Lukas 7,36-50 ist gleich Johannes 12,1-8?

Handelt es sich in Luk. 7,36-50 um die gleiche Begebenheit, wie in Joh. 12,1-8 (vgl. Mark. 14,3-9 u. Matth. 26,6-13) berichtet wird?

Antwort A

Aller Wahrscheinlichkeit nach, ja! sowohl in Mk. 14 als auch in Lk. 7 fand das Mahl im Hause des Simon statt (Mk. 14,3; Lk. 7,40), während in Joh. 12,7 und Mk. 14,8der Zweck dieser Handlung von unserem HERRN Selbst bekannt gegeben wird und ein und derselbe ist. In den verschiedenen Evangelien wird diese Tat eben von verschiedenen Seiten behandelt, in verschiedenem Lichte gezeigt und gegenseitig ergänzt.
J. K.

Antwort B

Lk. 7 ist weder die Maria Magdalena, von der uns Mk. 15,40 und Mk. 16,9 sowie Joh. 20,1 erzählt wird, die ihren Namen aus ihrem Heimatsort Magdala am See Genezareth hatte, noch Maria von Bethanien, die Schwester des Lazarus, deren Salbung uns Joh. 12,1-8 und Mt. 26,6-13, auch Mk. 14,3-9, berichtet, gemeint. Sondern Lk. 7 erzählt von der großen Sünderin, deren Namen nie genannt wird. Die Verwechselung der beiden ganz verschiedenen und zu ganz verschiedenen Zeiten erfolgten Salbungen erklärt sich daraus, dass beide im Hause eines Simon geschehen sind. Die der großen Sünderin (Lk. 7) im Hause des Pharisäers Simon, die der Maria von Bethanien dagegen (Joh. 12) im Hause des Simon des Aussätzigen. Das erfahren wir aus Mt. 26,6 und Mk. 14,3.
S. E. H.

Antwort C

Lk. 7,36-50 und Joh. 12,1-8 (Mk. 14,3-9; Mt. 26,6-13) können nicht die gleiche Begebenheit berichten aus folgenden Gründen:
1. Zeit: Nehmen wir an, dass der Todestag Jesu (nach einer wissenschaftlichen Berechnung) am 14. Nisan, d. i. am Freitag, den 6. April im Jahre 30 nach Christi Geburt stattfand, so fand die Salbung Jesu durch Maria in Bethanien am 31. März 30 statt, dagegen die Salbung durch die Sünderin (ohne Namen!) fand ungefähr ein Jahr früher im April 29 nach Christi statt. Ob die Sünderin Maria Magdalena war, die Lk. 8,2 zu den Weibern gehörte, welche Jesu nachfolgten und Ihm vor ihrer Habe Handreichung boten, das kann bestritten, aber kann vielleicht auch angenommen werden, da diese Maria eigentlich Maria von Magdala (daher „Magdalena”) genannt wird, also einem Ort in Galiläa, wo der Herr Jesus dem Zusammenhang nach bei Lukas in dieser Zeit wirkte.

2. Damit sind wir auch an den Ort gekommen, der in Lk. 7 in Galiläa, in Joh. 12,1ff. (u. parall.) in Bethanien bei Jerusalem, also in Judäa zu suchen ist. Dass der Pharisäer in Galiläa gerade Simon hieß und die Salbung in Bethanien im Hause Simons stattfand, ist kein Grund zur Annahme, dass dies die gleiche Begebenheit wäre. Der Name Simon ist ein in Israel häufiger Name, der Apostel Petrus hieß auch Simon. Hier sind aber die Namen noch unterschieden, indem der Simon zu Bethanien als aussätzig gewesen und jedenfalls von Jesu geheilt worden bezeichnet wird. Dieser war ein Freund des Herrn Jesus, jener aber in Lk. 7 ein Feind, wenigstens ein Kritiker oder gar ein Fallensteller für den HERRN, denn er scheint Ihn zu dem Zweck eingeladen zu haben, Ihn in eine Falle zu locken.

