Antwort A
Wenn eine Person mit einer anderen verglichen wird, ist damit nie gesagt, dass die verglichene Person zugleich auch die zu vergleichende sei. Wer annehmen will, dass Melchisedek und Jesus ein und dieselbe Person sei, der kann es ja für sich tun und auch gewisse Folgerungen daraus ziehen, aber zu einer biblischen Lehre kann dieser Vergleich nicht mißbraucht wenden. Das Himmelreich ist gleich zehn Jungfrauen. Es wird niemand einfallen, die zehn Jungfrauen als das Königreich der Himmel zu bezeichnen (Mt. 25,1ff.); so alle diese Vergleichungen (Mt. 13,24 u. a.).
Wie es im Leben Josephs viele Berührungs- und Vergleichungspunkte mit Jesu gibt, so auch im Leben des Melchisedek. Wenn nur ein Teil aus dem Leben Melchisedeks in der Geschichte erscheint, so ist damit noch nicht gesagt, dass Melchisedek keinen Anfang noch Ende hatte, sondern das biblische Lebensstück von Melchisedek hat mit seinem Anfang und Ende nichts zu tun und bildet gerade so ein schönes Vergleichsstück für Jesum (1. Mo. 14,18-20).
F. Th. H.
Antwort B
Der Herr Jesus ist Hoherpriester geworden (Kap. 6,20), Melchisedek aber bleibt Priester und wird nur dem Sohne Gottes verglichen. Das Wörtchen „aber” zeigt uns den Gegensatz an. Zwischen Gleichem besteht kein Gegensatz. Ebenso ist es nicht möglich, einen Gegenstand mit sich selbst zu vergleichen, wohl aber Gegenstände, die ähnliche Züge aufweisen. Melchisedek war dem Sohne Gottes ähnlich gemacht, nicht umgekehrt, damit er als Schattenbild die Ordnung darstelle, in der nachher der Herr Jesus als der wahre Hohepriester in Sein Amt eingeführt wurde, nämlich nicht auf dem Wege menschlicher Geschlechtsregister, sondern als von Gott von Ewigkeit her dazu ausersehen.
K. G.
Antwort C
Melchisedek ist sicher eine der geheimnisvollsten biblischen Persönlichkeiten. Selbstverständlich wird man sich einer gewissen Zurückhaltung befleißigen müssen, wenn die Bibel es für gut hält, nur kurze Andeutungen zu machen.
Melchisedek ist ein Vorbild auf Christum. Er kann darum mit dem Herrn Jesus nicht ein und dieselbe Person sein, so dass beide eine Person sind. Sehen wir uns aber erst die Stellen an, in denen von ihm die Rede ist. Es sind dies insbesondere 1. Mo. 14,18-20, Ps. 110,4 und Hebr. 7,1-4. Nach 1. Mo. 14,18 war Melchisedek der König von Salem, d. h. Jerusalem (Ps. 76,2). Wir müssen ihn also vor allem als eine geschichtliche Persönlichkeit verstehen. Und zwar war er nach 1. Mo. 14 ein Zeitgenosse und Freund Abrahams. Er war ein Priester Gottes des Höchsten. Es ist eigenartig, inmitten der heidnischen Finsternis, die damals auch schon das Erdreich bedeckte, wie später zu Zeiten des Jesaja nach Jes. 60,2, eine solche Lichtgestalt wahrzunehmen. Melchisedek sagt von dem höchsten Gott, er besitze Himmel und Erde und habe Abrahams Feinde in Abrahams Hand gegeben. Melchisedeks Gott ist ihm also der Schöpfer aller Dinge sowie auch der Lenker alles irdischen Geschehens. Melchisedek bewirtet Abraham mit Brot und Wein, als dieser aus der Schlacht der Könige heimkehrte. Abraham gibt Melchisedek den Zehnten von alIer Beute. Diese historischen Einzelheiten aus Melchisedeks Leben und Geschichte haben typischen, d. h. vorbildlichen Charakter. Nach Ps. 110,4 soll der Messias ein Priester in Ewigkeit sein nach der Weise und Ordnung Melchisedeks. In Hebr. 7,1-4 wird die vorbildliche Bedeutung des Melchisedek etwas weiter durchgeführt. Außer dem uns in 1. Mo. 14 Mitgeteilten wird noch gesagt, dass er gedeutet wird als Doppelkönig der Gerechtigkeit und des Friedens, dass er ohne Vater, ohne Mutter und ohne Geschlechtsregister sei, weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens hat, dem Sohne Gottes verglichen ist und immerdar Priester bleibt. Besonders das in Hebr. 7,3 Gesagte veranlaßte wohl den Fragesteller zu der Annahme, Melchisedek und der Herr Jesus seien eine Person. Bei dieser Annahme wäre es auffallend, dass der Sohn Gottes keinen Vater gehabt, während Jesus doch viel von dem Vater im Himmel redet. Wenn wir Melchisedek als geschichtliche Persönlichkeit auffassen und ihn als Zeitgenossen Abrahams verstehen, dessen Priestertum und Handlungen vorbildliche Bedeutung haben, dann kann der Herr Jesus nicht identisch (gleicher Person) sein mit Melchisedek. Wohl dürfen und sollen wir von Melchisedek aus den Sohn Gottes als Priester betrachten, jedoch dürfen wir bei aller Übereinstimmung der beiden nicht ihre Besonderheiten als eben zweier Persönlichkeiten aufheben. Hebr. 7,3will sagen: die Schrift gibt uns von Melchisedek kein Geschlechtsregister, keinen Stammbaum, sie berichtet nichts über seinen Vater wie über seine Mutter, nichts über den Anfang noch über das Ende seines Lebens. Selbstverständlich hatte Melchisedek als Mensch Vater und Mutter und demgemäß einen Stammbaum, somit auch einen Anfang seines Daseins wie auch ein Ende seines irdischen Lebens. Soweit jedoch Melchisedek in den Rahmen der Schrift tritt, wird uns in ihr von ihm nichts mitgeteilt über Geschlechtsregister und Stammbaum, Vater und Mutter, Anfang der Tage noch Lebensende, Er tritt auf, ohne dass vorher in einer Vorgeschichte auf ihn hingewiesen wird. Der Geist Christi in den Propheten benutzt ihn im 110. Psalm zu einem Vorbilde für den Messias als Priester, ohne dass die Schrift uns über das Ende seines Lebens berichtet.
