Mit Willen sündigen

Können Kinder Gottes „mit Willen sündigen“? (Hebr. 10,26); und was ist „Sünde zum Tode“? (1.Joh. 5,16.17.)

Antwort A

Man bedarf großer Gnade, um die obigen Fragen für jeden Leser dienlich zu beantworten, dass die Erklärung weder dem Oberflächlichen zum Ruhekissen wird noch dem Aufrichtigen zum Hindernis.

Es handelt sich in der erstgenannten Stelle nicht um Kinder Gottes, sondern, wie uns klar im Vers 27 gesagt wird, um „Widersacher”. Der Apostel sagt nicht, dass sie (die Hebräer) Widersacher sind, aber als solche sich erweisen würden, wenn sie 1. den Sohn Gottes aufgeben, 2. das Blut des Bundes für unrein achten und 3. den Geist der Gnade schmähen würden. (Vergl. V. 29.) Ich frage: Kann ein Kind Gottes in diesen drei Hauptpunkten irren? Wenn einer dies tut, dann kann er kein Kind Gottes sein, da der Glaube an den Sohn Gottes, an Sein Opfer und Seine Gnade dem Betreffenden erst das Recht gibt, sich Kind Gottes zu nennen. Er ist ein „Widersacher”. Als Widersacher kann man erst dann in Wirklichkeit sich offenbaren, wenn man Erkenntnis der Wahrheit hat und erleuchtet worden ist (vergl. V. 26.32) über den Sohn Gottes und Sein Opfer und dass durch Ihn Gnade und Wahrheit geworden ist und doch Ihm, der allein nur Heil zu geben vermag, den Rücken kehrt. Wer dies tut, sündigt mit Willen, d. h. mit vollem Bewußtsein; darum wartet seiner nur das Gericht (V. 27). Die Hebräer, d. h. ohne Zweifel nur einige, waren in der Gefahr, nachdem sie die Erkenntnis der Wahrheit empfangen hatten, dass Jesus der Messias war, zurückzugehen zum Judentum, wodurch sie die Bluttat gegen den Sohn Gottes gleichsam gutgeheißen hätten. Die Folgen dieses Schrittes sind unabsehbar schrecklicher Art! Vergl. Personen wie Kain (Hebr. 12,16-17), Bileam (4. Mo. 22-24), Korah (4. Mo. 16), Judas Ischarioth! Ich glaube, dass die Geschichten dieser Männer, welche sich als Widersacher offenbarten, Licht und Klarheit geben über diese Stelle. Anders verhält es sich mit der zweiten Frage. Da handelt es sich um einen Bruder, denn die Schrift spricht von ihm als „Bruder”. Wir finden im Worte Gottes, dass der HERR an Gläubigen Zucht üben kann, wodurch sie aus dem Leben hinweggenommen werden. Der Grund ist nicht immer ein grobes, sittliches Vergehen, sondern auch oft das Nichtausführen des Willens Gottes. Wir finden dies in 1. Kor. 11,30. Der HERR nahm sie hinweg. Das Wort „entschlafen” (siehe Elb. Übers.) kann nur auf Kinder Gottes bezogen werden. Der Weltmensch stirbt; dies ist der allgemeine Gebrauch im Alten Testament für Gläubige sowohl wie für Ungläubige, weil Christus noch nicht gestorben und auferweckt war. Doch im Neuen Testament finden wir fast beständig das Wort „entschlafen” gebraucht, und zwar für Kinder Gottes.

Man kann wohl auf Grund der Schrift annehmen, dass solche Brüder nicht verloren gehen, obwohl sie das Ziel, welches Gott ihrem Leben des Wirkens für Ihn gesteckt hat, nicht erreichen (vergl. Moses und Aaron, 4. Mose 20).

Es ist darum erschütternd ernst, Dinge zu tun, die dem klaren, bestimmten und geoffenbarten Willen Gottes entgegen sind. Wenn es eine Sünde zum Tode ist, kann um die Erhaltung des Lebens, d. h. irdischen Lebens, nicht gebeten werden; aber selbstverständlich wird der fehlende Bruder seine Sünde bekennen (vergl. 1. Joh,1,9).
Die meisten Ausleger bringen Sünde zum Tode mit der Lästerung des Heiligen Geistes in Verbindung, doch ist es gut, zu fragen, ob es die Schrift tut, und wir müssen wohl mit „nein” antworten. Es wird in der Schrift nicht gesagt, dass ein Kind Gottes sich der Lästerung des Geistes schuldig machen kann, wohl aber, dass die Sünde zum Tode in unserem Sinne ein Bruder tun kann.
K. O. St.

