Schwören vor Gericht

Ist das Schwören vor Gericht, welches von der Obrigkeit eingesetzt ist, nach Jak. 5,12 verboten? Sollte es der Fall sein, wie hat man sich dann als Christ dem Richter gegenüber zu verhalten?

Antwort A

Gerichtseid und Fahneneid ist meiner Meinung nach hier nicht gemeint und fällt unter Röm. 13,1. Auch Jesus ist dem Schwur vor dem Hohenpriester nicht ausgewichen (Mt. 26,63.64).
K. E.

Antwort B

Das Schwören ist eine Verpflichtung oder die Übernahme einer Verantwortung mit einem gewissen Vertrauen auf sich selbst, einem Bewußtsein der zur Ausführung des Eides nötigen Treue, Fähigkeiten und Macht. Deshalb ist es ganz am Platze bei Gott, von dem wir oft lesen, dass Er schwur (1. Mose 22,16; Ps. 89,3.35; 95,11; 110,4; Jes. 45,23; 62,8; Jer. 22,5 u. a.), sowie auch im Munde des unter Gesetz geborenen vollkommenen Knechtes, Seines Sohnes (Gal. 4,4), wie es uns prophetisch im Psalm 119,106 gezeigt wird.

Im Gesetze Moses, durch welches Gott den Menschen im Fleische auf die Probe stellte, um seine Nichtigkeit zu beweisen, war das Schwören erlaubt, ja vorgeschrieben (5. Mose 6,13; 10,20; 2. Mose 22,11 u. a.), da das Gesetz eine Fähigkeit im Menschen voraussetzte; doch war im Gebote, allein beim Namen Jehovas zu schwören, schon ein Hinweis darauf, dass nur durch Ihn das Halten des Eides dem Menschen möglich sei. Unterm Gesetz hat sich derselbe bekanntlich nicht bewährt; mit dem Schwören wie mit anderen Stücken zeigte er sich als völlig untauglich; man schwur fälschlich (Jer. 5,2.7; Hos. 10,4; Amos 8,14) oder machte spitzfindige Unterscheidungen, um die „bei den Menschen” vorhandenen Vorteile des Schwörens („das letzte Wort” beim Widerspruch, Hebr. 6,16) zu benützen, ohne die damit verbundene Last der Verantwortung mit dem Finger zu rühren (Mt. 23,4.16-22).

Der Mensch ohne Gesetz bewies seine Untauglichkeit, indem er selbst in seiner Anmaßung zu schwören begann (1. Mose 31,53; der schlaue, selbständige Jakob stand noch nicht unter Gesetz, sondern auf dem Verheißungsboden), und blind, ja durch Schwören zum Mörder wurde (Mk. 6,23.26). Nur wenn Gott Seinen Bund mit Israel wieder gelten lassen wird, wird Er auch bei den Gläubigen dieser noch zukünftigen Zeitverwaltung die Bewährung im Schwören bewirken (Jes. 65,16; Jer. 4,2; Ps. 63,11).

Nun sind die Gesetze an keinem Platze so maßgebend wie in den Gerichtshöfen, und jeder Mensch tritt da auf mit seiner ganzen persönlichen Verantwortung. Das Schwören vor den Gerichten entspricht also vollständig dem Charakter dieser Einrichtungen.

Wie steht es nun mit uns jetzigen Gläubigen in der Zeitverwaltung der Gnade? Wir sind vom Gesetze Mose ganz und gar und für immer frei und dürfen nicht uns wieder unter dasselbe stellen (Röm. 10,4; Galaterbrief); dagegen sind wir aber durchaus nicht frei von den „Obrigkeiten und menschlichen Einrichtungen”, denen wir nicht um ihretwillen, sondern um Christi willen uns unterwerfen sollen (1. Petr. 2,13; Röm. 13,1-8; Tit. 3,1). Darum dürfen wir vor den Gerichten in aller Ruhe das eingerichtete Schwören beobachten, da wir in solchem Falle vor den Menschen unter Gesetz stehen, in der Gnade aber nur vor Gott. Somit wird auch der zweite Teil der Frage erledigt.

Dabei bleiben die Ermahnung Jakobi (5,12), sowie die Gebote des HERRN (Mt. 5,34.36) unberührt in ihrer Kraft und Tragweite; die erste ist besonders an gläubige Juden gerichtet (Jak. 1,1), welche leicht geneigt waren, das nicht mit der Gnadenstellung übereinstimmende Schwören zu üben. Deshalb auch verbietet der HERR, durch den die Gnade und die Wahrheit kamen, welche nur für den Untauglichen (Unmündigen) sind, das Schwören.

Das Beispiel Petri, welcher gewiß aufrichtig, aber vergeßlich dieses Verbot mißachtete und dem HERRN Gelübde tat, dann doch so traurig fiel, sollte uns warnen vor dem Gebrauch dieser rein sinaitischen gesetzlichen Einrichtungen bezüglich Dienst, Ehe, Essen, Trinken usw. Die gesetzlichen Verordnungen ehren weder noch dienen Gott und sind ein Zeichen der Verwirrung in unserer Glaubens- und Gnadenstellung Ihm gegenüber (Mt. 26,34.35.40.69-74; Mk. 14,29-31.66-71; Lk. 22,33.34.56-61; Joh. 13,38; 18,25.27), sowie eines unbewußten Vertrauens auf Fleisch.
Ist bei uns Phil. 3,3 wirklich eine Tatsache?
R. W. D.