3. Die Umstände der Salbung sprechen auch dafür, dass hier zwei verschiedene Begebenheiten vorliegen. Die Sünderin salbte nur Jesu Füße und trocknete ihre Tränen mit ihren Haaren zuvor ab; Maria in Bethanien, die Schwester des Lazarus und der Martha (vgl. Lk. 10,38-42; Joh. 11,5), salbte das Haupt (Mt. 26,7; Mk. 14,3) und die Füße Jesu (Joh. 12,3).

Dass beide die Füße Jesu mit ihrem Haar abtrockneten, scheint ein Notbehelf in Ermangelung eines Tuches zu sein, oder aber es ist eine höchste Ehrenbezeugung, aber auch eine orientalische Sitte.

Der Hauptbeweggrund beider Salbungen ist die reine unverfälschte Liebe zu dem Herrn Jesus, welche von dem Herrn Jesus anerkannt und gewürdigt wurde, bei der Sünderin durch die Versicherung der Sündenvergebung, bei Maria in Bethanien durch die Anerkennung ihres prophetischen Sinnes (vgl. Off. Joh. 19,10), und des bleibenden Denkmals ihrer Tat (Mt. 26,12.13; Mk. 14,8.9).
F. Th. H.

Antwort D

Es handelt sich nicht um die gleiche Begebenheit. Wie aus Lk. 7,37 hervorgeht, war es eine Stadt (wahrscheinlich Kapernaum), in welcher die Sünderin zu Jesu kam in das Haus des Pharisäers Simon, während in Joh. 12,1-8 (vgl. Mk. 14,3-9) Bethanien, ein Dorf in der Höhe Jerusalems, als Schauplatz ausdrücklich genannt wird (Joh. 12,1; Mk. 14,3), in welchem Lazarus, der Gestorbene, war, welchen Jesus aus den Toten auferweckt hatte.

In Lk. 7,38 wird uns ein Weib, weinend, zu den Füßen Jesu stehend, gezeigt, welches sich nach Vergebung ihrer Sünde sehnt, in Joh. 12,3 kommt Maria, die Schwester des Lazarus, um dem HERRN aus Dankbarkeit eine Huldigung, ein Dankopfer darzubringen. Es handelt sich in Lk. 7,36-50 gewissermaßen um ein Sündopfer, in Joh. 12,1-8 und Mk. 14,3-9 um ein Dankopfer. Die Sünderin in Lk. 7,36-50 suchte Jesum, Maria hatte ihn gefunden.
P.

Anmerkung des Schriftleiters

Sicher wird jeder Leser sich freuen über die klaren Antworten B bis D, während die kurze Antwort A nur veröffentlicht ist als Beweis dafür, dass es tatsächlich Gläubige (und zwar häufiger als man denkt) gibt, die jene beiden grundverschiedenen Begebenheiten verwechseln. Das ist eigentlich schmerzlich, denn wenn solche, die den Heiligen Geist haben, Geschichten mit derartigen Verschiedenheiten einander gleichstellen, wie und womit können sie dann überhaupt noch die Glaubwürdigkeit der Schrift beweisen, sobald sie einmal mit wirklichen Kritikern zu tun haben?

Und von Bibelkritikern, freisinnigen Theologen und Genossen hauptsächlich stammt auch die schon seit langem behauptete Identität (Gleichsetzung) beider Ereignisse, also der Geschichte Lk. 7,36-50 einerseits und der in Mt. 26,6-13; Mk. 14,3-9 und Joh. 12,1-8 berichteten Begebenheit anderseits. Von Bibelkritikern, die dem Herrn Jesus, dem Sohne Gottes und dem vollkommenen Menschen, das Recht streitig machen, sich bei verschiedenen Anlässen gleicher oder ähnlicher Ausdrücke zu bedienen. Tun wir Menschen das nie? Können wir nicht etwa bei einem Krankenbesuch ähnliche Worte gebrauchen wie vielleicht kurz vorher bei einem Beileidsbesuch in einem Trauerhause?! Werden die Geschichten des Herrn Jesus geringwertiger, wenn Er, der Mund der Wahrheit, ähnliche oder gleiche Worte gebraucht oder wenn die Schrift gleiche Ausdrücke anwendet bei zwei verschiedenen Gelegenheiten? Ich meine, sie werden wertvoller dadurch, sie regen umsomehr zum Vergleichen an. Ich möchte hier hinweisen auf die zwei verschiedenen und so ähnlichen Speisungswunder (der 5000 und der 4000); wie gerne wirft eine bibelkritische ungläubige Theologie diese Ereignisse zusammen! Ja, ihr ist die Ausführlichkeit der Evangelien ein Dorn im Auge, je kürzer, desto besser; mit sehenden Augen sehen sie und verstehen nichts! -

