Leib der Sünde - Leib des Todes

Welches ist der Unterschied zwischen „Leib der Sünde“ (Röm. 6,6) und „Leib des Todes“ (Röm. 7,24)? ln Röm 12,1; 1. Thess. 5,23; 1. Kor. 9,27; 15,44 u. a. ist vom „Leib“ die Rede, während an anderen Stellen offenbar der Leib „Fleisch“ genannt wird, z. B. 2. Kor. 5,16; Gal. 2,20; 2. Kor. 10,3. Welcher Unterschied besteht also zwischen „Leib“ und „Fleisch“? (ln Röm. 12,1 könnte man doch z. B. nicht „Fleisch“ sagen!) Und schließlich - was bedeutet „Leib des Fleisches ...“ in Kol. 2,11? (Also: „Leib der Sünde“, „Leib des Todes“, „Leib des Fleisches“ wird unterschieden; in welchem Verhältnis stehen diese Ausdrücke zu einander?)

Antwort A

Um eine Antwort auf diese Frage, vielmehr diese Fragen, geben zu können, ist es zunächst nötig, den Sinn und die Bedeutung der Ausdrücke „Leib” (griech. sõma) und „Fleisch” (sarx) zu verstehen.

I. 1. Sõma bedeutet Leib = Körper, ob es sich um den toten Leib (z. B. Mt. 27,59; Apg. 9,46 u. oft) oder um den lebendigen Leib von Tieren (Jak. 3,3) oder Menschen (z. B. Mt. 6,22; 26,12; Röm. 1,24) handelt. In diesem Sinne steht sõma öfter im Gegensatz zum Geist (pneuma), z. B. Röm. 8,10.13, oder zur Seele (psyché), z. B. Mt. 6,25; 16,28, oder zu beiden, z. B. 1. Thess. 5,23. „Im Leibe” kann also den Sinn haben: „während des irdischen Daseins”, vgl. 2. Kor. 5,8. Der Leib ist das Organ des menschlichen Handelns während seiner irdischen Lebenszeit. Er kann und soll ein Organ zur Ehre Gottes werden, 1. Kor. 6,20; Röm. 12,1.

2. Leib, sõma, hat an vielen Stellen den Sinn von Korporation oder Körperschaft. So ist die Gemeinde (ekklesia), das (sõma ist im Griech. sächl. Geschl.! F. K.) sõma („der Leib”) des Christus, von Seinem Geist belebt. Röm. 12,5; Eph. 1,23; 2,16; 4,4.16; 5,23.30; Kol. 1,18.24; 2,19; 3,15 u. a.

3. Off. 18,13 - nur hier im Neuen Testament - bedeutet das Wort in der Mehrzahl (sómata) Leibeigene = Sklaven.

4. 1. Kor. 15,35 spricht Paulus von den Leibern der Pflanzen und V. 40 von denen der Gestirne.
Wir halten zunächst die beiden zuerst genannten Bedeutungen fest. Denn um die unter 3. und 4. erwähnten kann es sich in Röm. 6,6 und 7,24 sowie in Kol. 2,11 nicht handeln.

II. 1. sarx bedeutet Fleisch. Es ist der die Knochen umhüllende Stoff eines tierischen oder menschlichen Körpers. Vgl. 1. Kor. 15,39; Off. 19,18.21; die Beschneidung geschieht am Fleische.

2. sarx bedeutet an vielen Stellen Leib, Körper, und steht wohl im Gegensatz zum Geiste, z. B. 1. Kor. 5,5; 2. Kor. 7,1; Kol. 2,5; 1. Petr. 4,6; vgl. 1. Tim. 3,16.
Gal. 4,13 ist asthéneia tes sarkós = Krankheit des Leibes (Körpers) = leibliche Krankheit (vgl. V. 14). Hebr. 9,13 ist die Rede von der Reinheit des Körpers oder Leibes; hier ist auch sarx = Leib. In diesem Sinne hatte auch der Herr Jesus hienieden einen Leib, der als sarx bezeichnet werden kann, vgl. Eph. 2,15; Hebr. 10,20; 1. Petr. 3,18; 1. Joh. 4,2 u. a.

3. sarx im Sinne von Mensch: alles Fleisch = jedermann, Lk. 3,6; Joh. 17,2; Apg. 2,17; 1. Petr. 1,24; Röm. 3,20: kein Fleisch = niemand. Fleisch und Blut = Mensch, im Gegensatz zu Gott, z. B. Gal. 1,16; Eph. 6,12; 1. Kor. 15,50.