A. C.
Anmerkung des Schriftleiters
Die eigentliche Frage ist klar beantwortet, doch füge ich noch einige weitere Gedanken bei: Manch namhafter Schriftforscher hat schon in Melchisedek den Herrn Jesus Selbst vermutet, und nach der Schrift kann man auch kaum groß genug von dieser wunderbaren Persönlichkeit denken, weshalb jene Vermutungen nichts den HERRN Erniedrigendes enthalten. - Nun ist es allerdings höchst eigenartig, dass in dem finsteren kanaanitischen Heidentum sich schon vor dem Hinkommen Abrahams eine so erhabene Gestalt wie dieser Priesterkönig befand, der von dem großen Abraham als der noch größere anerkannt wird. Aber beweist diese Tatsache nicht auch, dass Gott souverän ist in der Berufung und Begabung Seiner Werkzeuge?! Ein Volk Gottes gab es damals noch nicht, und ebenso wunderbar wie Abram als Vater des zukünftigen Volkes Gottes auserwählt und berufen wird, der Träger göttlicher Verheißungen zu werden, ebenso wunderbar hatte Gott Sich den Melchisedek mitten aus dem finsteren Heidentum ausersehen und fähig gemacht, Sein Wesen zu offenbaren, indem er Abraham segnet. - Die alte jüdische Überlieferung hat die Person Melchisedeks mit einem Kranz von Sagen und Legenden umgeben, wodurch sie beweist, dass auch der fromme Jude ihn als geschichtliche Person ansah, denn solche Sagen ranken sich im allgemeinen nur um geschichtliche, aber irgendwie geheimnisvolle Menschen und Dinge (vgl. z. B. die deutsche Barbarossa- oder Kyffhäusersage!). - Somit bin auch ich überzeugt, dass wir es in Melchisedek mit einer geschichtlichen Persönlichkeit zu tun haben, deren Abstammung dem inspirierten Schreiber dieser Geschichte, dem Mose, verhüllt bleiben mußte, damit das Priestertum Melchisedeks im Gegensatz zu dem des Aaron dem späteren Judenchristen (und auch uns) das vollendetste Vorbild auf das so kostbare ewige Hohepriestertum Jesu Christi sein könnte. (Ich muss mir aus Raummangel versagen, hier näher darauf einzugehen, vielleicht, w. G., später in einem besonderen Aufsatz.) In Christo haben wir das Vorbild dieses königlichen Priestertums, das aus dem Innern des Heiligtums herauskommt, um zu segnen die, so sich segnen lassen (wie Abraham es tat, unser, der Gläubigen, Stammvater), wie auch das Vorbild des Sünde sühnenden aaronitischen Priestertums, das zuerst in das Heiligtum hineingehen mußte, um dort vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen (vergl. Hebr. 9,24ff.). Indem nun den gläubig gewordenen Hebräern diese alttestatmentliche bekannte Gestalt vor Augen geführt wurde als Vorbild auf das Priestertum Christi, wurde ihnen bewiesen, dass dieses Priestertum das größere sei, weil ewig, unveränderlich und das Geringere in sich schließend, das des Aaron, des Abkommen Abrahams, der Melchisedek als dem Größeren huldigte. Und dieser Beweis ist darum so unwiderleglich, weil - während der aaronitische Priester ein anerkanntes Geschlechtsregister haben musste - dieser Melchisedek ohne Vater und Mutter, ohne menschliche Abstammung erscheint und dennoch als Priester Gottes von dem größten Patriarchen, Abraham, ihrem Vater, anerkannt wird (7,4). Welche Ratschlüsse unseres Gottes, welche Tiefen göttlicher Weisheit, welche Liebe, die uns ein wenig hineinschauen und uns auch teilnehmen lässt an Geheimnissen (1. Petr. 2,9), die allein Gottes würdig sind!