Markus: Menschwerdung des Sohnes Gottes

Warum finden wir im Markus-Evangelium gar keine Andeutung über die wunderbare Menschwerdung des Sohnes Gottes?

Antwort A

Dass Matthäus sein Evangelium mit den Worten beginnt: „Dies ist das Buch von der Geburt Jesu Christi, Buch des Geschlechts Jesu Christi, der da ist ein Sohn Davids, des Sohnes Abrahams”, entspricht vollkommen der Tendenz dieses Evangeliums. Ist es doch für Judenchristen, für Gläubige aus Israel in erster Linie geschrieben, ihnen zu zeigen, dass Jesus der König des Reiches Gottes ist, des Königsreiches der Himmel, der Messias. Dieser tritt in den alttestamentlichen Prophetenreden als der Sohn Davids, als der Same Abrahams auf. Darum bei Matthäus der Nachweis, dass der Herr Jesus aus dem Samen Davids gekommen ist dem Fleische nach (Röm. 1,3, Mt. 22,41.42), dass Er der Same Abrahams ist (Gal. 3,16; 1. Mose 22,18). Ebenso ist es verständlich, dass Johannes zu Beginn seines Evangeliums bis in den Anfang zurückgeht, in dem das ewige Wort als Gott bei Gott war. Zeigt er uns doch in wunderbarer Weise in Jesus den ewigen Sohn Gottes, das Wort, das Fleisch wurde (Joh. 1,14). Auch die bestimmte Färbung des Lukas-Evangeliums wird erkennbar, wenn wir beachten, wie es Jesus zeichnet als den Sohn des Menschen, als den letzten Adam (oder den zweiten Menschen [vergl. 1. Kor. 15,45.47]). Aus diesem Grunde gibt Lukas uns das Geschlechtsregister des Menschen Jesus bis auf Adam hin, den Ersten unseres Geschlechtes. Wenn nun Markus kein Geschlechtsregister bringt, uns auch nicht bis in die fernsten Zeiten der Vergangenheit hinuntersteigen läßt, so muss das seinen Grund haben. Dieser Grund ist darin zu suchen, dass Markus uns den Herrn Jesus als den Knecht Jehovas schildert, der kam, uns zu dienen und Sein Leben zu geben zu einem Lösegeld zur Bezahlung für viele (Mk. 10,45). Bei einem Knecht fragt man nicht nach Herkunft und Geschlecht. Aus diesem Grunde ist also bei Markus kein Geschlechtsregister nötig, das etwa den Nachweis erbringen müßte, dass Jesus als Knecht Gottes aus königlichem Samen ist, dass Er im Anfang, vor aller Welt als Gott bei Gott war. Also weil Markus den Sohn Gottes als den Knecht Jehovas zeichnet, darum keinerlei Andeutung in seinem Evangelium über die wunderbare Menschwerdung des Sohnes Gottes.
A. C.

Anmerkung des Schriftleiters von Teil I

Mit der oben ausgesprochenen Auslegung stimmen heute wohl die meisten ernsten Schriftforscher überein, und wir alle, die wir die Schrift auszulegen haben, sollten auf diese Tatsachen noch viel mehr hinweisen, als es gemeinhin geschieht, dann würden sich nicht so viele Gläubige mit den scheinbaren Widersprüchen in den Evangelien abquälen. Ich verweise hier noch auf die Fragen 6 und vor allem 11 im Jahrbuch VI (1918/19) und S. 55 des Jahrb.

Aber den einen oder anderen, besonders von Natur kritisch veranlagten Lesern kommt hier vielleicht die Frage: „Ja, wo ist denn der Beweis dafür, dass das Markus-Evangelium den Herrn Jesus als den vollkommenen Knecht Gottes schildert? Es steht doch nicht da (ebensowenig wie in den anderen Evangelien), und Worte, wie dass Er der Diener ist, kommen doch auch in den anderen Evangelien vor (z. B. Lk. 22,27). Wo ist der Beweis für diese Annahme?

Wo ist der Beweis dafür, dass die Sonne scheint? „O, der ist leicht”, sagst du - ja, aber wenn Wolken da sind? Auch dann könnte man dem Blinden, dem vielleicht gerade die Sehkraft geschenkt ist, leicht begreiflich machen, dass die Sonne scheint: „Warte nur, gleich kommt sie durch!” - und so, mein Bruder, ist's auch hier. Sieh, von Natur sind wir alle blind, aber „Jehova öffnet die Augen der Blinden” (Ps. 146,8) und je mehr der vorher Blinde hineinschaut in das reine Quellwasser des Wortes, sich darin die Augen badet, desto mehr werden ihm die Geheimnisse des Wortes offenbar. Jedes Buch der Schrift spricht von Christo (Joh. 5,39) - suche nur! Der Heilige Geist, der uns Christum verherrlicht (Joh. 16,14), wird dir, wenn dir nur darum zu tun ist, Ihn immer besser zu erkennen (nicht nur die Schrift um deinetwillen zu lesen, sondern zuerst um Seinetwillen), der Heilige Geist wird dir Ihn schon zeigen als König, als Menschen (mit menschlichem Mitgefühl, nur im Lukas-Evangelium ist z. B. die Geschichte vom Jüngling zu Nain!), als Knecht, als Sohn (vgl. Joh. 4,10wer es ist”).

Kostbare kleine Züge im Markus-Evangelium, die uns den Knecht zeigen! Zähle das Wort „alsbald” - und du siehst den treuen Knecht! Beachte das gegenüber den anderen Evangelien Fehlende und das dagegen Angeführte - und du erkennst Züge des vollkommenen Knechtes, der sogar als Knecht nicht wußte, wann „der Tag des HERRN” kommen werde (Mk. 13,32), obwohl Er es natürlich wußte in Seinen übrigen Charakteren. Wir können uns das kaum ganz vorstellen, aber bei Ihm war alles in Vollkommenheit. Betrachte eine Stadt von vier verschiedenen Seiten, und du hast ein schwaches Bild von dem, was die vier Evangelien darstellen. Betrachte z. B. ein bestimmtes Haus jener Stadt von vier Seiten, und vielleicht kannst du dir kaum vorstellen, dass es jedesmal das gleiche ist. Bei Ihm ist alles wunderbar vollkommen. Gepriesen sei Er! lasst uns nach Ihm forschen in Seinem heiligen Tempel (Ps. 27,4), d. i. in Gemeinschaft mit Ihm durch Seinen Geist; ja, lasst uns „anschaue Seine Lieblichkeit”!

Nur der Vollständigkeit halber führe ich noch an, dass einige Forscher einen gewissen Beweis in den „vier lebendigen Wesen” von Off. 4,7 sehen, die ihnen symbolisch (sinnbildlich) das Wesen Gottes in viererlei Weise anzudeuten scheinen, und vielleicht hat auch diese Annahme, die nur die obige stützt, manches für sich (Löwe aus Juda: Messiaskönig; Kalb [Rind]: Symbol der Kraft, des Dienstes; Mensch: der letzte Adam; Adler: erhaben über alles hienieden). „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte!” (Ps. 119.)


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 7 (1920)