Seine Tage werden nicht verlängert

In Jesaja 13,22 heißt es in bezug auf Babylon „Seine Tage werden nicht verlängert“ und Dan. 7,12 „eine Lebensverlängerung wurde ihnen gewährt“; also auch dem babylonischen Tiere! Wie ist das zu verstehen?

Antwort A

Man darf eben Babel, die Stadt und Sitz des babylonischen Weltreiches, nicht mit diesem selbst verwechseln. Zur Zeit Jesaias war Babel in Abhängigkeit von den Assyrerkönigen; noch nicht Weltreichshauptstadt. Der Geist Gottes nimmt aber vorweg, dass die Stadt das werden würde, und beschäftigt sich gerade deswegen mit dem, was sie als solche treffen wird.

Im ersten Jahr Belsazars, Dan. 7,1, war das erste der vier Weltreiche seinem Ende nahe. Der Geist Gottes hatte da mit diesen Gesichten Daniels etwas anderes im Auge, als die Stadt Babel zu kennzeichnen: Die Herrschaft der Weltreiche steht im Vordergrund Seiner Mitteilungen. Und dieses eigentlich auch nur, um über die drei ersten hinweg auf das vierte und dessen Ende und dann auf Den zu kommen, dessen Herrschaft eine ewige sein und dessen Königtum nie zerstört werden würde. Die dreimal einleitenden Worte: „Ich schaute in Gesichten der Nacht”, zeigen an, dass jedesmal etwas Besonderes kommt. Das erstemal bringen sie vor uns das Aufsteigen aus den unruhigen Völkermassen aller vier Tiere mit der Beschreibung des ersten und zweiten, und nach letzterem auch des dritten. Das vierte ist von derartigem Aussehen und Charakter, und die Veränderungen, die an ihm vorgehen, sind so auffällig, dass ein zweites „Ich schaute in Gesichten der Nacht” es als etwas weit über die drei ersten Hinausgehendes hinstellt. Nach dem babylonischen, medopersischen und mazedonisch-griechischen Weltreich ist das römische Weltreich, so wie es in der jetzt zurückliegenden Zeit war und in zukünftiger sein wird, die Aufsummierung dessen, was die Weltherrschaft des Menschen ist und auf was sie hinausläuft: auf offene Empörung gegen Gott, der sie ihm anvertraut hat. Siehe die Deutung des Gesichts V. 15ff.

Da stehen nun in den Versen 11 und 12 die Tatsachen einander gegenüber: durch Gerichtsbeschluß ist gänzliche Vernichtung das Los des letzten Darstellers der Weltherrschaft, der Aufsummierung derselben im wiedererstehenden römischen Reich und in der Person seines Herrschers, wodurch Raum gemacht wird für Reich und Herrschaft des Sohnes des Menschen, der Heiligen der höchsten Örter und des Volkes dieser Heiligen, d. i. der Juden, Israeliten: Verse 13.14.27b.18.22.27a; und: die drei ersten Tiere werden nicht vernichtet; nur ihre Herrschaft wird weggenommen, Verlängerung des Lebens aber bis zu einem gewissen Zeitpunkt wird ihnen zugestanden; was sagen will: Die staatlichen oder völkischen Verhältnisse der drei ersten Reiche können fortbestehen, solange es Gott gefällt; nur die Gewalt weltbeherrschender Autorität geht ihnen unwiedererlangbar verloren. So war es in der Folge. Babylon als Provinz (heute der vielgenannte Irak) bestand fort unter dem medo-persischen und griechisch-mazedonischen Weltreich. Persien und Griechenland bestehen sogar dem Namen nach noch als Staaten.

Die Stadt Babel hat ihren Ursprung im Eigenwillen und der Gottwidersetzlichkeit des Menschen; Machtwille und Eroberungssucht kennzeichnen ihren Ursprung, 1. Mo. 11,1-9 und 10,10; sie ist die erste und älteste Stadt der nachsintflutlichen Welt und verkörpert in der Schrift den Menschen in seinem Stolz, seiner Herrlichkeit, seiner Macht, seiner Götzendienerei und seiner Verderbnis. Die Höhe dieser Charakterisierung erreichte sie unter Nebukadnezar, der Juda in Gefangenschaft führte und Jerusalem und den Tempel zerstörte. Unter ihm war sie der Ausdruck seiner Macht.

Die ganze Zeit des Außerlandesseins Judas und Israels wird in den Propheten als Gefangenschaft in Babylon betrachtet. Die Rückkehr einer kleinen Zahl nach dem Dekret des Cyrus, die Wiederherstellung des Tempels und Jerusalems, das Kommen des Messias und was sich daran anschließt, ist nur eine Episode innerhalb dieser Gefangenschaftszeit. Mit dem Fall Babels verknüpft sich in der prophetischen Schau die Zurückbringung Israels. Das liegt in der Zukunft. Da wird dann Babel im letzten Weltreich gesehen. (Vergleiche in der Offenbarung das Tier aus dem Meere Kap. 13 und Babylon Kap 17 und 18.) Darum verknüpft sich der geschichtliche Untergang Babels durch die Meder und Perser, wie er verschiedentlich in den Propheten, also auch in Jes. 13 und 14, geschildert wird, mit der Endzeit. Die Rückkehr in miniatura (im Kleinen) unter Cyrus und seinen Nachfolgern war ein Angeld auf die endgültige Rückkehr, die jetzt noch zukünftig ist.

