Matthäus 7 zu Gläubigen oder Ungläubigen?

Redet der HErr Matth. 7 zu Seinen Jüngern bzw. den Gläubigen oder zu der Volksmenge?

Antwort

Vor einiger Zeit durften wir bei Gelegenheit einer kleinen Abhandlung über das Gleichnis der zehn Jungfrauen auch etwas über die Drei teilung der sogenannten zweiten Bergpredigt schreiben. (Jahrbuch 12, Frage 21.) Wir fanden damals diese Dreiteilung wie folgt: Mt. 24,1-44: der Sohn des Menschen und Seine Auserwählten; Kap. 24,45 - 25,30: der HERR und Seine Knechte, und Kap. 25,31-46: der König und Seine Brüder. Wir finden hier eine fortschreitende Linie der Enthüllung und des Erfassens Seiner Herrlichkeit. Doch das Herz der „zweiten Bergpredigt” ist das Gleichnis der zehn Jungfrauen, weil uns dort Christus als Bräutigam in Seiner Liebe zu uns und unsere Herzenszuneigung zu Ihm geschildert werden.

Wenn wir uns nun anschicken, etwas über die erste Bergpredigt zu schreiben, so werden wir finden, dass sie durchweg die Betonung auf die Gesinnung Christi legt, die uns als Seine Jünger, als „Söhne Gottes” in dieser Welt kennzeichnen sollte. Sie gibt uns die geistliche, sittliche, göttliche Qualifikation (Befähigung, Ausrüstung), die die Auserwählten, die Knechte und die Brüder des HERRN in der sogenannten zweiten Bergpredigt auszeichnet.

In der ersten Bergpredigt tritt Christus als Lebens lehrer in der Darstellung Seiner eigenen Person auf. Alles, was der HERR hier uns lehrt, ist Er Selbst, d.h., ist die Gesinnung Seines Herzens und die Tat Seines Lebens und die Ausstrahlung Seiner sittlichen Herrlichkeit. In der zweiten Bergpredigt finden wir vielmehr Seine Macht als Sohn des Menschen, Seine Rechte als HERR und Seine Herrschaft als König. Hier begegnen wir mehr der Erhabenheit Seiner Herrlichkeit, die einen Abstand von uns gebietet. Aber in der ersten Bergpredigt sehen wir mehr unsere Anlehnung an Ihn, an Seine Gesinnung und an Seine sittliche Herrlichkeit, um Seine Vortrefflichkeiten in unserem Leben zu offenbaren. Ach, möchte es doch mehr bei uns so sein und Wesenseigentum werden!

Aus diesen kurzen Bemerkungen ist leicht zu entnehmen, dass in der Ausführung und praktischen Umsetzung der Bergpredigt doch nur Jünger, in unserem Sinne Kinder Gottes, in Frage kommen können. Wer könnte ohne den Geist Christi die wunderbaren Lebens gesetze befolgen? Niemand! Und wir können sie nur in dem Maße befolgen, wie wir von dieser Seiner Gesinnung und Seinem Geiste beherrscht werden. Kap. 5,2 steht ausdrücklich, dass Er Seine Jünger lehrte. Wenn Kap. 7,28.29 steht, dass die Volksmenge (vgl. 5,1) über Seine Lehre sehr erstaunte, so hatte dieses seinen Grund in der vollständigen Neu artigkeit, der geistlichen Kraft und der alles überragenden göttlichen Autorität Seiner Lehre. Sie hörten Worte in einer Art verkündigt, wie sie sie nie vorher vernommen hatten. Und selbst für Kinder Gottes sind die Worte des HERRN oft nur Gegenstand des Staunens, anstatt geistlicher Besitz ihres Lebens. Möchte doch der HERR all diese Vortrefflichkeiten Seiner Person bei uns durch Seinen Geist hervorbringen können! Man hat ja diese Bergpredigt mit der Gesetzgebung auf dem Berg Sinai verglichen. Nur mit dem großen Unterschied, dass jenes Gesetz zum Tode war für den Menschen im Fleische, dieses aber das Gesetz des Lebens ist für den Menschen im Geiste. So finden wir auch hier gleichsam zehn Worte, zehn Lebensregeln und zehn bestimmte Herrlichkeitsstrahlen des neuen Menschen. Vielleicht gibt uns der HERR Gnade, sie in Kürze anzugeben und zu bezeichnen.

I. Kap. 5,3-16 zeigt uns das Grund gesetz der Offenbarung alles göttlichen Lebens in dieser antigöttichen Welt in den neun Seligpreisungen (die ersten, die im Neuen Testament genannt werden) und der einen Aufforderung: „Freuet euch!” (9 + 1 = 10.) Diese zehn Lebensgesetze stehen in auffallendem Gegensatz zu den zehn Worten des Gesetzes. Es ist Christus in Seiner Herzensstellung des Sohnes Gottes (V. 9), die ausstrahlt in den Söhnen Gottes. Dieses Kapitel fängt mit dem Charakter der Söhne Gottes an und endet V. 45 mit dem der Söhne des Vaters.