Antwort B

1. Zu „mit Willen sündigen”. Wenn wir Hebr. 10,26-31 lesen, finden wir, dass es sich um Personen handelt, die die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben und trotzdem mit Willen sündigen, und dass es für solche keine Vergebung, sondern nur furchtbares Gericht gibt. Warum letzteres? Nicht weil Gott nicht bereit wäre zu vergeben, sondern weil das Sündigen mit Willen nach empfangener Erkenntnis der Wahrheit einen Zustand offenbart, für den es ganz ausgeschlossen ist, sich in wahrer Buße vor Gott zu beugen und Vergebung zu suchen. Der unbekehrte Mensch, der noch in Finsternis dahingeht, sündigt, weil er es nicht anders weiß und gewohnt ist, aber es gibt Vergebung für ihn, wenn er sich in Buße und Glauben zu Gott bekehrt; auch Kinder Gottes sündigen noch, vielleicht in Unwissenheit über die betreffende Sache oder in Unüberlegtheit oder sogar mit Bewußtsein, einer fremden Macht unterliegend, über die sie mangels Glaubens nicht den Sieg haben, den sie haben könnten und sollten, aber es gibt Vergebung und Wiederherstellung für sie, wenn sie ihre Sünden bekennen. Eine ganz andere Sache ist es jedoch, wenn ein Mensch, der die Wahrheit kennt, mit Willen sündigt, in bewußter und gewollter Auflehnung gegen Gott, mit Verachtung Seiner Gnade sowohl als auch Seiner Autorität. Es offenbart sich da ein Zustand, wie wir ihn bereits in Hebr. 6,4-8 wie auch bei den Pharisäern finden, die den Heiligen Geist lästerten (Mt. 12,24-32). Es sind also solche Menschen nie Kinder Gottes und auch nicht einfach unbekehrte Menschen, sondern nach 1. Joh. 3,8a Kinder des Teufels, für die es keine Änderung ihres Zustandes und daher auch keine Vergebung gibt. Dass der Apostel V. 26 „wir” sagt, steht dem durchaus nicht entgegen, denn es handelt sich hier, wie oft in diesem Briefe, eben darum, dass die Hebräer den Beweis liefern sollten, dass Leben aus Gott in ihnen und nicht etwa nur die Erkenntnis der Wahrheit vorhanden war.
Verstehen wir, was „mit Willen sündigen” bedeutet, und erinnern wir uns daran, was dem Kinde Gottes geschenkt ist, so müssen wir es für unmöglich erklären, dass ein Kind Gottes „mit Willen sündigen” könnte. Es ist aus Gott geboren und hat naturgemäß mit dem neuen Leben auch einen neuen Willen bekommen, der gottgemäß ist; Christus lebt in ihm (Gal. 2,20), und der Heilige Geist wohnt in ihm (Röm. 5,5; 1. Kor. 6,19 usw.) und verbindet es unlöslich als Glied Seines Leibes mit Ihm, dem verherrlichten Haupte! Wenn es trotzdem in Sünde fällt - vielleicht sogar mit Bewußtsein -, so ist es dennoch nicht mit Willen, sondern entgegen seinem Willen (s. Röm. 7,15-23!). Sünde ist dem Wesen des Kindes Gottes an sich fremd und entgegen.

2. Zu „Sünde zum Tode”. Wichtig für die Beurteilung dieser Sache ist die Frage, was in V. 16 und 17 unter „Tod” und „Leben” zu verstehen ist. Ich glaube nicht, dass es sich um leiblichen Tod und leibliches Leben handelt. Das wird verneint durch die Erläuterung über Sünde in V. 17. Denn wenn es sich um leiblichen Tod handelte, bedürften wir da erst noch der Belehrung, dass es Sünde gibt, die nicht „zum Tode” ist? Ferner, was für Sinn hätten die Worte V. 16: „und Er wird ihnen das Leben geben, denen, die nicht zum Tode sündigen”, wenn es sich um leibliches Leben handelte? Das leibliche Leben haben sie doch. Auch eine Verlängerung desselben oder Abwendung des Todes kann nicht gemeint sein, denn die in Verbindung damit erwähnte Sünde ist doch eben „nicht zum Tode”, so dass doch das Leben gar nicht gefährdet wäre. Es handelt sich m. E. hier vielmehr um ewigen Tod und ewiges Leben, oder auch in anderen Worten um ewiges Verlorensein und ewige Errettung.
Daran ändert es nichts, dass von einem „Bruder” die Rede ist, Kinder Gottes aber doch bereits ewiges Leben haben, andererseits aber Gottes Wort nie sagt, dass ein Kind Gottes verloren gehen könnte; es ist eben hier, wie z. B. auch Kap. 3,10.14b.15, nicht ein Kind Gottes gemeint, sondern ein Mensch, der äußerlich, dem Bekenntnis nach, die Stellung eines Kindes Gottes einnimmt, in Wahrheit aber kein Leben aus Gott hat.

