Antwort
Der Fragesteller hat sicherlich tief und eingehend über diese Fragen nachgedacht und findet zwischen den landesüblichen Lehren und dem Beobachten von Tatsachen einen Gegensatz. Vor allen Dingen meinen viele liebe Brüder, Thyatira habe nichts mit der römischen Kirche zu tun. Sie sehen in den sieben Gemeinden keinen prophetischen Umriß der Gemeinde Gottes als Haus in ihrer Verantwortlichkeit dem HERRN gegenüber. Allerdings besteht eine große Gefahr, besonders bei prophetischen Themen, nämlich die, anstatt auszulegen hineinzulegen. Wenn wir nun einige Gedanken weitergeben, tun wir es nur, weil wir meinen, diese Gedanken gehen mit der Schrift konform. Ohne alle möglichen Betrachtungsweisen der sieben Sendschreiben hier zu erörtern, denken wir, dass nächst der buchstäblichen Auffassung der wirklichen sieben Ortsgemeinden und der rein persönlichen Bedeutung der Sendschreiben - „Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt” - die wichtigste die prophetische ist. Kapitel 1,3 ist darin grundlegend. Denn das ganze Buch ist doch mehr oder weniger prophetisch, und da sollen ausgerechnet die sieben Sendschreiben nicht diesen Charakter tragen? Ist es nicht eine Anmaßung unsererseits, die Schrift derartig zu beschränken - die Vielseitigkeit und Mannigfaltigkeit derselben in menschliche Grenzen zu fassen? Wir dürfen nicht fabulieren, wir können aber göttliche, biblische Linien verfolgen und das Ergebnis unseres Studiums mit der Gesamtoffenbarung der Schrift vergleichen. Wir müssen die Lehren anderer Brüder und unsere eigenen einer peinlichen Prüfung nach der Schrift unterwerfen, aber andererseits dürfen wir nie vergessen, dass die Schrift das Produkt, die Frucht des Heiligen Geistes ist und wir die Schrift in diesem Sinne erforschen müssen. Wir haben Auslegungen der Schrift gelesen, die man „die chemischen Untersuchungen der Schrift” nennen könnte, wo alles Geschichtliche, Menschliche und fast jedes Wort genau untersucht wird, die Ursachen, Gründe, Ziele, die Zeiten der Schreiber und Empfänger usw. möglichst eingehend berücksichtigt wurden. Wir haben nichts gegen solches gründliche Studium einzuwenden, sondern freuen uns darüber, aber wenn die Forschungen nicht zum Geist des Wortes vordringen, wie ein Chemiker nicht zum Leben des Stoffes vordringt, dann denken wir doch, dass ein solches Studium der Schrift nicht den Kern der Schrift erfaßt hat. Denn der Geist der Schrift ist der HERR. (2. Kor. 3,18) Und da keiner je gefunden wurde, der die Schrift meistern könnte, kann auch keiner beanspruchen, dass seine Auslegungen unbedingt und restlos angenommen werden sollten. Wir erkennen nur „stückweise” (jeder nach der ihm von Gott gegebenen Fähigkeit) und können daher nur unsere stückweisen Lehren den Brüdern zur Beurteilung darlegen.
Was nun der Fragesteller besonders wissen möchte, ist, wann das im 23. Verse ausgesprochene Gericht sich ereignet hat bzw. ereignen wird.
Dass Thyatira als Gemeinde, ja selbst als Ort, nicht mehr besteht, zeigt doch, dass das Gericht sich in seiner örtlichen, ursprünglichen und buchstäblichen Bedeutung schon erfüllt hat. Wir wollen hier nicht die wirkliche Geschichte der Gemeinde wie auch des Ortes erörtern, aber das dürfen wir doch sagen, dass der HERR Sein Wort in bezug auf Seine Verheißungen als auch Drohungen bei den sieben Gemeinden wahr gemacht hat. Für uns genügt dies, die wir Seinem Worte glauben.