Il. Kap. 5,13-16. Hier wird uns nicht gesagt, was wir sein sollten, sondern was wir sind: „Ihr seid das Salz der Erde”, „ihr seid das Licht der Welt”. Salz ist zur Verhinderung der Fäulnis und Licht zur Beseitigung der Finsternis der Unkenntnis Gottes. Nur die sind Licht, welche Salz sind.
III. Kap. 5,17-48. Gebrauch und Anwendung des Wortes Gottes sowie der Schlüssel des Alten Testamentes.
Christus ist der Erfüller des Gesetzes und der Propheten.

Dann kommt das sechs malige „Ich aber sage euch” (V. 22.28.32.34.39.44). Weil Er der Erfüller des Gesetzes und der Propheten ist, hat Er ein Recht, an Stelle des Geistes der Vergeltung den Geist der Gnade zu setzen, wie Seine Erscheinung die Fülle göttlicher Gnade den Menschen nahe brachte. Wir können darum in dem Geiste der Gnade miteinander leben, verkehren und handeln. Und wer gegen diesen Geist der Gnade verstößt, ist größerer Strafe wert als die Gesetzesübertreter im Alten Testament. (Vgl. Hebr. 10,28.29)

IV. Kap. 6,1-18. Hier werden unsere (der Söhne des Reiches) Beziehungen zu unseren Mitmenschen, zu Gott und unserem eigenen Leben klargestellt und bezeichnet. Das drei malige „Du aber” V. 3.6.17 zeigt uns dies und bezieht sich

1. auf unsere Mildtätigkeit und Nächstenliebe;
2. auf unsere Gebete: unseren verborgenen Umgang mit Gott;
3. auf unser Fasten: Selbstverleugnung und willige Aufgabe uns zustehender Rechte.

V. Kap. 6,19-34 wird uns vom HERRN der Wert bezw. das Hindernis irdischen Besitzes vorgestellt. Dies zeigt uns auch klar, dass in der Verwaltung der Gnade nicht irdischer Besitz als ein Zeichen der Gunst Gottes gedeutet werden kann, was wohl zum Teil der Fall war unter der Verwaltung des Gesetzes. Hier wird der reichste Mann der Welt, Salomo, ermahnt, der nach vorsichtiger Berechnung einen Reichtum von mindestens 30 Milliarden Mark in Edelmetallen<... außer den kostbaren Steinen, die einen sehr großen Wert darstellten; dazu kommen noch die gewöhnlichen Metalle wie Kupfer und Eisen, die in Unmengen vorhanden waren! (Anmerkung des Verfassers.)> besaß - nicht relative, sondern absolute Werte -, ohne die Edelhölzer, Kunstwerke und Prachtbauten, und, was noch viel höher bewertet werden kann, seine besondere ihm von Gott gegebene Weisheit und große Lebenskunst. Die größten Geldfürsten der heutigen Zeit nehmen sich wie Bettelknaben aus im Vergleich mit ihm! Und doch ist die weiße Lilie von Gott, unserem Vater, herrlicher bekleidet als er. Diese weißen Lilien sind die Kinder Gottes: du und ich, für die unser großer Gott so reichlich sorgt und unter Dessen Obhut wir stehen. Wie wunderbar ist dieser Abschnitt des Trostes für uns! Vgl. Hohel. 2,1.2.16; 5,13; 6,2.3; 7,2 (die siebenfache Lilienherrlichkeit). Die Lehre, die uns hier geschenkt ist, können wir also formulieren: Christus ist unser Schatz, und Gott ist unser Versorger, so dass wir viel mehr haben und sind als Salomo. Gepriesen sei Sein Name! VI. Kap. 7,1-5. Die Selbsterkenntnis durch die Erkenntnis Gottes und Seiner Gnade in Seinem Sohne legt uns große Zurückhaltung auf in der Beurteilung und Verurteilung anderer. Wir werden so bewahrt vor einem heuchlerischen Geiste, von dem die Welt erfüllt ist.
VII. Kap. 7,6. Die uns beherrschende Weisheit den Hunden und Schweinen - schmutzigen und verseuchten Religionisten, abgefallenen Bekennern - gegenüber. (Vgl. 2. Petr. 2,22; Off. 22,15) Wie ernst ist dieses Wort! Haben wir dies auch befolgt und das köstliche Gut, die Perlen, vor der Wut und Verderbungssucht bewahrt?
VIII. Kap. 7,7-12. Die Ermunterung zur Beharrlichkeit im Bitten, Suchen und Anklopfen mit dem zu erwartenden Segen sowie die Liebe zu anderen wie zu uns selbst.
IX. Kap. 7,13.14. Die zwei Pforten mit den zwei Wegen und den zwei ewigen Ergebnissen.