4. sarx = menschliche Natur, Abstammung, Herkunft, Röm. 9,3.8; 1. Kor. 10,18; Gal. 4,23.29; Hebr. 12,9; Röm. 1,3; Hebr. 2,14.

5. sarx = leiblicher, irdischer Zustand, z. B. 1. Kor. 7,28; 2. Kor. 4,11; Kol. 1,24; Phil. 1,22.24; 1. Petr. 4,2.

6. sarx = die sichtbare, äußere, menschliche Seite oder Beschaffenheit, natürlicher Zustand, z. B. 1. Kor. 1,26 nach menschlicher Weise, nach menschlichem Urteil; 2. Kor. 5,16: Christus nach dem Fleische = nach Seiner äußeren, menschlichen Beschaffenheit gekannt haben. Die Herren, die es äußerlich betrachtet sind: Eph. 6,5; Kol. 3,22.

7. Bei Paulus ist „Fleisch” (sarx) an vielen Stellen das willenlose Werkzeug der Sünde, die sündhaft beschaffene Natur des Menschen, die natürliche Art des gefallenen Menschen. Im Fleisch (in diesem Sinne), d. i. in der adamitischen Natur des Menschen, wohnt nichts Gutes. Röm. 7,18; Röm. 6,19; 8,3ff.; Gal. 5,13.24; Kol. 2,23. Gegensatz ist der Heilige Geist. Vgl. Röm. 8,3; Gal. 5,16.19; 1. Joh. 2,16. „Im Fleische sein” ist also: „im sündigen Zustand des natürlichen Menschen sein”. Röm. 7,5.6; 8,8f.; „nach dem Fleische wandeln”, Röm. 8,4; 2. Kor. 10,2 = „den Trieben der alten Natur folgen”.

Nach diesen Feststellungen suchen wir nun die Frage nach dem Sinne von Röm. 6,6 und Röm. 7,24 zu beantworten und auch Licht über Kol. 2,11 zu erlangen.
Röm. 6,6 lautet nach der Elberfelder Übersetzung: „indem wir dieses wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen.” Demnach ist der Zweck des Kreuzestodes Christi und unseres Mitgekreuzigtseins: „dass der Leib der Sünde abgetan sei”.
Leib (sõma) kann hier nur im Sinne der oben zuerst genannten Punkte (1 oder 2) erklärt werden. Fast alle gläubigen Schrifterklärer entscheiden sich für den unter 1. gekannten Sinn: sõma = „Leib” des einzelnen Menschen. „Leib der Sünde” bedeutet dann „der von der Sünde beherrschte Leib”. Die Sünde ist als Macht personifiziert gedacht, die den Leib des natürlichen Menschen als ihr Organ beherrscht und benutzt. Dieser soll „abgetan” sein (Elberf. Bibel) oder „außer Wirksamkeit gesetzt werden” (Menge). Ein Abgetansein in buchstäblichem Sinne kann natürlich nicht gemeint sein, denn der Gläubige behält ja denselben Leib, den er vor seiner Taufe hatte (Röm. 6,3-5). Das Zeitwort katargein bedeutet nicht nur „abtun”, „beseitigen”, „vernichten”, „vertilgen”, sondern auch „außer Kraft setzen”, „wirkungslos machen”, vgl. Eph. 2,15; vgl. Röm. 3,31; Röm. 3,3; Gal. 3,17; Röm. 4,14; 1. Kor. 1,28. Der Sinn der Stelle ist also: Durch die im Glauben vollzogene (durch die Taufe dargestellte) Verbindung mit Christus wird der von der Sünde beherrschte Leib außer Tätigkeit, außer Wirksamkeit gesetzt, „dass der alte Mensch, das Leben ohne jede Gotteskraft, das Leben in seiner Naturhaftigkeit, erledigt ist und sein muss durch das Miterleben des Kreuzes Christi, des schweren Todesgerichtes Gottes über jenes Leben, das aus sich heraus sich entfalten will und darum zur Sünde wird” (R. Krämer).