Solche Menschen soll das Kind Gottes zum Gegenstande seiner Fürbitte machen, ausgenommen jedoch solche, die „zum Tode sündigen”. Warum letzteres? Wir können gewiß sein, dass dann, wenn Gott sagt, dass es keinen Zweck habe, für jemand zu bitten, für einen solchen auch tatsächlich jede Hoffnung ausgeschlossen ist. So ist es hier; es ist hier eben dasselbe, was wir bereits unter 1 gesehen haben: es handelt sich um einen Menschen, der die Wahrheit völlig kennt, aber trotzdem mit Willen sündigt und dadurch einen Zustand offenbart, bei dem Buße und Errettung unmöglich und Fürbitte zwecklos ist. Sein Teil ist ewiger Tod.

Sünde zum Tode” ist also m. E. nicht etwa eine bestimmte Art von Sünde, die den Tod nach sich zieht, denn letzteres ist an sich die Folge jeder Sünde (vgl. Röm. 6,23 und Jak. 1,15b); sondern es ist irgendwelche Sünde, durch welche sich bei dem, der sie tut, jener schreckliche - aber vielleicht oft schwer erkennbare - Zustand offenbart, welcher einst in vollendeter Weise bei dem „Menschen der Sünde”, dem „Gesetzlosen” (2. Thess. 2,3.7.8) vorhanden sein wird; es ist daher das, was im 1. Johannesbriefe „Sünde tun” genannt und in Kap. 3,4 als „Gesetzlosigkeit” gekennzeichnet und in Vers 8 in seinem Ursprung auf den Teufel zurückgeführt wird (vgl. Vers 8-10a). Das ist „Sünde zum Tode”. - Dem Kinde Gottes gewährt es einen tiefen Trost, sich in Jesu vor solcher schrecklichen Verirrung für ewig geborgen zu wissen, und es freut sich der wunderbaren Gnade des HERRN, die unsere Herzen zu Dank und Anbetung und völligerer Hingabe anleitet!
Th. K.

Antwort C

Ein Kind Gottes kann sündigen. Deshalb die vielen Warnungen und Ermahnungen der Schrift, nicht zu sündigen. Wir sind nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde. Für den Fall der Sünde eines Kindes Gottes hat Gott in Seiner Gnade Vorsorge getroffen (1. Joh. 2,1). - In gewissem Sinne kann auch ein Kind Gottes mit Willen sündigen. Es wird wohl kein Kind Gottes geben, das nicht in dem Sinne mit Willen gesündigt hätte, dass es etwas getan hat, von dem es wußte, dass es Gott nicht wohlgefällig sei: Wenn das „mit Willen sündigen” in unserer Stelle diesen Sinn hätte, dann dürfte kaum ein Kind Gottes selig werden können.
Um das „mit Willen sündigen” in dieser Stelle zu verstehen, müssen wir beachten, dass dieser Brief an Juden geschrieben ist, die, gläubig geworden, durch die Verfolgungen in Gefahr waren, wieder zum Judentum zurückzukehren. Aber eine Rückkehr zum Judentum schloß die Verwerfung des Sohnes Gottes in sich. (Vgl. die ganze Stelle!) Der dies tat, trug den Charakter des „Widersachers”.

Solche Personen mußten den gläubigen Juden bekannt gewesen sein. Nicht als ob diese je errettet gewesen wären, aber sie hatten in den Zusammenkünften der Gläubigen ihren Verkehr gehabt, hatten die Erkenntnis der Wahrheit empfangen (V. 26), waren durch das Blut des Bundes geheiligt in dem Sinne, dass sie dadurch von der blinden Masse der Juden abgesondert und des Segens teilhaftig wurden, wie auch von dem ungläubigen Manne gesagt ist, dass er geheiligt ist durch das Weib (1. Kor. 7,14), aber nicht gerettet. Trotz alledem und wider besseren Wissens verwarfen sie den Sohn und damit das einzige für Sünde gegebene Schlachtopfer, so dass nur noch ein Erwarten des Gerichtes übrig blieb. Die Frage, ob ein Kind Gottes mit Willen sündigen kann in dem Sinne dieser Stelle, muss verneint werden.
Unbefestigte Kinder Gottes sind zuweilen durch diese Stelle in große Not gebracht worden. Sie sahen ihre Unwachsamkeit und ihre Untreue. Mit dem erneuerten Sinne ihres Herzens haßten sie die Sünde. Da kam die Versuchung. Die Hilfe vom Thron der Gnade wurde vernachlässigt, sie liehen, wenn auch nur für einen Augenblick, ihren Willen dem Feinde, und so unterlagen sie. Mit Entsetzen und Verzweiflung, aber auch mit Reue meinten sie, diese Stelle jetzt auf sich anwenden zu müssen. Aber will eine solche geängstigte Seele etwa die Gnade verwerfen? Nein, danach schreit sie gerade. Will sie etwa den Sohn Gottes mit Füßen treten, das Blut gemein achten? Nein, keineswegs! Ihr gilt also diese Stelle nicht!