Aber das schließt nicht aus, dass es noch eine weitere, weltumfassende Bedeutung hat. Wir finden dies sehr häufig in der Schrift. Wir sind der Meinung, dass das endgültige Gericht selbstverständlich erst nach der Entrückung der Gemeinde stattfindet, und zwar in seinem menschlichen Charakter in Kapitel 17, in seinem göttlichen Ausmaße in Kapitel 18.
Wir wollen nun versuchen, kurz zu zeigen, dass wir wohl unter dem Weibe Jesabel die römische Kirche mit ihren anspruchsvollen Lehren annehmen müssen. Viele Brüder haben Jesabel mit der Gemeinde Thyatira selbst verwechselt und sich gewundert, wie der HERR Vers 19 fünf Dinge nennen kann, die im gewissen Sinne das Wesen des praktischen Christentums ausmachen. Aber jeder, der das Sendschreiben sorgfältig liest, muss doch erkennen, dass der Überrest, der hier zum ersten Male in den Sendschreiben genannt wird, nur damit gemeint sein kann, doch nicht Jesabel. Es waren wohl auch solche da, die durch das Weib verführt wurden. Aber das Schrecklichste ist, dass die Gemeinde, wie es scheint, nicht die Kraft hatte, das Weib hinauszutun. Darum finden wir die gegebenen Verheißungen nicht für die Gemeinde, sondern für die „übrigen”.
Vergleiche mit dem Weibe in Kapitel 17 zeigen uns, dass es die Endentwicklung des jesabelschen Systems darstellt.
Vgl.:
I. Das „Weib” in beiden Kapiteln.
II. Das Wort „Hurerei”, welches in der Offenbarung zwölfmal vorkommt, davon zweimal hier in diesem Sendschreiben und siebenmal in den Kapiteln 17 und 18. Dazu kommt, dass nur dieses Weib in der Offenbarung fünfmal „Hure” genannt wird (Kap. 17,1.5.15.16; 19,2). Nur ein bekennendes christliches System kann als „Hure” bezeichnet werden. Nie die Religionen des Ostens.
III. Hier wie dort ist sie „Mutter” (2,23; 17,5).
VI. Hier „die Tiefen Satans”, dort „das Geheimnis des Weibes”. Die „Tiefen Satans” zeigen uns das satanische Geheimnisvolle.
Dreimal wird in diesem Sendschreiben „Buße” genannt, aber jeder Bußruf Gottes war vergeblich. Die Geschichte beweist dies so klar, dass kein Zweifel darüber bestehen kann. Wir können hier das Sendschreiben nicht näher behandeln, wir möchten vielmehr zum Endgericht kommen, das uns in Kapitel 17 und 18 gezeigt wird. Wir brauchen doch nicht zu warten, bis es sich geschichtlich vollzieht, was uns prophetisch gezeigt wird. Darum finden wir Off. 22,16 die Gemeinden letztmalig genannt. Für uns ist das prophetische Wort, als ob es schon erfüllt wäre. Und daraus können wir doch sowohl Trost als Ermahnungen schöpfen.