X. Kap. 7,15-27. Die zweierlei Menschen, die zweierlei Frucht, die zweierlei Wundertäter und der zweierlei Baugrund. Mit diesen ernsten Worten endet die gewaltigste Gesetzgebung des Königs der Könige und des HERRN der Herren. So finden wir die zehn Worte der neutestamentlichen Gesetzgebung hier niedergelegt, eine Linie verfolgend, ähnlich wie beim Gesetz auf Sinai, von innen nach außen, von den Lebensgesetzen bis zu den Grundsätzen des Heils und der Sicherheit.
Wir könnten die Zehnteilung der Bergpredigt durch Gliederung von Unterabschnitten behandeln; diese wieder durch Feingliederung und diese wieder durch Wortgliederung. Welche Schätze würden wir durch Gottes Gnade heben können. Man hat aber auch eine Dreiteilung vorgenommen mit der Überschrift von Tit. 2,12: Die Unterweisung der Gnade Gottes, ein besonnenes, gerechtes und gottseliges Leben zu führen:

Das gerechte Leben wird uns in Kap. 5 geschildert. Hier werden uns die Rechte Gott, dem Höchsten, und uns selbst gegenüber gezeigt. Alle Rechte werden wir gelten lassen, wenn wir den Geist von Mt. 5 anerkennen. Das gottselige Leben wird uns in Kap. 6 vorgestellt, das sich in dem Geist der Ehrfurcht, des Vertrauens und der Anerkennung Gottes auswirkt. Es ist der praktische Zustand der Seele Gott gegenüber.

Das besonnene Leben offenbart sich darin, dass ich erkenne, wie Gott über mich denkt (Kap. 7). Der göttliche Maßstab zeigt mir, was ich in Wirklichkeit bin und wie ich meinen Bruder zu schätzen habe. So empfangen wir göttliches Unterscheidungsvermögen über die Menschen, ihre Frucht, ihr Leben, ihre Taten und ihre Grundlagen. Dies bewahrt uns vor falschen Verbindungen, Wegen und Zielen und schützt uns vor Enttäuschungen.

So finden wir, dass in dieser einzigartigen Predigt unser Geistes- (mehr in Kap. 5), unser Seelen- (mehr in Kap. 6)und unser Leibes leben (mehr in Kap. 7) so vorgestellt wird, dass diese köstlichen Lebensgesetze des gesamten Menschen Gottes sich in uns allen auswirken zur Verherrlichung unseres Gottes und Vaters.
Merkwürdig ist, dass wir in Kap. 5 sieben Zitate aus dem Alten Testament finden, hingegen in Kap. 6 und 7 kein Zitat, obwohl Personen wie Salomo und die Propheten angeführt werden.

V. 5 aus Ps. 37,11;
V. 21 aus 2. Mo. 20,13;
V. 27 aus 2. Mo. 20,14;
V. 31 aus 5. Mo. 24,1;
V. 33 aus 3. Mo. 19,12; 5. Mo. 23,23 (ein Doppelzitat);
V. 38 aus 2. Mo. 21,24;
V. 43 aus 3. Mo. 19,18; 5. Mo. 23,6 (ein Doppelzitat).

Wir müssen es uns versagen, zu untersuchen, warum der HERR diese Dinge berührt und nicht andere. Wir nehmen an, dass darin ganz wichtige, die Eigenart unserer menschlichen Natur berührende sündige Neigungen berücksichtigt werden. Weiter, warum wir in Kap. 5 „Söhne Gottes” und „Söhne des Vaters” genannt werden: Zeigt uns dies nicht, dass der HERR mit dem Höchsten beginnt?

Warum diese göttlichen Reichsgesetze auf einem Berge und nicht an irgend einem Orte ausgesprochen wurden: Erinnert uns dies nicht an den Berg Sinai, wo derselbe HERR Gesetzgeber war, wie Er hier die Lebensgesetze Seines Reiches gibt? Und zeigt uns dies nicht, dass wir der uns umgebenden Welt durch den HERRN geistlich entnommen, mit Ihm auf Seinem Berg sein müssen, um diese Seine Lebensgesetze befolgen und ausleben zu können? Dann könnten wir weiter Vergleiche anstellen zwischen der ersten und letzten Bergpredigt, wo uns mehr prophetische Offenbarungen, hier mehr geistliche Lebensmitteilungen gemacht werden. Doch möge der Leser diese Vergleiche und Forschungen für sich selbst anstellen!

Aber wir möchten nicht schließen, ehe wir die glaubeneinflößenden, mit göttlicher Vollmacht und Autorität gesprochenen Worte in der ersten Bergpredigt Kap. 5,18: „Bis dass der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist”, noch kurz betrachtet haben. Dies hat Er gesagt, welcher der Gesetzgeber und Gesetzerfüller ist. So sagt Er in der letzten Bergpredigt Kap. 24,35: „Der Himmel und die Erde werden vergehen, Meine Worte aber sollen nicht vergehen.” Ehe Himmel und Erde aufgelöst werden, wird sich alles erfüllen; Er bleibt uns im Blick auf Seine Aussprüche nichts schuldig, aber zugleich sagt Er uns, dass Seine Worte Himmel und Erde überdauern. Welch ein Fundament ist Sein Wort! Ja, wir können mit Petrus bekennen: „HErr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt, dass Du der Heilige Gottes bist.” (Ev. Joh. 6,68.69)
K. O. St.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 14 (1929)