Antwort des Schriftleiters
Ja, es ist am Platze im Deutschen, denn es steht auch im Grundtext da! Damit wäre die Frage äußerlich beantwortet, aber es ist uns mit dieser kurzen Antwort noch keine geistliche Belehrung, die zur Auferbauung dienen könnte, gegeben. (1. Kor. 14,3!) Darum habe ich noch einiges hinzuzufügen.
Wir könnten das „auch” streichen - freilich ohne ein schriftgemäßes Recht, weil es eben dasteht -, aber aus Gründen, wie sie in der „Frage” berührt sind, und dann -? Dann wären wir scheinbar „geistlicher”, als die Schrift selber ist! Und das ist stets gefährlich! Dazu eine kleine Erinnerung aus zirka 23 Jahre zurückliegender Zeit!
Ein Bruder, den ich während meines Studiums kennen lernte, welcher der vielleicht radikalsten der sogenannten „Perfektionismus”-Richtungen (Sündlosigkeitslehre usw.) angehörte, besuchte mich, um mich für seine (Irr-)Lehre zu gewinnen. Durch Gottes Gnade, die mich bewahrte, gelang ihm dies nicht. Aber dann kam etwas, wodurch ich die ganze Hohlheit jener Lehre erkennen mußte. Ich sagte, ehe er sich verabschiedete: „Nun lassen Sie uns noch zusammen die Knie beugen und beten!” Da sagte dieser übergeistliche Mann: „Wenn Sie es noch nötig haben zu beten, so will ich Ihnen nicht hinderlich sein, ich bedarf dessen nicht mehr, denn ich lebe in so ungetrübter Gemeinschaft mit dem HERRN, als wenn ich schon buchstäblich im Himmel wäre, wo wir doch auch nicht mehr zu beten brauchen!” Ich erschrak innerlich aufs tiefste, aber ich kniete nieder und betete - und er? Er dankte Gott, dass er nicht mehr zu beten brauche!! Da erfaßte mich ein wirkliches Gefühl des Grauens. - Einige Zeit später fiel dieser Mann vor aller Welt in eine schreckliche Sünde, und da war’s in jener Gegend mit der Verführungskraft dieser dämonischen Lehre (1. Tim. 4,1) aus. Nun sah man gleichsam handgreiflich, wohin diese Art von „Vollkommenheit” führte.
Gewiß ist dies Beispiel aus dem Leben sehr kraß und nicht ohne weiteres anwendbar auf unsere Stelle, aber eines zeigt es uns: die Gefahr dessen, wenn man geistlicher sein will, als die Heilige Schrift ist und lehrt. Angewandt auf die Phil.-Stelle: Wer das „auch” streicht, der verzichtet darauf (wenigstens tut er so, als ob ...!), auf das Seinige zu sehen, und sieht statt dessen nur auf das der anderen, hat - angeblich - nur die Interessen, die Belange, das Wohl der anderen im Auge! Der ist also wahrhaft selbstlos, und das ist doch eine erhabene Tugend?! Der hat den Egoismus in der Tat überwunden und verdient, gelobt zu werden, weiß es wohl auch, dass er so selbstlos ist, wehrt in „edler Bescheidenheit”, die, ach, gar so fadenscheinig und durchsichtig ist, alles Lob ab und sehnt es doch herbei, um sich im Glanze seiner Selbstlosigkeit zu sonnen! - Aber die Sache hat einen Fundamentalmangel: sie ist nicht biblisch, sie ist selbsterwählt, ist „eigenwillig” (vgl. Kol. 2,23), nicht „gesund” (vgl. Tit. 2,8 u. a.).
Nein, es ist vielmehr so: Es gibt ein normales, notwendiges, gesundes Sichbeschäftigen mit den eigenen Angelegenheiten, dem eigenen Nutzen - in welcher Hinsicht es auch sei -, durch das man nicht fühllos für die Sachen anderer wird, sondern im Gegenteil - man lernt daraus, den Interessen anderer in der richtigen Weise zu begegnen und zu entsprechen. Denn was man für sich selber wünscht und schätzt, das wird man aus gottgeschenkter Liebe heraus für den anderen auch wünschen und ihm zu vermitteln suchen. (Mt. 7,12!) Was mir selber schadet, werde ich (aus Liebe) dem anderen zu ersparen wünschen, was mir, meinem Leibe, meiner Seele ein Gewinn ist, werde ich (aus Liebe) dem anderen zugänglich zu machen trachten (vgl. im gleichen Kap. 2 die Verse 19-30: welch köstliches gegenseitiges Wetteifern in Liebe aus der Erkenntnis heraus, was einem selber das Liebste ware! vgl. auch Paulus im 2. Kor.- ober im 2. Tim.- oder im Philemon-Briefe!). Es ist doch auch geradezu so: Das Sehen „auch” auf das der anderen reguliert das Sehen auf unsere Sachen, gerade so wie die Liebe zum Nächsten die zu uns selbst regeln wird oder kann (oder wie die zu Gott die zu den Seinen in das rechte Verhältnis bringt oder bringen soll). (3. Mo. 19,18; Lk. 10,27; 1. Joh. 5,2) Gewiß haben wir auch Züge noch größerer Selbstlosigkeit in unserem herrlichen HERRN Selbst und können davon lernen, aber von uns wird nicht mehr verlangt, als wir geben können. - Wohl ist in Vers 21 ein herber Vorwurf enthalten, aber doch nur dadurch ist es ein solcher, weil die Fortsetzung, die zweite Hälfte unseres erfragten Verses 4, nicht dabei steht und weil hier die höchste Instanz genannt ist in dem Mangel jener „aller”: „sie suchen nicht das, was Jesu Christi ist”. Täten sie das, oder könnte Paulus wenigstens ihnen zubilligen, dass sie „auch” auf das anderer oder des HERRN blickten, dann wäre der Vorwurf beseitigt, denn in rechter Weise das Unsere zu suchen ist naturgemäß (d. h. auch der neuen Natur gemäß!), aber es ist nur die eine Hälfte der Wahrheit.
Ein schlichtes Beispiel: Es ist sicher nicht unrecht, wenn du - ermüdet und elend - etwa in der Bahn dir einen bequemen Platz sicherst. Du bist deinem schwachen Körper Rücksicht schuldig! Aber dann fällt dein Auge auf einen dir bekannten eben eintretenden älteren Bruder oder eine schwächere Schwester, und du siehst ihre Bedürftigkeit! Ist die Entscheidung nun schwer? Gewiß nicht, es müßte denn sein, dass du das „auch” übersähest! - Und wenn es gar nicht dastünde? Dann hättest du gar kein Recht, an dich zu denken, aber wie unnatürlich wäre das, und wie oft würde dann das Wort übertreten, und wie müßten wir uns dann schämen! - Aber nein! es steht ja da, dieses geistlich-natürliche „auch”, und darum lasst uns nicht übergeistlich in eigenwilliger Selbstlosigkeit unsere Angelegenheiten aus dem Auge verlieren, das Unsere vielleicht gar verkommen lassen, sondern lasst uns dafür sorgen, dass alles, was uns betrifft, in Ordnung sei und dem Willen Gottes gemäß behandelt werde; aber lasst uns ebenso „auch” bedenken, dass wir, schon nach Vers 3, aber erst recht nach Vers 4 eine Verantwortung füreinander haben, die Verantwortung der Liebe - drum so lasst uns „auch” trachten, wie auf das Unsere, aus Liebe „auch” auf das der anderen zu sehen!
„Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war!” (V. 5)
Der HERR gebe uns Gnade dazu!
F. K.