Das Gericht über diesen größten Schandfleck auf Erden steht nicht in Verbindung mit dem Endstadium der großen Trübsal, sondern bildet, wie es uns scheint, den Auftakt dazu. Wenn der Antichrist sich als solcher offenbaren wird im Anfang der zweiten Hälfte der letzten Jahreswoche, dann muss er durch Bedienung des römischen Weltreiches alles beseitigen, vernichten, was selbst dem Namen nach an Gott und Seinen Christus erinnert. Seine erste Aufgabe ist, dieses geistliche System zu vernichten. Christus richtet es nicht persönlich, weil Er dieses System gleichsam nicht berühren will. Es ist viel gottloser als selbst das Antichristentum, denn es vollbringt alle Greueltaten unter dem Schein göttlicher Rechte und Wahrheit, und dieses macht es so verabscheuungswürdig; das Antichristentum aber ist offener Feind gegen Gott und Seinen Christus. Jede Sünde des heidnischen Roms hat die römische Kirche in sich aufgenommen - und wie schrecklich waren die Sünden dieses Weltreiches! - und hat diesen Sünden noch eine Unzahl hinzugefügt, so dass sich ihre Sünden bis zum Himmel aufgehäuft haben. (Off. 18,5) Wer in Ländern gelebt hat, wo sie ist, und die Geschichte dieses Systems ein wenig kennt, muss dies nur bestätigen. Aber dieses System wird verantwortlich gemacht nach Off. 18,24 für fast alles Blut, welches auf Erden vergossen wurde, von dem Blute Abels an bis zu dem Blute des letzten Zeugen. Dies zeigt, dass in ihr der Geist aller antigöttlichen Systeme verkörpert wird unter dem Deckmantel der Frömmigkeit. Die Romanisierung der drei größten protestantischen Länder - Deutschland, England und Vereinigte Staaten von Nordamerika - zeigt uns das Zunehmen dieses geistlichen Systems an Kraft und Gewalt. Die Aussöhnung des Quirinals mit dem Vatikan gibt uns zu verstehen, dass selbst der Machthaber des gegenwärtigen Italiens nicht auf die Mithilfe und den Beistand dieses Systems verzichten möchte und kann. Wohl wächst der Haß gegen das römische Joch - wer in Italien gelebt hat, weiß dies; und doch kann sich fast keine Weltmacht (selbst die reichste nicht, die Vereinigten Staaten von Nordamerika) seinem wachsenden Einfluß entziehen. Doch einmal religiös-politisch geschlossene „Ehen” können nicht so schnell wieder gelöst werden, und wenn der Haß noch so groß ist.
Aber den Gipfel seiner Macht wird es erst erreicht haben, wenn das römische Weltreich in der zukünftigen Form nach Off. 17,12.13 entstanden sein wird. Die Ausleger, die heute schon dieses Reich sehen wollen, vergessen, dass es in der Geschichte niemals dagewesen ist, dass zehn Könige freiwillig ihre Macht, ihre Kronen zu den Füßen eines Kaisers (hier ohne Zweifel der römische Kaiser) gelegt haben. Das setzt voraus:
I. Dass viele Länder, die heute Republiken sind, Königreiche werden;
II. dass Italien eine solche Macht und einen solchen Einfluß hat, dass zehn Könige in ihrer Ratlosigkeit sich zu einem solchen demütigenden Schritt entschließen.
Sie „sitzt auf dem Tiere”. Doch nicht lange erfreut sie sich des Gipfels ihrer Macht und Herrlichkeit und ihres Ehrgeizes. Ihr Gericht kommt, und alles nimmt ein Ende mit Schrecken.
Man hat auch gemeint, dass es niemals die römische Kirche sein könnte, die uns in Off. 17-18 gezeigt wird. Es gibt jedoch so viele Beweise für uns dafür, dass wir niemals daran zweifeln können.
Die „Mutter der Huren” zeigt uns eine Vereinigung aller Irrsysteme. Nach der Entrückung der Gemeinde, wenn der Heilige Geist nicht mehr auf Erden in der Gemeinde wohnt, ist alles möglich, was uns heute noch unmöglich erscheint. Warum können die leblosen Bekenner aller christlichen Systeme nicht in ihr Aufnahme finden? Braucht doch der Mensch immer religiöse Befriedigung, die ihm dort ausgiebig gewährt wird. Wir finden auch keine Schwierigkeit dafür, dass selbst die Religionen des Ostens sich ihr anschließen. Die Veränderungen der Welt nach der Entrückung werden so ungeheuerlich sein, wie wir sie uns jetzt nicht vorstellen können. Zu einer rein äußerlichen Annahme einer Sache ist der Mensch fast immer bereit, zumal wenn es Gewinn bringt. Die römische Kirche ist zugleich das äußerlich reichste System der Welt. Sie hat mehr irdischen Reichtum, als je eine Weltmacht hatte oder hat, und wird ihn gebrauchen, um ihren Einfluß zu erweitern und zu befestigen.