Wie nun in der Endzeit das, was dann Babylon ist, gänzlich zerstört werden wird, so musste auch zu ihrer Zeit die Stadt Babel, die durch das erste der vier Tiere den Gipfel ihrer Macht und Pracht erstieg, der Zerstörung anheimfallen, ohne je Wiederherstellung zu erleben, wenn es als Verkörperung des Götzendiener- und Menschenhochmutsystems nicht wiederum Anlass zur Verführung hierzu werden sollte. Es ist ein merkwürdiges Ineinandergreifen in Jesaja 13 von geschichtlichen Ereignissen bei der Eroberung Babels durch die Meder und Perser und der Hinausschau auf die Endzeit mit Aussprüchen über die Gerichte, die der Tag des HERRN über die Erde bringen wird. Weil diese Gerichte in der Zerstörung Babels vorgeschattet werden, „darum wird sie in Ewigkeit nicht bewohnt werden, keine Niederlassung mehr sein, (nicht einmal) der Araber wird dort zelten, Hirten dort nicht lagern lassen”. Es wurde so, so dass ihre Stätte nicht einmal mehr gekannt war, obwohl erst im Laufe von Jahrhunderten unserer Zeitrechnung; daher, und weil es folgerichtig nicht mehr erstehen kann und wird, die Weissagung: „Seine Tage werden nicht verlängert werden”, im Gegensatz zum wieder aufblühenden Israel, Kap. 14,1.2 und andere Stellen.
F. Kpp.

Anmerkung des Schriftleiters

Etwas Wesentliches zu diesen Ausführungen unseres w. Mitarbeiters, der in dieser Antwort uns viel biblisches Licht über den erfragten Gegenstand bringt, hinzuzufügen, ist mir nicht gegeben, aber ich möchte bei dieser Gelegenheit mit Nachdruck hinweisen auf die wichtigen Darlegungen, die unser in diesem Jahre entschlafener teurer Mitarbeiter von einst K. O. St. in Frage 18 des Jahrbuches 14 gibt, in denen wir über den Charakter des vierten Weltreichs, des römischen, d. i. des Babylon der Endzeit, belehrt werden. Man lese bitte dort nach! Nur noch einige Worte füge ich hier an:

Babel” heißt ja „Verwirrung”, und wie sehr trägt schon die heutige Zeit Kennzeichen der Verwirrung und Vermischung! Was für Zeiten gehen wir entgegen! „Welche solltet ihr dann sein” (2. Petr. 3,11), dürfen wir auch auf uns im Blick auf die nahende Zukunft anwenden. „Heiliger Wandel und Gottseligkeit” sollte uns kennzeichnen angesichts der Auflösung der sittlichen und geistlichen Ordnungen Gottes, wie wir sie jetzt allenthalben spüren! Aber jetzt, wo noch die Gemeinde des HERRN hienieden ist, da kann das babylonische Verderben sich noch nicht so auswirken, es stehen ihm ja noch Hindernisse entgegen, die es nicht einfach wegfegen kann (vgl. 2. Thess. 2!); aber wenn diese hinweggenommen sind, dann wird die Welt die ganze Fäulnis des wiedererstandenen vierten (römischen) Weltreichs mit seinem Charakter Babels, der „großen Hure” (Off. 17 und 18), zu schmecken bekommen. Und Seinem Volke sagt Gott: „Gehet aus ihr hinaus, Mein Volk, auf dass ihr nicht ihrer Sünden teilhaftig werdet und auf dass ihr nicht empfanget von ihren Plagen ...” (18,4) Und sagt Sein Wort nicht für heute ganz Ähnliches in dem bei vielen „unbeliebten Schriftwort2. Kor. 6,14-18 (17!!)?! Warum kleben so viele Gläubige so an dem religiösen Bösen unserer Tage (mehr als an dem sittlichen Bösen!), das doch auch heute seinen Babel-Charakter nicht verleugnet. Verwirrung und Vermischung!? Ja, warum? Aus Menschenfurcht? Aus Unkenntnis der Schrift? Aus pietätvollem Festhalten an dem Althergebrachten ohne Rücksicht auf das Gottgewollte? Aus der (falschen) Ansicht, dass man durch das Festhalten an jenen Dingen mehr „tun”, mehr erreichen könne? usw. Einerlei, was die Gründe sind - genug. Das Wort sagt: „Sondert euch ab!” Und wir - was sagen, was tun wir? Geliebte, das Wort mahnt jene in Off. 18,4: „Auf dass ihr nicht empfanget von ihren Plagen.” Geht das uns heute nichts an? Lasset uns durch die Gnade gehorsam, wachsam und treu werden, damit an uns nichts vom Charakter Babels zu sehen sei, wodurch wir dem HERRN Schande bereiten, sondern damit wir Ihm dienen, wie Sein Wort es sagt! Wenn Babel in Seinem Endwesen, wie einst in seiner Anfangsart, gänzlich zerstört wird, wie können wir noch damit in Gemeinschaft sein?! Eine ernste Frage für solche, welche des HERRN sind und auch sein wollen! Der HERR gebe uns Licht darüber!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 17 (1932)