Anmerkung des Herausgebers

Warum machen solche Fragen manchen Christen heute noch so viel Schwierigkeit? Weil sie ihre kostbare Stellung unter der Gnade zu wenig verstehen! - Aber ist in unserer Stelle denn kein Gesetz, kein Verbot? Gewiß nicht, sondern es handelt sich in dem ganzen Zusammenhang des Briefes um praktische Ermahnungen - oder will man etwa Vers 1, 7, 10, 13 usw. auch als Gesetze ansehen?! - Die Ermahnung hier, das Schwören zu unterlassen, hat einen sehr ernsten Grund gehabt (und hat ihn noch heute), wie aus dem Schluß des Verses zu entnehmen ist. Nach dem Zusammenhang, in dem dieser Vers steht, will Jakobus die Christen allein auf den HERRN als auf die Quelle ihrer Ruhe und ihres Vertrauens hinweisen (vergl. V. 4, 6, 7-11, 13ff. und Frage 9!). Wenn sie nun in ihren Reden und Gesprächen, statt leidenschaftslos „ja” und „nein” zu sagen, ihre Worte durch einen Schwur selbst bestätigen und so den Anschein der Furcht davor, dass man ihnen etwa sonst nicht Glauben schenke, erwecken, so unterscheiden sie sich durchaus nicht von der Welt. Die Welt bedarf der Beteuerungen, denn in der Welt ist die Lüge gang und gäbe. Darum hören wir so häufig Schwüre in der gewohnlichen Rede, wie „Bei Gott!” oder „Gott soll mich strafen!” u. a., um den Worten den nötigen Nachdruck zu geben. Aber bei den Christen, die alles im HERRN haben und in Seiner Gegenwart leben, sind solche Beteuerungen erst recht durchaus unrecht; sie beweisen, dass das Fleisch, die alte Natur wirksam ist. Nein, bei uns Gläubigen soll das Ja - ja, das Nein - nein bedeuten, und die Welt soll es merken, dass wir der weltlichen Mittel, um uns Glauben zu verschaffen, nicht bedürfen. - Es ist eine heutige Unsitte unter Gläubigen, wenn sie in Briefen und Reden sich so überaus oft auf den HERRN, der sie und die Echtheit ihrer Worte kenne, berufen. Wie oft hört und liest man: „Gott weiß es” oder: „Der HERR ist mein Zeuge” u. a.! Gewiß kann und wird man dergleichen bei bestimmten Gelegenheiten sagen müssen, auch Paulus tat es gelegentlich (z. B. Phil. 1,8), aber manche führen solche Beteuerungen so oft an, dass man nicht mehr weiß, ob sie überhaupt noch darauf rechnen, dass man ihnen auch ohne Beteuerungsformel glaube. Lasset uns in unseren Angelegenheiten dem HERRN völlig vertrauen, dann können wir uns auch untereinander vertrauen und Glauben schenken. Das zeigt uns Philem. V. 5! Des Hineinziehens Gottes in Form von Beteuerungen, ob offen, indem Gott angerufen wird, oder ob verhüllt, indem „Erde” oder „Himmel” angerufen wird, wie es hier heißt (vergl. Mt. 5,33-37), bedarf es also im täglichen Leben des Christen nicht; dagegen zeigt uns Jakobus in den folgenden Versen, welches Anrufen des Namens Gottes Ihm lieb und von Ihm gesegnet ist (V. 13ff.), während das andere die Zucht Gottes („ein Gericht”) nach sich zieht. -

Wie schon in der vorigen Antwort kurz angedeutet und durch Fettdruck hervorgehoben ist, handelt es sich aber bei der Eidesleistung vor der uns von Gott gesetzten Obrigkeit (Röm. 13,1.2) um ein Stehen vor Menschen im Fleisch, also vor Menschen, auf die das Gesetz Anwendung hat und von denen das Gesetz nach Gottes Willen gehandhabt wird (1. Tim. 1,8-11; Röm. 13,4). Der Obrigkeit gegenüber sich auf Jak. 5,12 berufen wollen, hieße die Grundsätze der Gnade (auf der wir Gläubigen stehen) auf die anwenden wollen, denen sie nicht gelten. Darauf bestehen zu wollen, nicht zu schwören vor der Obrigkeit, hieße diese zwingen, auf einen Boden zu treten, auf den sie nicht gehört und auf dem sie sich nicht zu Hause weiß. Es hieße die Grundsätze der Regierung Gottes umstoßen und das Gesetz von dem Platz entfernen, wo es unbedingt nötig ist! Wir Gläubigen können wohl, wo es sich um Aufrechterhaltung der göttlichen Ordnung mittels unserer Obrigkeit handelt - also im praktischen Fall etwa bei der Verurteilung eines Diebes -, um der unter Gesetz befindlichen und nach diesem zu handeln verpflichteten Obrigkeit willen die für Menschen unter der Gnade geltenden Grundsätze für einen Augenblick aufgeben (aber nur scheinbar!) und heruntersteigen auf den Boden des Gesetzes (wie Paulus aus einem anderen Grunde, aber völlig berechtigt, in Apg. 16,3 tat - vergl. Frage 17, Band II!); aber wir können nie verlangen, dass die Obrigkeit den ihr angewiesenen Platz im Rahmen des Gesetzes verlässt und auf unseren höheren (den unter der Gnade) tritt; sie kann es nicht, denn dieser Platz gehört nur denen, die in Christo sind, und sie darf es nicht um der Forderungen des Gesetzes willen, unter dem sie selbst steht. - Wenn wir aber nun dieses verstehen, so wird uns im praktischen Fall, beim Fahneneid oder beim Zeugeneid usw., das Schwören, d. h. das Anrufen Gottes, das sein, was alles Anrufen des Namens Gottes (auch im Gebet) ist: eine ernste Angelegenheit, bei der alle Leichtfertigkeit und (weltliche) Oberflächlichkeit ausgeschlossen ist!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 3 (1915)