Bei dem zweiten Teil der Frage müssen wir beachten, dass sie mit den Versen 14 und 15, der Zuversicht in den Gebeten, in Verbindung steht. Hier handelt es sich um einen Bruder, und Brüder in diesem Briefe sind Gläubige. Jede Ungerechtigkeit ist Sünde, und Sünde muß, will man gereinigt werden, gerichtet werden; aber es gibt Sünde, die nicht zum Tode ist. In der Korinthischen Gemeinde war ein Gläubiger, der als ein Böser hinausgetan werden mußte, aber es war keine Sünde zum Tode. Andere waren da, die um ihrer Sünde willen durch den Tod hinweggenommen wurden (1. Kor. 11,30). Vgl. auch Apostelg. 5,1-10; 3. Mose 10,1-2; Psalm 106,32! Gott hat nicht festgelegt, was Sünde zum Tode ist; wir können es deshalb auch nicht. Aber aus den Wegen Gottes können wir lernen, dass ein und dieselbe Sünde bei den einzelnen Personen verschieden geahndet wurde. Es wird hier kein Verbot gegeben, nicht zu bitten. Ein im Lichte wandelndes Kind Gottes wird, vom Geiste geleitet, empfinden, wie es, selbst bei gleicher Sünde verschiedener Personen, gottgemäß zu bitten hat. Wenn Gott das Leben gibt - und ich glaube, es handelt sich hier um das zeitliche Leben der Arbeit für den HERRN -, so gibt Er es als eine Antwort auf das Gebet des für jenen Bittenden.
v. d. K.

Antwort D

Mit Willen sündigen”, d. i. bei gewaltsamer Ertötung der göttlichen Kreatur in uns (Hebr. 10,29; 6,6), was wieder gleichbedeutend mit „Sünde zum Tode” oder mit dem Abfall von Gott ist - bewußt und vorsätzlich sündigen, die Sünde tun (1. Joh. 3,8) kann ein Kind Gottes nicht, denn, wie 1. Joh. 3,9 geschrieben steht, „jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm, und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist”. Auch Hebr. 6,9 lesen wir, nachdem Vers 4-8 von dem Abfall und seinen Folgen die Rede gewesen: „Wir aber sind in bezug auf euch, Geliebte, von besseren und mit der Seligkeit verbundenen Dingen überzeugt, wenn wir auch also reden.” Wo wir in der Schrift Beispiele von Abgefallenen finden, handelt es sich also nicht um „Kinder Gottes”, um „aus Gott Geborene”, sondern um solche, die vielleicht im Sinne von Hebr. 6,4.5einmal erleuchtet waren und geschmeckt haben die himmlische Gabe, und teilhaftig geworden sind Heiligen Geistes, und geschmeckt haben das gute Wort Gottes usw.”, aber bei all diesen Vorzügen doch niemals Kinder Gottes gewesen sind, indem ihnen hierzu eins, und zwar gerade das Wesentliche fehlte: gemäß 1. Petr. 1,23 die Wiedergeburt aus unverweslichem Samen.
M. Fr.

Anmerkung des Herausgebers

Trotzdem sich in der Beantwortung dieser Frage erhebliche Gegensätze finden, legen wir alle diese Antworten ohne Furcht zur Prüfung vor. Es liegt uns ja fern, wie auch in den „Persönlichen Worten” (auf dem Umschlag) gesagt ist, feste Dogmen aufzustellen. Sowohl des einen wie des anderen Schriftforschers Darbietung soll dem Verständnis der Schrift dienen, je nachdem wie die Erkenntnis eines jeden ist und von welchem Gesichtspunkte aus jeder die Stellen ansieht! Auch diese verschiedenen Antworten werden unseren Lesern dienen können!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 1 (1913)