Die andere Erklärung, wie sie z. B. Theobald Dächsel bringt, faßt Leib (sõma) im Sinne von Punkt 2 als „Körperschaft”. Er sieht in den Ausdrücken „Leib des Fleisches”, „Leib des Todes”, „Leib der Sünde” nicht den Leib des Menschen, sondern „die Fleischeswelt” als große Körperschaft, als Organismus aus vielen Gliedern zusammengesetzt, d. i. die große Körperschaft oder Genossenschaft, „die sich der Tod, die Sünde, das Fleisch aus der ihnen preisgegebenen Menschheit zu schaffen verstanden haben”. Diesen Körperschaften (sómata) stehe die Körperschaft, das sõma (der Leib) des Christus gegenüber, die „sich der Messias aus den Ihm angehörigen Menschen schaffe”. Dann wäre der Sinn von Röm. 6,6: „auf dass dem Sündenreiche der Garaus gemacht werde”, wir also durch Christus aus dieser organischen Verbundenheit, deren Haupt die Sünde (als Person gedacht, nämlich als grausame Sklavenhalterin), befreit und sie für uns abgetan sei.
Mir scheint jedoch für diese zweite Erklärung kein zwingender Grund vorzuliegen, da sich die erste durch ihren guten Sinn als die natürlichste empfiehlt.
Auch Röm. 7,24 scheint uns die Erklärung von „Leib des Todes” als Körperschaft der natürlichen Menschheit, die der Sünde und dem Tode verfallen ist, zu gesucht im Vergleich zu der gewöhnlichen Auslegung, die unter Leib (sõma) nicht den Organismus der (natürlichen) Menschen, sondern den Leib des Einzelmenschen versteht. Käme man durch diese Erklärung in unlösbare Schwierigkeiten, so könnte man zu der anderen ungewöhnlichen seine Zuflucht nehmen, falls nämlich diese einen besseren Sinn gäbe. Paulus versteht aber doch wohl (Röm. 7,24) unter dem Todesleib „das vom Gesetz des naturgebundenen Lebens an die Herrschaft der Sünde ausgelieferte Leibesleben, das infolgedessen dem Tode verfallen ist” (Krämer).

Das Erlösen, wörtlich „Herausreißen (oder: befreien) aus (ek) diesem Todes-Leibe”, scheint allerdings auch die andere Erklärung möglich zu machen. Paulus denkt natürlich nicht an ein Befreitwerden von (aus) seinem eigenen Leibe in buchstäblichem Sinn. Vielmehr handelt es sich auch hier um eine innere Lösung aus einer Gebundenheit und Verpflichtung, also um eine Befreiung in ethischem Sinne. Diese kommt zustande durch das „Gesetz des Geistes”, Röm. 8,2f., wodurch der Gläubige - auch sein Leib - befreit wird vom Gesetz der Sünde und des Todes: Im Kolosserbrief findet man 1,22 den Ausdruck: „euch ... hat Er aber nun versöhnt in dem Leibe Seines Fleisches durch den Tod”. Hier ist der Leib des Christus auf Erden, Seine „irdische Leiblichkeit” gemeint. Nicht ein Scheinleib, nicht ein seelischer Leib (sõma psychikon), sondern ein wirklicher, menschlicher Leib wurde für uns in den Tod gegeben. Vgl. Punkt 2 über sarx! Kol. 2,11 ist der gleiche Ausdruck gebraucht vom Menschen. Hier hat aber nach dem Zusammenhang Fleisch (sarx) den unter Punkt 7 genannten Sinn: der Leib von sündlichem Fleisch, also: „In dem Ablegen des fleischlichen (d. i. sündlichen) Leibes”. Dieser Ausdruck „Ablegen” (apekdysis) findet sich im Neuen Testament nur hier. Das Bild, das dem Apostel vorschwebt, ist das Ablegen eines Gewandes. Dieses „Ablegen des fleischlichen Leibes” ist natürlich auch ein innerer Vorgang und Vollzug, ein ethischer Vorgang als Wirkung des Heiligen Geistes unter der Voraussetzung des Glaubens. Es handelt sich also Kol. 2,11 um das gleiche Erleben, die gleiche Erfahrung wie in Röm. 6,6 und Röm. 7,24!
J. W.

Schlußwort des Schriftleiters

Ich denke, sowohl der Einsender dieser Frage wie alle übrigen Leser sind mit mir einig, wenn ich sage, dass jedes Wort zuviel wäre, wollte ich diese Antwort oder den Verfasser derselben zu „loben” versuchen! Aber wenigstens sei mir vergönnt auszusprechen, dass diese Beantwortung meine vollste Zustimmung hat, hoffentlich auch die der Leser!

