Neutestamentlichen „Volk Gottes“

Ist es berechtigt, von einem neutestamentlichen „Volk Gottes“ zu reden? (Vgl. 2. Kor. 6,16; aus 3. Mose 26,11.12 u. a.)

Antwort A

Das Wort „Volk” finden wir im Worte Gottes sehr oft genannt. Es bezeichnet im allgemeinen Sinne eine große Menschenmenge (Apg. 21,30), im besonderen Sinne aber eine abgesonderte Menschenmenge, die sich durch Abstammung, Sprache, Sitte und Religion von anderen Menschengruppen unterscheidet. Die Bildung der Völker ist von Gott aus geschehen, anläßlich des Turmbaues zu Babel. Die Verwirrung der Sprache war der Anlass dazu. Gott zerstreute auf diese Weise die Menschen über die ganze Erde. (1. Mose 11,1-9) Die Entstehung der Völker steht also in Verbindung mit der Sünde, die bei dem Turmbau zu Babel besonders in Erscheinung trat. Es ist kostbar zu wissen, dass es in der Ewigkeit keine verschiedenen Völker mehr geben wird; denn die erlösten Menschen auf der neuen Erde werden Sein Volk sein, und Gott Selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott. (Off. 21,3) Wie uns bekannt ist, verfielen die Völker nach dem Turmbau zu Babel in Götzendienst. Sie dienten anstatt dem Schöpfer- und Richter-Gott ihren Götzen, hinter welchen die Dämonen standen. (1. Kor. 10,20) Was es für Gott, den Schöpfer und Erhalter, war, die Völker der Erde dem Götzendienst verfallen zu sehen, können wir nicht verstehen. Sie huldigten unbewußt (vielleicht auch bewußt) der gefallenen, in Auflehnung gegen Gott befindlichen Engelwelt, geknechtet unter deren Macht und auch unter der Macht der Sünde. Den wahren Gott ehrten und Ihm dienten sie nicht. Wohl können wir annehmen, dass Einzelne unter den Völkern den wahren Gott fanden, ehrten und darum auch Ihm dienten. Denn Gott lässt Sich dem Einzelnen nicht unbezeugt. Er offenbart Sich durch die sichtbare Schöpfung als der Schöpfer-Gott und durch das Gewissen als der Richter-Gott. (Röm. 1,19-21; 2,15) Wie sehr sich die Völker den Götzen hingaben, sehen wir daraus, dass sie ihnen räucherten, opferten, ihre Leiber kasteiten, sogar ihre Kinder durchs Feuer gehen ließen und sie den Götzen opferten. Der Apostel Paulus sagt nach Apg. 17,22 zu den Athenern: „Ich sehe, dass ihr in jeder Beziehung den Götzen sehr ergeben seid.” Auch unsere Vorfahren lebten in solchem Götzendienst, wie uns allgemein bekannt sein dürfte. Das Licht des Evangeliums aber verdrängte jene Finsternis.

Aus den Völkern jener Zeit heraus erwählte Sich Gott das Volk Israel für Sich Selbst. Es war berufen, den wahren Gott zu erkennen, Ihm zu dienen und zu leben, zum Unterschied von den Völkern, die den Götzen (Dämonen) dienten. Es ist kostbar, wenn wir daran denken, dass unter den vielen, Gott fernstehenden Völkern ein einziges Volk war, das mit dem wahren Gott in Beziehung stand und sich Ihm anvertraut hatte. Angesichts dieser Tatsache hören wir auch Mose sagen - „Glückselig bist du, Israel! wer ist wie du, ein Volk, gerettet durch Jehova, den Schild deiner Hilfe, und der das Schwert deiner Hoheit ist?” (5. Mose 33,29) Deshalb finden wir auch oft im Worte Gottes, dass Gott Israel als „Sein Volk” bezeichnet. Gott war es, welcher das Volk Israel berufen und herausgeführt hatte aus der Knechtschaft Ägyptens, damit es nun als Sein Eigentum sich erweisen und für Ihn da sein möchte. Abgesondert von allen Völkern hatte Israel in Jehova seinen Gott, welcher auch gegenwärtig war, und seinen Führer (2. Mo. 15,13), seinen Streiter im Kampf mit den Feinden (2. Mo. 15,3), seinen Versorger an Brot (2. Mose 16,4), seinen Bildner und Erzieher (Jes. 43,21). seinen Gebieter (Ps. 81,8), seinen Richter (5. Mo. 32,36), seinen Tröster (Jes. 40,1), seinen Besucher und Erlöser (Lk. 1,68).

