenen religiösen Irrtümer, ihre vermeintlich nur von der Welt befleckten traditionellen Heiligtümer nun, nachdem sie sich bekehrt haben, mit neuem Inhalt füllen zu können (im Gegensatz zu Lk. 5,37ff.!!) und in ihnen bleiben zu sollen, statt aus ihnen herauszugehen, wie uns 2. Kor. 6,14ff. und viele andere Stellen lehren. Während man in der Mission von einem Heidenchristen mit Recht erwartet, dass er seinen religiösen Götzendienst restlos verläßt, bleibt man häufig in der Christenheit in dem viel gefährlicheren religiösen Götzendienst der Gegenwart stecken und verunehrt so den HERRN, der uns durch Sein Blut „von dem eitlen, von den Vätern überlieferten Wandel (der religiösen Tradition!) erlöst hat”. (1. Petr. 1,18.19.) Damit aber gehen sie auch, zu einem großen Teil wenigstens, jener Leiden verlustig, die Glückseligkeit in sich tragen (vgl. Lk. 6,22.23; Apg. 5,40.41; 1. Petr. 4,12-14 u. v. a. St.), und verunehren auch dadurch den HERRN, indem sie eben dieses ihr „Kreuz” nicht auf sich nehmen und so Ihm nachfolgen können, dieweil sie eben es nicht haben, oder doch nicht so, wie Sie sollten! Möchten sich doch alle lieben Leser fragen, ob sie schon diese Art Schmach des Christus (Hebr. 13,13) tragen, die darin liegt, „außerhalb des Lagers” (vgl. meinen Aufsatz Jahrbuch 9, Seite 106ff.!), außerhalb des religiösen Lagers ihrer eigenen Vergangenheit, ihres eigenen „Einst” (Eph. 2) zu leiden seitens der frommtuenden Welt! Wir sind gewürdigt, solche Leiden zu ertragen, wie Christus Jesus sie trug, der „außerhalb des Lagers” litt! „Es ist uns geschenkt, nicht allein an Ihn zu glauben, sondern auch für Ihn zu leiden.” (Phil. 1,29.) Was ist uns dieses? Was bewegt unser Herz, wenn wir Abel erschlagen werden sehen durch den religiösen Kain? Wenn wir die Propheten Israels, wenn wir Stephanus, wenn wir die Gemeinde durch den hochreligiösen, für Gott eifernden Saulus, wenn wir diesen selber als Paulus durch die jüdischen religiösen Obersten leiden sehen? Was empfinden wir beim Lesen der Martyrerakten der ersten christlichen Jahrhunderte wie auch der Inquisitionsepoche? O, dass wir alle mehr lernten, jenes „Schwert”, das unser HERR brachte, zu fühlen, zu erfahren (Mt. 10,34), das uns aber nicht scheiden kann von Ihm (Röm. 8,35-39)! Dass wir mehr bereit wären, unser „Kreuz”, nämlich dieses Kreuz des um Seinet-, d. i. aber um der ganzen Wahrheit Seines Wortes willen Leidens und Leidendürfens auf uns zu nehmen und so ihm nachzufolgen! O, dass wir mehr danach trachteten, uns selbst zu verleugnen (vgl. obige Antwort), ja, alles das, was der erste Mensch ist, zu verleugnen - ob es auch vorhanden ist, es für uns als nicht vorhanden zu betrachten, damit Er, der Sohn Gottes, der zweite Mensch, der Mensch vom Himmel (1. Kor. 15,45ff.), mehr in uns gesehen werde, indem „wie Er ist, auch wir sind in der Welt”. (1. Joh. 4,17.) Er gebe uns Gnade dazu!
Der Schriftl. F. K.