Freilich, mit einfachem „Lesen” ist es hier, wie in so vielen Fällen, nicht getan! Hier nutzt nur gründliches Durcharbeiten, wozu auch das willige Nachschlage sämtlicher Schriftstellen gehört, sowie praktisches Eingehen auf die erkannte Wahrheit; das möchte ich bei dieser Gelegenheit ernstlichst betont haben, und zwar in Verbindung mit Jak. 1,22! Wer etwa sagt: „Ach, das ist mir zuviel Lehren und zu wenig praktische Erbauung!”, der lasse sich einmal eindringlichst fragen, wie er je fähig werden will, wirklich biblisch, schriftgemäß auferbaut zu werden, wenn er sich nicht darüber belehren lassen will, was Gott uns in Seinem Worte- denke doch: in Seinem Worte! - sagen läßt! Auf Konferenzen und anderswo, auch seitens „Handr.”-Leser hört man's zeitweilig, dass die „Lehre” nicht so sehr beliebt sei und dass „Erbauung” höher im Kurs stünde - aber was ist denn das für eine Erbauung, die nicht auf Lehre und Erkenntnis gegründet ist? Man vergesse doch nicht die so häufige Betonung der „Lehre” in den Briefen au Timotheus und dem Titus-Briefe u. a.! Wie will man wohl wissen, welches Verhalten unsererseits Gott wohlgefällig ist, wenn man sich nicht darüber belehren lässt und nicht diesbezügliche „Erkenntnis” bekommt?! Vergleichen wir dazu Kol. 1,9.10 und Eph. 4,11-15! Darum wolle sich jeder Leser vorstehender belehrenden Antwort davor hüten, dieselbe „trocken” und „zu lehrhaft” zu nennen, er möge vielmehr forschen, ob sich's also verhält (wie Beröa in Apg. 17,11), und sich von dem „Gott aller Gnade” (1. Petr. 5,10) Gnade schenken lassen, in der Kraft des Geistes (Gal. 5,25) dem Worte gehorsam zu wandeln.

Ist es nicht köstlich, dass wir nach Röm. 6,6 im Glauben verwirklichen dürfen und können, dass „der Leib der Sünde” außer Wirksamkeit gesetzt ist - dass wir nach Röm. 7,24 erlöst sind von dem „Leib dieses Todes” - ja, dass wir den „fleischlichen Leib” abgelegt haben können?! (Kol. 2,11) Ist es nicht wichtig, darüber belehrt zu sein, dass diese drei Ausdrücke die gleiche geistliche Erfahrung, nur von verschiedenen Seiten geschildert, beschreiben? Wenn nämlich wir wirklich dies Erleben erfahren, diese Erfahrung erleben! Nie anders denn im Glauben, d. i. im Herzensvertrauen und gehorsamen Rechnen mit Seinem Verheißungswort, ist es uns möglich, und nur durch den Geist Gottes - aber es ist möglich. Gepriesen sei Gott für jede Einzelerfahrung, die jeder gläubige Leser hierin schon gemacht hat! lasst uns darin fortfahren!
Die Dächsel'sche Erklärung „Körperschaft” („Genossenschaft der Sünde usw.”) ist vielleicht ein etwas zu bequemer Ausweg aus der Schwierigkeit, als dass man sie sich ohne weiteres zu eigen machen dürfte - aber sie ist doch auch ein interessanter Versuch, einer Schwierigkeit Herr zu werden, und ich würde gegebenenfalls nicht Bedenken tragen, wenn jemand die andere gewöhnliche, aber schwierigere Deutung nicht annehmen könnte, ihm diese leichtere darzubieten, die ihn dann sicher eher befriedigen würde. Vielleicht kann man manchmal sogar beide Deutungen als parallel laufend gelten lassen, denn da sie beide gut möglich sind, also beide jeglicher falschen Grundlage entbehren, so kann Gott uns auch mit beiden etwas zu sagen haben wollen. Aber wie unser lieber Mitarbeiter sagt: „Ein zwingender Grund liegt nicht für die zweite vor, da die erste sich durch ihren guten Sinn als die natürlichere empfiehlt”.

Wie dankbar werden viele schlichte Leser die so sehr übersichtliche Aufstellung der Bedeutungen von sõma und sarx empfinden, und wie wichtig ist doch solche klare Begriffsunterscheidung! lasst uns sie nur gründlich beachten! Hierdurch auch wird uns das teure Wort Gottes reicher, und wir sehen wieder, wie schon so oft, wie recht der Psalmist hat, wenn er sagt: „Wohlgeläutert ist Dein Wort” - und mit ihm sagen auch wir, und zwar ein jeder für sich, glücklichen Herzens: „und Dein Knecht hat es lieb!” (Ps. 119,140; vgl. Ps. 12,6) Der HERR sei hoch gepriesen!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 17 (1932)