Ganz ähnlich, wie es sich mit dem Volke Israel verhielt, so verhält es sich mit den Gläubigen der Jetztzeit. Auch wir sind eine große Menge, ein großes Volk, abgesondert und berufen für unseren Gott, um Ihm zu leben und zu dienen. Die Welt dient ihren Götzen, wir dürfen unserem Gott dienen. Die Welt hat auch heute noch ihren Götzendienst, wenn auch zumeist in anderer Form als in früheren Zeiten. Denken wir an den Sport, das Vereinswesen, die studentischen „Verbindungen”, Politik, Technik, Kunst, Wissenschaft, Mode und dergl. - Wenn wir dem Herzen nach diesen Dingen den Rücken gekehrt haben, so sind wir aber doch in Gefahr, sie wieder lieb zu gewinnen. Ist nicht z. B. die Wissenschaft für gar manche eine Gefahr? Es ist heute gar vieles in dieser Beziehung für die berufliche Ausbildung notwendig. Gehen wir aber nicht doch manchmal zu weit im Bereichern unserer Kenntnisse, vielleicht mit guten Absichten oder weil es uns interessant ist, und merken nicht, wie zart wir umstrickt werden, zur Betrübnis unseres HERRN? „Hütet euch vor den Götzen!” -

Wir würden es vielleicht nicht wagen, die Gläubigen der Jetztzeit als Volk Gottes zu bezeichnen, wenn es nicht Gott Selbst täte in Seinem Worte. Der Heilige Geist wendet die in der Frage genannte Schriftstelle 2. Kor. 6,16 direkt auf die Gemeinde in Korinth an. Es heißt dort: „Denn ihr seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott gesagt hat: ‚Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und Ich werde ihr Gott sein, und sie werden Mein Volk sein‘.” Die Völker haben ihre Götter, und die Götter haben die Völker. Wir aber haben unseren Gott, und unser Gott besitzt uns, und Er ist in der Person des Heiligen Geistes gegenwartig unter Seinem Volke. Die Korinther bedurften, daran erinnert zu werden, damit sie herausgehen und sich trennen mochten von allen ungöttlichen Verbindungen. Auch wir bedürfen der gleichen Erinnerung, der gleichen Ermahnung! Auch an anderen Stellen der Heiligen Schrift bezeichnet uns Gott als Sein Volk. Apg. 18,10 sagt der HERR ermunternd zu Seinem Knecht Paulus: „... Ich habe ein großes Volk in dieser Stadt.

Und Titus 2,14 lesen wir; „... reinigte Sich Selbst ein Eigentumsvolk, eifrig in guten Werken.” Und nach 1. Petr. 2,9 heißt es: „Ihr aber seid ... eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum, damit ihr die Tugenden Dessen verkündigt, der euch berufen hat aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht; die ihr einst ‚nicht ein Volk‘ waret, jetzt aber ein Volk Gottes seid.

Diese Schriftworte erinnern uns wieder insonderheit daran, dass wir, die Schar der Erlösten, „Gottes Eigentum” sind, zum Unterschied von den vielen Menschen, die unter der Gewalt der Finsternis sind. - Unserem HERRN sei immer wieder Dank und Lob und Ehre, dass Er solches aus uns gemacht hat! - Auch werden wir erinnert, eifrig zu sein in guten Werken und die Tugenden unseres HERRN zu verkündigen durch Wort und Wandel. - Ach, wie so wenig kommen wir doch diesem Wort nach!
Wenn Gott in Seinem Wort von den Seinen der Jetztzeit als von Seinem Volke, der Herde Gottes, der Versammlung (Gemeinde) Gottes, dem Tempel Gottes, dem Hause Gottes, dem Leibe, der Braut, dem königlichen Priestertum, dem Ackerfeld, dem Bau oder der Stadt spricht, so will Er uns verschiedene Dinge in bezug auf die Gemeinde zeigen. Angesichts dessen haben wir viel Ursache, uns in tiefer Demut vor unserem Gott zu beugen. Ja, was hat Er doch aus uns sündigen Menschen gemacht! Ihm, unseren Gott und Vater und unseren Herrn Jesus Christus, sei ewig Dank! Möchten wir deshalb willig sein und Gnade haben, in dieser Welt des Götzendienstes uns als „Gottes Volk” zu erweisen in allem Wandel!
O. D.

Antwort des Schriftleiters

Zu diesen schönen und so ernst-praktischen Ausführungen noch viel hinzuzufügen erübrigt sich wohl. Ich habe die Hoffnung, dass des Fragenden Bedenken beseitigt sein möchten. Diese waren dadurch entstanden, dass er meinte, es seien stets nur Zitate aus dem Alten Testament, in denen von uns als dem „Volke Gottes” geredet würde, so dass wir somit eigentlich nur (geistlicherweise) an die Stelle des alten Bundesvolkes, das gefehlt habe und beiseite gesetzt sei, gesetzt seien, ohne dass es in Gottes Absicht gelegen habe, uns, d. h. die Gemeinde Gottes, als „Sein Volk” im Vollsinne anzuerkennen.