Noch ein paar Worte zum Vergleich jener beiden Geschichten. Ist es ganz belanglos, dass „der Pharisäer Simon” und „Simon, der Aussätzige” genannt werden? Ein Pharisäer mochte, tatsächlich oder geistlich verstanden, aussätzig sein, aber ein Aussätziger, der vom HERRN geheilt war, wurde niemals ein Pharisäer!! Im Neuen Testament werden neun Personen mit Namen Simon genannt. Dieser Name - neben Judas - war wohl der häufigste zur Zeit des HERRN. Der Zeitgenosse Jesu, der jüdische Schriftsteller Josephus, führt in seinen Schriften etwa 20 Simon an! Also der gleiche Name bietet keinen Beweis, da der Name beide Male durch Zusatz so klar unterschieden ist. Und wieviel sonstige Verschiedenheiten sind vorhanden! In Lk. 7 liegt das Hauptgewicht im Benetzen der Füße mit Tränen, im Weinen und Küssen; in Bethanien ist davon gar nicht die Rede. Spräche es für die Glaubwürdigkeit der biblischen Begebenheiten, wenn Jesu Füße das eine Mal mit Tränen benetzt und das andere Mal mit Salbe gesalbt werden und beides die gleiche Sache „von verschiedenen Seiten behandelt” (Antwort A) darstellte? Welches wären denn da die verschiedenen Seiten? O, dass wir gründlicher die Schrift läsen! Ich will nicht noch einmal die in obigen Antworten genannten Punkte berühren, sondern nur noch nicht genannte betonen. Eine sehr bedeutsame Verschiedenheit, die auch durchaus nicht mit verschiedenen Seiten derselben Sache erklärt werden kann, liegt in der beiderseitigen Wirkung der Tat auf die übrigen, die Zuschauer: In Lk. 7 gibt nur die Anrüchigkeit der Frau Anlass („eine Sünderin!” Paßt das etwa auf Maria nach der Schrift?) zum tadelnden Einspruch, und zwar wessen? des Gastgebers Simon! Dagegen in Joh. 12 (und Mk. 14), in Bethanien (der Ort ist genannt, in Lk. 7 aber ist keiner genannt!), aber ist es der ungeheure Wert der Salbe, die „verschwendet” sei, der Anstoß gibt zur Rüge, aber wessen? etwa des Gastgebers? nein, sondern eines Jüngers (vor allem, der vielleicht die anderen mit sich riß, Mt. 26,8), nämlich des Judas Iskarioths. Ist das alles dasselbe?! Doch wohl nicht! Die ziemlich geringen Verschiedenheiten in den drei Berichten über die Salbung in Bethanien lassen sich recht gut als von „verschiedenen Seiten aus gesehen” erklären, aber die Gegensätze zwischen der Salbung im Hause Simons des Aussaugen und der Benetzung im Hause Simons des Pharisäers nimmermehr, sondern sie zeigen zwei in ihrer Bedeutung, ihren Personen, ihren Folgen, ihrem Ort, ihren Einzelheiten der Tat, ihrer Zeit usw. völlig verschiedene Begebenheiten aus dem Leben unseres geliebten HERRN, der aber, mögen die Verschiedenheiten noch so gewaltig sein, doch überall der Mittelpunkt sowie der Beweggrund zur Liebe derer ist, die Er zuerst geliebt hat. Möchten wir uns freuen der kostbaren Gelegenheiten, Ihn hier wie da in allen möglichen Lagen und Verhältnissen als „denselben” zu betrachten! Welch' Gewinn gibt das für uns! Ihm sei Preis und Ehre und Lob!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 8 (1921/22)