Was nun die zweite Frage betrifft, möchten wir antworten, dass selbstverständlich alle sieben Gemeinden als goldene Leuchter betrachtet werden. (Off. 2,1) Denn dies ist doch die Voraussetzung dafür, sie als Gemeinde und verantwortliche Körperschaft anzureden. Selbst in Laodicea waren einige wahre Christen. Nur besagt es nicht, dass es so bleiben mußte. So finden wir, dass das an Ephesus angedrohte Gericht, den Leuchter aus seiner Stelle wegzurücken, in Thyatira ausgeführt wird. Der Leuchter ist hinfort nur in dem Überrest vorhanden. Die große Körperschaft wird nun als Leuchter aufgegeben. Den Überrest von Thyatira finden wir in der Gemeinde Sardes<„Sardes” heißt ja auch „Überrest!”
(D. Schriftl. F. K.)> wieder. Doch die Untreue dieses Überrestes hat zur Folge, dass nur einige wenige Namen gefunden werden (Kap. 3,4), also ein neuer Überrest, der sich von der Körperschaft unterscheidet durch Treue und Absonderung. Diese wenigen werden dann in Philadelphia gefunden, der vorbildlichsten Gemeinde. Nach ihr haben wir uns besonders zu richten.
„Sein Wort” (nicht nur Worte und Gebote) bedeutet doch nicht das äußere, pharisäische Festhalten nur des Buchstabens, sondern was das Bekenntnis des Petrus Joh. 6,68 ausdrückt: „Du hast Worte ewigen Lebens”, oder was der HERR Selbst Joh. 6,63 sagt: „Die Worte, welche Ich zu euch rede, sind Geist und sind Leben.” Es ist der sittliche, göttliche, bildende und die Seele.ernährende Lebensgehalt Seines Wortes, der hier in Frage kommt. Darum das Ausstrahlen und das Offenbaren Seines Namens: „Du hast Meinen Namen nicht verleugnet.” Mit dem Bewahren Seines Wortes geht auch das Nichtverleugnen Seines Namens Hand in Hand. Das letztere beweist die Wirklichkeit des ersteren. Dieses besteht nicht im Festhalten bestimmter Dogmen und Lieblingslehren, so sehr sie auch berechtigt sein mögen, sondern es ist das Aufnehmen Seines Wortes, Seiner Gesinnung, Seines Geistes, Seiner Selbst. Denn Er ist das Wort! Möge der HERR es geben, dass wir nicht nur Buchstabenmenschen sind, sondern lebendige Zeugen Seines Wortes und Seines Namens!
Es ist klar, dass Gott, ehe Er die Welt für Seine Herrlichkeit durch schreckliche Gerichte, wie sie uns in der Offenbarung gezeigt werden, empfänglich machen wird, zuerst bei Seinem Hause anfängt. Darum finden wir die sieben Gemeinden am Anfang des Buches der Gerichte als Sein Haus vorgestellt, das Er reinigt nach 1. Petr. 4,17. Denn Sein Haus steht Ihm näher als die Welt. Darum die Reinigungsarbeit Gottes an uns als an einzelnen und als an Körperschaften oder örtlichen Versammlungen.
Möchten wir Seine Gedanken erkennen und uns willig unter Ihn beugen, um Seine Zeugen zu sein in dieser dunklen Zeit!
K. O. St.
„Wir aber, die von dem Tage sind, lasst uns nüchtern sein, angetan mit dem Brustharnisch des Glaubens und der Liebe und als Helm mit der Erwartung der Seligkeit - durch unseren Herrn Jesus Christus!” (1. Thess. 5,8.9)