Nun, wie gesagt, ich habe die Hoffnung, dass seine Bedenken (und die anderer vielleicht?) zerstreut sind. Wenn sie aber noch bestehen, so möchte ich in aller Demut fragen, ob es denn nicht genügen würde, wenn der Heilige Geist solche alttestamentlichen Stellen in der gegenwärtigen Zeit der Gemeinde Gottes, in der Israel als Volk nicht anerkannt oder, wie oben gesagt, beiseite gesetzt ist, auf uns, also die Gemeinde, anwendet! Ich frage, genügt uns das nicht, nur zu wissen: heute sind wir „das Volk Gottes”, und alle die Beziehungen, die sich aus dieser Benennung ergeben, gelten heute uns!? Bekommt nicht gerade dadurch die in der Frage angeführte Stelle 2. Kor. 6,16 ihren eigentümlichen, durch nichts zu verwischenden Ernst?! Solch ein Wort galt einst Israel, dem Volke des Bundes - und solch ein Wort gilt heute dem Volke, das auf den Boden der Gnade, nicht des Gesetzes, Gott zu eigen gegeben ist! Mit welchem sittlichen Ernst sollten wir diese Anrede beantworten in Wort und Werk und allem Wesen, wir „Begnadigte des HERRN”, des Oberhauptes Seines Volkes!

Aber nicht nur solche alttestamentlichen Zitate, wie jenes Wort u. a., sind auf uns, also auf das neutestamentliche Volk Gottes, angewandt, sondern auch einige nicht als Zitate zu wertende, sondern unmittelbar neuen Worte des Heiligen Geistes. Ein paar solcher sind genannt. Dass solche auch Anklänge zeigen an alttestamentliche, auf das alte „Volk Gottes” bezugnehmende - wie Titus 2,14 aus Hes. 37,23; 2. Mose 19,5(5,6 vgl. zu 1. Petr. 2,9!) und 5. Mose 14,2 -, das liegt doch ganz in der Natur der Sache, da wir allein am alttestamentlichen Vorbild die Tragweite (in moralischer Hinsicht) des Ausdrucks „Volk Gottes” als „Eigentumsvolk Gottes” lernen können. Außerdem zeigt es uns die andere höchst bemerkenswerte Tatsache, dass die Schreiber der neutestamentlichen Bücher sehr, sehr oft in der Schreibweise, den Ausdrücken, Begriffen und Worten des Alten Testaments denken und schreiben. Das lässt sich in viel feineren, d. h. weniger auf der Hand liegenden Fällen als dem vorliegenden schon nachweisen und wird jedem treuen Bibelleser zu einem wirklichen Gewinn. Zu den letztgenannten Stellen gehört wohl auch die in Antwort A nicht genannte Hebr. 4,9!

In einem höchst bemerkenswerten Zusammenhang aber steht noch eine oben auch nicht genannte Stelle, die noch angeführt werden muß, um das Bild zu vervollständigen: Apg. 15,14(6-21)! Vollends die Hinzufügung des Zitats von Amos 9,11.12macht die Worte gerade des Jakobus in Vers 14 so besonders eindrücklich! Das, was dort verheißen war betreffs aller Nationen, das sieht der Judenapostel Jakobus jetzt als erfüllt, vielleicht besser als vorerfüllt, d. h. ehe die der „Hütte Davids” verheißene und dem Tausendjährigen Reiche vorbehaltene Wiederaufbauung erfüllt ist. „Ein Volk für Seinen Namen!” Welch kostbares, aber auch verantwortungsreiches Wort! Das gilt uns heute, das sind wir aus den Nationen, wir, deren „Bürgertum”, deren „Heimat” in den Himmeln ist, von woher wir den Herrn Jesus als Heiland erwarten ...! (Phil. 3,20.21) Wie sollten wir uns dieser hohen Berufung würdig erweisen, wie sollten wir „sinnen auf das, was droben ist, statt auf das, was aus der Erde ist!” (Kol. 3,2)

Fest stehet die Gemeinde ...
Erkor'n aus allen Völkern, doch als ein Volk gezählt,
Ein Herr ist's und ein Glaube, ein Geist, der sie beseelt,
Und einen heilgen Namen ehrt sie, ein heilges Mahl,
Und eine Hoffnung teilt sie kraft Seiner Gnadenwahl.

(B. Kühn.)

Dieser Gemeinde und zugleich diesem gesegneten „Volke Gottes” gehören wir an, Geschwister! Seiner Gemeinde, Seinem Volke auf dem Boden der Gnade! Das lasst uns anerkennen als Lehre der Schrift, und demgemäß lasst uns wandeln in der Kraft Seines Geistes und zu Seiner Ehre, bis Er kommt!
F. K.

Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und Sich Selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch!” (Eph. 5,1.2)


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 14 (1929)